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Alt 09.11.2012, 19:59
Geweihter Geweihter ist offline
Schwertmeister
Vampirjaeger
 
Registriert seit: 02.2012
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Für alle, die sich rächen wollen ;-)

Hey,

ich war in letzter Zeit sehr direkt und das hat sicher nicht jedem geschmeckt. Hier ist mal eine neue Leseprobe aus meiner Reihe "Chroniken der Weihe". Viel Spaß beim auseinandernehmen ;-):


Behutsam, fast wie eine Mutter, die ihren Sohn tröstete, streichelten Cilanas Finger durch die blonden Locken des Jungen. Sie saß nun seit fast drei Tagen an seinem Bett und versank in Selbstmitleid. Ihre Trä-nen waren längst versiegt und doch hatten sie den Schmerz nicht ge-lindert, ganz im Gegenteil: Jede einzelne brannte wie Feuer in ihren Augen und verdeutlichte der jungen Geweihte eine Schwäche, die ihr nie erlaubt war. Selbstzweifel hielten sie gefangen und Hass durchzog ihre Seele, den sie immer wieder versuchte auf die Söldner, die für das Massaker verantwortlich waren, zu lenken, was ihr nicht gelang. Eigentlich war sie schuld. Wäre sie gestorben, würden all die Toten, die Drigorn seit drei Tagen vor der Festung zu Grabe trug, noch Leben. Das alles war ihre Schuld.
Ihr Blick glitt über das schmale, akribisch gesäuberte Gesicht des Jun-gen, der friedlich vor der jungen Kriegerin lag. Der Einzige, der das Massaker überlebt hatte. Cilana wusste nicht, ob sie sich für ihn freuen oder wegen seiner Zukunft bestürzt sein sollte. Alles, wofür er gelebt und dem er sein Herz geschenkt hatte, war von einem auf den anderen Tag gewaltsam vernichtet worden. Er selbst würde wohl nur durch Tyrgarns Medizin wieder vollständig gesund werden. Beide Beine und ein Arm lagen in schweren, hölzernen Schienen und Kratzer, sowie Schnittwunden überzogen den gesamten Körper des Novizen, der nicht mehr als sechzehn Winter erlebt haben konnte. Tyrgarn hatte aufgrund der Verletzungen angenommen, dass er einen harten Sturz überlebt hatte und wahrscheinlich für tot befunden worden war. Ein Segen … oder aber ein Fluch. Eine Chance … oder ein nicht enden wollender Albtraum.
Cilana wusste, dass der Frieden, den er nun ausstrahlte, trügerisch war. Immer wieder hatte er unter Schmerzen gestöhnt oder war von Krämpfen geschüttelt worden. Das war allerdings auf die Verletzungen zurückzuführen und die Geweihte hoffte, dass er davon nicht viel mitbekam. Die Albträume unter denen er zu leiden schien, waren jedoch um ein Vielfaches schlimmer. Immer wieder schrie er plötzlich so schmerzerfüllt auf, dass Cilanas Herz einen Schlag aussetzte und sein bettelndes Flüstern nach seiner Mutter ließen heiße Tränen auf das weiße Bettzeug tropfen. Immer wieder schrie er und schon der Gedanke an das, was nun in seinem Kopf geschehen mochte, ließ Übelkeit durch Cilanas Leib schießen.
Das Schlimmste war jedoch der Name, den er jede Nacht flüsterte. Mit einer Mischung aus ehrlicher Liebe und unendlicher Trauer, wie ein Vater, der seinem Sohn die letzte Ehre erweisen musste. Raneja! Raneja! Raneja!
Dieser Name hatte sich so tief in Cilanas Kopf gebohrt, dass sie ihn niemals vergessen würde. Sie hatte ihn nur ein einziges Mal selbst gesagt … als sie die Novizen trainiert hatte, was ihr vorkam, als sei es in einem anderen Leben geschehen. Raneja war eine der Besten gewe-sen, ein junges, ausgesprochen attraktives Mädchen, dem die Geweihte viel Respekt zollte. Ihre makellos blauen Augen verfolgten Cilana in den wenigen Stunden, in denen ihr geschwächter Körper sie zum Schlafen zwang.
In welcher Beziehung standen die beiden? War die Tote seine erste große Liebe gewesen? Es würde ihn zerreißen zu erfahren, dass sie tot war, wenn er es nicht schon längst wusste und die unglaublich tiefgreifende Trauer die den ganzen Raum zu füllen schien, wenn seine Lippen ihren Namen formten, ließ erahnen, dass er zum Zeitpunkt ihres Todes an ihrer Seite gewesen war.
Ein Zucken riss Cilana aus ihren Gedanken und ihre Finger streichel-ten ihm liebevoll über die Wange. Tränen quollen unter seinen Liedern hervor, rollten mit quälender Unvermeidbarkeit seine Wange hinab und wurde schließlich von der Hand der Geweihten aufgehalten.
Der Junge weinte absolut still; ohne den Hauch eines Schluchzens. Seine Augenlieder flatterten ein wenig und sein Atem beschleunigte sich merklich. Sofort löschte Cilana einige Kerzen, um das Erwachen des Jungen so sanft wie möglich werden zu lassen. Nur zwei schmale Feuerzungen warfen ihr eigenwilliges Licht in den kleinen, steinernen Raum, der von einem großen Himmelbett beherrscht wurde, in dem der erwachende Novize lag. Es war das Zimmer Grahns gewesen, des Burgherren, mit dem Cilana sich so gut verstanden hatte.
Der Junge hustete, verzog vor Schmerz das Gesicht, was die Kriegerin erneut veranlasste ihm durchs Haar zu streicheln. Langsam öffnete er die Augen, die sich schnell an das Zwielicht gewöhnten. Seine Pupil-len waren geweitet, was die Frau der branntweinhaltigen Flüssigkeit und den unterschiedlichen Kräutern zuschrieb, die sie ihm eingeflößt hatte. Seine Augen zuckten unstet durch den Raum und fanden schließlich die Cilanas.
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Geändert von Geweihter (09.11.2012 um 20:02 Uhr)
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