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Kurzgeschichte: Der Attentäter

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  #1  
Alt 23.05.2010, 14:49
Benutzerbild von Telorion
Telorion Telorion ist offline
Vampirjaeger
 
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Kurzgeschichte: Der Attentäter

Hallo zusammen,

hier möchte ich euch nach und nach eine Kurzgeschichte zum Lesen präsentieren und würde mich sehr über konstruktive Kritik freuen!

Vielen Dank!

Der Attentäter

Senator Brachus saß in seinem bequemen Sessel im Kleinen Saal seiner Villa und wirkte unruhig. Der wohlbeleibte und in feine Tuchgewänder gehüllte Mann Mitte fünfzig hatte grau meliertes, lichtes Haar und war stets gründlich rasiert. Brachus hasste Bartstoppeln! An manchen Tagen rasierte er sich sogar zweimal, damit das kratzende Gefühl beim Streichen über die Wangen verschwand. Er war im Laufe seiner politischen Karriere einer der einflussreichsten Mitglieder im Senat von Roma, der Hauptstadt des Königreiches Latium, geworden. Er hatte es zu erklecklichem Wohlstand gebracht und hart dafür gearbeitet. Er hatte sich immer bemüht, Verbesserungen einzuführen und Missstände zu beseitigen, nicht jedoch ohne seinen eigenen, bescheidenen Vorteil aus den Augen zu verlieren. Allen konnte man es ohnehin nie recht machen! Dennoch war ihm das Wohlergehen aller Bürger Romas stets am Herzen gelegen und was war nun der Dank für seine jahrelangen Mühen? Jetzt musste er um sein Leben fürchten!

Brachus kämpfte sich aus dem gut gepolsterten Sessel auf die Beine und ging rast- und ruhelos auf und ab. Er hatte keine Muße zu lesen oder sich seinen Schreibarbeiten zu widmen, denn seine Gedanken schweiften immer wieder ab. Wie hatte es nur so weit kommen können, dass er, der bekannte und beliebte Senator Brachus, nun in Angst leben musste? Die Situation im Senat hatte sich in den vergangenen Tagen erheblich zugespitzt. Brachus’ Forderung nach einem neuen Steuersystem für die Stadt hatte eine kontroverse Diskussion ausgelöst, bei der viele der reichen, alteingesessenen Ratsmitglieder um ihr Vermögen bangten. Brachus hatte großen Einfluss im Senat und Dank seiner Popularität auch in der Stadt. Es war allgemein bekannt, dass er Beschlüsse auch gegen Widerstand durchsetzen konnte. Leider war die logische Konsequenz, dass er nun sehr ernst zu nehmende Morddrohungen erhalten hatte. Wenn dem störrischen, mächtigen Senator offiziell nicht beizukommen war, dann eben auf hinterhältige Art und Weise. Brachus hatte so etwas schon lange befürchtet, aber immer wieder verdrängt. Er war sich seiner Macht durchaus bewusst, wollte aber die Kehrseite der Medaille bislang nie wahrhaben, die wie eine große Zielscheibe auf seinem Rücken prangte. Doch nun hatte ihn die Wirklichkeit gnadenlos eingeholt. Der Senator blieb vor seinem Schreibtisch aus edlem Dunkelholz der Südstaaten stehen, auf dem neben unzähligen anderen Schriftrollen auch der letzte Drohbrief lag. Mit einer fahrigen Bewegung griff Brachus danach und überflog die hingekritzelten Zeilen erneut. Es ging klar daraus hervor, dass er seine törichte Idee mit dem neuen Steuersystem sofort fallen lassen solle, andernfalls würde man ihn grausam ins Jenseits befördern.

Erbost schnaubte der wohlgenährte Politiker beim Lesen und warf den Brief verächtlich auf seinen Arbeitstisch zurück. Neben Furcht empfand Brachus auch ungeheuere Wut, ihn auf diese Weise beeinflussen zu wollen. Brachus wäre heute nicht derselbe, wenn er sich in der Vergangenheit so leicht hätte einschüchtern lassen! Die Zimmertüre öffnete sich vorsichtig und ein Wachmann trat herein. Die prekäre Lage hatte den einflussreichen Senator dazu veranlasst, eine zehnköpfige Söldnertruppe zu seinem persönlichen Schutz anzuheuern. Selbstverständlich hatte sich Brachus nicht lumpen lassen und gutes Geld in seine Sicherheit investiert: Die erfahrene und gut ausgebildete Gruppe von sechs Männern und vier Frauen hatte schon in mehreren Kriegen gedient, zuletzt im besonders harten Tirukto-Feldzug von Kasabari. Vor Brachus stand Quin, der kräftig gebaute junge Mann von gerade einmal sechsundzwanzig Jahren war der Anführer der Söldner. Eine rotleuchtende, hässliche Narbe zerteilte sein Gesicht und wie durch ein Wunder war keines seiner Augen in Mitleidenschaft gezogen worden. Wie alle Leibwachen war Quin mit einem langärmeligen Kettenhemd sowie zusätzlichen metallenen Rüstungsteilen gut gepanzert, aber gleichzeitig nur wenig in seiner Beweglichkeit eingeschränkt. An der linken Seite hing ein sichtlich gebrauchtes, schmuckloses Schwert in einer dafür vorgesehenen Halterung aus Lederriemen. Doch nicht das martialische Aussehen des Kämpfers verunsicherte Brachus, sondern der schwarze Dreitagebart. Wie konnte ein Mann nur unrasiert sein?
„Alles ruhig, Herr Senator“ Der dunkle Bass des Kämpfers klang ruhig und entspannt. Für Quin war das Ganze nur eine weitere, gut entlohnte Anstellung im harten Geschäft des Waffenvolkes.
„Danke, Quin“, erwiderte Brachus knapp und konnte dem Mann nicht ins Gesicht blicken. Er hatte das Gefühl, die kurzen Barthaare im Gesicht des Mannes wären kleine, sich windende Würmer und würden ihn, Brachus, jeden Augenblick anspringen.

Der Söldner verließ den Raum mit klirrenden Geräuschen seiner Metallkleider. Brachus hatte alle halbe Stunde eine Lagemeldung an ihn angeordnet. Diese strenge Vorschrift galt heute aus gutem Grund, denn als einflussreicher Politiker hatte er sein weitverzweigtes Informantennetzwerk in der Stadt aktiviert und niederschmetternde Informationen erhalten: In zwielichtigen Kreisen munkelte man, dass heute Nacht im Hause Brachus ein Mord geschehen soll! Ausgerechnet für den heutigen Abend hatte Brachus ein Treffen mit Tarim Halgoran vereinbart, Eigentümer des größten Handelshauses der Stadt Roma. Brachus hoffte auf Halgorans Unterstützung bei der möglichen Einführung eines neuen Steuersystems, daher wollte er sich Halgorans Hilfe zunächst einmal privat in einem vertraulichen Gespräch absichern. Es schien kein Zufall, dass genau heute Abend jemand ermordet werden sollte. Vielleicht wollte man sie beide umbringen?

Brachus wanderte weiter ruhelos durch den Raum und sah zum hundertsten Mal zu seiner teuren Sanduhr, deren heller, feinkörniger Sand gerade die Marke der neunten Abendstunde passiert hatte. Halgoran hatte sich für die zehnte Abendstunde angekündigt, denn das Treffen war inoffizieller Art und sollte nicht unbedingt von jedermann bemerkt werden. Der Senator ging zum Fenster und spähte nervös hinaus. Sein gut gepflegter, weitläufiger Garten lag zu dieser Tageszeit im Dunkeln, nur die Laternen seiner Leibwachen schienen auf ihren Patrouillengängen als helle Punkte in der Düsternis des wolkenverhangenen Nachthimmels. Die Anwesenheit der Wachleute auf seinem Grundstück sollte ihn eigentlich beruhigen, jedoch war Brachus trotzdem von einer unterschwelligen Furcht erfüllt, die sich einfach nicht abschütteln ließ. Und das zu Recht.
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  #2  
Alt 24.05.2010, 17:50
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Vampirjaeger
 
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Mir gefällt der erste Teil sehr. Vor allem die schönen Umschreibungen hauchen der Geschichte Leben ein, ich kann mir vieles sehr gut vorstellen.^^
Außerdem hast du an einer Spannenden Stelle aufgehört. Ich hoffe doch du lässt uns nicht so lange mit dem zweiten Teil warten.
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  #3  
Alt 24.05.2010, 19:46
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Ich finde es auch gut geschrieben. Würde gerne mehr lesen!
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Die meisten Götter würfeln, aber das Schicksal spielt Schach und zwar mit zwei Damen. - Pratchett

Wer nicht mehr liebt und nicht mehr irrt, der lasse sich begraben. - Goethe


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  #4  
Alt 24.05.2010, 21:07
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Vielen Dank für euer Interesse! Hier gehts weiter:



In dem Stadtteil Trastevere, einem lebhaften Viertel in der Nähe des Flusses Tevere, war in den Gassen und auf den Basaren stets Hochbetrieb. Unzählige Menschen drängten sich auch am Abend durch die beliebte Wohngegend. In einem zweistöckigen, renovierungsbedürftigen Mietshauses hatte Ilran seine bescheidene Behausung. Mit schnellen, behänden Handgriffen öffnete er eine kleine eisenbeschlagene Truhe aus hellem Rahitholz. Der Inhalt mochte so gar nicht zu der einfachen, gutbürgerliche Möblierung passen, die auf einen normalen Stadtbewohner des Mittelstandes schließen ließ. Diese Rolle zu spielen war Ilran nicht weiter schwergefallen. Er war Anfang vierzig und handwerklich sehr geschickt. Seit der Haaransatz mit jedem Jahr mehr von der Stirn in Richtung Hinterkopf floh, trug er sein nussbraunes Haupthaar kurz geschoren. Ein sorgfältig gestutzter Kinnbart nach Art der im Süden lebenden Malaren zierte seine harten Gesichtszüge. Ilrans schlanker, drahtiger Körper mit sehnigen, kräftigen Muskeln ließen ihn jünger wirken als er eigentlich war. Auch wenn er nie einen Handwerksberuf erlernt hatte, war er sehr geschickt und dank zahlreicher Tagelöhner-Tätigkeiten nicht gänzlich ohne Erfahrung. Schon bald nach seiner Ankunft in Roma vor einem halbem Jahr hatte er eine Anstellung als Hilfsarbeiter bei einer großen Schreinerei der wohlhabenden Modaldi-Familie gefunden, in der er gutes Gold verdient hatte. Ilran hatte Freundschaften geschlossen, kurzzeitige Liebschaften zu Frauen gepflegt, war zum Zechen in die schlichte, aber gemütliche Taverne „Zum vollen Krug“ gegangen und hatte abwechslungsreiche Geschichten aus seinem Leben als Wanderarbeiter zum Besten gegeben.

Doch er hatte sie alle getäuscht.

Der Inhalt der Truhe, die Ilran selbstverständlich stets sehr gut versteckt gehalten hatte, enthüllte seine wahre Natur, seine eigentliche Tätigkeit. Mit Respekt nahm er einen blank polierten, rasiermesserscharfen Dolch aus der Truhe. Die Waffe war einstmals vor vielen Jahren speziell für ihn gefertigt worden und daher perfekt auf Ilran abgestimmt. Mit genau der richtigen Länge für Ilrans Körpermaße und einer vollendeten Ausbalancierung konnte Ilran die Waffe mit Furcht einflößender Präzision führen. Sie war für ihn wie die Verlängerung seines Waffenarmes. Er legte den meisterlich gefertigten Dolch beiseite und holte Kleidungsstücke in dunklen Farben hervor. Ja, Ilran war ein Auftragsmörder, aber nicht irgendein einfältiger Messerstecher, sondern er konnte stolz von sich behaupten, zu den derzeit besten Attentätern im ganzen Königreich zu zählen. Seine ersten Taten als verdingter Mörder waren, wenn er heute zurückblickte, mit lediglich ein paar Silberlingen nicht nur schlecht entlohnt, sondern auch primitiv und plump ausgeführt. Ilran war ein Perfektionist und hatte sich im Laufe der Jahre zu einem wahren Meister seines Fachs entwickelt. Er konnte es sich mittlerweile aussuchen, welche Anfragen er annahm, und welche er ablehnte.

Er hatte in den letzten fünf Jahren etliche hochbrisante Aufträge erfüllt und auf diese Weise schon viel Gold verdient. Ob sein Opfer dabei zu Recht starb oder eigentlich unschuldig war, wusste Ilran meistens nicht und es war ihm auch egal. Es musste ihm egal sein. Das war eine der wichtigsten Regeln in seinem Metier, auch wenn er die Sache mittlerweile nicht mehr ganz so gleichgültig und unbekümmert angehen konnte, wie noch in jungen Jahren. Wenn Ilran aktiv wurde, handelte es sich stets um einen äußerst schwierigen Auftrag, für den der Auftraggeber meist schon lange vergeblich nach einem passenden Ausführer gesucht hatte. Aufträge von solchem Kaliber mussten von langer Hand geplant werden und oft vergingen Monate, bis die Mission abgeschlossen werden konnte. Normalerweise ließ sich Ilran nicht hetzen, doch diesmal drängte die Zeit. Heute Abend musste es geschehen!

Er bekleidete sich mit dem blauschwarz gefärbten, eng anliegenden Leinenhemd, schlüpfte in die nachtschwarze Hose, die sich eng um seine schlanken, muskulösen Beine schmiegte und vermummte abschließend sein Gesicht, sodass nur noch seine dunkelbraunen Augen mit einer Vielzahl kleiner Fältchen zu sehen war. Jetzt war er nicht mehr Ilran der Bürger, sondern Ilran der Attentäter. Missmutig strich er über den Hosenstoff. Über den einstmals tiefschwarzen Farbton hatte sich im Laufe der Zeit ein fahler Grauschleier gelegt. Nicht nur er, sondern auch seine Ausrüstung war mittlerweile in die Jahre gekommen. Während er sich mit routinierten Handgriffen seinen Dolch umgürtete, warf er einen Blick auf den Nachthimmel.

Es ist Zeit.


Gewohnter Nervenkitzel und eine gewisse Anspannung machten sich bei Ilran breit. Er liebte dieses diffuse Gefühl vor einer Tat. Und diesmal war es sogar für eine gute Sache, soviel hatte er von seinem Auftraggeber erfahren. Das machte die Tat leichter. Sein Blick glitt ein letztes Mal durch das Zimmer, welches ihn für viele Wochen beherbergt hatte. Er wusste, dass er es nie wieder sehen würde. Nach einem Mord kehrte Ilran nie zu seiner Behausung zurück. Nie mehr, nicht ein einziges Mal. Er bereitete seine Flucht immer ausführlich im Vorfeld vor. Schade eigentlich dachte Ilran. Er hatte sich in Roma wohlgefühlt und die schmalen Seitengassen mit den überkragenden Häusern, die breiten belebten Hauptstraßen sowie die zahlreichen Plätze mit ihren Marktständen und Bühnen für das fahrende Volk lieb gewonnen. Auch die reichen Bezirke um die Piazza Navona mit dem beeindruckenden Neptunbrunnen oder die Piazza del Popolo mit den Zwillingskirchen hatte er gerne durchstreift und die Kulisse auf sich wirken lassen. Der Attentäter musste schmunzeln und schüttelte den Kopf über sich selbst. Was waren das für Gedanken! Als ehrgeiziger, junger Mann hatte es ihm nie etwas ausgemacht, nach einem Mord eine völlig neue Heimat zu suchen. Er war stets voll Euphorie, Zuversicht und Neugier auf das Unbekannte gewesen. Doch nun? Ilran war des Reisens müde geworden. Schon seit längerer Zeit sehnte er sich nach einer festen Bleibe und ihm war klar, dass der Preis dafür die Aufgabe seines Attentäter-Daseins war.
Er gab sich innerlich einen Ruck und verabschiedete sich stumm von seinem Heim. Schnell und lautlos eilte er in die Nacht hinaus. Wie ein Schatten huschte er durch enge Seitengassen und abgelegene Hinterhöfe. Sein Ziel war die Villa von Senator Brachus.
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  #5  
Alt 01.06.2010, 15:22
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Snowsong Snowsong ist offline
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Auch diesen Teil finde ich sehr gelungen. Besonders die Sicht des Attentäters fasziniert mich. Bis jetzt habe ich nur von Assassinen gelesen, die ihr Handwerk mit Freude oder ohne Gefühle ausführten, ohne darüber nachzudenken aufzuhören. Egal, welches Alter sie hatten.
Ich freue mich schon auf den nächsten Teil.^^
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  #6  
Alt 01.06.2010, 18:57
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Telorion Telorion ist offline
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Danke, Snowsong :) Hier gehts weiter:

***

Die Stunden schritten in Brachus‘ Augen quälend langsam voran. Er war immer noch innerlich aufgewühlt und konnte sich auf nichts zur Ablenkung konzentrieren. Immer wieder sah er verstohlen aus dem Fenster, doch alles was er auf seinem weitläufigen, reichlich bepflanzten Anwesen erkennen konnte, waren seine patrouillierenden Wachleute. Brachus öffnete einen Fensterflügel, um frische Luft hinein zu lassen. Hier oben auf dem Aventinhügel merkte man nichts von dem unangenehmen Dampf, der sich über unteren Viertel der Stadt wie eine Dunstglocke legte. Schon seit vielen Jahren konnte sich Brachus diese privilegierte Gegend mit der guten Luft und dem fantastischen Ausblick leisten.

„Senator?“, erklang plötzlich die Stimme von Marik, dem persönlichen Diener von Brachus.
Der Angesprochene fuhr mit einem kurzen Schrei erschrocken herum und schnappte nach Luft.
„Bei den Göttern, erschreck mich nicht so! Was gibt es denn!?“
„Herr Halgoran ist soeben eingetroffen. Soll ich ihn hereinführen?“ Marik war die Situation sichtlich peinlich.
Der sechzehnjährige Bedienstete wirkte heute sehr nervös. Wahrscheinlich machte ihm die Anspannung ebenso zu schaffen wie dem Senator.
Brachus brachte nur ein zustimmendes Wedeln mit der Hand zustande, während er sich wieder beruhigte und dicke Schweißperlen von seiner Stirn tupfte. Er war froh, endlich seinen erwarteten Gast begrüßen zu können, um die brisante Angelegenheit zu besprechen. Wieder öffnete sich die Tür und der Diener wies einen Herrn im fortgeschritteneren Alter herein. Der Mann war zwar etwas älter als Brachus, wirkte aber dank seines deutlich geringeren Bauchumfangs und den breiten Schultern wesentlich agiler als der Senator. Tarim Haldorans Kleidung war weniger prunkvoll, sondern eher zweckmäßig und für lange Fernreisen geeignet. Dennoch konnte es sich der erfolgreiche Händler nicht verkneifen, mit dem ein oder anderen wertvollen Schmuckstück wie beispielsweise breiten, ziselierten Goldringen an den Fingern oder einer Silberkette um den Hals seinen Wohlstand zu demonstrieren. An seiner ganzen Art merkte man sofort, dass er Zeit seines Lebens Geschäftsmann war.

„Tarim, wie schön Euch zu sehen!“, begrüßte Brachus seinen Gast fast überschwänglich und war froh, endlich eine Ablenkung von seiner Nervosität zu haben. Tarim lächelte freundlich und nahm auf dem von Brachus hingewiesenen Stuhl Platz.
„Die Freude ist ganz auf meiner Seite, auch wenn ich heimliche Besprechungen normalerweise meide.“
Brachus zeigte sich belustigt. „Aber Herr Halgoran, wer redet denn von einer heimlichen Besprechung?“, widersprach er mit verschmitztem Lächeln. „Wir genehmigen uns lediglich einen abendlichen Trunk und … unterhalten uns ein wenig nach einem anstrengenden Tag“ Nun musste auch der Kaufmann schmunzeln. Beiden war klar, worum es eigentlich ging.
„Marik? Serviere uns doch etwas zu trinken!“, rief Brachus laut und wandte sich dann gleich wieder seinem Gesprächspartner zu. Zur großen Erbauung war Tarim säuberlich rasiert, was sofort ein großer Sympathie-Pluspunkt bei Brachus war. Vielleicht wusste der ausgebuffte Händler von Brachus‘ sonderbarer Eigenart?
„Nun, werter Tarim, ich schätze, Ihr wisst, weshalb ich eine Unterredung mit Euch ersucht habe“, eröffnete Brachus kurzatmig die Unterhaltung.
„In der Tat. Lasst uns den Sachverhalt noch einmal in aller Ruhe erörtern, bevor ich mich auf irgendetwas festlege.“ Haldorans Stimme war kratzig und von Entschlossenheit erfüllt.
Brachus sammelte sich kurz, bevor er fortfuhr: „Nun, das Problem ist, dass mein neues Steuersystem auf den ersten Blick für wohlhabende Bürger unattraktiv aussieht. Ohne Zweifel sind zunächst höhere Abgaben zu bezahlen, gleichzeitig aber werden die einfachen Bürger entlastet.“

Haldoran hörte aufmerksam zu. „Genau das ist es, was mir missfällt“, gestand er. „Der einfache Bürger genießt den Schutz und die Annehmlichkeiten der Stadt. Dafür muss er bezahlen.“
Brachus war in seinem Element. Er liebte anspruchsvolle Diskussionen auf hohem Niveau. „Richtig, aber die Macht des Volkes ist nicht zu unterschätzen! Muss der einfache Mann weniger zahlen, wird die Zufriedenheit über den Stadtrat wachsen und die Räte bleiben länger im Amt – mit einem dauerhaft hohen Einkommen aus der Stadtkasse!“
Haldoran schüttelte den Kopf. „Es wird Jahre dauern, bis der entgangene Gewinn sich mit der Vergütung als Ratsmitglied aufwiegt. Und viele haben auch noch andere ergiebige Einnahmequellen, wie Ihr wisst.“
Siegessicher lehnte sich Brachus zurück und breitete die Arme aus. „Aber was wird es nützen, wenn die Bürger unzufrieden sind? Sie kaufen weniger Waren, sie ziehen vielleicht sogar fort. Was dann?“
Der Händler sann über die Worte nach und konnte momentan nichts erwidern. Brachus witterte seine Chance. „Wenn bekannt wird, dass Roma nur geringe Steuern erhebt, bleiben wir nicht nur länger im Amt, sondern locken auch noch neue Bürger an, die in unserer Stadt leben wollen! Und damit gäbe es neben mehr Steuereinnahmen – weniger pro Kopf, aber dafür mehr Köpfe – auch noch neue Kunden, die Eure Waren gerne kaufen. Leisten können sie sich es dann ja!“
Haldoran verbarg ein Schmunzeln hinter seiner rechten Hand, während er sich nachdenklich über die Lippen strich. Allmählich ahnte er, welch Genialität hinter Brachus‘ angestrebten Steuerbeschlüssen steckte. Der Senator nickte bedächtig mit einem zufriedenen Lächeln, als er sah, dass er Haldoran auf seiner Seite hatte.
„Leider begreifen das die wenigsten! Sie denken alle nur kurzfristig und wollen das schnelle Gold in ihrem Säckel! Doch wie man sieht, wird schon in wenigen Jahren …“

Die beiden Herren im Salon vertieften sich schnell in ihr angenehmes Gespräch. Währenddessen hantierte der Diener Marik nervös in der Küche, um den hohen Herrschaften die gewünschten Getränke servieren zu können. Auch er hatte von den Morddrohungen gegen Brachus erfahren. Auch er bangte um sein Leben.

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  #7  
Alt 13.06.2010, 17:48
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Snowsong Snowsong ist offline
Tochter des Nordwindes
Vampirjaeger
 
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Wieder ein gelungener Teil und wieder an einer spannenden Stelle aufgehört.^^
In diesem teil hat mir besonders gefallen, wie du die Nervosität des Senators beschrieben hast. Freu mich schon auf den nächsten Teil. :)
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  #8  
Alt 16.06.2010, 17:25
Lúthien Yávëtil Lúthien Yávëtil ist offline
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Da kann ich Snowsong nur zustimmen ^^
Deine Beschreibungen sind wirklich gut, aber am besten gefallen mir die Charaktere. Sie sind richtig ausgereift, zum Beispiel die "Bart-Phobie" des Senators.
An dieser Stelle hättest du aber noch ein bisschen mehr ins Detail gehen können:
Zitat:
Der Senator blieb vor seinem Schreibtisch aus edlem Dunkelholz der Südstaaten stehen, auf dem neben unzähligen anderen Schriftrollen auch der letzte Drohbrief lag. Mit einer fahrigen Bewegung griff Brachus danach und überflog die hingekritzelten Zeilen erneut. Es ging klar daraus hervor, dass er seine törichte Idee mit dem neuen Steuersystem sofort fallen lassen solle, andernfalls würde man ihn grausam ins Jenseits befördern
Wie wäre es zum Beispiel wenn du kurz aus dem Schreiben zitierst?
Den mal ein bisschen anderen Schauplatz im alten Rom statt des ewigen dunklen Mittelalters fand ich gut gewählt.
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  #9  
Alt 17.06.2010, 20:44
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Telorion Telorion ist offline
Vampirjaeger
 
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Besten Dank für die Rückmeldung! Hier gehts weiter:


Die Via Labicana schlängelte sich den "Hügel der Bonzen" hinauf und war zu dieser Zeit wie ausgestorben. Sie passierte zuvor den Circus Maximus, auf dem an besonderen Tagen Darbietungen für tausende von Zuschauern stattfanden. Die einfachen Bürger Romas beendeten den anstrengenden Arbeitstag entweder in einer der zahlreichen Tavernen oder waren daheim. Ilran rechnete nicht mit anderen Fußgängern und gelangte schnell an sein Ziel. Gut verborgen in der Dunkelheit musterte er das großflächige Anwesen des Senator Brachus. Eine weiß gekalkte, drei Schritt hohe Mauer umgab den großen Garten, der die luxuriöse Villa verbarg. Ilran stand unter Zeitdruck und einmal mehr merkte er, wie sehr er dies hasste. Es war nun schon eine ganze Weile her, dass der Nachtwächter mit lautem Ruf die neunte Abendstunde angekündigt hatte. Ich muss mich beeilen!
Nicht ganz so flink wie in jungen Jahren kletterte er die Umfriedung empor und blieb kurz auf der Mauer hocken, um seinen Blick schweifen zu lassen. Etliche Wachleute gingen das Anwesen auf und ab, im Erdgeschoss brannte noch Licht, während der Rest des großen, einstöckigen Hauses im Dunkeln lag.

Vorsichtig sprang Ilran von der Mauer und verbarg sich hinter einem ausladenden Strauch. Trotz Zeitdruck im Nacken ermahnte sich der routinierte Attentäter zur Ruhe. Nur nichts überstürzen. Mehrere Minuten verharrte er regungslos, nur seine wachsamen, hin und her huschenden Augen registrierten alles, was sich auf dem Gelände und um das Haus abspielte. Ilran zählte acht Wachen, zwei davon umkreisten beständig das Gebäude selbst, während die verbleibenden über das gesamte Grundstück marschierten. Alle waren selbstredend bewaffnet und mit Laternen professioneller Wachsoldaten ausgerüstet. Die Gehäuse dieser speziellen Laternen ließen sich mit Klappen abdecken, sodass der Träger nicht vom eigenen Licht geblendet wurde. Jeder war darauf bedacht, keine festen Wege zu gehen, sondern unwillkürlich abzubiegen oder die Richtung zu ändern. Ilran war beeindruckt. Der Senator hatte keine billige Wachmannschaft angeheuert, sondern tatsächlich Profis.

Das war selbst für einen altgedienten Attentäter wie Ilran eine wahre Herausforderung, was sich mit angenehmem Kribbeln in den Magengegend bemerkbar machte. So mancher Neuling im zwielichtigen Gewerbe hätte sich an dieser schwierigen Situation mit Sicherheit die Zähne ausgebissen, denn wo keine festen Wege oder Patrouillenzeiten der Wachleute zu erkennen waren, konnte man sich nur auf eines verlassen: Instinkt. Nun wurde Ilran auch klar, weshalb genau er dafür angeheuert worden war und eben keiner der unzähligen Möchte-gern-Meuchler.

Ilran spannte seine Muskeln und machte sich bereit. Sein Herzschlag pochte laut in seinen Ohren, während er mit aufmerksamem Blick die Wachen auf ihren Wegen verfolgte. Einem plötzlichen Impuls folgend rannte er geduckt und so schnell wie möglich los. Zögern war in solchen Momenten fatal. Er schlug Haken, nutzte Bäume als Deckung und war flink wie ein Wiesel. Plötzlich flammte hinter ihm ein breiter Lichtkegel auf. Eine Patrouille hatte spontan die Richtung geändert. Eine Sekunde früher und Ilran wäre entdeckt worden! An einem ausladenden, zu einer Kugel geschnittenen Zierbusch suchte er Deckung. Erst jetzt merkte er, dass er den Atem angehalten hatte. Mit einem bedrückenden Gefühl wurde sich der Attentäter bewusst, dass er gerade einfach nur Glück gehabt hatte. Mit Können hatte das nicht viel zu tun … Egal, weiter!
Gerade wollte Ilran vorsichtig das Haus umrunden, als eine laute Frauenstimme ihn erstarren ließ.
„Ist da was in diesem Busch?“
Ilrans Kopf ruckte herum. Auf der großflächigen Terrasse standen zwei Wachsoldaten. Während der Mann gerade mit der Laterne gründlich das Gebüsch zu seinen Füßen am Rande der gepflasterten Freifläche ableuchtete, deutete die Frau auf den Strauch, in dem sich Ilran versteckt hielt.
„Sehen wir uns das an.“ Der Mann hielt die Laterne nach vorn und beide näherten sich mit gebotener Vorsicht. Die Hand der Wachsoldatin ruhte bereits auf ihrem Schwertgriff.
Verdammt! Die sind wirklich gut!
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Geändert von Telorion (11.07.2010 um 14:51 Uhr) Grund: Kursivmarkierungen nachgeholt
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  #10  
Alt 02.07.2010, 20:52
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Snowsong Snowsong ist offline
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Sehr schön. Es macht immer Spaß, etwas von dir zu lesen.^^
Kann es sein, dass du in diesem Teil das Kursiv vergessen hast? Aber egal, dass kann ja mal passieren, oder?

In diesem Abschnitt fand ich es besonders toll, das du auch erwähnst, dass Ilran mit seinem alter etwas... mmmm... Probleme kann man ja nicht sagen. Sagen wir, das ihm die Arbeit nicht mehr so leicht von der Hand geht?
Auch das er die Wachen nicht einfach umgeht, sondern auf Probleme stoß, finde ich toll. Das macht deine Geschichte nicht nur spannend, sondern haucht den Figuren auch Leben ein. Gerade weil nicht alles glatt läuft und es realistisch kling, fesselt mich dein Text so.

Ich freue mich schon auf den nächsten Teil.
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  #11  
Alt 11.07.2010, 14:49
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Telorion Telorion ist offline
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Hi Snowsong,

freut mich, dass es dir gefällt! Ja, ich habe die Kursivmarkierungen vergessen ... , werde ich gleich noch nachholen.
Zur Zeit bin ich generell in Foren nicht so aktiv, daher die etwas großen Abstände. Aber jetzt gehts weiter:


Kaum hatten die beiden die doppelflügelige Verandatür passiert, wurde diese ruckartig geöffnet. Eine weitere Wache trat heraus.
„Alle halbe Stunde bei dem Fettwanst antanzen nervt!“, zischte der Wachsoldat ungehalten.
„Aber die Bezahlung stimmt, Quin! Wir können das Gold gut gebrauchen!“
Die beiden Wachsoldaten waren nur einen Augenblick abgelenkt – Ilrans einzige Chance, die Situation zu retten.
Mit fließenden, geschmeidigen Bewegungen löste er sich von dem Busch, ohne dessen Zweige zu berühren. Mit schnellen Schritten war er hinter dem Haus verschwunden. Der hintere Teil des Anwesens war kleiner, doch auch hier wurde patrouilliert. Ein Wachmann ging gerade nahe der Mauer entlang und leuchtete den Boden ab. Sie suchen auch nach Fußspuren! Wo bin ich da nur reingeraten!

Ilran rief sich zur Ordnung. Er hatte einen Mord zu begehen und er wäre heute nicht derselbe, wenn er bei schwierigen Herausforderungen verzagt hätte. Mit flinken Bewegungen erklomm er an der Hauswand ein Holzgerüst, an dem sich Kletterranken emporwanden. Mit einem kleinen Sprung stieß der Attentäter sich ab und erreichte so den Balkon im ersten Stock. Die Balkontür war zu Ilrans Erstaunen unverschlossen und löste ein hämisches Lächeln hinter seiner Gesichtsvermummung aus. Jeder macht Fehler, man muss sie nur finden.

Ilran drang lautlos in das Gebäude ein. Muffige, abgestandene Luft empfing ihn. Es dauerte einige Augenblicke, bis sich seine Augen an das Halbdunkel gewöhnt hatten. Vorher bewegte er sich keinen Schritt. Zu groß war die Gefahr, an ein Hindernis zu stoßen und Lärm zu verursachen. Als sich die vagen, schwarzen Schemen in der Dunkelheit in Doppelbett, Kleiderschrank und kleiner Tisch mit Stuhl verwandelten, konnte Ilran los. Er befand sich im Schlafgemach des Senators. Der Boden war mit einem gut gepflegten, weichen Teppich ausgelegt. Lautlos huschte Ilran zur Tür und spähte durch das Schlüsselloch. Die Tür führte offenbar auf eine Galerie. Mit einem schnellen Ruck öffnete er die Tür des Schlafgemachs. Scharniere quietschten für gewöhnlich nur, wenn man sie langsam öffnete. Ein weit verbreiteter Anfängerfehler, denn viele Persönlichkeiten hatten absichtlich rostige Türaufhängungen in ihren Häusern.

Ilran trat auf die Galerie und schloss die Tür ebenso ruckartig, wie er sie geöffnet hatte. Linkerhand führte eine Treppe hinab, die in eine großzügige Empfangshalle mündete. Sie war von drei Kerzenhaltern mit unstet flackerndem Licht erhellt. Gleich am Ende der Treppe befand sich eine Tür, hinter der gedämpfte Stimmen zu hören waren. Das gesamte obere Stockwerk lag nicht nur im Dunkeln, sondern war auch unbewacht. Ilran hockte sich ab, schloss die Augen, um sich auf sein Gehör zu konzentrieren.
Stimmen. Zwei Männer. Emotional ruhige, aber dennoch lebhafte Debatte mit vielen Wortwechseln. Knarzen. Wahrscheinlich saßen sie an einem Tisch. Knirschende Geräusche. Nein, das war das Geräusch von Ledersesseln, wie sie in der örtlichen Schreinerei hergestellt werden! Ilran schmunzelte. Modaldi-Stühle. Sehr begehrt bei den Schönen und Reichen. Die beiden Herren saßen also. Schritte und Geschirrklappern aus der Ferne! Es kam aus dem rechten Teil des Erdgeschosses. Das klirrende Geräusch irdener Becher. Jemand trug ein Tablett mit Getränken. Derjenige hatte keine ruhige Hand. Ilran wusste warum. Das klappernde Geräusch kam näher. Der Attentäter öffnete die Augen. Unten erschien aus einem Türrahmen ein Jüngling in der schlichten Kleidung eines Dieners. Mit jeder Pore seines Körpers schien der Knabe Angst zu verströmen. Plötzlich tauchte die Silhouette eines Wachsoldaten an einem der großen Fenster auf.

Der Diener zuckte erschrocken zusammen, während der Mann einen prüfenden Blick ins Innere warf und den Jungen mit unwirschem Kopfnicken weiterschickte. Schneller als zuvor und mit noch mehr Klirren und Klappern eilte der junge Diener zur Tür an der Treppe und öffnete sie ungeschickt mit dem rechten Ellbogen, da er keine Hand frei hatte.
„Ah, endlich!“, erklang es von drinnen. „Meine Kehle ist schon ganz ausgedörrt! Wieso hat das so lange gedauert!“ Senator Brachus war über seinen Diener nicht sehr erbaut.
Muss er auch nicht.
Ilrans Hand wanderte zum Dolch. Endlich verschwand der Wachsoldat vor dem Fenster. Zeitgleich schnellte Ilran in die Höhe und hastete immer zwei Stufen auf einmal nehmend die Treppe hinab. Mit Sicherheit war er zu hören aber nun war es egal. Er musste jetzt schnell sein!

Ilran fegte um die Ecke und in Sekundenschnelle erfasste er den Raum. Mittlere Größe, rechts am Fenster ein Schreibtisch, links an der Wand zwei Ledersessel. Darin zwei ältere Herren, jeder einen Becher in der Hand, die ihnen wohl gerade von dem Diener auf dem Silbertablett gereicht worden waren. Drei entsetzte, erschrockene Gesichter. Nur in einem Blick las Ilran zusätzlich noch Schuld und Schande.
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  #12  
Alt 11.07.2010, 20:32
Lúthien Yávëtil Lúthien Yávëtil ist offline
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Du hast eine Neigung zu Cliffhangern, oder? ^^
Die Fortsetzung gefällt mir, wirkt irgendwie neu und nicht "abgedroschen". Das mit den quietschenden Türen zum Beispiel ist mir zwar schon mal aufgefallen, ich habs aber noch nie irgendwo so gelesen.
Eine kleine Sache:
Zitat:
Als sich die vagen, schwarzen Schemen in der Dunkelheit in Doppelbett, Kleiderschrank und kleiner Tisch mit Stuhl verwandelten, konnte Ilran los
Das Markierte klingt hier irgendwie umgangssprachlich, vllt könntest du es durch "machte er sich auf den Weg" ersetzen oder so.
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  #13  
Alt 24.07.2010, 17:41
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Snowsong Snowsong ist offline
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Kein Problem, wen du derzeitig nicht so aktiv bist. Ich hab auch gerade viel um die Ohren, Arbeit eben.^^

Zu deiner Geschichte: Du hörst sehr gerne an spannenden Stellen auf.
Ilran hat ja noch mal richtig Glück gehabt. Ich war sehr neugierig, wie du ihn aus dieser Situation wieder raus holen würdest, und ich finde, du hast ihn wirklich geschickt zum Huas kommen lassen. Die kurze Erwähnung, dass die Wachen auch nach Fußspuren suchen, hat mir auch gefallen. Das klingt sehr realistisch und zeigt dem Leser erneut, das die Wachen eben doch nicht so leicht hinters Licht zu führen sind.
Der junge Diener tut mir schon irgendwie Leid. Aber ich denke, Ilran wird ihn auch töten um keine Zeugen zu hinterlassen oder?
Auf jedenfall ist dir der Abschnitt wieder richtig gut gelungen.
Jetzt aber ist Ilran in einer weniger guten Situation oder? Ich meine, wen man ihn hört, kann man doch Alarm schlagen. Selbst wen er es Schaft den Mord zu begehen, hat er auf mich nicht den Eindruck gemacht, das er bereit ist, bei einem Auftrag sein Leben zu lassen.
Bin mal echt gespannt, was als nächstes passiert.

Lúthien Yávëtil muss ich allerdings recht geben. Das konnte los, klingt etwas seltsam.^^
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Die Tinte macht uns wohl gelehrt,
ärger wo sie nicht hingehört.
Geschriebenes Wort ist Perlen gleich,
ein Tintenklecks ein böser Streich.
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  #14  
Alt 25.07.2010, 09:08
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Danke, Snowsong:) Hier ist der Schluss:

Mit einem kurzen, lauten Entsetzensschrei glitt Senator Brachus der Becher aus der Hand, als er den vermummten Mann in dunkler Kleidung und mit blitzender Dolchklinge vor sich sah. Tarim Halgoran, der gestandene und erfolgreiche Geschäftsmann, saß mit aufgerissenen Augen handlungsunfähig wie zur Statue erstarrt in seinem Sessel. Auf dem Grundstück drangen aus der Ferne die aufgeregten Rufe der Wachen, während sie zum Haus rannten. Sie würden niemals rechtzeitig da sein.

Der Attentäter schnellte vor, verdrehte in der Vorwärtsbewegung mit der freien linken Hand ohne Mühen den Kopf seines Opfers nach hinten und stach dreimal zu. Herz, Lunge, Leber! Jeder einzelne von diesen Treffern war im Grunde genommen schon tödlich. Blut quoll aus den Verletzungen hervor. Der Attentäter wirbelte zu den verbleibenden zwei Personen herum. Ilran stieg über den toten Diener Marik hinweg und trat mit raschen Schritten hinter den fassungslosen und bleichen Senator. Harte Stiefelschritte hallten auf den Steinplatten der Terrasse. Mit der linken packte Ilran von hinten das Kinn von Brachus, die rechte Hand mit dem blutüberströmten Dolch legte er locker auf die Brust des Senators. Halgoran beobachtete die gesamte Szenerie ohne eine Bewegung mit schreckensgeweiteten Augen.
„Nun, Senator, Ihr fragt Euch sicherlich, was hier gerade passiert ist“, zischte Ilran dem völlig verdatterten und vor Angst zitternden Brachus ins Ohr. Krachend wurde die Terrassentür aufgerissen.
„Der Gifttrunk hätte euch beide töten sollen! Bedankt Euch bei Halgoran, dass er mich angeheuert hat, Euren Mörder rechtzeitig auszuschalten!“ Polternde Schritte der Wachen erfüllten die Eingangshalle. Ilran vernahm das typisch schleifende Geräusch, als Schwertklingen aus ihren Scheiden gerissen wurden. Mit einem ironischen Lächeln ergänzte er: „Dass jedoch Euer feiner Diener Marik der gedungene Mörder war, wusste auch er nicht.“

Abrupt ließ Ilran von Bachus ab und rannte los. Im Türrahmen erschien ein Wachsoldat mit blank gezogener Klinge.
„Attentäter!“, schrie er überflüssigerweise und schlug sofort nach dem Eindringling. Mit einem pfeifenden Geräusch zischte das Schwert über Ilran hinweg, als dieser sich äußerst knapp und ohne anzuhalten darunter hinweg duckte. Mit einem gewagten Hechtsprung setzte der Attentäter über den mit allerlei Schreibutensilien und Papieren beladenen Schreibtisch hinweg und durchschlug krachend und splitternd das Fenster. Gekonnt rollte sich Ilran ab, musste aber ob des harten Aufpralls schmerzerfüllt aufstöhnen. Im Schutz der Dunkelheit floh er von dem Grundstück. Er war sich sicher, dass Brachus und Halgoran nun einiges zu besprechen hatten. Während Ilran völlig außer Puste endlich etwas langsamer werden konnte und sich von der Villa des Senators entfernte, rieb er sich seinen schmerzenden Rücken. Den Sprung aus dem Fenster spürte er ganz schön deutlich in den Knochen. Möglicherweise wurde er nun doch einfach zu alt für das alles. Das war jetzt aber wirklich der letzte Auftrag, den ich gemacht habe!

Einige Minuten vergingen, in denen Ilran im lockeren Dauerlauf durch die menschenleeren Straßen in Richtung Stadttor lief. Noch immer pumpte Adrenalin durch seine Adern. Ilran liebte das unvergleichliche Gefühl nach einem erfolgreich durchgeführten Auftrag.

Ach was soll’s, vielleicht mach ich noch einen!

E N D E
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  #15  
Alt 25.07.2010, 12:56
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Wirklich eine gute Geschichte mit einem überraschenden Ende!
Hat mir sehr gut gefallen
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Wer nicht mehr liebt und nicht mehr irrt, der lasse sich begraben. - Goethe


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  #16  
Alt 31.07.2010, 20:54
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Wirklich eine gute Geschichte mit einem überraschenden Ende!
Hat mir sehr gut gefallen
Freut mich, vielen Dank!
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  #17  
Alt 08.08.2010, 15:59
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Ich kann Elli nur zustimmen.
Toll, spannend und vor allem lebendig. Das sind immer die schönsten Geschichten.
Das Ende hat mich auch sehr überrascht. Nie hätte ich auch nur geahnt, das Ilran hier zu den „Guten“ gehört.^^

Vor allem der letzte Satz war super:


Ach was soll’s, vielleicht mach ich noch einen!


Seine Arbeit scheint ihm ja doch noch Spaß zu machen. Irgendwie

Mir hat die Geschichte auf jeden Fall sehr gefallen. Es war schön, Ilran bei seiner Arbeit zu begleiten. Ich hoffe du schreibst noch viele weiter Geschichten.
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  #18  
Alt 08.08.2010, 20:04
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Besten Dank! *verneig*
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