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expressionistische Gedichte

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  #1  
Alt 15.08.2012, 09:01
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Nephthys Nephthys ist offline
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expressionistische Gedichte

Hallo ihr,

ich hätte Lust eine Sammlung expressionistischer Gedichte anzuregen.
Expressionismus neigt ja dazu eine recht derbe Bildersprache zu verwenden. So gesehen könnte es im weitesten Sinne in Richtung Horror gehen.
(Daher finde ich, dass das recht gut zu diesem Forum passt.)

Um den Anfang zu machen, habe ich ein Gedicht ausgesucht, das ich damals in der Schule lesen durfte. Fand ich schon vor zwanzig Jahren super - mag ich noch immer gern.


Gottfried Benn (1886-1956)

Kleine Aster (1912)


"Kleine Aster
Ein ersoffener Bierfahrer wurde auf den Tisch gestemmt.
Irgendeiner hatte ihm eine dunkelhelllila Aster
zwischen die Zähne geklemmt

Als ich von der Brust aus
unter der Haut
mit einem langen Messer
Zunge und Gaumen herausschnitt,
muss ich sie angestoßen haben, denn sie glitt
in das nebenliegende Gehirn.
Ich packte sie ihm in die Brusthöhle
zwischen die Holzwolle,
als man zunähte.
Trinke dich satt in deiner Vase!
Ruhe sanft,
kleine Aster!"
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  #2  
Alt 15.08.2012, 23:11
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Cassandra Cassandra ist gerade online
Abyssus abyssum invocat
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Wirklich herzerwärmend. Dann lass´ mich folgen:


Schöne Jugend (1912)

"Der Mund eines Mädchens, das lange im Schilf gelegen hatte,
sah so angeknabbert aus.
Als man die Brust aufbrach, war die Speiseröhre so löcherig.
Schließlich in einer Laube unter dem Zwerchfell
fand man ein Nest von jungen Ratten.
Ein kleines Schwesterchen lag tot.
Die anderen lebten von Leber und Niere,
tranken das kalte Blut und hatten
hier eine schöne Jugend verlebt.
Und schön und schnell kam auch ihr Tod:
Man warf sie allesamt ins Wasser.
Ach, wie die kleinen Schnauzen quietschten!"

Gottfried Benn (1886-1956)


Ist aber eigentlich recht morbide, das Ganze ...
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  #3  
Alt 15.08.2012, 23:25
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Nephthys Nephthys ist offline
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Morbide, fürwahr. (Kein Wunder, der gutste war Arzt)
Und wirklich gut. Ich danke dir fürs Posten :-)

Ich finde, der Mann hatte was.
Also schieb ich doch gleich noch eines hinterher:

Ebenfalls von

Gottfried Benn

Nur zwei Dinge

Entstanden am 7. Januar 1953 (Quelle: Wiki)


"Durch so viel Formen geschritten,
durch Ich und Wir und Du,
doch alles blieb erlitten
durch die ewige Frage: wozu?

Das ist eine Kinderfrage.
Dir wurde erst spät bewusst,
es gibt nur eines: ertrage
- ob Sinn, ob Sucht, ob Sage -
dein fernbestimmtes: Du musst.

Ob Rosen, ob Schnee, ob Meere,
was alles erblühte, verblich,
es gibt nur zwei Dinge: die Leere
und das gezeichnete Ich."


Weniger morbide zwar, aber dafür sehr nachdenklich und melancholisch.
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  #4  
Alt 15.08.2012, 23:47
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Abyssus abyssum invocat
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Benn hatte aber auch ein interessantes Leben. Hier noch eins von meinem Lieblings-Expressionisten:

Verfall (1909)

"Am Abend, wenn die Glocken Frieden läuten,
Folg ich der Vögel wundervollen Flügen,
Die lang geschart, gleich frommen Pilgerzügen,
Entschwinden in den herbstlich klaren Weiten.

Hinwandelnd durch den dämmervollen Garten
Träum ich nach ihren helleren Geschicken
Und fühl der Stunden Weiser kaum mehr rücken.
So folg ich über Wolken ihren Fahrten.

Da macht ein Hauch mich von Verfall erzittern.
Die Amsel klagt in den entlaubten Zweigen.
Es schwankt der rote Wein an rostigen Gittern,

Indes wie blasser Kinder Todesreigen
Um dunkle Brunnenränder, die verwittern,
Im Wind sich fröstelnd blaue Astern neigen."

Georg Trakl (1887 - 1914)


Wenn ich das lese, muss ich immer an Friedhöfe im Herbst und kahle Hinterhöfe in mittelalterlichen Städten denken.
So, und jetzt werde ich bestimmt prima schlafen können ...
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  #5  
Alt 16.08.2012, 01:34
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Danke so gehts mir jetzt auch :D man solche Gedichte hab ich echt noch nie gelesen. Wir kommt man denn auf sowas? Wo findet ihr da gute?
__________________
"Ich kenne zwei Dinge die unendlich sind, die Dummheit der Menschheit und das Universum.
Bei Zweiterem bin ich mir aber noch nicht ganz sicher."


- Albert Einstein
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  #6  
Alt 16.08.2012, 04:20
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Nephthys Nephthys ist offline
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Dieses Mal steuere ich ein Gedicht von
Gustav Sack
(1885–1916)
(Vertreter des frühen Expressionismus)
bei:


Einsam

Ich habe niemals Du zu euch gesagt –
wohin ich kam und wen ich immer sprach
und wenn er auch in meinen Armen lag,
ich habe niemals Du zu ihm gesagt.

Und doch hab ich mich nie darob beklagt
und wenn die Sehnsucht auch mit wildem Schlag
mein selbstgewähltes Klausnertum durchbrach,
hab ich doch niemals Du zu euch gesagt

und hatte immerdar an mir genug,
berg ich doch ewig in mir Gott und Tier
und Licht und Kot und heiligste Begier,

und hielt mein stilles Zwiegespräch mit mir,
bis über mir gleich einem Totentuch
der Schrei der Einsamkeit zusammenschlug.



@Lullaby: ich hab mit expressionistischen Werken (Gedichten, Bildern, Filmen...) in der Schule Bekanntschaft gemacht. Die Arbeiten fand ich schon als Teenager großartig.
Hier kannst du dich ein bissl dazu schlau machen: Expressionismus (Begriffsklärung) – Wikipedia


Es grüßt

Nepththys
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  #7  
Alt 16.08.2012, 11:00
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Zitat:
Zitat von Lullaby Beitrag anzeigen
Danke so gehts mir jetzt auch :D man solche Gedichte hab ich echt noch nie gelesen. Wir kommt man denn auf sowas? Wo findet ihr da gute?
Ich habe auch in der Schule den ersten Kontakt zum Expressionismus herstellen dürfen - allerdings war´s da Kafka und noch keine Lyriker. Auf jeden Fall ging es mir am Anfang so wie Dir. Ich habe mich gefragt, wie zum Teufel diese Typen eigentlich drauf waren. Aber wenn Du Dir die Zeit ansiehst in der sie gelebt haben und teilweise auch ihre Lebensläufe berücksichtigst, dann sieht das schon wieder ganz anders aus. Man könnte diese Gedichte ganz gut mit der Barocklyrik vergleichen; da waren Tod und Vergänglichkeit ebenfalls "beliebte" Themen - und auch hier spielt der historisch/ soziale Kontext eine große Rolle.
Ich weiß nicht, wie alt Du bist, aber wenn Du noch zur Schule gehst, wird man Dir bestimmt früher oder später auch was expressionistisches aufs Auge drücken ^^ ...

Hier mal ein Zitat, das hin auch wieder unter Gedicht zu finden ist:

Auch ist das vielleicht nicht eigentlich Liebe

"Auch ist das vielleicht nicht eigentlich Liebe,
wenn ich sage, dass du mir das Liebste bist;
Liebe ist, dass du mir das Messer bist,
mit dem ich in mir wühle."

Franz Kafka (1883 - 1924)


Und:

Geistliche Dämmerung

"Still begegnet am Saum des Waldes
Ein dunkles Wild;
Am Hügel endet leise der Abendwind,

Verstummt die Klage der Amsel,
Und die sanften Flöten des Herbstes
Schweigen im Rohr.

Auf schwarzer Wolke
Befährst du trunken von Mohn
Den nächtigen Weiher,

Den Sternenhimmel,
Immer tönt der Schwester mondene Stimme
Durch die geistliche Nacht."

Georg Trakl (1887 - 1914)

Geändert von Cassandra (16.08.2012 um 13:58 Uhr)
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  #8  
Alt 16.08.2012, 15:07
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Wir Gespenster (Aus: Lesestücke; 1916)

(Leichtes Extravagantenlied)


Wir haben all unsere Lüste vergessen,
In Cinémas suchen wir Grauen zu fressen;
Erleuchtete Tore locken uns sehr,
Doch die Angst ist gering — wir brauchen viel mehr.

Als Knaben sind wir ins Theater gegangen,
Nach gelben Actricen ging unser Verlangen;
Nur Herr Kerr geht noch hin, gegen Wunder geimpft,
Der Bürger, der Nietzsche und Strindberg beschimpft.

Für Haeckel-Vergnügungen dankten wir bestens,
Da flohen wir zitternd ins Café des Westens
Zu heiligen Frauen. Es gibt auch Hyänen,
Die scharren nach goldenen Löwenmähnen.

Aus der Welt Dostojewskis sind wir hinterblieben:
Gespenster, die Lautrec und Verzweiflung lieben.
Wir haben nichts mehr, was einst wir besessen,
In Cinémas suchen wir Grauen zu fressen.


Ferdinand Hardekopf (* 15. Dezember 1876 † 26. März 1954)
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  #9  
Alt 16.08.2012, 19:16
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Und noch eins. Dieses hier könnte im Grunde auch eine Szenerie aus der heutigen Zeit beschreiben:

Die Stadt (1913)

"Ein weißer Vogel ist der große Himmel.
Hart unter ihn geduckt stiert eine Stadt.
Die Häuser sind halbtote alte Leute.

Griesgrämig glotzt ein dünner Droschkenschimmel.
Und Winde, magre Hunde, rennen matt.
An scharfen Ecken quietschen ihre Häute.

In einer Straße stöhnt ein Irrer: Du, ach, du -
Wenn ich dich endlich, o Geliebte, fände ...
Ein Haufen um ihn staunt und grinst voll Spott.

Drei kleine Menschen spielen Blindekuh -
Auf alles legt die grauen Puderhände
Der Nachmittag, ein sanft verweinter Gott."

Alfred Lichtenstein (1889 - 1914)


Ist jetzt zwar off-topic, aber ich möchte zumindest mal erwähnt haben, dass der Expressionismus ohne Franz Marc nur eine halbe Sache gewesen wäre. Jeder sollte zumindest mal ein paar Bilder von ihm gesehen haben. Seine Tierdarstellungen gehören zu den schönsten, die ich je auf einer Leinwand gesehen habe. Von daher hier ein paar kleine Anregungen zum googeln:

Franz Marc (1880 - 1916):

Kühe gelb-rot-grün (1912)
(blauschwarzer) Fuchs (1911)
Der weiße Hund (Hund vor der Welt) (1912)
Rote Pferde (1911)
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  #10  
Alt 16.08.2012, 20:33
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Zählt Arthur Rimbaud auch dazu? Hier mein Lieblingsteil:

Das Böse

Und während die Kanonen ihren roten Rotz
hoch in den Sommerhimmel spucken,
während Soldaten stolz verglüh`n für ihren Obermotz,
dessen frigide Lippen spöttisch zucken,
während von Tausenden in jener Wahnsinnsnacht
nichts übrig bleibt als qualmende Gebeine,
während Natur sich wieder holt, was sie gebracht:
blutende Leiber, leblos jetzt wie Steine,
gibt es trotz allem Trost, gibt es ja GOTT, der albern lacht
über Altäre, Kitsch und Kelch und seid`ne Decken,
der einschläft, wenn die Hosianna - Plärrer
ihre Hälse recken
und erst beim süßesten Geräusch wieder erwacht:
wenn alte Mütterchen die letzte Münze aus den Röcken
hervorhol`n, um sie hinzugeben an den Opferstöcken.
__________________
Die klügsten und kreativsten Menschen werden von den phantasielosesten Vollpfosten niedergeschossen.
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  #11  
Alt 16.08.2012, 22:03
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Arthur Rimbaud (1854 - 1891) ist für den Expressionismus (etwa ab 1905) zwar ein bisschen zu früh, aber "Das Böse" passt vom Inhalt her trotzdem prima hierher. Ich kannte es noch garnicht, aber es gefällt mir - danke fürs´ reinstellen.
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  #12  
Alt 16.08.2012, 23:36
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Und dann hätte ich noch eines von Gottfried Benn
(der gute Mann war so produktiv, da kommt frau einfach nicht dran vorbei).

Da ich das Gedicht aus meinem Reclam abgeschrieben habe (daher auch die alte Rechtschreibung), kann ich euch leider nicht das Entstehungsjahr nennen.
Was ich aber sagen kann, ist dass es mich neben "kleine Aster" und "Mann und Frau gehn durch die Krebsbaracke" am meisten beeindruckt hat.


Gesänge

I

O daß wir unsere Ururahnen wären.
Ein Klümpchen Schleim in einem warmen Moor.
Leben und Tod, Befruchten und Gebären
glitte aus unseren stummen Säften vor.

Ein Algenblatt oder ein Dünenhügel,
vom Wind Geformtes und nach unten schwer.
Schon ein Libellenkopf, ein Möwenflügel
wäre zu weit und litte schon zu sehr.

II

Verächtlich sind die Liebenden, die Spötter,
Alles Verzweifeln, Sehnsucht, und wer hofft.
Wir sind so schmerzlich durchseuchte Götter
und dennoch denken wir des Gottes oft.

Die weiche Bucht. Die dunklen Wälderträume.
Die Sterne, schneeballblütengroß und schwer.
Die Panther springen lautlos durch die Bäume.
Alles ist Ufer. Ewig ruft das Meer -

Gottfried Benn (1886-1956)



Zusatz: wer sich für expressionistische Filme interessieren sollte: Auf Youtube findet sich Nosferatu - eine Symphonie des Grauens in voller Länge (knapp eineinhalb Stunden). Nosferatu

Geändert von Nephthys (17.08.2012 um 00:01 Uhr) Grund: Edith macht auf Film aufmerksam...
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  #13  
Alt 17.08.2012, 10:33
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@Nosferatu: Klaus Kinski (von dem ich übrigens ein Riesen-Fan bin) war nicht schlecht, aber Max Schreck ist doch besser. Vielleicht liegt es auch daran, dass das Alter des Films seinen ganz eigenen "Charme" ausmacht. Und dann natürlich die Musik plus dieses irre herumspielen mit Licht- und Schatteneffekten ... Toll!

Und hier noch eins von (Überraschung) Benn:


Nachtcafé (1912)

"824: Der Frauen Liebe und Leben.
Das Cello trinkt rasch mal. Die Flöte
rülpst tief drei Takte lang: das schöne Abendbrot.
Die Trommel liest den Kriminalroman zu Ende.

Grüne Zähne, Pickel im Gesicht
winkt einer Lidrandentzündung.

Fett im Haar
spricht zu offenem Mund mit Rachenmandel
Glaube Liebe Hoffnung um den Hals.

Junger Kropf ist Sattelnase gut.
Er bezahlt für sie drei Biere.

Bartflechte kauft Nelken,
Doppelkinn zu erweichen.

B-moll: die 35. Sonate
Zwei Augen brüllen auf:
Spritzt nicht das Blut von Chopin in den Saal,
damit das Pack drauf rumlatscht!
Schluß! He, Gigi! -

Die Tür fließt hin: Ein Weib.
Wüste ausgedörrt. Kanaanitisch braun.
Keusch. Höhlenreich. Ein Duft kommt mit.
Kaum Duft.
Es ist nur eine süße Verwölbung der Luft
gegen mein Gehirn.

Eine Fettleibigkeit trippelt hinterher."

Gottfried Benn (1886-1956)


Als ich es das erste Mal gelesen hatte, fand ich es eckelhaft. Aber dann habe ich mich mal mit Benns Augen in einem Café umgesehen ...
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  #14  
Alt 17.08.2012, 13:31
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Ein weiterer Vertreter, dessen dichterisches Werk leider nahezu totgeschwiegen wird, ist der zu Unrecht als Teufelspriester verschriene Aleister Crowley (1875 - 1947). Sein düsterer Sprachstil erscheint selbst gebürtigen Briten unheilvoll.
Ich kann vor allem den Gedichtband Aceldama sowie den esoterischen Schauerroman Moonchild als Einstieg empfehlen, um sich mit dem nicht - rituellen Werk dieses legendären (Ego)Giganten vertraut zu machen. Beide liegen leider nicht auf Deutsch vor.
Das folgende unbetitelte Gedicht weist ein nettes Fantasyelement auf; zum besseren Verständnis gebe ich es zuerst in der Originalform, eine sinngemäße Übersetzung folgt.


Foul is the robber stronghold, filled with hate;
Thief strangling thief, and mate at war with mate,
Fronting wild raiders, all forlorn to fate!

There is no health nor happiness therein.
Manhood is cowardice, and virtue sin.
Intolerable blackness hems it in.

Not hell`s heart hath so noxious a shade;
Yet harmless and unharmed, and undismayed,
Pines in her prison an unsullied maid.

Penned by the master mage to his desire,
She baffles his seductions and his ire,
Praying God`s all - annihilating fire.

The Lord of Hosts gave ear unto her song:
The Lord of Hosts waxed wrathful at her wrong.
He loosed the hound of heaven from his thong.

Violent and vivid smote the levin flash.
Once the tower rocked and cracked beneath its lash,
Caught inextinguishable fire; was ash.

But the same fire that quelled the robber strife,
And struck each being out of lust and life,
left the mild maiden a rejoicing wife.

(Ruchlos ist das Räuberbollwerk, hassgefüllt;
Dieb erwürgt Dieb, und der Gatte bekriegt die Gattin,
Sie stehen wilden Angreifern gegenüber, alle dem Schicksal ausgeliefert!

In ihm ist weder Gesundheit noch Glück.
Männlichkeit ist Feigheit, Tugend Sünde.
Unerträgliche Schwärze umzingelt es.

Das Herz der Hölle hat keinen so schädlichen Schatten;
Doch unverletzt und unschuldig und unverzagt
Schmachtet in ihrem Kerker eine unbefleckte Maid.

Vom Meister-Magier zu seinem Begehr eingeschlossen,
Vereitelt sie seine Verführungen und seinen Zorn,
Betet zu Gottes all-vernichtendem Feuer.

Der Herr der Heerscharen schenkt ihrem Gesang Gehör:
Der Herr der Heerscharen wurde bei ihrer Kränkung grimmig,
Er löste den Himmelhund von seiner Kette.

Heftig und leuchtend schlug der Blitz ein.
Der Turm schwankte und krachte unter seinem Hieb,
Fing unlöschbares Feuer, wurde Asche.

Aber das gleiche Feuer, das den Räuberstreit erstickte,
Und jedes Wesens Begier und Leben tilgte,
Ließ die sanfte Maid als frohe Frau zurück.)
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Geändert von Formorian (17.08.2012 um 16:10 Uhr)
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  #15  
Alt 17.08.2012, 13:54
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Hey, Aleister Crowley! Ich habe auch schon einiges von ihm gelesen - obwohl man nicht wird abstreiten können, dass der Mann nicht ganz dicht war. Und egozentrisch, macht- und selbstverliebt ohne Ende sowie sexbesessen noch dazu - aber eben auch (auf seine Weise) genial.
Aber hier noch ein Gedicht von ihm, über das ich vor ein paar Jahren gestolpert bin:

At Sea (um 1920)

"As night hath stars, more rare than ships
In ocean, faint from pole to pole,
So all the wonder of her lips
Hints her innavigable soul.

Such lights she gives as guide my bark;
But I am swallowed in the swell
Of her heart's ocean, sagely dark,
That holds my heaven and holds my hell.

In her I live, a mote minute
Dancing a moment in the sun:
In her I die, a sterile shoot
Of nightshade in oblivion.

In her my elf dissolves, a grain
Of salt cast careless in the sea;
My passion purifies my pain
To peace past personality.

Love of my life, God grant the years
Confirm the chrism - rose to rood!
Anointing loves, asperging tears
In sanctifying solitude!

Man is so infinitely small
In all these stars, determinate.
Maker and moulder of them all,
Man is so infinitely great!"

Aleister Crowley (1875 - 1947)
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  #16  
Alt 17.08.2012, 14:05
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Oh ja, die Schublade, in die Crowley passte, wurde nie gebaut...
Klar war er machtbesessen, nutzte seine Frauen aus und hing am Heroin (was ihm allerdings völlig legal gegen sein Asthma verschrieben wurde, damals war das noch möglich), aber jemanden wie ihn mit der üblichen 08/15-Latte messen zu wollen kann einfach nicht funzen. Er lebte nach seinen eigenen Moralregeln, und wer würde das nicht gern?
Es war wohl der Neid der biederen Mittelmässigkeit, der ihm den Teufelsstempel aufdrückte.
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  #17  
Alt 17.08.2012, 14:25
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Ist zwar jetzt ot, aber ich stimmte Dir da zu. Er hat einfach zur falschen Zeit gelebt und wäre heute vermutlich eher anerkannt worden als damals.
Interssant ist auch, dass der Kernsatz seiner Lehre in etwa dem entspricht, was auf AURYN aus "Die unendliche Geschichte" steht - und auch mit genau der selben Vorraussetzung: es ist notwendig, erst einmal herauszufinden, worin der eigene Wille überhaupt besteht. Ob Michael Ende wohl ein Anhänger von Crowley war ?
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  #18  
Alt 17.08.2012, 14:32
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Er war auf jeden Fall mit ihm vertraut.
Ende war bekennender Satanist...
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  #19  
Alt 17.08.2012, 14:56
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War mir von Anfang an klar ...
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  #20  
Alt 18.08.2012, 06:11
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Als Schmankerl noch ein kleines Stück Ritualdichtung, entnommen aus Liber Turris vel Domus Dei, Sub figura XVI:

There is a well before the Great Withe Throne
That is choked up with rubbish from the ages;
Rubble and clay and sediment and stone,
Delight of lizards and despair of sages.

Only the lightning from His hand that sits,
And shall sit, when usurping tyrant falls,
Can purge that wilderness of wills and wits,
Let spring that fountain in eternal halls.

(Eine Quelle ist vor dem Großen Weißen Thron,
Die wird entrückt vom Kehricht aller Zeiten,
Von Schotter, Lehm, Ablagerung und Stein,
Freude der Eidechsen, Verzweiflung der Weisen.

Nur der Blitz von seiner Hand, der sitzt,
Und sitzen wird, wenn der eigenmächtige Tyrann fällt,
Kann diese Wildernis aus Willen und geistigen Fähigkeiten reinigen,
Die Quelle in ewigen Hallen entspringen lassen.)


Und wer nun der Ansicht ist, mit dem Großen Weißen Thron wäre Jawe gemeint, der sollte von Crowley besser die Finger lassen...
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Geändert von Formorian (18.08.2012 um 08:35 Uhr) Grund: Korrektur der Übersetzung
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