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Alt 13.09.2012, 01:59
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Ravenchant Ravenchant ist offline
Waldelfe
 
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Vorweg, der Erzählstil gefällt mir über die gesamte Geschichte hinweg sehr gut.

Unsere Protagonistin hatte die Stadtmauern doch schon vor längerer Zeit hinter sich gelassen. Da scheint es mir sehr irritierend, wenn die Reisegruppe jetzt an einer niedergebrannten Siedlung vorbeikommt. Eine Siedlung zeichnet sich doch dadurch aus, dass sie einen eher provisorischen Charakter hat und außerhalb einer Stadt liegt. Vielleicht meinst Du ja eher ein Stadtviertel das niederbrannte.

Den gesamten Handlungsstrang, Reise in unsicheren Zeiten - Gruppe von Gefährten mit unterschiedlichen Charakteren - mysteriöse Gerüchte - Exempel der Hexenverbrennung würden meiner Meinung nach viel besser an den Anfang der Geschichte passen, nachdem sie ihr Fläschchen befüllt hat und sich auf die Reise begibt. Das momentan relativ ausführlich geschilderte Ankommen in der Stadt hat ja für den Fortgang der Geschichte keine weitere Bedeutung.

So wie die Mechanismen der Hexenverfolgung in der Geschichte dargestellt werden, vertreten sie heute eigentlich nur noch die Neuheiden und die Feministinnen.

Vor einiger Zeit gab es im Deutschlandfunk mal einen sehr ausführlichen Beitrag zum Stand der Wissenschaft bezüglich der Hexenverfolgung. Der deckt sich weitestgehend mit dem, was man in der Wikipedia dazu findet:

Erste Verurteilungen von Hexen gab es im 13. Jahrhundert mit dem Aufkommen der Inquisition, wobei jedoch die Zielsetzung der Inquisition zu beachten ist: zielten die in der Frühen Neuzeit dominierenden Hexenprozesse weltlicher Gerichte auf die Bestrafung vermeintlich Schuldiger, strebte die Inquisition die Umkehr und Rekonziliation der Beschuldigten an, was sich in der weniger häufigen Anwendung der Todesstrafe ausdrückt. Darüber hinaus war das Hauptaugenmerk der Inquisition nicht auf Hexen, sondern auf Häretiker gerichtet. ... Die staatliche spanische Inquisition, gegründet im späten 15. Jahrhundert, lehnte Hexenverfolgung ausdrücklich ab. Die im 16. Jahrhundert folgende römische Inquisition schritt wiederholt gegen Hexenverfolgungen ein.

Dieses Einschreiten der Inquisition gegen die Hexenverfolgung wurde auch in dem Beitrag des Deutschlandfunks sehr ausführlich behandelt.

Gerade auf dem Höhepunkt der Hexenverfolgung (1550–1650) gab dieses "Business" sehr vielen Stadtbediensteten "Lohn und Brot". Entgegen der landläufige Meinung wurden sehr viele wohlhabende Menschen der Hexerei bezichtigt. Der Besitz der Verurteilten viel an die Stadt.

Auch wenn mir klar ist, dass man diesen komplexen Sachverhalt nicht in einer Kurzgeschichte packen kann, möchte ich doch auf die wissenschaftliche Faktenlage hinweisen, weil mich die stereotype Darstellung der Hexenverfolgung sehr stört.

Dass der geheilte Kaufmann Mathildes Mutter denunziert, ist sicherlich ein Stilmittel um die Tragik der Situation zu steigern (Der Lebensretterin den sicheren Tod bescheren anstatt Dankbarkeit zu zeigen). Auf mich würde es aber "organischer" wirken, wenn sich die Tat des Kaufmannes aus einer großen Verärgerung herleiten würde. Zum Beispiel einem Pulver, das ihm den lang ersehnten Stammhalter bescheren soll und dann wird nur ein weiteres "wertloses" Mädchen geboren.

Sich in bedingungsloser Liebe zu opfern, mag ein gangbarer Weg sein, wenn es nur um die Beziehungen eines Paares geht. Eben das Gefühl, ohne den anderen nicht weiterleben zu können. Doch hier haben wir ja noch die kleine Mathilde und im Mittelalter gab es noch kein Jugendamt dass das Kind in seine Obhut nehmen würde. Die Argumentation des Vaters, eben nicht frei zu sein sich zu opfern finde ich daher durchaus nachvollziehbar. Das er Mathilde dann doch weg gibt wirkt nicht wirklich stimmig und dient meiner Meinung nach nur dazu ihn als egoistischen Unmenschen dastehen zu lassen, der sein Leid verdient hat.

Wäre es nicht noch viel tragischer, wenn der Vater nicht um die Mutter kämpfen konnte, gerade weil er Sorge um die Zukunft seines Kindes hatte und Mathilde dieses grausame Opfer ihres Vaters ihr Leben lang nicht anerkennen kann, weil sie das Geschehen immer noch durch die Augen eines kleinen traumatisierten Mädchens sieht?


Sehr genial finde ich das Anfangs- und Endbild der Geschichte. Am Anfang denkt man, sie braut ein aggressives Gift zusammen um Rache zu nehmen, am Ende stellt sich die Tinktur als sehr heilsame Medizin heraus, doch wird dadurch die Rache noch viel grausamer.

So bleibt bei einem moralischen Leser der Eindruck zurück, hier hat ein Schuldiger seine gerechte Strafe erhalten.

Bei der von mir vorgeschlagenen Wendung würde sich auch die in blindem Hass gefangene Mathilde schuldig machen.

By the way:
Kennst Du das Lied "Die Flucht" von Schandmaul?
So hätte sich sicherlich die kleine Mathilde die Reaktion ihres Vaters gewünscht.
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