Einzelnen Beitrag anzeigen
  #7  
Alt 29.03.2015, 12:35
Benutzerbild von Susanne Gavenis
Susanne Gavenis Susanne Gavenis ist offline
Herausforderer der Weisen
 
Registriert seit: 04.2012
Beiträge: 133
Der wichtigste Aspekt einer Szene oder eines Kapitels ist für mich, dass sie die Entwicklung der Hauptfigur und der Handlung sinnvoll voranbringen. Wenn ich als Autor nicht weiß, wo ich mit meiner Geschichte hin möchte, was der Grundkonflikt des Protagonisten ist und in welchen Etappen sich dieser Konflikt verschärft, gerät die Konzeption von Szenen und Kapiteln m.E. zu einem intuitiven Glücksspiel, bei dem sich schnell erzählerischer Leerlauf einschleichen kann, weil die Handlung auf der Stelle tritt, irgendetwas geschrieben wird, das für den roten Faden der Story gar nicht relevant ist, oder die Figuren Dinge tun, die gar nicht zu ihrem Grundkonflikt passen und ihm nichts Neues hinzufügen.

Aus diesem Grund sollte man sich als Autor m.E. bei der Konzeption jedes Kapitels und jeder Szene die Frage stellen, welche neuen Aspekte zur Hauptfigur und bzw. oder der Handlung dieser Abschnitt der Geschichte enthält. Wenn mir dazu nichts einfällt, ist die Szene überflüssig und sollte gestrichen oder überarbeitet werden.

Innerhalb der Szenen und Kapitel selbst sollten die beschriebenen Ereignisse und Dialoge, so gut es geht, den konflikthaften Aufbau der Gesamtgeschichte im Kleinen widerspiegeln. Das heißt, dass eine Szene in meine Augen wenn möglich ebenso wie die komplette Geschichte um den roten Faden eines Konfklikts herum konzipiert werden sollte, der sich vom Anfang der Szene bis zu ihrem Ende allmählich steigert und am Ende zu irgendeinem Höhepunkt führt. Das ist sicherlich nicht immer möglich, und man sollte daraus - so wie manche Schreibratgeber es tun - m.E. keinen Fetisch machen, der einen lediglich beim Schreiben blockiert. Man sollte aber, denke ich, stets versuchen, sich irgendeine Art von Konflikt - sei es nun ein innerer in der Figur selbst oder ein äußerer zwischen verschiedenen Figuren - als strukturelles Grundgerüst seiner Szenen und Kapitel zu überlegen, um das herum die Handlung der Szene sich aufbauen kann.

Wenn beispielsweise der schüchterne Protagonist versucht, ein hübsches Mädel anzusprechen, könnte eine Szene so aussehen, dass er dieses Mädel zu Beginn der Szene heimlich beobachtet, mit schweißfeuchten Händen und klopfendem Herzen beschließt, sie anzusprechen - was seinen ganzen Mut erfordert - und plötzlich von einem Jungen angerempelt wird, der ihn (obwohl er schuld ist) ordentlich zur Sau macht, während unser Held kleinlaut davonschleicht und völlig deprimiert über seine eigene Schwäche ist.

Das wäre dann das Ende der Szene, die zugleich eine konflikthafte Entwicklung besäße - vom mutigen Entschluss zu Beginn bis zum geknickten Eingeständnis der eigenen Ohnmacht am Ende, das den vorläufigen Höhepunkt dieser Sequenz bedeuten würde. Eine solche Szene würde relativ früh in dieser Geschichte auftauchen, da die Hauptfigur ja im Verlauf der Handlung lernen soll, ihrer eigenen Stärke zu vertrauen, und der Leser würde durch dieses Ende neugierig werden, wie der Held mit der erlittenen Schmach weiter umgeht und was er daraus für Konsequenzen für seinen Kampf um das Herz des netten Mädels zieht. Zugleich würde die Szene im Rahmen der Gesamtgeschichte einen sinnvollen Platz haben, da sie zeigt, wo die Figur im Moment steht und welche Herausforderungen noch vor ihr liegen.

Ein Roman hingegen, bei dem der Autor in allen seinen Szenen und Kapiteln um jeden Preis am Ende einen möglichst spannenden oder schockierenden Cliffhanger einbaut, um die Leser zum Weiterlesen zu zwingen, ist in meinen Augen nicht zwangsläufig auch eine gut konzipierte Geschichte. Es KANN gut sein, wenn es im Rahmen der Geschichte Sinn macht. Es kann aber ebenso gut eine Gewalttat sein, die die Geschichte ruiniert.
Mit Zitat antworten