Formorian
Dunkler Wanderer
- Registriert
- 30. Nov. 2011
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Höllenfahrt
Wieder mal (nach langer Zeit ) eine kleine Fingerübung von mir, so als Betthupferl.
Fassungslos starrte Linandor auf das Ergebnis seiner Tat. Wie hatte es nur geschehen können?
Stumm und reglos lag vor ihm das, was bis gerade eben noch Ethiel beherbergt hatte. Nur der laue Wind spielte mit ihrem spinnenseidenfeinen Haar, sonst regte sich nichts mehr an ihr. Ihre Augen, wie altersstumpfe Perlen nun, erwiderten stumm seinen entsetzten Blick. Er erkannte die verständnislose Frage, die in ihnen eingesperrt lag wie ein zarter kleiner Vogel in seinem gläsernen Käfig, doch der Vogel war erstickt …
Ein Schubser. Ein schwacher Schubser nur, nichts weiter. Ungesehen, ungezielt, als wie man ein lästiges Insekt fortjagt. Es war nur ein Schubser gewesen …
Noch immer lag ihm Ethiels Lachen in den Ohren. Zum Zentralplatz hatte sie ihn ziehen wollen; Hiralon gab dort sein neuestes Poem zum Besten, doch er kannte es bereits. Schließlich hatte er seinem Freund selbst dabei geholfen, es zu vervollständigen, doch Ethiel wusste es natürlich nicht. Er hatte nicht vor, Hiralons Anerkennung durch die Anderen zu schmälern, und sagte ihr, er finge lieber diesen grandiosen Sonnenaufgang in zartem Pastell ein, um ihn für die Ewigkeit zu erhalten. Da begann sie ihn zu necken und zum Zentralplatz zu schubsen. Und er schubste zurück, ebenfalls lachend …
Und da war diese Steinplatte gewesen.
Diese Steinplatte, deren Oberkante die Platten um sie herum überragte, um einen Fingerbreit nur. Vielleicht war sie einfach dicker gewesen als die anderen, oder der Boden unter ihr war vom Winterfrost aufgequollen und hatte sie nach oben gedrückt, oder irgend etwas anderes im Universum hatte sich einen bösen Scherz erlaubt. Nur eine winzige Unebenheit, doch es genügte, Ethiels Fuß zum Straucheln zu bringen.
Und nun lag ihre Hülle vor ihm. Weil irgend jemand … irgendwo … einen Fehler gemacht hatte. Doch dieser Jemand war es nicht gewesen, der Ethiel schubste.
“Damit hast du dich selbst zur Hölle verdammt”, unterbrach einer der Umstehenden endlich das bleierne Schweigen um ihn herum.
Linandors Herz gefror zu Eis, als er sich der letzten Konsequenz seiner Tat bewusst wurde. Ja, das hatte er wirklich verdient. Seiner Unbedachtheit war es zu verdanken, dass eine Existenz, die in alle Ewigkeit fortbestehen sollte, nun hier auf diesen kalten Platten zerschmettert lag. An dem Ort des ewigen Lebens hatte er dem Tod die Tür geöffnet. Sein Platz konnte nicht länger hier sein.
Der Überlieferer stieß das stumpfe Ende seines Stabes auf den Boden, um weitere Unmutsäußerungen von vornherein zu unterbinden, und sah ihm mit eisernem Blick in die Augen. “Linandor der Sonnenmaler, bist du bereit, den Weg zur Hölle anzutreten?” Es war eine Phrase, und es konnte nur eine zulässige Antwort darauf geben. Linandor entrang sich gegen seinen Willen ein Seufzer. Immerhin bot man ihm die Möglichkeit, mit Anstand zu gehen.
“Ja, ich bin es.”
Ein milchigblaues Leuchten erschien in jedermanns Augen ringsum, und dies war das Letzte was Linandor auf dieser Welt sah. Absolute Schwärze umgab ihn, löschte alles um ihn herum mit einem Schlage aus. Verloren taumelte er als ein winziges Nichts im Zentrum eines allumfassenden Unlicht - Universums. Doch der Eindruck unausmessbarer Weite verlor sich rasch, als diese Schwärze begann, plötzlich zu greifbarer Massivität werdend, von allen Seiten zugleich gegen ihn zu drücken. Er spürte, wie sein Leib zusammengestaucht wurde und schrumpfte. Als Panik in ihm hochstieg, vernahm er von irgendwo jenseits des tintenfarbenen Nichts die Stimme des Überlieferers.
“Erlaube mir, dich zu geleiten. Dein unsterblicher Leib wird nun umgeformt, denn in deiner ursprünglichen Gestalt kannst du das Tor zur Hölle nicht durchqueren. Wehre dich nicht dagegen, es ist zu deinem eigenen Besten unerlässlich, ebenso das Vergessen.”
“Vergessen?” echote Linandor.
“Es ist nichts weiter als Ballast, den du ablegen musst. Du wirst ihn an dem anderen Ort nicht benötigen. Woran du dich nicht erinnerst, das wirst du auch nicht vermissen.”
“Aber alles was ich nun habe, das sind meine Erinnerungen!” stieß Linandor aus.
“Glaubst du wahrhaftig, Ethiels letzter, starrer Blick wäre dir dort ein Trost? Aber wir wollen jetzt schon vereinbaren, dass du stets meine Stimme hören wirst, bis du dort angekommen bist. Bist du einverstanden?”
Linandor stutzte. Was war ein Ethiel?
“Ja, das bin ich allerdings. Was soll ich jetzt tun?”
“Stemme dich gegen die Schwärze um dich herum. Bewege dich voran.”
“Wohin? In welche Richtung?”
“Egal in welche. Bewege dich vorwärts.”
“Ich kann nicht! Die Finsternis hat mich völlig eingeklemmt. Ich kann mich nicht rühren!”
“Doch, das kannst du. Vertrau mir. Ich habe schon viele hinübergeleitet, und keiner hat sich hinterher beschwert. Ohne Kampf gibt es kein neues Leben an dem schrecklichen Ort, der dich erwartet. Bewege dich, sonst bleibst du auf immer an diesem Nicht - Ort gefangen!”
“Dir soll ich vertrauen?”
“Musst du ja wohl. Fühle um dich. Irgendwo gibt es eine Öffnung.”
Linandor tastete so gut es seinen nun kurzen Armen möglich war in der beengenden, warmen Dunkelheit umher. Tatsächlich, da war etwas wie eine Falte. Nach langem Hin- und Herversuchen gelang es ihm, den Kopf hinein zu stecken. Sein Gesicht wurde völlig von dem schwarzen Nichts bedeckt, und dennoch gab es da irgendetwas, das ihn weiteratmen ließ.
“Ja, ich habe sie gefunden!”, rief er hoffnungsvoll. “Aber es ist so schwer! Ich komme nicht recht voran.” Im gleichen Moment spürte er, dass die Schwärze sich um seine Beine herum zusammendrückte
und ihn hilfreich nach vorn schob.
“Gib nun nicht auf!”, mahnte der Überlieferer. “Press dich einfach hindurch, hörst du? Du musst dich da durchpressen.”
“Versuch ich ja!”
“Nicht reden! Pressen! PRESSEN!”
Die Finsternis um ihn herum schien zu erbeben, immer und immer wieder. Bald hatte er herausgefunden, wie er den Druck um seine Beine herum für sein Vorankommen ausnutzen konnte. Bald verschwand sein ganzer Kopf in der warmen Falte, dann die Schultern …
Die Stimme jenseits der Dunkelheit hatte sich verändert, lauter war sie nun, atemloser:
“Ja, so ist es wunderbar! Und wieder entspannen, weiteratmen, ruhig. Ruhig. Ok, und wieder pressen, pressen! Oh, ich seh es schon!”
Nun spürte er den Druck auf seinem gesamten Leib, und er fühlte die rasche Bewegung nach vorn.
“… wenn ich die Ohren noch nicht sehe, kann ich auch nicht dran ziehen.” Lachen. “Gut, und noch einmal! Pressen! Oha, da ist es!”
Plötzliche Helligkeit empfing ihn, und Kälte. Verständnislos bemerkte er, dass Riesenhände ihn ergriffen, empor hielten, auf etwas Kaltem legten. Irgend etwas stimmte nicht mit seinen Augen. Etwas war darüber geschmiert, als hätte er sich jahrelang nicht gewaschen. “Was macht ihr mit mir, und wo bin ich überhaupt?” wollte er schreien, doch was seinen Mund verließ hatte keine Ähnlichkeit mit irgend etwas, das er jemals gesagt hatte. Dafür war es laut …
Er hörte die Stimme erneut. “Also … jaja, Größe … mhm … Gewicht … prima … Kopfumfang … alles perfekt! So, du süßer kleiner Schreihals, jetzt geht’s aber gleich zur Mama.” Wieder die gewaltigen Hände. Endlich gelang es ihm, die Augen zu öffnen, und er gewahrte schemenhaft die riesige Gestalt über sich.
“Na da haben wir aber wieder ein echtes Sonnenscheinchen. Willkommen auf der Erde, kleiner Reisender.”
Sie lachte.
Wieder mal (nach langer Zeit ) eine kleine Fingerübung von mir, so als Betthupferl.
Fassungslos starrte Linandor auf das Ergebnis seiner Tat. Wie hatte es nur geschehen können?
Stumm und reglos lag vor ihm das, was bis gerade eben noch Ethiel beherbergt hatte. Nur der laue Wind spielte mit ihrem spinnenseidenfeinen Haar, sonst regte sich nichts mehr an ihr. Ihre Augen, wie altersstumpfe Perlen nun, erwiderten stumm seinen entsetzten Blick. Er erkannte die verständnislose Frage, die in ihnen eingesperrt lag wie ein zarter kleiner Vogel in seinem gläsernen Käfig, doch der Vogel war erstickt …
Ein Schubser. Ein schwacher Schubser nur, nichts weiter. Ungesehen, ungezielt, als wie man ein lästiges Insekt fortjagt. Es war nur ein Schubser gewesen …
Noch immer lag ihm Ethiels Lachen in den Ohren. Zum Zentralplatz hatte sie ihn ziehen wollen; Hiralon gab dort sein neuestes Poem zum Besten, doch er kannte es bereits. Schließlich hatte er seinem Freund selbst dabei geholfen, es zu vervollständigen, doch Ethiel wusste es natürlich nicht. Er hatte nicht vor, Hiralons Anerkennung durch die Anderen zu schmälern, und sagte ihr, er finge lieber diesen grandiosen Sonnenaufgang in zartem Pastell ein, um ihn für die Ewigkeit zu erhalten. Da begann sie ihn zu necken und zum Zentralplatz zu schubsen. Und er schubste zurück, ebenfalls lachend …
Und da war diese Steinplatte gewesen.
Diese Steinplatte, deren Oberkante die Platten um sie herum überragte, um einen Fingerbreit nur. Vielleicht war sie einfach dicker gewesen als die anderen, oder der Boden unter ihr war vom Winterfrost aufgequollen und hatte sie nach oben gedrückt, oder irgend etwas anderes im Universum hatte sich einen bösen Scherz erlaubt. Nur eine winzige Unebenheit, doch es genügte, Ethiels Fuß zum Straucheln zu bringen.
Und nun lag ihre Hülle vor ihm. Weil irgend jemand … irgendwo … einen Fehler gemacht hatte. Doch dieser Jemand war es nicht gewesen, der Ethiel schubste.
“Damit hast du dich selbst zur Hölle verdammt”, unterbrach einer der Umstehenden endlich das bleierne Schweigen um ihn herum.
Linandors Herz gefror zu Eis, als er sich der letzten Konsequenz seiner Tat bewusst wurde. Ja, das hatte er wirklich verdient. Seiner Unbedachtheit war es zu verdanken, dass eine Existenz, die in alle Ewigkeit fortbestehen sollte, nun hier auf diesen kalten Platten zerschmettert lag. An dem Ort des ewigen Lebens hatte er dem Tod die Tür geöffnet. Sein Platz konnte nicht länger hier sein.
Der Überlieferer stieß das stumpfe Ende seines Stabes auf den Boden, um weitere Unmutsäußerungen von vornherein zu unterbinden, und sah ihm mit eisernem Blick in die Augen. “Linandor der Sonnenmaler, bist du bereit, den Weg zur Hölle anzutreten?” Es war eine Phrase, und es konnte nur eine zulässige Antwort darauf geben. Linandor entrang sich gegen seinen Willen ein Seufzer. Immerhin bot man ihm die Möglichkeit, mit Anstand zu gehen.
“Ja, ich bin es.”
Ein milchigblaues Leuchten erschien in jedermanns Augen ringsum, und dies war das Letzte was Linandor auf dieser Welt sah. Absolute Schwärze umgab ihn, löschte alles um ihn herum mit einem Schlage aus. Verloren taumelte er als ein winziges Nichts im Zentrum eines allumfassenden Unlicht - Universums. Doch der Eindruck unausmessbarer Weite verlor sich rasch, als diese Schwärze begann, plötzlich zu greifbarer Massivität werdend, von allen Seiten zugleich gegen ihn zu drücken. Er spürte, wie sein Leib zusammengestaucht wurde und schrumpfte. Als Panik in ihm hochstieg, vernahm er von irgendwo jenseits des tintenfarbenen Nichts die Stimme des Überlieferers.
“Erlaube mir, dich zu geleiten. Dein unsterblicher Leib wird nun umgeformt, denn in deiner ursprünglichen Gestalt kannst du das Tor zur Hölle nicht durchqueren. Wehre dich nicht dagegen, es ist zu deinem eigenen Besten unerlässlich, ebenso das Vergessen.”
“Vergessen?” echote Linandor.
“Es ist nichts weiter als Ballast, den du ablegen musst. Du wirst ihn an dem anderen Ort nicht benötigen. Woran du dich nicht erinnerst, das wirst du auch nicht vermissen.”
“Aber alles was ich nun habe, das sind meine Erinnerungen!” stieß Linandor aus.
“Glaubst du wahrhaftig, Ethiels letzter, starrer Blick wäre dir dort ein Trost? Aber wir wollen jetzt schon vereinbaren, dass du stets meine Stimme hören wirst, bis du dort angekommen bist. Bist du einverstanden?”
Linandor stutzte. Was war ein Ethiel?
“Ja, das bin ich allerdings. Was soll ich jetzt tun?”
“Stemme dich gegen die Schwärze um dich herum. Bewege dich voran.”
“Wohin? In welche Richtung?”
“Egal in welche. Bewege dich vorwärts.”
“Ich kann nicht! Die Finsternis hat mich völlig eingeklemmt. Ich kann mich nicht rühren!”
“Doch, das kannst du. Vertrau mir. Ich habe schon viele hinübergeleitet, und keiner hat sich hinterher beschwert. Ohne Kampf gibt es kein neues Leben an dem schrecklichen Ort, der dich erwartet. Bewege dich, sonst bleibst du auf immer an diesem Nicht - Ort gefangen!”
“Dir soll ich vertrauen?”
“Musst du ja wohl. Fühle um dich. Irgendwo gibt es eine Öffnung.”
Linandor tastete so gut es seinen nun kurzen Armen möglich war in der beengenden, warmen Dunkelheit umher. Tatsächlich, da war etwas wie eine Falte. Nach langem Hin- und Herversuchen gelang es ihm, den Kopf hinein zu stecken. Sein Gesicht wurde völlig von dem schwarzen Nichts bedeckt, und dennoch gab es da irgendetwas, das ihn weiteratmen ließ.
“Ja, ich habe sie gefunden!”, rief er hoffnungsvoll. “Aber es ist so schwer! Ich komme nicht recht voran.” Im gleichen Moment spürte er, dass die Schwärze sich um seine Beine herum zusammendrückte
und ihn hilfreich nach vorn schob.
“Gib nun nicht auf!”, mahnte der Überlieferer. “Press dich einfach hindurch, hörst du? Du musst dich da durchpressen.”
“Versuch ich ja!”
“Nicht reden! Pressen! PRESSEN!”
Die Finsternis um ihn herum schien zu erbeben, immer und immer wieder. Bald hatte er herausgefunden, wie er den Druck um seine Beine herum für sein Vorankommen ausnutzen konnte. Bald verschwand sein ganzer Kopf in der warmen Falte, dann die Schultern …
Die Stimme jenseits der Dunkelheit hatte sich verändert, lauter war sie nun, atemloser:
“Ja, so ist es wunderbar! Und wieder entspannen, weiteratmen, ruhig. Ruhig. Ok, und wieder pressen, pressen! Oh, ich seh es schon!”
Nun spürte er den Druck auf seinem gesamten Leib, und er fühlte die rasche Bewegung nach vorn.
“… wenn ich die Ohren noch nicht sehe, kann ich auch nicht dran ziehen.” Lachen. “Gut, und noch einmal! Pressen! Oha, da ist es!”
Plötzliche Helligkeit empfing ihn, und Kälte. Verständnislos bemerkte er, dass Riesenhände ihn ergriffen, empor hielten, auf etwas Kaltem legten. Irgend etwas stimmte nicht mit seinen Augen. Etwas war darüber geschmiert, als hätte er sich jahrelang nicht gewaschen. “Was macht ihr mit mir, und wo bin ich überhaupt?” wollte er schreien, doch was seinen Mund verließ hatte keine Ähnlichkeit mit irgend etwas, das er jemals gesagt hatte. Dafür war es laut …
Er hörte die Stimme erneut. “Also … jaja, Größe … mhm … Gewicht … prima … Kopfumfang … alles perfekt! So, du süßer kleiner Schreihals, jetzt geht’s aber gleich zur Mama.” Wieder die gewaltigen Hände. Endlich gelang es ihm, die Augen zu öffnen, und er gewahrte schemenhaft die riesige Gestalt über sich.
“Na da haben wir aber wieder ein echtes Sonnenscheinchen. Willkommen auf der Erde, kleiner Reisender.”
Sie lachte.
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