So, nach einer längeren Pause, in der ich mich fast ausschließlich in Orendarcils Schreibforum herumgetrieben und dort meinen Spaß am Kommentieren von Texten entdeckt habe, möchte ich mich auch mal wieder zu Wort melden.
Nachdem ich ein wenig über die Eingangsfrage meditiert habe, muss ich sagen, dass eine packende Atmosphäre in einer Geschichte für mich im Grunde von zwei Dingen abhängt - zum einen von einer (sehr vom subjektiven Empfinden geprägten) Qualität, die zu einem Roman hinzukommt, und zum anderen von der Abwesenheit störender handwerklicher Ecken und Kanten, die den Lesefluss unterbrechen und mich als Leser immer wieder aus der Geschichte und der Identifikation mit den Figuren herausreißen.
Ersteres wäre für mich persönlich z.B. das Vorhandensein einer plastischen, mit vielen bildhaften Metaphern und Vergleichen angereicherten Sprache, die auf indirekte Weise Emotionen und Assoziationen bei mir weckt. Natürlich kommt es auch hier darauf an, dass des Guten nicht zu viel getan wird und das richtige Mischungsverhältnis zwischen den erzählerischen Elementen einer Geschichte gewahrt bleibt.
Die spröde, beinahe skelettierte Sprache beispielsweise eines Hemingway wäre für mich derart reduziert, dass die Atmosphäre seiner Geschichten darunter leidet - wobei das ein absolut subjektives Empfinden wäre.
Ebenso wie am anderen Ende des Kontinuums z.B. bei einer Barbara Hambly, die in meinen Augen eine in vielen Szenen derart überbordende Umgebungsbeschreibung in ihre Romane hineinbringt, dass der rote Faden einer Szene, beispielsweise ein Dialog, manchmal komplett unter diesen üppigen Randdetails verschwindet, was trotz ihrer sehr bildhaften Sprache für mich dennoch ein solches Ungleichgewicht beim Lesen erzeugt, dass es ebenfalls zu Lasten der Atmosphäre geht.
Ein anderes Element, das für mich Atmosphäre schafft, wäre neben der bildhaften darüber hinaus auch eine stark wertende Erzählsprache, die mich auf diese Weise intensiv in die subjektive Innenwelt der handelnden Figuren hineinzieht. In dieser Hinsicht besonders auffällig ist m.E. z.B. Dave Duncan mit seinen beiden Pandemia-Zyklen um die Prinzessin Inos und den Stallburschen Rap. Wenn Inos beispielsweise auf einem Ball die Adligen beobachtet und es heißt: "Neben dem Herzog stand der verhasste Prokonsul Yggingi, ein harter, kurz angebundener Mann in den Vierzigern. Uh! Sein Haar war so kurz geschnitten, dass sein eckiger Kopf beinahe kahl erschien, und wie üblich war er in Bronze und Leder gekleidet, vom Brustpanzer bis zu den Beinschienen. Mit Yggingi zu tanzen war wie ein Kampf gegen eine Regentonne. Seine Frau war kaum in der Öffentlichkeit zu sehen, eine Halbinvalidin, deren Existenz er ignorierte, während er Inos unerbittlich nachstellte. Seine einzigen Gesprächsthemen schienen seine Militärkarriere zu sein und sein unvergleichlicher Erfolg bei irgendeinem Massaker an Gnomen. Er war so verabscheuungswürdig, dass selbst Tante Kade kaum ein gutes Wort für ihn fand.", dann macht diese stark durch die persönlichen Gefühle der Figur gefärbte Sichtweise auf die Welt und andere Figuren für mich einen Großteil der Atmosphäre aus.
Der zweite Aspekt, der m.E. für eine dichte Atmosphäre in einer Geschichte von Bedeutung ist, ist, wie oben erwähnt, das Fehlen grober handwerklicher Mängel, die den Lesefluss zerhacken. Hierzu würden für mich z.B. das ständige Wechseln der Perspektive zwischen verschiedenen Figuren innerhalb einer einzigen Szene ebenso wie psychologisch unglaubwürdig handelnde und motivierte Figuren zählen.
Auch offensichtliche Logikbugs, die einen beim Lesen ungläubig den Kopf schütteln lassen, sind für mich Atmosphärekiller. Wenn beispielsweise ein extrem gut ausgebildeter Söldner sich von dem Bösewicht wie ein Schuljunge überrumpeln lässt, weil dem Autor keine andere Möglichkeit eingefallen ist, seinen Helden in Gefahr zu bringen, dann bin ich an diesem Punkt komplett aus der Geschichte ausgestiegen, und jegliches Flair ist für mich (erst mal) dahin.
Das heißt, dass auch solche Aspekte wie die grundlegende Konzeption einer Geschichte m.E. zu einer dichten Atmosphäre beitragen. Ist die Story straff konzipiert, verdichtet sich (beispielsweise in einem Thriller) die Bedrohung für den Protagonisten immer mehr, ohne dass plötzlich hundert Seiten Leerlauf dazwischenkommen, auf denen der Held erst mal eine sechswöchige Psychosomatik-Kur an der Ostsee antritt, um sich von seinem Stress zu erholen, dann werde ich als Leser immer tiefer in die Geschichte hineingezogen. Und dieses Hineinziehen in den Bann der Geschichte, wenn man mit den Figuren bangt und mitfühlt, ist m.E. letztlich das, was - unabhängig von allen anderen Aspekten - eine dichte Atmosphäre ausmacht.