Voodoo als Weltreligion

[Formorian]

Ich plane gerade eine Geschichte, in der es auch um Elemente des Voodoo gehen soll. Allerdings habe ich vor, ein möglichst realitätsnahes Bild von der Sache zu zeichnen, fernab des pfui-bah-böse-Zombie-Nadelpuppen-Hollywoodklischees. Der Voodoo sowie seine Abarten (Macumba, Santeria, Yoruba und was immer) ist erwiesenermaßen kein Teufelskult, sondern eine animistische Weltreligion (aufgrund seines Verbreitungsgebietes - Westafrika, Karibik und Lateinamerika - hat er diese Bezeichnung m.E. durchaus verdient, und er ist ohne Zweifel die am meisten unverstandene, diffamierteste und geschmähteste), und die verehrten Loa, Orisha und Fetische sind längst nicht alle zerstörerischer Natur. Warum sollte man sie sonst auch verehren?
Leider kratzen die sog. Standartwerke der Sachliteratur kaum die wirkliche Oberfläche an und sind überdies von einer geradezu unerträglichen paneuropiden Arroganz geprägt, auf kirchlicher Seite ergeht man sich lediglich in wüsten Verdammungskannonaden, und selbst die magische Literatur bietet eine Unmenge an Ritualvorschriften, über den theologischen oder philosophischen Überbau erfährt man dagegen so gut wie nichts.
Was sind Geisterflaschen? Was geht auf den Besessenheitsfesten wirklich ab? Null Blick!
Ist hier vielleicht jemand, der ein wenig mehr weiß? Haben wir möglicherweise einen waschechten Voodoosi unter uns? Wäre für jede (belegbare) Info dankbar!

 

[TKarn]

Also, wenn Du mal einen Blick auf GURPS Voodoo werfen kannst... Ist zwar RPG-Zubehör, orientiert sich aber an den realen Begebenheiten und ist gur recherchiert....

 

[Formorian]

Ähem, danke, aber ich dachte eigendlich an etwas seriösere Quellen.
Oder lernt man etwa aus dem Shadowrun-Grimoire das Zaubern?

 

[Cassandra]

Kenne mich jobmäßig ein bisschen damit aus - auch weil Kult & Rituale etc. so ein Hobby von mir sind (wird bei "professionellen" Archäologen allerdings nicht gerne gesehen ). Was möchtest Du denn wissen?

 

[Formorian]

Etwa Unterschiede und Gemeinsamkeiten der diversen Kulte, was die Sache zusammenhält (also die theologischen Aspekte, falls vorhanden. Auf den Außenstehenden wirkt alles auf den ersten Blick doch ziemlich chaotisch), Sinn und Zweck der Trancezeremonien (der Mensch also, der Gott sein will, und der Gott, der Mensch sein will), ja eigentlich so ziemlich alles...nur bitte keine Rezepte, davon habe ich schon mehr als genug . Auch die Beziehungen zu anderen Religionsgemeinschaften fände ich ziemlich interessant (rennt der Reverend Mamoto nachts heimlich zu Mamissi Kokoe, wenn er nicht mehr weiter weiß ?).

 

[Cassandra]

Meine Güte, wo soll ich denn da anfangen ? Und was meinst Du mit "Rezepten" ??! Denkst Du da an sowas wie "wie koche ich mir mein eigenes Schicksal zusammen" und so? Also da musst Du keine Angst haben. Bei sowas würde ich Dich ohnehin an den Voodoomaster persönlich verweisen ....
Also lass mal sehen:
Voodoo hat seinen Ursprung vermutlich in Westafrika und wurde vom Volk der Yoruba praktiziert. Im Laufe der Jahrhunderte verbreitete sich die Religion in verschiedener Ausprägung über den ganzen afrikanischen Kontinent, wobei sich ja nach Region und Kultur unterschiedliche Elemente hinzugesellten. Später schwappte Voodoo im Zuge der Sklaverei bzw. Kolonialisierung auch nach Amerika bzw. Europa hinüber und vermischte sich dort erneut mit anderen religiösen Elementen (z.B. aus dem Christentum).
Grundsätzlich unterscheidet man zwischen weißer und schwarzer d.h. schädigender Magie. Letztere wird nicht halb so oft praktiziert wie immer behauptet - zumindest nicht von "Profis", da das Risiko für den Magier enorm hoch ist.
Eine sehr wichtige Rolle spielt der Ahnenkult. Die Ahnen fungieren als Schutzgötter und Mittelsmänner zwischen den Lebenden und den Toten. Sie werden jedes Jahr an besonderen Festtagen verehrt.
Was die sog. Voodoo-Puppen angeht, so können sie sowohl der weißen als auch der schwarzen Magie zunutze gemacht werden. Je nachdem, um was es in der Zeremonie geht.
Und ob Magier A zu Magier B rennt und um Hilfe bittet, hängte davon ab, was für ein Ego Magier A hat und was er gerade treibt. Grundsätzlich spricht nichts dagegen, Hilfe von anderen anzunehmen.
Was die Geisterflasche angeht, bin ich mir nicht sicher. Ich kenne da zwei Varianten. Bei der einen handelt es sich um einen Geist, der per Exorzismus in ein Gefäß gebannt wurde und bei der anderen Variante geht es um, idR kleine Fläschchen oder Flakons, die mit bestimmten Inkredenzien gefüllt wurden. Diese muss man an bestimmten Orten im Haus verstecken - am besten da, wo man eine "negative Präsenz" spürt - und die sorgen dann dafür, dass man nicht belästigt wird.
Soviel mal fürs Erste. Wenn ich präziser werden soll, bitte ich um Rückfrage. Derweil schaue ich mal, was ich Dir da an Literatur empfehlen kann. Und wie ernsthaft soll die denn überhaupt sein? Darf es auch was aus der Esoterikszene sein und so?
Und schließlich: zur Trance lässt sich eine Menge sagen (leider mehr als ich weiß). Nur soviel, oftmals versetzt sich der Magier/Schamane in Trance um so in die Geisterwelt einzutauchen z.B. um einen Kranken zu heilen. Nach geglückter Trance kehrt er in die reale Welt zurück und weiß, wie er dem Patienten helfen kann. Eine andere Möglichkeit wäre, wenn der Magier/Schamane während der Trance als Gefäß für eine Gottheit fungiert. Nur ist er dann eben nur Gefäß und nicht Gottheit selbst.

 

[Formorian]

Das ist doch schon eine ganze Menge, danke schön!
Als "Rezepte" wollte ich Ritualanweisungen mit allen verwendeten Paraphernalia und Mittelchen verstanden wissen; damit bin ich wirklich eingedeckt .
Über die Entstehungsgeschichte der Religion war ich mir schon mehr oder weniger im Klaren, mich interessieren vor allem die aktuellen Tatsachen, da die Story in der Gegenwart spielen soll.
In Togo, vor allem in den Gegenden von Lome und Anecho, wird ein sehr volkstümlicher Voodoo praktiziert, bei dem die Laien (angefeuert durch ekstatisches Trommeln, stundenlangem Tanzen und reichlich Alk) gleich reihenweise in Trance fallen und dann von einem Orisha (Loa im afrikanischen Voodoo) geritten werden. Es kommt dabei zu paranormalen Phänomenen wie Unverwundbarkeit, Hellseherei und dergleichen. Es kommt dabei auch schon mal vor, dass ungewollte Besessenheiten eintreten und sogar Ungläubige plötzlich von einem Orisha ergriffen werden.
In diesem Umfeld wird die Story spielen, denn diese Art Voodoo (die übrigens von heimkehrenden amerikanischen Sklaven nach Afrika gebracht worden sein soll) erscheint mir doch ursprünglicher als der karibische, der vielerorts zur puren Touristengaudi verkommen scheint.

 

[TKarn]

Oder lernt man etwa aus dem Shadowrun-Grimoire das Zaubern?

Das ist dazu genauso geeignet wie das Telefonbuch oder jedes andere Buch...

 

[Formorian]

Bitte nicht falsch verstehen; es soll in dem Ding halt nicht um irgendwelche typischen Rollenspielmagie-Mätzchen gehen noch um irgend welchen angeblich realen Mambo-Jambo-Kram, dem ich selbst mehr als skeptisch gegenüberstehe. Statt dessen sollen vor allem die religiösen Aspekte behandelt werden. Und ich bezweifle nun einmal, dass mir da ein Quellenbuch von GURPS weiterhelfen würde.

 

[Cassandra]

Grundsätzlich ist es gut, wenn Autoren genau recherchieren, aber ich denke mal, dass bei manchen Themen nicht ganz so akribisch nachgeforscht werden muss. Ich weiß ja nicht, was genau Du schreiben willst, aber Du könntest eigentlich genauso gut etwas halbwegs plausibles erfinden. Im Nachwort kannst Du ja erwähnen, dass es sich nicht um autente Riutale etc. handelt, sondern um fiktive.
Außerdem ist Voodoo weniger eine Religion, sondern geht fast schon in die Richung die wir früher als Alchemie bezeichnet haben (und die quasi der Vorläufer von Chemie, Physik etc. ist).

 

[Darnamur]

Darf man erfahren, was aus der Idee geworden ist?

 

[Formorian]

Liegt erst mal auf Eis; Fantasy ist mir im Moment wichtiger...

 

[Cassandra]

Was spricht eigentlich dagegen, die beiden Elemente zu verbinden?

 

[Formorian]

Weil es halt ein realistisches Drama werden sollte. Fantasy-Voodoo haben wir bereits mehr als genug.

 

[Cassandra]

Voodoo ist also nicht mit der Realität vereinbar - ich kenne da ein paar Leute, die sich dringend mal mit Dir unterhalten wollen ...

 

[Formorian]

Da hast du mich wohl misverstanden.
Voodoo ist eine Realität, ganz klar, aber es soll eben nicht die übliche Mambo-Jambo-per-Nadelstich-in-Zombie-verwandel-Story werden, sondern es geht um den Einfluss der Religion allgemein auf das soziale und politische Umfeld, und nicht nur um Voodoo allein. Den magischen Praktiken will ich ihre Realität nicht absprechen, im Gegenteil, aber der Fokus liegt eben nicht auf ihnen.

 

[Cassandra]

O.k. - dann pfeif´ ich sie wieder zurück ...

 

[Formorian]

*uff!*

 

[Hobbyschreiber]

Vor etlicher Zeit (Größenordnung etwa 1 - 2 Jahre) gab es mal in der Geo einen ausführlichen und seriös wirkenden Artikel über heute praktiziertes Voodoo. Das betraf allerdings die karibische Variante. Weiß nicht, ob Du interessiert bist, Dich selber mal durch das Archiv zu wühlen, oder ob ich versuchen soll, wenigstens die Ausgabe in Erfahrung zu bringen, in der der Artikel erschienen ist ? Diesbezüglich müsstest Du bitte mal Laut geben.

Im Übrigen gibt das GEO-Themenlexikon "Religionen" folgende Auskunft:

Wodu, (von "Ewe wudu", etwa Numen, Genius, Schutzgeist), engl. Voodoo, französisch Vaudou ist eine der afroamerikanischen Religionen, die besonders in Haiti verbreitet ist. Im Wodu sind Elemente der seit den 16. Jh. von schwarzen Sklaven aus Westafrika -v.a. von den Fon aus dem Reich Dahome, dem heutigen Benin- mitgebrachten Religionen und des katholizismus miteinander verschmolzen. Wodu wurde von den französischen Kolonialherren, dem Staat und der katholischen Lirche bekämpft, auch als heimtückische Zauberei missduetet und verbreitete sich daher zunächst als Geheimkult. Dennoch entwickele sich Wodu auf Haiti zur Volksreligion, der mindestens 75 % der Bevölkerung anhängen.

Der Götterglaube ist polytheistisch. Verehrt werden der "Loa" oder "Orixa", manchmal auch "Anges" (frz. Engel) oder "Saints" (frz. Heilige) genannte göttliche Wesen aus der afrikanischen Vorstellungswelt, auf die z.T. Züge katholischer Heiliger übertragen wurden. Hauptgottheiten sind "Bondye" (von Frz. "Bon dieu", der Liebe Gott), Legba oder Papa Legba, der als Mittler zwischen den Menschen und den Göttern gilt, Damballah (Dambala) als Gott der Fruchtbarkeit und seine Gattin Ayida-Weddo als Herrin der Himmelsschlange (des Regenbogens). Charakteristisch für Wodu sind kultische Tänze und Besessenheit durch die Geister, rituelle Tieropfer, wobei die Tiere durch indirekte Zeichen ihr Einverständnis zur Opferung gegeben haben müssen, sowie im Rahmen magischer Kultformen der Glaube an Zombies. Wie in Afrika spielt die Ahnenverehrung eine wichtige Rolle.

Die Gemeinde wird durch Priester geleitet. Die Traditionen werden mündlich überliefert. Seit dem Ende des 19. Jh. fanden Wodu-Riten über Haiti hinaus auch in anderen Staaten der Karibik (unter dem Namen Santeria), in Brasilien und in den USA Verbreitung und finden sich heute auch in den afrikanischen Ursprungsländern (Benin, Togo, Nigeria). Schätzungen gehen von weltweit bis zu 50 Millionen Wodu-Anhängern aus.

(Damit wäre auch aus meiner Sicht ein Kriterium für eine Weltreligion erfüllt )

Unter dem Stichwort '"afroamerikanische Religionen wird noch einmal auf die Herkunftsreligionen "Wodu" der Fon und "Xango" der Yoruba hingewiesen. Andere Einflüsse kamen später noch hinzu, wie zm Beispiel indianischer Schamanismus und europäischer Spiritualismus in Südamerika.

Auf die afrikanischen Religionen wird an anderer Stelle noch näher eingegangen. Wenn Du die Möglichkeit hast, besorg Dir dieses Lexikon doch einmal, zum Beispiel aus einer öffentlichen Bibliothek. Ich halte es für einigermaßen objektiv und Du findest zumindest neue Stichworte.

Auf jeden Fall scheint es einerseits die afrikanischen ursprungsreligionen zu geben, und andererseits das Voodoo/Wodu, das von Afroamerikanern nach Afrika zurück gebracht und weltweit verbreitet wurde, und das starke Vermischungen mit dem Katholizismus und anderen Religionen enthält. Wenn Du authentisch schreiben willst, solltest Du Dich entscheiden, ob Du über die afrikanische Religion oder über Voodoo schreibst, oder über den Unterschied zwischen beidem.

Ach ja, und der Artikel über das Voodo im heutigen Haiti ist im Anhang (neben anderen themenbezogenen Artikeln) ebenfalls abgedruckt, habe ich gerade gesehen.

 

[Formorian]

Danke für den Tipp und die Infos! Werde mir diesen Artikel auf jeden Fall mal reinziehen. Über die Entstehungsgeschichte des Voodoo bin ich mir schon mehr oder weniger im Klaren, auch über die synkretistische Natur des Pantheons (der togolesische Wassergeist Mami Wata etwa wurde tatsächlich von der Galionsfigur eines europäischen Schiffes in Form einer Nixe inspiriert). Es soll vor allem um die westafrikanische Variante gehen, vor allem um die verschiedenen Kulte in und um Lome. Meine hauptsächliche Information stammt aus VOODOO - AFRIKAS GEHEIME MACHT von Gert Chesi sowie dem, was ich so im Netz aufschnappe, doch leider hat dieses Buch schon einige Jährchen auf dem Buckel und ist leider wohl nicht mehr allzu aktuell.
In Togo, wo die Geschichte überwiegend spielen soll, ist Voodoo neben einigen anderen Kirchen/Religionen/Sekten übrigens offiziell verboten, was niemanden weniger kümmert als die einheimischen Voodoosi .