Die Herzen der Kinder
Ein kriegerischer Herbsttag, irgendwo im Hochland von Tir Cladhainn
„Schweigt still!“ hatte die Wache geraunzt, mit eisernem Handschuh blutige Furchen über die Stoppelfelder knochiger Wangen gezogen und dann die Tiefe knurrender Bäuche mit dem Schaft seiner vom vielen Töten schartigen Hellebarde erkundet.
Sie waren nicht leicht einzuschüchtern, diese welterfahrenen, unbarmherzigen Kerle, die da im Morast saßen, doch daß sich so gar niemand um sie scherte, abgesehen von kaltäugigen Reisigen, die die Mundart der Laighinn wie das Brechen von Steinen klingen ließen, zwei Tage schon nicht, das erschütterte sie doch. Zwei Tage ohne Essen und Trinken, zwei Tage im Regen, zwei Tage Sitzen in der eigenen Notdurft, zwei Tage voller beiläufiger Schläge, Knüffe und Tritte. Dazu ein Batzen Rotz dann und wann, inbrünstig aus den Tiefen verschnupfter Rachen gesogen und geduldig gesammelt. Wenn man Anstalten gemacht hätte, sie zu töten … Das hätten sie verstanden.
„Was glaubt ihr?“ war die barsche Antwort gewesen. „Hier herrschen Recht und Ordnung! Ihr werdet schon noch einen Richter sehen.“ Und als das angebotene Gold für eine schnelle, heimliche Freilassung ausgeschlagen worden war, wieder Rotz und der Bescheid: „Laighinn-Pack! Kocht euch halt eine Suppe davon!“
Vielleicht war es nicht Gold, das er verteilte, der Righ der Cladhinn, aber der Sold war wohl besser als sie gedacht hatten.
Wochen zuvor war es dieser Glücksritter aus Kerrycaer gewesen, der in seinem Werben gesagt hatte:
„Kommt mit mir ins Hochland! Es ist schnell verdientes Gold und einen Teil gibt es gleich auf die Hand.“ Mit dem Uisge-Krug hatte er gewunken und hämisch getönt: „Schwächlinge kann ich auf dieser Fahrt nicht gebrauchen!“ Und so hatte er rauhe Gesellen geworben, Männer, die für so manches dunkle, harte Geschäft gedungen werden konnten. Bei sattem Gewinn und ewigem Schweigen. Keine bluttrunkenen Geister, nein, nur solche mit eiskalten Herzen nahm er mit.
,Mit eiskalten Ärschen sitzen wir hier nun in unserer eigenen Scheiße und pissen uns die Hosen voll‘, dachte eben jener Glücksritter grimmig. ,Jetzt müssen wir ganz von vorn anfangen …‘
Noch auf dem Ritt über den Tamairpaß hatten die anderen verzagt wissen wollen:
„Was, wenn sie uns schnappen? Ich mach’ mir nichts draus, im Kampf erschlagen zu werden. Aber was, wenn sie uns schnappen?“ hatte der mit den gespaltenen Lippen gefragt.
„Ich kenn’ mich aus, Mann. Der neue König der Cladhinn ist ein Schlappschwanz. Nun herrschen Recht und Gesetz, hat er gesagt, und verbietet die Blutrache und alles Mannhafte.“
„Ja, und?“ hatte ein anderer sich eingemischt. „Wieso ist das gut für uns?“
„Hört gefälligst auf zu jammern! Nichts wird geschehen! Es ist alles gut vorbereitet. Niemandem wird ein Haar gekrümmt. Und jetzt reitet zu! Diese Wolken da sehen regenschwanger aus.“
Truppen des Righ auf dem Marsch in estlicher Richtung hatten sie zufällig aufgehalten. Ein Ritter in Grün und Silber hatte sich nach ihren Geschäften erkundigt, einer, dessen Fingerschnippen einem halben Dutzend Männer befohlen hatte, ihr Gepäck zu durchsuchen. Einer, dem nicht gefallen hatte, was sie fanden.
„Legt sie in Ketten! Wir müssen Gericht über sie halten.“
Zwei Tage war es her und kein Richter war erschienen.
„Was werden sie mit uns machen?“ hatte einer der Gefangenen wissen wollen, bevor der Eisenhandschuh ihre Gesichter gezeichnet hatte. „Gehört das auch zu Deinem Plan?“ Dem Laighinnkrieger war der blanke Haß seiner Gesellen wie alter Mundgeruch, allgegenwärtig und unausweichlich. Kämen sie nun frei, würden sie ihm den Garaus machen.
„Hört mir gut zu, ihr Ratten, und daß ihr es ja nicht vergeßt! Ihr werdet gefragt werden, wo und wann die Taten geschehen sind. Dann kennt ihr euch nicht aus. Sagt, daß ich den Ort wisse.“
„Was, wenn sie mehr wissen wollen? Wie es ausgesehen hat? Und wofür soll das gut sein?“
„Erzählt einfach von irgendeinem Dorf, wie wir sie gesehen haben, eines von denen hoch oben, abseits der Straße, ihr wißt schon. Sagt ihnen, wie die Häuser ausgesehen haben, erzählt von den dicken, weißen Mauern und den tiefen Fenstern und den Torbögen. Und sagt, daß keine Thuatha dort gewesen seien.“
Er hatte noch länger auf seine Gefährten einreden wollen, doch der mürrische Gothori, der sie bewachte, war damit nicht einverstanden gewesen.
„Schweigt still!“
Das üppige Schmatzen beschlagener Hufe im Schlamm kündete von hohem Besuch: große, schwer gerüstete Rösser näherten sich, mit bunten Decken in Grün und Silber über dem Panzer und dampfenden Nüstern unter eherner Stirnhaube.
Erfahrene Kämpen in Waffen saßen ab und stapften heran, ließen sich nieder auf eilends herbeigeschafften Stühlen.
„Herr“, grüßte der, der befohlen hatte, die Laighinn gefangenzunehmen, den in der Mitte, einen fast kahlen, schwerleibigen Ritter in Grün und Silber, dem ein Steinbock auf der Brust tanzte. Wie Blumen waren die Blutflecken auf dem Grün seines Gewandes.
„Wen habt Ihr da, Reto?“ fragte der Kahle. „Eines widerlichen Verbrechens wegen habt Ihr mich rufen lassen, so abstoßend, daß ich dem Heer vorausgeeilt bin. Habt Ihr sie befragt?“
„Keiner von ihnen mochte antworten, Herr. Des Fundes wegen, den wir machten, wollte ich sie Eurem Urteil überlassen.“
Der Alte nickte knapp und sah die Gefangenen mit zornumwölkten Augen an.
„So sagte der Bote zu mir: ,Herr, wir fanden eine Truhe in ihrem Besitz, gefüllt mit blutrotem Eis und darin vergraben die Herzen kleiner Kinder und ihre Augen und Gehirne und von Jungen, was sie zum Manne und von Mägdelein, was sie zu Frauen machen wird. Und darum erbitten wir Euer Urteil. Eilt Euch, denn wir befürchten bösen Lug und Trug.‘ So sagte der Bote und ich begehrte, die zu sehen, die in Unserem Gebiet solch widerwärtige Fracht mit sich führen, und ich beschloß, höchstselbst über sie zu richten.“ Schnaufend hielt der Ritter inne. „Man nennt mich Cwmachdod ra Mortael und als Righ von Tir Cladhainn habe ich die volle Gewalt über euch.“
Er winkte mit der eisengepanzerten Hand und rief:
„Wascht sie! Kein Gericht soll durch solchen Gestank beleidigt werden.“
Achtlose Schnitte großer Klingen entledigten die Gefangenen ihrer stinkenden Gewänder. Sie würden so naß nicht brennen, also vergrub man die Lumpen. Und dann hätten sie eilfertig und gern jede Untat gestanden, denn zum Bade band man sie und tauchte sie wieder und wieder in einen nahen Bach, der reißend vom Berg herabstürzte, milchige Schmelzwässer mit sich führend, so eisig, daß den Laighinn das Herz stocken wollte. Kaum, daß der Schmerz nachließ, kaum, daß sie nach Luft schnappen konnten, tauchte man sie wieder hinein und wieder und wieder, bis sie laut keuchend im Ufersand liegenblieben.
Härene Unterkleider gab man ihnen und sonst nichts, dann trieb man sie vor die Richterbank. Ein Haufen buntgemischtes Volk stand ringsherum, von jeglicher Herkunft, Bauern, Hirten und Krieger, leise murmelnd, in Erwartung eines Schauspiels.
Ritter Reto erhob sich und schilderte den Leuten, wie er die Unholde angetroffen hatte. Die Truhe voller kindlicher Schlachtopfer wurde herumgezeigt und das Raunen wogte in der Menge hin und her.
Was sie zur Rechtfertigung zu sagen hätten? Die gefesselten Laighinn versteiften die Schultern. Ihr Anführer hob den Kopf.
„Wir geben es zu, daß die Truhe in unserem Besitz war.“
Woher der Inhalt stamme, fragte der Ritter, und ob man erst den Bescheid eines Druiden oder Sehers erwarten wolle? Oder würden sie es lieber gleich verraten? Es würde so oder so ans Licht kommen.
„Wir haben sie getötet …“ Und das Volk ringsum forderte ihr Blut.
Die erhobene Hand des Stammkönigs gebot Schweigen.
„Wer waren sie?“ verlangte er zu wissen. „Woher stammten sie? Und wo habt ihr sie erschlagen? Wo geschlachtet?“
Vom einen zum anderen gingen die Blicke der Gefangenen und mancher murmelte etwas, andere schwiegen, ein halbes Dutzend trotzig dreinblickend, der Anführer stolz und siegessicher.
Da wurde dem Righ Cwmachdod ein Ort geschildert ohne Namen und doch dachte jeder ringsum an ein Dorf hoch oben, ein mehr und mehr verlassenes, eines von denen, die älter waren als alle Festen der Cladhinn und alle Burgen derer von Calan.
Doch dann fragte er nach dem Warum und plötzlich verstummten die Laighinn.
„Warum mußten die Kinder sterben?“
Es war nichts mehr zu erfahren gewesen.
„Hentze, was ratet Ihr mir?“ fragte der Righ den Ritter, der sein Friedensmann und Calans Herold war.
„Müßte ich nicht urteilen, würde ich sie töten, alle miteinander, ihnen die Herzen herausschneiden bei lebendigem Leibe, wenn das ginge.“ Grimmig klang des Waffenmeisters Stimme. „Müßte ich aber gerecht sein, so hätte ich kaum etwas in der Hand. Das Wergeld für ein paar Kinder bringen sie leicht auf. Und dann müßte ich sie ziehen lassen.“
„Nun, nicht, wenn wir es mit Zauberei zu tun hätten. Bedenkt, was sie in ihrem Eiskasten ins Tiefland bringen wollten! Ihr möchtet nicht wissen, was gelangweilte Edelleute mit zauberischer Hilfe daraus machen …“
„Würde so jemand die Kinder nicht entführen? Lebendiges Fleisch verdirbt nicht.“ Es schüttelte den Herold sichtlich.
„So wird es zuvor gewesen sein. Doch Kinder sind kostbar geworden, seit in diesem Krieg so viele Männer weit weg von zuhause erschlagen werden. Nun werden die Kinder gehütet. Niemand wird noch eines, das lästig erscheint, weggeben, und eines wegzuführen wird unmöglich. Aber wen schert schon ein Kasten, den ein Reisender mit sich führt?“
„Herr, wenn es Zauberei ist, dann haben wir sie am Haken und bringen sie zu Tode!“
„Die Bluttaten sind eingestanden, doch die Zauberei kann ich nicht beweisen. Hier vor aller Augen muß ich zeigen, daß mein Wort Recht ist und gilt. Verdammt noch eins!“ Sein Fluch hallte durch das Tal. „Und vergeßt nicht, Hentze, wir haben den Stämmen beeidet, daß jedes Recht fortgilt, so es nicht durch Unseres gebrochen wird. Und darum zählt vor den Augen aller allein, im Gebiet welchen Stammes die Tat begangen wurde.“
„Das wußten sie nicht zu sagen …“
„Und doch haben wir es alle erkannt.“
„Es klang nach einem Chaudadorf. Doch welches ist gemeint?“
„Wen schert's? Die Laighinn nicht.“
„Sie haben es so gewollt?“
„Das könnt Ihr wetten. Und mir ist's recht.“
„Ich weiß von keinem Recht der Chauda wider die Blutige Hand.“
„Dann habt Ihr das eine vergessen.“
„Das eine?“
„Die Nacht auf dem Berg.“
„Kraft Unserer Macht verkünden Wir das Urteil über diese Männer aus Tir Laighainn. Sie gestehen vor Uns, diese Kinder, deren Überreste Uns gezeigt wurden, hingeschlachtet zu haben. Sie geben zu, die Untat auf dem Gebiet der Chauda begangen zu haben und so verurteilen Wir sie dazu, sich der Gerechtigkeit der Chauda zu unterwerfen.“ Und als das Murmeln im Volk von Unmut zeugte, fügte der Righ hinzu: „Sehet also, daß das Recht des Volkes fortbesteht dort, wo der Neue Bund herrscht.“
Dann wurden die Leute befragt, ob ein Ältester der Chauda zugegen sei und es fand sich ein Dorfvorsteher aus der Nähe.
Der Mann aus Kerrycaer hörte nicht mehr hin, als der Alte schulterzuckend sagte, daß ihm und den Seinen nichts von verschwundenen Kindern bekannt sei, aber wenn alle es wünschten, würden sie die Übeltäter richten. Der Laighinn lachte innerlich und zwinkerte den anderen zu, die da gefesselt neben ihm standen und aufatmeten, als sie die Freude im Gesicht ihres Hauptmanns sahen. Ob er das Gericht der Chauda anerkenne? Jaja, bekräftigte der Laighinnritter demütig nickend und der Dorfvorsteher verneigte sich vor dem Righ. Diese Tölpel! dachte der Laighinn. Bald würde er frei sein.
Der Dorfvorsteher sprach: Kein Chauda sei dazu bestimmt, den anderen zu verurteilen. So sei es seit altersher. Dieses Recht stehe allein den Riesen zu und diese würden entscheiden über Wohl oder Wehe dieser Männer.
„Wir werden frei sein!“ zischte der Hauptmann den Seinen zu.
„Bringt sie also bei Sonnenuntergang auf die Schulter des Berges und bindet sie. Dort sollen sie die Nacht erwarten. Ich habe gesprochen. Bun dia!“ Sprach’s und trat in die Reihen zurück.
„Nur eine Nacht, dann sind wir frei“, jubelte der Laighinn leise und das halbe Dutzend lachte kehlig über den Schwächling, der über das Hochland herrschte.
„Sollten wir dem Schauspiel nicht beiwohnen, Herr?“
„Nein, Hentze, das geht nur die Chauda an und ich möchte es nicht sehen.“
„Was wird geschehen? Müssen wir hoffen, daß der Blitz sie erschlägt?“
„Wißt Ihr, was die Chauda mit ihren Toten machen?“ fragte der Righ den Herold.
„Nein, ehrlich gesagt, das weiß ich nicht.“
„Gar nichts. Denn wenn man sie nicht erschlägt, sterben sie nicht. Sie gehen dahin. Wenn sie alt oder krank sind oder zu Tode verwundet, dann gehen sie zum Berg und in den Berg hinein und vereinen sich mit ihren Ahnen. Doch da das Leben der Berge schier unendlich währt, vergleicht man es mit unserem, kehren sie manchmal erfrischt zurück. Das ist ihr großes Geheimnis.“
„Wie habt Ihr davon erfahren?“
„Das ist lange her, Hentze. Ich werde jetzt nicht davon sprechen. Eins aber will ich Euch noch sagen: So wenige Chauda unter uns leben – und von diesen haben unsere Vorfahren eine Menge erschlagen – so viele überdauern im Schutz der Berge. Tötet Ihr also einen Chauda, verwehrt Ihr ihm ein sicheres Wiedersehen mit seinen Ahnen. Und das ist das Schlimmste, das man einem Chauda antun kann: ewiger Tod, fern von den Ahnen.“
„Ich verstehe …“
„Das bezweifle ich. Die Ahnen werden nicht erbaut sein. Aber jetzt laßt uns reiten!“
Und sie verließen den Gerichtsplatz, um zu den kampfbereiten Truppen zurückzukehren.
Hohl und dünn verklang die Stimme des alten Dorfvorstehers, der die Untaten der sieben Männer aus Tir Laighainn verkündet hatte, im abendlichen Bergwind. Noch kitzelten letzte Sonnenstrahlen das Gras und vergoldeten die Wipfel der Zirben weiter unten. Ein prüfender Zug an den Fesseln, die die Männer an die Pfähle banden, dann sagte der Alte leise:
„Mögen die Riesen euch eure Dummheit vergeben.“
Den Spott, den die Männer über ihm ausschütteten, beachtete er nicht. Langsam und gebückt stieg er hinab, den Leuten seines Dorfes hinterher.
Mit ihm verschwand auch die Sonne und die Kälte kroch unter die Hemden. Einen hatte es schon so sehr ausgekühlt, wie er da mit nackten Füßen auf blankem Fels stand, daß er sich zitternd vollpißte. Die anderen sagten nichts.
„Und? Was sagt ihr nun? Morgen früh kommen sie wieder herauf und machen uns los und dann sind wir frei!“
„Und wenn nicht?“
„Sie müssen! So will es ihr Gesetz.“ Das Wort war noch nicht verklungen, da zweifelte er selber schon.
Aber es blieb keine Zeit mehr, zu zweifeln. Einer schrie und da sahen sie, wie die Herzen der Kinder, die man auf einen steinernen Tisch in der Nähe gelegt hatte, allmählich verschwanden und alles andere mit ihnen. Der pfeifende Wind ließ nach und machte einem dumpfen, unhörbaren Dröhnen Platz. Wurde es da nicht warm unter des Hauptmanns Füßen? Aber es war so kalt wie vordem. Wühlte er da nicht in Erde? Doch alles, was er sah im dunkler werdenden Grau des Abends, waren seine Beine, die in erdigen Klumpen steckten. Und die Klumpen zerfielen und seine Beine ebenso. Da begriff er, daß er langsam tiefer sank, daß er dem Boden immer näher kam. Jemand brüllte und japste, ein anderer schluchzte und flehte. Nun fielen Stücke seiner Schenkel herunter und rollten als erdige Brösel umher. Da schrie auch er.
Bald waren sie so sehr mit der Schulter des Berges verschmolzen, daß ihre Rümpfe zu rieseln begannen und ihr Schreien wurde ein staubiges Husten und erstarb schließlich ganz. Arme ringelten sich im Gras und verteilten sich in alle Richtungen und Häupter kullerten mit geöffneten Mündern umher, füllten sich mit Erde, wurden zu Erde und verschwanden.
Als sie ganz im Leib des Riesen aufgegangen waren, wurden die Ahnen ihrer gewahr und fällten ihr Urteil: diese, die den Kindern, wer immer sie auch gewesen sein mochten, den ewigen Tod gebracht hatten, sollten zerteilt werden, immer und immer weiter, bis auch noch das kleinste Teilchen ihrer Selbst unrettbar verloren sei im Leib der Welt. Und ihre Seelen würden blind werden und trübe und nach Äonen vergehen und bis dahin würden sie klagen über die unsagbaren Schmerzen, die man ihren überdehnten Leibern zufügte. Doch ihre Schreie blieben ungehört.
In dieser Nacht trat der Righ der Cladhinn vor sein Zelt, die nackten Füße im taufeuchten Gras badend, eine Hand um ein Amulett aus weißem Marmor gelegt, das er am Halse trug. Mit geschlossenen Augen lauschte er ins tiefe Dunkel, um die Mundwinkel ein zufriedenes Lächeln.
In Kerrycaer verließ ein Hexer ein Haus, das bekannt war für seine verzweifelten Huren, die den Männern für wenige kleine Münzen gefällig waren. Doch für das, das er verlangte, hätte er ein kleines Vermögen aufwenden müssen, also warf man ihn hinaus und Hose und Stiefel hinterher. Wie er da so stand, mit blanken Füßen im Matsch, und sich nach seinen Stiefeln bückte, weil er nicht barfuß über die schmutzige Straße laufen wollte, da wurde ihm ganz wunderlich und er faßte sich an die Brust. Als das dunkle Herz stockte, fiel der Hexer tot um.
Hier und da in Tir Laighainn entdeckten wohlhabende Edle, daß ihnen das Wasser aus ihren Brunnen nicht mehr mundete und sie erbrachen es wieder. Und weil ihnen kein Wasser mehr schmecken wollte und auch kein Wein und überhaupt kein anderes Getränk, waren sie nach wenigen Tagen verdurstet und starben einen langsamen, qualvollen Tod.
Für die Herzen der Kinder.
Als der Winter kam, waren in Tir Cladhainn viele Frauen erneut guter Hoffnung. Eine jede trauerte um ein verschwundenes Kind, doch im Sommer darauf würden sie alle einem gesunden, starken Säugling das Leben schenken. Diese Familien aber hatten ein glückliches Jahr und ihre Tiere und Felder waren fruchtbar.
Ein kriegerischer Herbsttag, irgendwo im Hochland von Tir Cladhainn
„Schweigt still!“ hatte die Wache geraunzt, mit eisernem Handschuh blutige Furchen über die Stoppelfelder knochiger Wangen gezogen und dann die Tiefe knurrender Bäuche mit dem Schaft seiner vom vielen Töten schartigen Hellebarde erkundet.
Sie waren nicht leicht einzuschüchtern, diese welterfahrenen, unbarmherzigen Kerle, die da im Morast saßen, doch daß sich so gar niemand um sie scherte, abgesehen von kaltäugigen Reisigen, die die Mundart der Laighinn wie das Brechen von Steinen klingen ließen, zwei Tage schon nicht, das erschütterte sie doch. Zwei Tage ohne Essen und Trinken, zwei Tage im Regen, zwei Tage Sitzen in der eigenen Notdurft, zwei Tage voller beiläufiger Schläge, Knüffe und Tritte. Dazu ein Batzen Rotz dann und wann, inbrünstig aus den Tiefen verschnupfter Rachen gesogen und geduldig gesammelt. Wenn man Anstalten gemacht hätte, sie zu töten … Das hätten sie verstanden.
„Was glaubt ihr?“ war die barsche Antwort gewesen. „Hier herrschen Recht und Ordnung! Ihr werdet schon noch einen Richter sehen.“ Und als das angebotene Gold für eine schnelle, heimliche Freilassung ausgeschlagen worden war, wieder Rotz und der Bescheid: „Laighinn-Pack! Kocht euch halt eine Suppe davon!“
Vielleicht war es nicht Gold, das er verteilte, der Righ der Cladhinn, aber der Sold war wohl besser als sie gedacht hatten.
Wochen zuvor war es dieser Glücksritter aus Kerrycaer gewesen, der in seinem Werben gesagt hatte:
„Kommt mit mir ins Hochland! Es ist schnell verdientes Gold und einen Teil gibt es gleich auf die Hand.“ Mit dem Uisge-Krug hatte er gewunken und hämisch getönt: „Schwächlinge kann ich auf dieser Fahrt nicht gebrauchen!“ Und so hatte er rauhe Gesellen geworben, Männer, die für so manches dunkle, harte Geschäft gedungen werden konnten. Bei sattem Gewinn und ewigem Schweigen. Keine bluttrunkenen Geister, nein, nur solche mit eiskalten Herzen nahm er mit.
,Mit eiskalten Ärschen sitzen wir hier nun in unserer eigenen Scheiße und pissen uns die Hosen voll‘, dachte eben jener Glücksritter grimmig. ,Jetzt müssen wir ganz von vorn anfangen …‘
Noch auf dem Ritt über den Tamairpaß hatten die anderen verzagt wissen wollen:
„Was, wenn sie uns schnappen? Ich mach’ mir nichts draus, im Kampf erschlagen zu werden. Aber was, wenn sie uns schnappen?“ hatte der mit den gespaltenen Lippen gefragt.
„Ich kenn’ mich aus, Mann. Der neue König der Cladhinn ist ein Schlappschwanz. Nun herrschen Recht und Gesetz, hat er gesagt, und verbietet die Blutrache und alles Mannhafte.“
„Ja, und?“ hatte ein anderer sich eingemischt. „Wieso ist das gut für uns?“
„Hört gefälligst auf zu jammern! Nichts wird geschehen! Es ist alles gut vorbereitet. Niemandem wird ein Haar gekrümmt. Und jetzt reitet zu! Diese Wolken da sehen regenschwanger aus.“
Truppen des Righ auf dem Marsch in estlicher Richtung hatten sie zufällig aufgehalten. Ein Ritter in Grün und Silber hatte sich nach ihren Geschäften erkundigt, einer, dessen Fingerschnippen einem halben Dutzend Männer befohlen hatte, ihr Gepäck zu durchsuchen. Einer, dem nicht gefallen hatte, was sie fanden.
„Legt sie in Ketten! Wir müssen Gericht über sie halten.“
Zwei Tage war es her und kein Richter war erschienen.
„Was werden sie mit uns machen?“ hatte einer der Gefangenen wissen wollen, bevor der Eisenhandschuh ihre Gesichter gezeichnet hatte. „Gehört das auch zu Deinem Plan?“ Dem Laighinnkrieger war der blanke Haß seiner Gesellen wie alter Mundgeruch, allgegenwärtig und unausweichlich. Kämen sie nun frei, würden sie ihm den Garaus machen.
„Hört mir gut zu, ihr Ratten, und daß ihr es ja nicht vergeßt! Ihr werdet gefragt werden, wo und wann die Taten geschehen sind. Dann kennt ihr euch nicht aus. Sagt, daß ich den Ort wisse.“
„Was, wenn sie mehr wissen wollen? Wie es ausgesehen hat? Und wofür soll das gut sein?“
„Erzählt einfach von irgendeinem Dorf, wie wir sie gesehen haben, eines von denen hoch oben, abseits der Straße, ihr wißt schon. Sagt ihnen, wie die Häuser ausgesehen haben, erzählt von den dicken, weißen Mauern und den tiefen Fenstern und den Torbögen. Und sagt, daß keine Thuatha dort gewesen seien.“
Er hatte noch länger auf seine Gefährten einreden wollen, doch der mürrische Gothori, der sie bewachte, war damit nicht einverstanden gewesen.
„Schweigt still!“
Das üppige Schmatzen beschlagener Hufe im Schlamm kündete von hohem Besuch: große, schwer gerüstete Rösser näherten sich, mit bunten Decken in Grün und Silber über dem Panzer und dampfenden Nüstern unter eherner Stirnhaube.
Erfahrene Kämpen in Waffen saßen ab und stapften heran, ließen sich nieder auf eilends herbeigeschafften Stühlen.
„Herr“, grüßte der, der befohlen hatte, die Laighinn gefangenzunehmen, den in der Mitte, einen fast kahlen, schwerleibigen Ritter in Grün und Silber, dem ein Steinbock auf der Brust tanzte. Wie Blumen waren die Blutflecken auf dem Grün seines Gewandes.
„Wen habt Ihr da, Reto?“ fragte der Kahle. „Eines widerlichen Verbrechens wegen habt Ihr mich rufen lassen, so abstoßend, daß ich dem Heer vorausgeeilt bin. Habt Ihr sie befragt?“
„Keiner von ihnen mochte antworten, Herr. Des Fundes wegen, den wir machten, wollte ich sie Eurem Urteil überlassen.“
Der Alte nickte knapp und sah die Gefangenen mit zornumwölkten Augen an.
„So sagte der Bote zu mir: ,Herr, wir fanden eine Truhe in ihrem Besitz, gefüllt mit blutrotem Eis und darin vergraben die Herzen kleiner Kinder und ihre Augen und Gehirne und von Jungen, was sie zum Manne und von Mägdelein, was sie zu Frauen machen wird. Und darum erbitten wir Euer Urteil. Eilt Euch, denn wir befürchten bösen Lug und Trug.‘ So sagte der Bote und ich begehrte, die zu sehen, die in Unserem Gebiet solch widerwärtige Fracht mit sich führen, und ich beschloß, höchstselbst über sie zu richten.“ Schnaufend hielt der Ritter inne. „Man nennt mich Cwmachdod ra Mortael und als Righ von Tir Cladhainn habe ich die volle Gewalt über euch.“
Er winkte mit der eisengepanzerten Hand und rief:
„Wascht sie! Kein Gericht soll durch solchen Gestank beleidigt werden.“
Achtlose Schnitte großer Klingen entledigten die Gefangenen ihrer stinkenden Gewänder. Sie würden so naß nicht brennen, also vergrub man die Lumpen. Und dann hätten sie eilfertig und gern jede Untat gestanden, denn zum Bade band man sie und tauchte sie wieder und wieder in einen nahen Bach, der reißend vom Berg herabstürzte, milchige Schmelzwässer mit sich führend, so eisig, daß den Laighinn das Herz stocken wollte. Kaum, daß der Schmerz nachließ, kaum, daß sie nach Luft schnappen konnten, tauchte man sie wieder hinein und wieder und wieder, bis sie laut keuchend im Ufersand liegenblieben.
Härene Unterkleider gab man ihnen und sonst nichts, dann trieb man sie vor die Richterbank. Ein Haufen buntgemischtes Volk stand ringsherum, von jeglicher Herkunft, Bauern, Hirten und Krieger, leise murmelnd, in Erwartung eines Schauspiels.
Ritter Reto erhob sich und schilderte den Leuten, wie er die Unholde angetroffen hatte. Die Truhe voller kindlicher Schlachtopfer wurde herumgezeigt und das Raunen wogte in der Menge hin und her.
Was sie zur Rechtfertigung zu sagen hätten? Die gefesselten Laighinn versteiften die Schultern. Ihr Anführer hob den Kopf.
„Wir geben es zu, daß die Truhe in unserem Besitz war.“
Woher der Inhalt stamme, fragte der Ritter, und ob man erst den Bescheid eines Druiden oder Sehers erwarten wolle? Oder würden sie es lieber gleich verraten? Es würde so oder so ans Licht kommen.
„Wir haben sie getötet …“ Und das Volk ringsum forderte ihr Blut.
Die erhobene Hand des Stammkönigs gebot Schweigen.
„Wer waren sie?“ verlangte er zu wissen. „Woher stammten sie? Und wo habt ihr sie erschlagen? Wo geschlachtet?“
Vom einen zum anderen gingen die Blicke der Gefangenen und mancher murmelte etwas, andere schwiegen, ein halbes Dutzend trotzig dreinblickend, der Anführer stolz und siegessicher.
Da wurde dem Righ Cwmachdod ein Ort geschildert ohne Namen und doch dachte jeder ringsum an ein Dorf hoch oben, ein mehr und mehr verlassenes, eines von denen, die älter waren als alle Festen der Cladhinn und alle Burgen derer von Calan.
Doch dann fragte er nach dem Warum und plötzlich verstummten die Laighinn.
„Warum mußten die Kinder sterben?“
Es war nichts mehr zu erfahren gewesen.
„Hentze, was ratet Ihr mir?“ fragte der Righ den Ritter, der sein Friedensmann und Calans Herold war.
„Müßte ich nicht urteilen, würde ich sie töten, alle miteinander, ihnen die Herzen herausschneiden bei lebendigem Leibe, wenn das ginge.“ Grimmig klang des Waffenmeisters Stimme. „Müßte ich aber gerecht sein, so hätte ich kaum etwas in der Hand. Das Wergeld für ein paar Kinder bringen sie leicht auf. Und dann müßte ich sie ziehen lassen.“
„Nun, nicht, wenn wir es mit Zauberei zu tun hätten. Bedenkt, was sie in ihrem Eiskasten ins Tiefland bringen wollten! Ihr möchtet nicht wissen, was gelangweilte Edelleute mit zauberischer Hilfe daraus machen …“
„Würde so jemand die Kinder nicht entführen? Lebendiges Fleisch verdirbt nicht.“ Es schüttelte den Herold sichtlich.
„So wird es zuvor gewesen sein. Doch Kinder sind kostbar geworden, seit in diesem Krieg so viele Männer weit weg von zuhause erschlagen werden. Nun werden die Kinder gehütet. Niemand wird noch eines, das lästig erscheint, weggeben, und eines wegzuführen wird unmöglich. Aber wen schert schon ein Kasten, den ein Reisender mit sich führt?“
„Herr, wenn es Zauberei ist, dann haben wir sie am Haken und bringen sie zu Tode!“
„Die Bluttaten sind eingestanden, doch die Zauberei kann ich nicht beweisen. Hier vor aller Augen muß ich zeigen, daß mein Wort Recht ist und gilt. Verdammt noch eins!“ Sein Fluch hallte durch das Tal. „Und vergeßt nicht, Hentze, wir haben den Stämmen beeidet, daß jedes Recht fortgilt, so es nicht durch Unseres gebrochen wird. Und darum zählt vor den Augen aller allein, im Gebiet welchen Stammes die Tat begangen wurde.“
„Das wußten sie nicht zu sagen …“
„Und doch haben wir es alle erkannt.“
„Es klang nach einem Chaudadorf. Doch welches ist gemeint?“
„Wen schert's? Die Laighinn nicht.“
„Sie haben es so gewollt?“
„Das könnt Ihr wetten. Und mir ist's recht.“
„Ich weiß von keinem Recht der Chauda wider die Blutige Hand.“
„Dann habt Ihr das eine vergessen.“
„Das eine?“
„Die Nacht auf dem Berg.“
„Kraft Unserer Macht verkünden Wir das Urteil über diese Männer aus Tir Laighainn. Sie gestehen vor Uns, diese Kinder, deren Überreste Uns gezeigt wurden, hingeschlachtet zu haben. Sie geben zu, die Untat auf dem Gebiet der Chauda begangen zu haben und so verurteilen Wir sie dazu, sich der Gerechtigkeit der Chauda zu unterwerfen.“ Und als das Murmeln im Volk von Unmut zeugte, fügte der Righ hinzu: „Sehet also, daß das Recht des Volkes fortbesteht dort, wo der Neue Bund herrscht.“
Dann wurden die Leute befragt, ob ein Ältester der Chauda zugegen sei und es fand sich ein Dorfvorsteher aus der Nähe.
Der Mann aus Kerrycaer hörte nicht mehr hin, als der Alte schulterzuckend sagte, daß ihm und den Seinen nichts von verschwundenen Kindern bekannt sei, aber wenn alle es wünschten, würden sie die Übeltäter richten. Der Laighinn lachte innerlich und zwinkerte den anderen zu, die da gefesselt neben ihm standen und aufatmeten, als sie die Freude im Gesicht ihres Hauptmanns sahen. Ob er das Gericht der Chauda anerkenne? Jaja, bekräftigte der Laighinnritter demütig nickend und der Dorfvorsteher verneigte sich vor dem Righ. Diese Tölpel! dachte der Laighinn. Bald würde er frei sein.
Der Dorfvorsteher sprach: Kein Chauda sei dazu bestimmt, den anderen zu verurteilen. So sei es seit altersher. Dieses Recht stehe allein den Riesen zu und diese würden entscheiden über Wohl oder Wehe dieser Männer.
„Wir werden frei sein!“ zischte der Hauptmann den Seinen zu.
„Bringt sie also bei Sonnenuntergang auf die Schulter des Berges und bindet sie. Dort sollen sie die Nacht erwarten. Ich habe gesprochen. Bun dia!“ Sprach’s und trat in die Reihen zurück.
„Nur eine Nacht, dann sind wir frei“, jubelte der Laighinn leise und das halbe Dutzend lachte kehlig über den Schwächling, der über das Hochland herrschte.
„Sollten wir dem Schauspiel nicht beiwohnen, Herr?“
„Nein, Hentze, das geht nur die Chauda an und ich möchte es nicht sehen.“
„Was wird geschehen? Müssen wir hoffen, daß der Blitz sie erschlägt?“
„Wißt Ihr, was die Chauda mit ihren Toten machen?“ fragte der Righ den Herold.
„Nein, ehrlich gesagt, das weiß ich nicht.“
„Gar nichts. Denn wenn man sie nicht erschlägt, sterben sie nicht. Sie gehen dahin. Wenn sie alt oder krank sind oder zu Tode verwundet, dann gehen sie zum Berg und in den Berg hinein und vereinen sich mit ihren Ahnen. Doch da das Leben der Berge schier unendlich währt, vergleicht man es mit unserem, kehren sie manchmal erfrischt zurück. Das ist ihr großes Geheimnis.“
„Wie habt Ihr davon erfahren?“
„Das ist lange her, Hentze. Ich werde jetzt nicht davon sprechen. Eins aber will ich Euch noch sagen: So wenige Chauda unter uns leben – und von diesen haben unsere Vorfahren eine Menge erschlagen – so viele überdauern im Schutz der Berge. Tötet Ihr also einen Chauda, verwehrt Ihr ihm ein sicheres Wiedersehen mit seinen Ahnen. Und das ist das Schlimmste, das man einem Chauda antun kann: ewiger Tod, fern von den Ahnen.“
„Ich verstehe …“
„Das bezweifle ich. Die Ahnen werden nicht erbaut sein. Aber jetzt laßt uns reiten!“
Und sie verließen den Gerichtsplatz, um zu den kampfbereiten Truppen zurückzukehren.
Hohl und dünn verklang die Stimme des alten Dorfvorstehers, der die Untaten der sieben Männer aus Tir Laighainn verkündet hatte, im abendlichen Bergwind. Noch kitzelten letzte Sonnenstrahlen das Gras und vergoldeten die Wipfel der Zirben weiter unten. Ein prüfender Zug an den Fesseln, die die Männer an die Pfähle banden, dann sagte der Alte leise:
„Mögen die Riesen euch eure Dummheit vergeben.“
Den Spott, den die Männer über ihm ausschütteten, beachtete er nicht. Langsam und gebückt stieg er hinab, den Leuten seines Dorfes hinterher.
Mit ihm verschwand auch die Sonne und die Kälte kroch unter die Hemden. Einen hatte es schon so sehr ausgekühlt, wie er da mit nackten Füßen auf blankem Fels stand, daß er sich zitternd vollpißte. Die anderen sagten nichts.
„Und? Was sagt ihr nun? Morgen früh kommen sie wieder herauf und machen uns los und dann sind wir frei!“
„Und wenn nicht?“
„Sie müssen! So will es ihr Gesetz.“ Das Wort war noch nicht verklungen, da zweifelte er selber schon.
Aber es blieb keine Zeit mehr, zu zweifeln. Einer schrie und da sahen sie, wie die Herzen der Kinder, die man auf einen steinernen Tisch in der Nähe gelegt hatte, allmählich verschwanden und alles andere mit ihnen. Der pfeifende Wind ließ nach und machte einem dumpfen, unhörbaren Dröhnen Platz. Wurde es da nicht warm unter des Hauptmanns Füßen? Aber es war so kalt wie vordem. Wühlte er da nicht in Erde? Doch alles, was er sah im dunkler werdenden Grau des Abends, waren seine Beine, die in erdigen Klumpen steckten. Und die Klumpen zerfielen und seine Beine ebenso. Da begriff er, daß er langsam tiefer sank, daß er dem Boden immer näher kam. Jemand brüllte und japste, ein anderer schluchzte und flehte. Nun fielen Stücke seiner Schenkel herunter und rollten als erdige Brösel umher. Da schrie auch er.
Bald waren sie so sehr mit der Schulter des Berges verschmolzen, daß ihre Rümpfe zu rieseln begannen und ihr Schreien wurde ein staubiges Husten und erstarb schließlich ganz. Arme ringelten sich im Gras und verteilten sich in alle Richtungen und Häupter kullerten mit geöffneten Mündern umher, füllten sich mit Erde, wurden zu Erde und verschwanden.
Als sie ganz im Leib des Riesen aufgegangen waren, wurden die Ahnen ihrer gewahr und fällten ihr Urteil: diese, die den Kindern, wer immer sie auch gewesen sein mochten, den ewigen Tod gebracht hatten, sollten zerteilt werden, immer und immer weiter, bis auch noch das kleinste Teilchen ihrer Selbst unrettbar verloren sei im Leib der Welt. Und ihre Seelen würden blind werden und trübe und nach Äonen vergehen und bis dahin würden sie klagen über die unsagbaren Schmerzen, die man ihren überdehnten Leibern zufügte. Doch ihre Schreie blieben ungehört.
In dieser Nacht trat der Righ der Cladhinn vor sein Zelt, die nackten Füße im taufeuchten Gras badend, eine Hand um ein Amulett aus weißem Marmor gelegt, das er am Halse trug. Mit geschlossenen Augen lauschte er ins tiefe Dunkel, um die Mundwinkel ein zufriedenes Lächeln.
In Kerrycaer verließ ein Hexer ein Haus, das bekannt war für seine verzweifelten Huren, die den Männern für wenige kleine Münzen gefällig waren. Doch für das, das er verlangte, hätte er ein kleines Vermögen aufwenden müssen, also warf man ihn hinaus und Hose und Stiefel hinterher. Wie er da so stand, mit blanken Füßen im Matsch, und sich nach seinen Stiefeln bückte, weil er nicht barfuß über die schmutzige Straße laufen wollte, da wurde ihm ganz wunderlich und er faßte sich an die Brust. Als das dunkle Herz stockte, fiel der Hexer tot um.
Hier und da in Tir Laighainn entdeckten wohlhabende Edle, daß ihnen das Wasser aus ihren Brunnen nicht mehr mundete und sie erbrachen es wieder. Und weil ihnen kein Wasser mehr schmecken wollte und auch kein Wein und überhaupt kein anderes Getränk, waren sie nach wenigen Tagen verdurstet und starben einen langsamen, qualvollen Tod.
Für die Herzen der Kinder.
Als der Winter kam, waren in Tir Cladhainn viele Frauen erneut guter Hoffnung. Eine jede trauerte um ein verschwundenes Kind, doch im Sommer darauf würden sie alle einem gesunden, starken Säugling das Leben schenken. Diese Familien aber hatten ein glückliches Jahr und ihre Tiere und Felder waren fruchtbar.