KATastrophy989
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- 06. Feb. 2012
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Hallo liebe Comm,
nach langem Hin und Her hab ich mich nun auch mal an etwas gewagt. Das Ganze soll eigentlich einen Roman abgeben.
Hier habt ihr mal das, was später einen Teil des ersten oder zweiten Kapitels geben soll. Welches genau weiß ich noch nicht
Viel Spaß beim Schmökern und - ach ja, bevor ich's vergesse: Ich bitte um konstruktive Kritik. Verbessern ist immer gut
In diesem Sinne schonmal: Danke.
LG Kathi
1. Raika
Es war ein grauer Wintermorgen in Weremer. Raika stand an der Balkonbrüstung des Gebäudes, das sie Ihr Zuhause nannte. Sie schaute in Richtung der Graufichten und Wurzeleiben des Yindrilwaldes. Die mächtigen Bäume ragten wie stumme Riesen hoch in den Himmel. Die Größten unter ihnen waren so schmal und so hoch, dass sie zu zerbrechen drohten. Verschiedene Vogelrufe drangen aus dem Wald. Wildtauben gurrten, Raubvögel kreischten und in weiter Ferne klopfte ein Federspecht sein Heim in einen der Bäume. Ab und zu verständigten sich Wölfe durch vereinzeltes Heulen und Jaulen miteinander.
Ein lauer Wind streifte Raikas langes Nachthemd und liebkoste ihr schwarzes Haar. Wie immer pflegte sie auch heute, mildes Blau zu tragen. Die Seide schmiegte sich behaglich an ihren schlanken Körper, doch sie fröstelte. Ihre seegrünen Augen blickten gedankenverloren in die Ferne.
»Kind, komm herein. Hier draußen wirst du noch krank und nur der Herr weiß, wer dich alles sieht«. Freudestrahlend drehte sich Raika um und lachte schallend. »Vater, Ihr schleicht noch immer wie eine Waldkatze. Ich fürchte, dass ich vor euch in die ewige Dunkelheit treten werde, falls Ihr mich noch einmal so erschreckt«. Ihr Ziehvater, Moros Freudenthal, war ein kleiner, alter Mann mit silbergrauem Haar und einem immerwährenden Lächeln in den grauen Augen. Er trat an sie heran, sah sie prüfend an und runzelte die Stirn. Er schmunzelte, doch als er ihren fragenden Blick sah lächelte er und meinte »Raika, bald erkenne ich dich nicht wieder. Aus dem Kind, das deiner Mutter und mir vor sechzehn Sommern geschenkt wurde reift eine Frau heran«.
Bei diesen Worten wurde Raika unwohl. Sie hatte ihre leiblichen Eltern nie kennengelernt und war daher eine Verstoßene. Moros und seine Frau Sylia Freudenthal hatten sie vor einem Leben als Hure und Rechtslose bewahrt.
Als sie Moros’ Blick sah, lächelte sie ihn an und sagte »Danke, Vater. Darf ich fragen, weshalb Ihr mich so früh am Morgen in meinen Gemächern aufsucht? «. Wieder lächelte Moros und dabei fiel ihm eine Haarsträhne ins Gesicht. »Darf ich nicht nach meiner Tochter sehen, wenn es mir danach beliebt? Du stehst in letzter Zeit so oft hier oben und brütest, Kind. Deine Mutter macht sich große Sorgen, zumal…«
Moros stockte. In der Ferne erklang ein schriller Ruf. Raika fuhr erschrocken herum und sah zum Wald hinaus, wo tief in dessen Innern ein Schwarm Dunkelkrähen aufstob und sich über die Wipfel der mächtigen Graufichten erhob. Wie eine unheimliche, schwarze Wolke wirkten die Vögel, bis sie sich hoch am Himmel teilten und jeder von ihnen seinen eigenen Weg einschlug, um weiterzuziehen.
Moros lachte schallend und sprach weiter. »Mädchen, du bist noch genau so schreckhaft wie am ersten Tag. Du hättest die Augen deiner Mutter sehen sollen, als Callis dich, verdreckt und verkommen wie du warst, zu uns brachte. Sylia liebte dich vom ersten Augenblick an«. Callis Methen war die Frau des Pastors von Weremer. Ein Gottesdiener fand Raika in einer lauen Sommernacht in Laken gehüllt auf der Treppe der Basilika und brachte sie zu Pastor Hogar. Sie hatte ihren ersten Sommer noch nicht erlebt. Von ihrer Mutter war keine Spur zu finden gewesen. Raika hatte es nie an Liebe gemangelt, doch trotzdem schrie ein Teil in ihr danach, ihre wahre Mutter kennenzulernen.
Ihr Ziehvater unterbrach ihre Gedanken. »Deine Mutter und ich werden heute nach Melldorf auf den Markt gehen. Möchtest du uns begleiten? « Melldorf war ein größerer Ort in der Nähe von Weremer, etwa eine Fußstunde entfernt. Traurig antwortete Raika »Vielen Dank, Vater. Aber ich fürchte, ihr müsst ohne mich auf den Markt gehen. Mir geht es heute nicht gut«. Als sie Moros’ besorgten Blick bemerkte fügte sie schnell hinzu »Ich brauche nur ein wenig Ruhe. Vielleicht eine oder zwei Glocken Schlaf, dann geht es mir mit Sicherheit wieder besser«. Ihr Ziehvater sah sie eindringlich an, sagte dann aber »Leg dich hin, Raika. Deine Mutter und ich werden wieder hier sein, wenn der Abend dämmert. Wir werden in Melldorf noch alte Freunde besuchen«. Bevor sie etwas erwidern konnte, drehte er sich um und ging.
Raika wusste, dass ihre Eltern sich gefreut hätten, wenn sie die beiden nach Melldorf begleitet hätte. Ebenso gut wusste sie aber auch, dass in Melldorf Brandir Welck lebte. Raika war im heiratsfähigen Alter und Moros hatte in letzter Zeit verdächtig oft von Brandir gesprochen. Er war der älteste Spross eines wohlhabenden Kaufmannes und würde in einigen Jahren dessen Handelshaus erben. Wie sein Vater auch war Brandir groß gewachsen, stattlich gebaut und hatte hellbraunes Haar, das in Locken auf seine Schultern fiel. Doch wie sein Vater war auch er vor allem eines - arrogant. Raika erinnerte sich daran, als sie Brandir zum ersten Mal gesehen hatte.
Es musste drei oder vier Sommer zurückliegen. Mit ihren Eltern war sie in Melldorf bei den Welcks’ eingeladen gewesen. Das Gebäude war riesig, in jedem Raum hingen schwere, gewebte Teppiche von den Wänden. Im Essenssaal stand ein großer Kamin, der im Winter bestimmt eindrucksvoll aussehen musste. An dem großen Holztisch aus massivem Ebenholz fanden zehn Gäste Platz. Das Besteck war aus schwerem Gusseisen gefertigt und die Teller bestanden aus glänzend lackiertem Ton. Noch eindrucksvoller war das Mahl gewesen, das die Welcks’ vorbereitet hatten. Es hatte Spanferkel und Rüben gegeben. Frisches Brot und allerlei Obst war von den Haussklavinnen aufgetragen worden. Raika hatte Gewürze gegessen, deren Namen sie vorher mitunter nicht einmal kannte. So gab es Rundkümmel und aromatischen grünen Curry aus den östlichen Königreichen, schwarzen Zucker aus Xantyr und Tchenchpulver aus den freien Städten jenseits des großen Sees.
Raika saß neben Tjord Welck, dem Vater Brandirs. Tjord war auf den ersten Blick ein sehr zuvorkommender und höflicher Mann gewesen. Er hatte Raika von den aufgetischten Speisen angeboten und ihren Geschichten gelauscht. Insgesamt hatte es sich um einen wundervollen Abend gehandelt – bis eine der Sklavinnen ein Tablett voll Gläser roten Weines aus Xantyr fallen ließ. Wie sie es gewohnt war, war Raika sofort aufgesprungen, um dem zitternden Mädchen zu helfen. Da hörte sie die donnernde Stimme Tjords »Wurdest du so erzogen, Mädchen?«. Eisige Stille herrschte dort, wo vorher gescherzt und gelacht wurde. Raika blickte fragend zu Moros und dieser antwortete an ihrer Stelle »Tjord, du weißt doch wie Kinder in diesem Alter sind. Ihnen Sitten beizubringen benötigt seine Zeit. Aber ich versichere dir, dass sie ein gutes Mädchen ist und wir ihr auch den Anstand lehren werden, der einer jungen Dame gebührt«. An Raika gewandt fuhr er fort »Kind, steh auf und setz dich zurück an deinen Platz!«. Die plötzliche Schärfe in der Stimme ihres Ziehvaters hatte Raika damals sehr erschreckt und so setzte sie sich ohne ein weiteres Wort zu sagen. Brandir wandte sich an Tjord »Seht ihr, Vater? Ich sagte euch doch, dass dieses Mädchen nichts als eine unerzogene Waise ist. Vermutlich war ihre Mutter eine Hure und ihr wisst, dass diese Sünden von der Mutter zur Tochter gegeben werden. Ich möchte nicht länger mit diesem Abschaum in einem Raum sitzen. Ihr entschuldigt mich?«.
Ohne eine Antwort abzuwarten war Brandir damals aufgestanden. Obgleich sie jung gewesen war – Raika war nie dumm gewesen. So hatte sie damals sehr wohl verstanden, was Brandir von ihr hielt. Auch die Entschuldigungen seiner Mutter und die Beteuerungen Sylias konnten sie nicht umstimmen.
Ein kalter Windhauch riss sie aus ihren Gedanken. Die feinen Haare an ihren Armen und überall an ihrem Körper stellten sich auf und die zarten, kleinen Knospen ihrer Brüste drückten sich an ihr Nachtgewand. Ihr Ziehvater hatte Recht, sie sollte wieder ins Haus gehen. Sonst würde sie vermutlich wirklich krank werden. Noch einmal sah sie hinaus zum Wald, wo vereinzelt noch immer die Krähen über den Baumwipfeln ihre Kreise zogen. Raika fragte sich, was die Krähen vorhin aufgeschreckt hatte und vor allem, warum sich so viele Krähen an demselben Ort aufhielten. Betrübt schüttelte sie den Kopf. Was brachte es, sich über ein paar Vögel Gedanken zu machen? Sie sollte sich lieber anziehen, sich bei ihrem Ziehvater entschuldigen und mit ihren Eltern nach Melldorf auf den Markt gehen. Raika ging zurück in ihr Schlafgemach, schloss die Balkontür und trat an ihren Kleiderschrank.
Gerade als sie die Schranktüren öffnen wollte, hörte sie von unten eine dunkle, barsche Männerstimme brüllen. Moros Freudenthals’ Stimme antwortete besänftigend, woraufhin die unbekannte Stimme etwas ruhiger schien. So sehr Raika sich auch bemühte, konnte sie doch kein Wort der Unterhaltung verstehen. Eine schiere Unendlichkeit später hörte sie die Tür knallen. Schnell streifte sie sich ein himmelblaues Seidenkleid über und lief die Treppen zu ihren Eltern hinunter. Moros und Sylia Freudenthal saßen an dem kleinen Esstisch im Wohngemach. Die alte Frau saß schluchzend über den Tisch gebeugt und ihr Mann streichelte ihr über den Rücken und flüsterte beruhigend auf sie ein. Raika war sich unsicher, was sie tun sollte. »Vater, ich habe Stimmen gehört. Weshalb weint Mutter?«. Sylia sah auf und wischte sich ein Rinnsal Tränen von der Wange. Ihre smaragdgrünen Augen waren durch das salzige Tränenwasser rot und aufgequollen und ihr schönes von weißen Strähnen durchzogenes blondes Haar war durcheinander. Sie sah älter aus als die einundfünfzig Sommer, die sie zählte. »Raika, was tust du hier? Moros erzählte mir, du gedachtest zu schlafen« antwortete Sylia an Moros’ statt. Moros richtete sich auf und ging gebeugt auf Raika zu. Auch aus seinen Augen war das Lächeln gewichen und zu Raikas Erstaunen fand sich grenzenlose Trauer in ihnen. Moros sah sie lange an, bevor er sagte »Kind, würdest du mit deinem alten Vater eine Runde ums Haus gehen? «. Raika wusste nicht, was sie darauf antworten sollte. Nie hatte sie ihren Ziehvater so gesehen. Wortlos hakte sie seinen Arm unter und geleitete ihn nach draußen.
Etwa eine halbe Glocke waren sie nun Arm in Arm gegangen. Sie stützte ihn, wenn er wankte und er dankte es ihr, indem er schwieg. Sie hatten Weremer verlassen und befanden sich auf dem breiten Schotterweg, der nach Melldorf führte. Westlich des Weges begannen die Ausläufer des Yindrilwaldes, in dem im Laufe der Jahre viele Wanderer verschollen waren. Man erzählte sich viele Geschichten über den Wald. So erzählten sich die alten Weiber im Dorf, dass die Wölfe tief im Wald so groß wie ausgewachsene Pferde seien, mit einem Fell wie schwimmende Schatten und sie jagten Mammuts. Es hieß auch, dass die letzten Bergtrolle in diesem Wald lebten. Bergtrolle waren böse Wesen, doppelt so groß wie die hünenhaftesten Männer und sie waren mit Wolfspelzen bekleidet und mit Knüppeln aus Holz bewaffnet, mit denen sie den Männern und Frauen die Knochen und Gelenke zerschmetterten. Kleinen Kindern rissen sie bei lebendigem Leibe Arme und Beine aus, hieß es in den Geschichten. Raika glaubte keine der Geschichten wirklich, doch hatte der Wald trotzdem etwas Unheimliches an sich.
nach langem Hin und Her hab ich mich nun auch mal an etwas gewagt. Das Ganze soll eigentlich einen Roman abgeben.
Hier habt ihr mal das, was später einen Teil des ersten oder zweiten Kapitels geben soll. Welches genau weiß ich noch nicht
Viel Spaß beim Schmökern und - ach ja, bevor ich's vergesse: Ich bitte um konstruktive Kritik. Verbessern ist immer gut
In diesem Sinne schonmal: Danke.
LG Kathi
1. Raika
Es war ein grauer Wintermorgen in Weremer. Raika stand an der Balkonbrüstung des Gebäudes, das sie Ihr Zuhause nannte. Sie schaute in Richtung der Graufichten und Wurzeleiben des Yindrilwaldes. Die mächtigen Bäume ragten wie stumme Riesen hoch in den Himmel. Die Größten unter ihnen waren so schmal und so hoch, dass sie zu zerbrechen drohten. Verschiedene Vogelrufe drangen aus dem Wald. Wildtauben gurrten, Raubvögel kreischten und in weiter Ferne klopfte ein Federspecht sein Heim in einen der Bäume. Ab und zu verständigten sich Wölfe durch vereinzeltes Heulen und Jaulen miteinander.
Ein lauer Wind streifte Raikas langes Nachthemd und liebkoste ihr schwarzes Haar. Wie immer pflegte sie auch heute, mildes Blau zu tragen. Die Seide schmiegte sich behaglich an ihren schlanken Körper, doch sie fröstelte. Ihre seegrünen Augen blickten gedankenverloren in die Ferne.
»Kind, komm herein. Hier draußen wirst du noch krank und nur der Herr weiß, wer dich alles sieht«. Freudestrahlend drehte sich Raika um und lachte schallend. »Vater, Ihr schleicht noch immer wie eine Waldkatze. Ich fürchte, dass ich vor euch in die ewige Dunkelheit treten werde, falls Ihr mich noch einmal so erschreckt«. Ihr Ziehvater, Moros Freudenthal, war ein kleiner, alter Mann mit silbergrauem Haar und einem immerwährenden Lächeln in den grauen Augen. Er trat an sie heran, sah sie prüfend an und runzelte die Stirn. Er schmunzelte, doch als er ihren fragenden Blick sah lächelte er und meinte »Raika, bald erkenne ich dich nicht wieder. Aus dem Kind, das deiner Mutter und mir vor sechzehn Sommern geschenkt wurde reift eine Frau heran«.
Bei diesen Worten wurde Raika unwohl. Sie hatte ihre leiblichen Eltern nie kennengelernt und war daher eine Verstoßene. Moros und seine Frau Sylia Freudenthal hatten sie vor einem Leben als Hure und Rechtslose bewahrt.
Als sie Moros’ Blick sah, lächelte sie ihn an und sagte »Danke, Vater. Darf ich fragen, weshalb Ihr mich so früh am Morgen in meinen Gemächern aufsucht? «. Wieder lächelte Moros und dabei fiel ihm eine Haarsträhne ins Gesicht. »Darf ich nicht nach meiner Tochter sehen, wenn es mir danach beliebt? Du stehst in letzter Zeit so oft hier oben und brütest, Kind. Deine Mutter macht sich große Sorgen, zumal…«
Moros stockte. In der Ferne erklang ein schriller Ruf. Raika fuhr erschrocken herum und sah zum Wald hinaus, wo tief in dessen Innern ein Schwarm Dunkelkrähen aufstob und sich über die Wipfel der mächtigen Graufichten erhob. Wie eine unheimliche, schwarze Wolke wirkten die Vögel, bis sie sich hoch am Himmel teilten und jeder von ihnen seinen eigenen Weg einschlug, um weiterzuziehen.
Moros lachte schallend und sprach weiter. »Mädchen, du bist noch genau so schreckhaft wie am ersten Tag. Du hättest die Augen deiner Mutter sehen sollen, als Callis dich, verdreckt und verkommen wie du warst, zu uns brachte. Sylia liebte dich vom ersten Augenblick an«. Callis Methen war die Frau des Pastors von Weremer. Ein Gottesdiener fand Raika in einer lauen Sommernacht in Laken gehüllt auf der Treppe der Basilika und brachte sie zu Pastor Hogar. Sie hatte ihren ersten Sommer noch nicht erlebt. Von ihrer Mutter war keine Spur zu finden gewesen. Raika hatte es nie an Liebe gemangelt, doch trotzdem schrie ein Teil in ihr danach, ihre wahre Mutter kennenzulernen.
Ihr Ziehvater unterbrach ihre Gedanken. »Deine Mutter und ich werden heute nach Melldorf auf den Markt gehen. Möchtest du uns begleiten? « Melldorf war ein größerer Ort in der Nähe von Weremer, etwa eine Fußstunde entfernt. Traurig antwortete Raika »Vielen Dank, Vater. Aber ich fürchte, ihr müsst ohne mich auf den Markt gehen. Mir geht es heute nicht gut«. Als sie Moros’ besorgten Blick bemerkte fügte sie schnell hinzu »Ich brauche nur ein wenig Ruhe. Vielleicht eine oder zwei Glocken Schlaf, dann geht es mir mit Sicherheit wieder besser«. Ihr Ziehvater sah sie eindringlich an, sagte dann aber »Leg dich hin, Raika. Deine Mutter und ich werden wieder hier sein, wenn der Abend dämmert. Wir werden in Melldorf noch alte Freunde besuchen«. Bevor sie etwas erwidern konnte, drehte er sich um und ging.
Raika wusste, dass ihre Eltern sich gefreut hätten, wenn sie die beiden nach Melldorf begleitet hätte. Ebenso gut wusste sie aber auch, dass in Melldorf Brandir Welck lebte. Raika war im heiratsfähigen Alter und Moros hatte in letzter Zeit verdächtig oft von Brandir gesprochen. Er war der älteste Spross eines wohlhabenden Kaufmannes und würde in einigen Jahren dessen Handelshaus erben. Wie sein Vater auch war Brandir groß gewachsen, stattlich gebaut und hatte hellbraunes Haar, das in Locken auf seine Schultern fiel. Doch wie sein Vater war auch er vor allem eines - arrogant. Raika erinnerte sich daran, als sie Brandir zum ersten Mal gesehen hatte.
Es musste drei oder vier Sommer zurückliegen. Mit ihren Eltern war sie in Melldorf bei den Welcks’ eingeladen gewesen. Das Gebäude war riesig, in jedem Raum hingen schwere, gewebte Teppiche von den Wänden. Im Essenssaal stand ein großer Kamin, der im Winter bestimmt eindrucksvoll aussehen musste. An dem großen Holztisch aus massivem Ebenholz fanden zehn Gäste Platz. Das Besteck war aus schwerem Gusseisen gefertigt und die Teller bestanden aus glänzend lackiertem Ton. Noch eindrucksvoller war das Mahl gewesen, das die Welcks’ vorbereitet hatten. Es hatte Spanferkel und Rüben gegeben. Frisches Brot und allerlei Obst war von den Haussklavinnen aufgetragen worden. Raika hatte Gewürze gegessen, deren Namen sie vorher mitunter nicht einmal kannte. So gab es Rundkümmel und aromatischen grünen Curry aus den östlichen Königreichen, schwarzen Zucker aus Xantyr und Tchenchpulver aus den freien Städten jenseits des großen Sees.
Raika saß neben Tjord Welck, dem Vater Brandirs. Tjord war auf den ersten Blick ein sehr zuvorkommender und höflicher Mann gewesen. Er hatte Raika von den aufgetischten Speisen angeboten und ihren Geschichten gelauscht. Insgesamt hatte es sich um einen wundervollen Abend gehandelt – bis eine der Sklavinnen ein Tablett voll Gläser roten Weines aus Xantyr fallen ließ. Wie sie es gewohnt war, war Raika sofort aufgesprungen, um dem zitternden Mädchen zu helfen. Da hörte sie die donnernde Stimme Tjords »Wurdest du so erzogen, Mädchen?«. Eisige Stille herrschte dort, wo vorher gescherzt und gelacht wurde. Raika blickte fragend zu Moros und dieser antwortete an ihrer Stelle »Tjord, du weißt doch wie Kinder in diesem Alter sind. Ihnen Sitten beizubringen benötigt seine Zeit. Aber ich versichere dir, dass sie ein gutes Mädchen ist und wir ihr auch den Anstand lehren werden, der einer jungen Dame gebührt«. An Raika gewandt fuhr er fort »Kind, steh auf und setz dich zurück an deinen Platz!«. Die plötzliche Schärfe in der Stimme ihres Ziehvaters hatte Raika damals sehr erschreckt und so setzte sie sich ohne ein weiteres Wort zu sagen. Brandir wandte sich an Tjord »Seht ihr, Vater? Ich sagte euch doch, dass dieses Mädchen nichts als eine unerzogene Waise ist. Vermutlich war ihre Mutter eine Hure und ihr wisst, dass diese Sünden von der Mutter zur Tochter gegeben werden. Ich möchte nicht länger mit diesem Abschaum in einem Raum sitzen. Ihr entschuldigt mich?«.
Ohne eine Antwort abzuwarten war Brandir damals aufgestanden. Obgleich sie jung gewesen war – Raika war nie dumm gewesen. So hatte sie damals sehr wohl verstanden, was Brandir von ihr hielt. Auch die Entschuldigungen seiner Mutter und die Beteuerungen Sylias konnten sie nicht umstimmen.
Ein kalter Windhauch riss sie aus ihren Gedanken. Die feinen Haare an ihren Armen und überall an ihrem Körper stellten sich auf und die zarten, kleinen Knospen ihrer Brüste drückten sich an ihr Nachtgewand. Ihr Ziehvater hatte Recht, sie sollte wieder ins Haus gehen. Sonst würde sie vermutlich wirklich krank werden. Noch einmal sah sie hinaus zum Wald, wo vereinzelt noch immer die Krähen über den Baumwipfeln ihre Kreise zogen. Raika fragte sich, was die Krähen vorhin aufgeschreckt hatte und vor allem, warum sich so viele Krähen an demselben Ort aufhielten. Betrübt schüttelte sie den Kopf. Was brachte es, sich über ein paar Vögel Gedanken zu machen? Sie sollte sich lieber anziehen, sich bei ihrem Ziehvater entschuldigen und mit ihren Eltern nach Melldorf auf den Markt gehen. Raika ging zurück in ihr Schlafgemach, schloss die Balkontür und trat an ihren Kleiderschrank.
Gerade als sie die Schranktüren öffnen wollte, hörte sie von unten eine dunkle, barsche Männerstimme brüllen. Moros Freudenthals’ Stimme antwortete besänftigend, woraufhin die unbekannte Stimme etwas ruhiger schien. So sehr Raika sich auch bemühte, konnte sie doch kein Wort der Unterhaltung verstehen. Eine schiere Unendlichkeit später hörte sie die Tür knallen. Schnell streifte sie sich ein himmelblaues Seidenkleid über und lief die Treppen zu ihren Eltern hinunter. Moros und Sylia Freudenthal saßen an dem kleinen Esstisch im Wohngemach. Die alte Frau saß schluchzend über den Tisch gebeugt und ihr Mann streichelte ihr über den Rücken und flüsterte beruhigend auf sie ein. Raika war sich unsicher, was sie tun sollte. »Vater, ich habe Stimmen gehört. Weshalb weint Mutter?«. Sylia sah auf und wischte sich ein Rinnsal Tränen von der Wange. Ihre smaragdgrünen Augen waren durch das salzige Tränenwasser rot und aufgequollen und ihr schönes von weißen Strähnen durchzogenes blondes Haar war durcheinander. Sie sah älter aus als die einundfünfzig Sommer, die sie zählte. »Raika, was tust du hier? Moros erzählte mir, du gedachtest zu schlafen« antwortete Sylia an Moros’ statt. Moros richtete sich auf und ging gebeugt auf Raika zu. Auch aus seinen Augen war das Lächeln gewichen und zu Raikas Erstaunen fand sich grenzenlose Trauer in ihnen. Moros sah sie lange an, bevor er sagte »Kind, würdest du mit deinem alten Vater eine Runde ums Haus gehen? «. Raika wusste nicht, was sie darauf antworten sollte. Nie hatte sie ihren Ziehvater so gesehen. Wortlos hakte sie seinen Arm unter und geleitete ihn nach draußen.
Etwa eine halbe Glocke waren sie nun Arm in Arm gegangen. Sie stützte ihn, wenn er wankte und er dankte es ihr, indem er schwieg. Sie hatten Weremer verlassen und befanden sich auf dem breiten Schotterweg, der nach Melldorf führte. Westlich des Weges begannen die Ausläufer des Yindrilwaldes, in dem im Laufe der Jahre viele Wanderer verschollen waren. Man erzählte sich viele Geschichten über den Wald. So erzählten sich die alten Weiber im Dorf, dass die Wölfe tief im Wald so groß wie ausgewachsene Pferde seien, mit einem Fell wie schwimmende Schatten und sie jagten Mammuts. Es hieß auch, dass die letzten Bergtrolle in diesem Wald lebten. Bergtrolle waren böse Wesen, doppelt so groß wie die hünenhaftesten Männer und sie waren mit Wolfspelzen bekleidet und mit Knüppeln aus Holz bewaffnet, mit denen sie den Männern und Frauen die Knochen und Gelenke zerschmetterten. Kleinen Kindern rissen sie bei lebendigem Leibe Arme und Beine aus, hieß es in den Geschichten. Raika glaubte keine der Geschichten wirklich, doch hatte der Wald trotzdem etwas Unheimliches an sich.