Formorian
Dunkler Wanderer
- Registriert
- 30. Nov. 2011
- Beiträge
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Siegessicher, den letzten Rest kalten Cappuccinos genüsslich die Kehle herabrinnen lassend, drückte ich auf "send".
Nun war es unterwegs, und dem alten F. Gandolfski (F für Frodolin) würden sicher die Augen übergehen. Mein Alterswerk, mit meinem Herzblut in jeder Zeile, es würde das Fantasygenre revolutionieren! Gandi würde mir den Hintern dafür küssen, dass er die Ehre haben durfte es zu verlegen. Täglich!
Mein nächster Griff ging ans Telefon, der Bringdienst. Ja, eine Flasche Metaxxa, Fünfer, presto bitte. Der Vorausscheck des alten Geizkragen war fast aufgebraucht, aber manchmal musste es eben einfach Metaxxa sein!
Von goldenen Zeiten träumend ließ ich den Rest des Abends einfach dahin laufen.
Das melodische Flöten meiner Mailbox weckte mich gegen Mittag. Sieh an, G. hatte es sich bereits angeschaut, und er bat mich vorbeizukommen. Schön, damit hatte ich gerechnet. Ich fuhr also zum Verlagshaus, die nette Kleine winkte mich sofort durch, und stolz wie Ritter Roland betrat ich Gandolfskis Allerheiligstes. Er lächelte warmherzig und bat mich mit schwungvoller Handbewegung in den Sessel vor seinem Schreibtisch.
"Habe gerade dein neustes Epos durchgeschaut," begann er, und seine fast kobaltfarbenen Augen über dem oberen Brillenrand leuchteten in undefinierbarem Schein. "Du weißt, mein Junge, dass du eines meiner besten Pferde im Stall bist? Klar weißt du das, und ich schon lange. Nun habe ich mir also dein neustes Meisterwerk reingezogen, das, wofür ich schon seit Monaten Vorpromotion betreibe, Presse und Verbände vor-informierte, die Werbetrommel rühre, dass mir bald der Arm abfällt, Kritik und Fans heißmache wo immer es nur geht, und nun habe ich es mir angeschaut, und ich muss wirklich sagen..." er lächelte noch immer in mein Gesicht hinein, doch sein Blick gefror plötzlich, "...dass es wirklich der allerhinterletzte Mist ist, den ich jemals das Pech hatte vor Augen zu kriegen!" polterte er dann ohne Warnung los.
Als ich wieder zu mir kam, beugte sich G. mit besorgtem Blick über mich. "Wie...was hast du gesagt...?" stammelte ich noch immer fassungslos.
"Junge, geht es dir wirklich besser?" fragte er mitfühlend. Ich nickte, wohl etwas ruckhaft. "Ja, geht schon. Aber warum...?"
Er nahm wieder in seinem Sessel Platz und besah mich lauernd. "Na schön, ich sagte, dass dein neues Teil Mist ist. Mist! Mist! Mist! Dein Held gebraucht nichts als seinen Kopf, um mit seinen Problemen klarzukommen. Das einzige Böse in der ganzen Sache sitzt in ihm selbst, und was soll der Quatsch, sich mit seiner dunklen Seite arrangieren zu wollen? Befreiung durch seelische Ganzwerdung! Wer will das lesen? Wo sind die Unholde, die finsteren Armeen, die Hexenmeister?"
"Ich meinte nur, es wäre mal Zeit für etwas Subtileres, Erwachseneres," verteidigte ich mich kläglich.
Sein Blick wurde etwas wohlwollender, geradezu väterlich. "Sicher, mein Lieber. Natürlich gibt es da draußen sicher ein paar intellektuelle Seelen, welche dein Werk möglicherweise mit Begeisterung aufnehmen würden, aber sind diese in der Lage, eine gesamte Produktion zu tragen? Hast du unsere Zielgruppe aus den Augen verloren? Unsere Leser wollen keine schizoiden Außenseiter, die erst einmal verstanden werden wollen. Jeder hat selbst genug Probleme am Hacken, also ist es unsere Sache sie diese Probleme vergessen zu machen. Sie wollen farbige, blutvolle Gestalten, mit denen sie mitfiebern, mitfreuen und mitleiden können. Identifikationsfiguren, für die alle Probleme einfach und alle Lösungen naheliegend sind. Hau-weg-Stories, die sie ihr eigenes farbloses Leben für eine Weile vergessen lassen, und keinen Kopfmenschen mit mehr Macken als alle seine Leser zusammen."
"Und...was mache ich nun damit?"
Und er sagte es, was ich am meisten fürchtete: "Schreibs nochmal, aber diesmal mit Happy End! Mit Action, düsteren Geheimnissen und Schurken, die jeden Cent wert sind. Gute Lichtgestalten, die man lieben und finstere Schurken, die man hassen kann und sich nen Wolf freut, wenn sie elendig verrecken! Und mach hinne, ich hab den Termin mit der Druckerei schon in drei Wochen! Packst du das?"
Hatte ich die Wahl? Also gut, Recherche war angesagt, Quellenmaterial musste her. Nach zwei Tagen kam die Buchlieferung bei mir an, ich öffnete das Paket und griff das oberste heraus: John R.R. Tolkien - Die Gefährten. Schön, würde ich also mit dem Urgroßvater aller fiktiven Schwarz-Weiß-Epen anfangen. Ich ackerte also die gesamte Trilogie durch, indem ich die Dinger durchblätterte und hier und da mit einem Messer zwischen die Seiten stieß, aufklappte und mir markante Stellen notierte. Dann Brooks Das Schwert von Shannara. Same procedure. Urshurak von den Hildebrandts. Na ja, die hatten wenigstens geile Bilder. Und so weiter, und so fort...
Danach, als ich hunderte solcher farbig-blutvoller Passagen gesammelt hatte, nummerierte ich sie und griff mir meine guten alten Hunderterwürfel. Was würde wohl meine Einleitung werden?
Und so nahm mein neues Werk Gestalt an; es wuchs und wuchs, während ich es schrieb...nicht weil die Ideen mich zu überschwemmen begannen, sondern weil der Abgabetermin bereits in einer Woche sein sollte!
Mein Held stolperte eines schönen Tages über ein altes Schwert, für das sich plötzlich jede Menge düsterer Gestalten zu interessieren schienen, deren Lebensaufgabe es wohl war, täglich Überstunden im Bösesein zu machen. Entsetzt flieht er aus seiner Heimat, den verfluchten Schatz an sich klammernd, statt ihn im nächsten Siel zu entsorgen. Natürlich trifft er jede Menge gutwilliger Helfer, etwa die Longohringa, die so höflich und kultiviert sind, dass sie sich auf der Toilette sogar vor dem Spülen von ihren Exkrementen verabschieden, oder die kurzgeratenen Dreckawühli (hart aber herzlich, Äxte nicht vergessen!), oder die putzig-pelzig-knuffigen Dungienie (für den Disney-Faktor), nicht zu vergessen der weise alte Zaubermeister, der bei jedem zweiten Schritt über seinen langen grauen Bart stolpert.
Mein Held rottet all diese herzensguten Critter zu einer mächtigen Armee zusammen, die keinerlei Fragen nach Gegenleistung stellt, hat eine kleine züchtige Affäre mit einer Feenprinzessin (etwas Traumstoff für die Generation Akne), steht auf seinem Weg zum erlösenden Schicksal plötzlich allein da (als die Kacke wirklich am Dampfen ist, guckt die mächtige Gutenarmee gerade geschlossen in die falsche Richtung), muss Mühen, Plagen und Entbehrungen auf sich nehmen, dass Christi Passion dagegen wirkte wie eine Folge der Teletubbies, und konfrontiert schließlich den absoluten Oberbösenmacker. Ein kräftiger, völlig unerwarteter Deus ex machina zum Schluss, und hurra!- die Welt ist gerettet...bis zum nächsten Mal.
Noch lange starrte ich den Sendebutton an, nachdem ich ihn gedrückt hatte. G. würde mich dafür umbringen, aber mehr konnte er wirklich nicht von mir verlangen. Mein Teil war getan, und scheiß der Hund drauf, veröffentlichen konnte ich auch mittlerweile woanders. Wenn nun überhaupt noch jemand etwas von mir lesen wollte...
Am nächsten Tag kam die Antwort: "Großartiger Job, Junge! Ich wusste doch, dass du es kannst. Welche Ideenfülle, welch Genie! Das Ding geht sofort an die Druckerei, unverändert! Mache dir gleich mal den nächsten Scheck klar; nur weiter so! Es gibt doch eine Fortsetzung, oder? Was hältst du von einer Tetralogie?"
Heute morgen kamen die ersten Exemplare meines neuen Epos mit der Post. Ich schaute auf das geschmackvoll pastellfarbene Cover mit dem jugendlichen Helden in der Mitte, um den sich allerlei Fabelgetier herumdrapiert hatte, und las den Titel: SCHWERTER DER GERECHTIGKEIT.
Kopfschüttelnd warf ich das Ding in die Ecke.
Nun war es unterwegs, und dem alten F. Gandolfski (F für Frodolin) würden sicher die Augen übergehen. Mein Alterswerk, mit meinem Herzblut in jeder Zeile, es würde das Fantasygenre revolutionieren! Gandi würde mir den Hintern dafür küssen, dass er die Ehre haben durfte es zu verlegen. Täglich!
Mein nächster Griff ging ans Telefon, der Bringdienst. Ja, eine Flasche Metaxxa, Fünfer, presto bitte. Der Vorausscheck des alten Geizkragen war fast aufgebraucht, aber manchmal musste es eben einfach Metaxxa sein!
Von goldenen Zeiten träumend ließ ich den Rest des Abends einfach dahin laufen.
Das melodische Flöten meiner Mailbox weckte mich gegen Mittag. Sieh an, G. hatte es sich bereits angeschaut, und er bat mich vorbeizukommen. Schön, damit hatte ich gerechnet. Ich fuhr also zum Verlagshaus, die nette Kleine winkte mich sofort durch, und stolz wie Ritter Roland betrat ich Gandolfskis Allerheiligstes. Er lächelte warmherzig und bat mich mit schwungvoller Handbewegung in den Sessel vor seinem Schreibtisch.
"Habe gerade dein neustes Epos durchgeschaut," begann er, und seine fast kobaltfarbenen Augen über dem oberen Brillenrand leuchteten in undefinierbarem Schein. "Du weißt, mein Junge, dass du eines meiner besten Pferde im Stall bist? Klar weißt du das, und ich schon lange. Nun habe ich mir also dein neustes Meisterwerk reingezogen, das, wofür ich schon seit Monaten Vorpromotion betreibe, Presse und Verbände vor-informierte, die Werbetrommel rühre, dass mir bald der Arm abfällt, Kritik und Fans heißmache wo immer es nur geht, und nun habe ich es mir angeschaut, und ich muss wirklich sagen..." er lächelte noch immer in mein Gesicht hinein, doch sein Blick gefror plötzlich, "...dass es wirklich der allerhinterletzte Mist ist, den ich jemals das Pech hatte vor Augen zu kriegen!" polterte er dann ohne Warnung los.
Als ich wieder zu mir kam, beugte sich G. mit besorgtem Blick über mich. "Wie...was hast du gesagt...?" stammelte ich noch immer fassungslos.
"Junge, geht es dir wirklich besser?" fragte er mitfühlend. Ich nickte, wohl etwas ruckhaft. "Ja, geht schon. Aber warum...?"
Er nahm wieder in seinem Sessel Platz und besah mich lauernd. "Na schön, ich sagte, dass dein neues Teil Mist ist. Mist! Mist! Mist! Dein Held gebraucht nichts als seinen Kopf, um mit seinen Problemen klarzukommen. Das einzige Böse in der ganzen Sache sitzt in ihm selbst, und was soll der Quatsch, sich mit seiner dunklen Seite arrangieren zu wollen? Befreiung durch seelische Ganzwerdung! Wer will das lesen? Wo sind die Unholde, die finsteren Armeen, die Hexenmeister?"
"Ich meinte nur, es wäre mal Zeit für etwas Subtileres, Erwachseneres," verteidigte ich mich kläglich.
Sein Blick wurde etwas wohlwollender, geradezu väterlich. "Sicher, mein Lieber. Natürlich gibt es da draußen sicher ein paar intellektuelle Seelen, welche dein Werk möglicherweise mit Begeisterung aufnehmen würden, aber sind diese in der Lage, eine gesamte Produktion zu tragen? Hast du unsere Zielgruppe aus den Augen verloren? Unsere Leser wollen keine schizoiden Außenseiter, die erst einmal verstanden werden wollen. Jeder hat selbst genug Probleme am Hacken, also ist es unsere Sache sie diese Probleme vergessen zu machen. Sie wollen farbige, blutvolle Gestalten, mit denen sie mitfiebern, mitfreuen und mitleiden können. Identifikationsfiguren, für die alle Probleme einfach und alle Lösungen naheliegend sind. Hau-weg-Stories, die sie ihr eigenes farbloses Leben für eine Weile vergessen lassen, und keinen Kopfmenschen mit mehr Macken als alle seine Leser zusammen."
"Und...was mache ich nun damit?"
Und er sagte es, was ich am meisten fürchtete: "Schreibs nochmal, aber diesmal mit Happy End! Mit Action, düsteren Geheimnissen und Schurken, die jeden Cent wert sind. Gute Lichtgestalten, die man lieben und finstere Schurken, die man hassen kann und sich nen Wolf freut, wenn sie elendig verrecken! Und mach hinne, ich hab den Termin mit der Druckerei schon in drei Wochen! Packst du das?"
Hatte ich die Wahl? Also gut, Recherche war angesagt, Quellenmaterial musste her. Nach zwei Tagen kam die Buchlieferung bei mir an, ich öffnete das Paket und griff das oberste heraus: John R.R. Tolkien - Die Gefährten. Schön, würde ich also mit dem Urgroßvater aller fiktiven Schwarz-Weiß-Epen anfangen. Ich ackerte also die gesamte Trilogie durch, indem ich die Dinger durchblätterte und hier und da mit einem Messer zwischen die Seiten stieß, aufklappte und mir markante Stellen notierte. Dann Brooks Das Schwert von Shannara. Same procedure. Urshurak von den Hildebrandts. Na ja, die hatten wenigstens geile Bilder. Und so weiter, und so fort...
Danach, als ich hunderte solcher farbig-blutvoller Passagen gesammelt hatte, nummerierte ich sie und griff mir meine guten alten Hunderterwürfel. Was würde wohl meine Einleitung werden?
Und so nahm mein neues Werk Gestalt an; es wuchs und wuchs, während ich es schrieb...nicht weil die Ideen mich zu überschwemmen begannen, sondern weil der Abgabetermin bereits in einer Woche sein sollte!
Mein Held stolperte eines schönen Tages über ein altes Schwert, für das sich plötzlich jede Menge düsterer Gestalten zu interessieren schienen, deren Lebensaufgabe es wohl war, täglich Überstunden im Bösesein zu machen. Entsetzt flieht er aus seiner Heimat, den verfluchten Schatz an sich klammernd, statt ihn im nächsten Siel zu entsorgen. Natürlich trifft er jede Menge gutwilliger Helfer, etwa die Longohringa, die so höflich und kultiviert sind, dass sie sich auf der Toilette sogar vor dem Spülen von ihren Exkrementen verabschieden, oder die kurzgeratenen Dreckawühli (hart aber herzlich, Äxte nicht vergessen!), oder die putzig-pelzig-knuffigen Dungienie (für den Disney-Faktor), nicht zu vergessen der weise alte Zaubermeister, der bei jedem zweiten Schritt über seinen langen grauen Bart stolpert.
Mein Held rottet all diese herzensguten Critter zu einer mächtigen Armee zusammen, die keinerlei Fragen nach Gegenleistung stellt, hat eine kleine züchtige Affäre mit einer Feenprinzessin (etwas Traumstoff für die Generation Akne), steht auf seinem Weg zum erlösenden Schicksal plötzlich allein da (als die Kacke wirklich am Dampfen ist, guckt die mächtige Gutenarmee gerade geschlossen in die falsche Richtung), muss Mühen, Plagen und Entbehrungen auf sich nehmen, dass Christi Passion dagegen wirkte wie eine Folge der Teletubbies, und konfrontiert schließlich den absoluten Oberbösenmacker. Ein kräftiger, völlig unerwarteter Deus ex machina zum Schluss, und hurra!- die Welt ist gerettet...bis zum nächsten Mal.
Noch lange starrte ich den Sendebutton an, nachdem ich ihn gedrückt hatte. G. würde mich dafür umbringen, aber mehr konnte er wirklich nicht von mir verlangen. Mein Teil war getan, und scheiß der Hund drauf, veröffentlichen konnte ich auch mittlerweile woanders. Wenn nun überhaupt noch jemand etwas von mir lesen wollte...
Am nächsten Tag kam die Antwort: "Großartiger Job, Junge! Ich wusste doch, dass du es kannst. Welche Ideenfülle, welch Genie! Das Ding geht sofort an die Druckerei, unverändert! Mache dir gleich mal den nächsten Scheck klar; nur weiter so! Es gibt doch eine Fortsetzung, oder? Was hältst du von einer Tetralogie?"
Heute morgen kamen die ersten Exemplare meines neuen Epos mit der Post. Ich schaute auf das geschmackvoll pastellfarbene Cover mit dem jugendlichen Helden in der Mitte, um den sich allerlei Fabelgetier herumdrapiert hatte, und las den Titel: SCHWERTER DER GERECHTIGKEIT.
Kopfschüttelnd warf ich das Ding in die Ecke.
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