Dragonmountain

[Dunkelfeuer]

Mairi war unruhig. Rastlos durchquerte sie ein um das andere Mal ihr Zimmer. Der Bericht des Drachenreiters hatte jene Erinnerungen, die sie so erfolgreich verdrängen konnte, in ihr Bewusstsein zurückgeholt. Als ihr Blick auf den raumhohen Spiegel fiel, blieb sie stehen.
Zögernd hob sie die Hand, berührte das Tuch, mit dem der Spiegel, wie auch alle anderen in der Festung, verhängt war. Sechs Jahre waren vergangen, seit die Entscheidung gefallen war, sechs Jahre, die sie den Blick in den Spiegel verweigert hatte. Aber mehr noch als ihre eigene Erscheinung fürchtete sie das, was der Spiegel noch enthüllen würde. Sie ließ die Hand wieder sinken, noch nicht bereit, sich Dorian zu stellen. Ihre zitternden Finger berührten die gezackte Narbe, die sich von ihrer linken Schläfe bis fast zum Mundwinkel zog. Dorian - ihr Bruder, vielleicht der Einzige, dem sie je wirklich vertraut hatte und ihr gefährlichster Gegner.

[Dunkelfeuer]

Schließlich setzte sie sich auf die Fensterbank und sah hinaus in die Nacht. Sie erinnerte sich an die Legenden ihres Volkes, an den Beginn der Freundschaft zwischen Drachen und Sterblichen. Viele, die in den Tälern lebten, hielten diese Geschichten für Märchen, doch jeder, der nach Wissen suchte, konnte in der alten Bibliothek die Wahrheit finden. Sie war von jenen niedergeschrieben worden, die diese Zeiten noch erlebt hatten.
Viele Jahrhunderte waren vergangen, seit die Drachen uneingeschränkt über Dragonmountain geherrscht hatten, die Menschen, die hier lebten, lediglich als Futter betrachtend. Sie versuchten, ihr Leben so gut wie möglich zu bewältigen und den Drachen aus dem Weg zu gehen. Die Gefahr, die von ihnen ausging, war allgegenwärtig. Manchmal aber konnte man ihr nicht ausweichen, wie auch Vayane feststellen musste. Die junge Heilerin war auf der Suche nach Heilkräutern weit hinauf in die Berge gestiegen. Sie war so konzentriert, das sie das Brüllen zu spät wahrnahm. Direkt unter ihr lag ein kleines Tal. Zwei gewaltige Drachen, einer goldfarben, der andere tiefschwarz mit bläulich schimmernden Schuppen, hatten sich dort ineinander verbissen.

[Dunkelfeuer]

Sie tat das einzig mögliche, verbarg sich zwischen den Felsen und hoffte, das keiner der Giganten sie entdecken würde. Die Sonne versank bereits hinter dem nächsten Grat, als ein triumphierendes Brüllen erklang. Vorsichtig riskierte sie einen Blick hinunter in den Kessel. Der goldene Drache lag tot am Boden, der schwarze hingegen schien jeden Winkel zu durchsuchen. Ein weiterer Triumphschrei erklang, als er das Gelege seines toten Gegners fand und mit einem einzigen Feuerstrahl vernichtete. Als er die großen Schwingen entfaltete, drückte sich Vayane dicht an die Felsen und hielt den Atem an. Sollte er sie entdecken, wäre ihr Lebensfaden jäh durchtrennt. Doch der Drache flog in entgegen gesetzer Richtung fort. Sie blieb in ihrem Versteck, bis die Nacht hereinbrach und der Halbmond das Tal in bleiches Licht tauchte. Erst dann nahm ihre Neugier überhand und veranlasste sie, ins Tal hinab zu klettern. Noch nie hatten sie oder Angehörige ihres Stammes einen Drachen aus solcher Nähe gesehen. Langsam umrundete sie den toten Drachen, zögernd strich sie mit den Fingerspitzen über die goldenen Schuppen. Er war schön und schrecklich zugleich. Als sie das zerstörte Gelege betrachtete, sah sie, das eines der Eier den Flammen widerstanden hatte.