Thema: Sterbehilfe
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Alt 21.04.2024, 13:49
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Cassandra Cassandra ist gerade online
Abyssus abyssum invocat
Ringtraeger
 
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Ist aber eine interessante Frage. Und ich kann gleich vorweg dazu sagen, dass ich keine eindeutige Antwort habe.

Für mich selbst würde ich eine langes Siechtum ablehnen. Aber die Möglichkeit, die solchen Patienten aktuell offen steht, finde ich ebenfalls nicht optimal. Das Einstellen lebenserhaltender Maßnahmen ist ja - unter bestimmten Bedingungen - erlaubt. Was ich seltsam finde. Ist das denn nicht ebenfalls eine Form der Sterbehilfe? Und dazu noch eine halbgare. Leidet der Patient noch in den letzten Minuten? Vermutlich in einigen Fällen durchaus.
Deshalb halte ich diese Option für eine Lösung à la "weder Fisch noch Fleisch" auf Kosten der Patienten.

Auf der anderen Seite: Wäre Sterbehilfe generell ein gangbarer Weg - wo sind die Grenzen? Wenn man eine Tür einmal öffnet, und sei es nur einen Spalt weit, kann sie jederzeit weiter aufgestoßen werden.
Was ich damit meine: Wenn einmal entsprechende Gesetze erlassen wurden, können sie auch "angepasst" und erweitert werden.

Wie lange dauert es dann u. U., bis wir wieder bei Euthanasie sind? Leiden schwer geistig- und körperbehinderte Menschen im Grunde nicht auch? Was für einen Sinn hat ihr Dasein? Und vor allem: der Kostenfaktor. Vermutlich wird es in den kommenden Jahren und Jahrzehnten in unserem Gesundheitssystem immer enger. Irgendwann werden Menschen, die z. B. eine OP benötigen, entweder das entsprechende Geld haben oder Crowdfunding veranstalten müssen ... oder sie haben einfach Pech.
Das heißt, man wird es sich nicht leisten können, jemanden, der ohnehin nie mehr gesund wird und auch sonst "keinen Nutzen" hat, durchzufüttern. Und wenn es unter diesen Umständen die Option Sterbehilfe gibt, stellt sich halt die Frage, ob nicht früher oder später jemand auf die Idee kommen wird, diese auch auf z. B. Menschen auszuweiten, die nach herkömmlichen Maßstäben nicht (mehr) lebensfähhig sind. Was u. U. auch alte Menschen einschließt.

Oder noch weiter gedacht: Jemand hat einen Unfall oder eine chronische Erkrankung, die ihn ans Bett fesselt und pflegebedürftig macht. Sicher gibt es viele Familien, die eine enge Bindung haben und selbstverständlich für ihre Angehörigen sorgen. Aber es gibt eben auch viele andere, die entweder keinen Kontakt zu ihren Familien haben oder bei denen die Bindung nicht sehr eng ist.
Stellt euch vor, man liegt z. B. ständig im Clinch mit seinen Eltern und dann müssen die sich plötzlich um einen kümmern, inklusive entsprechender Kosten. Und das Tag für Tag für Tag, 365 Tage im Jahr, so lange man lebt.
Was wäre dann, wenn die Eltern irgendwann damit anfangen, einem gegenüber - mehr oder weniger subtil - anzudeuten, dass man doch recht egoistisch sei, allen auf der Tasche zu liegen, wenn es doch auch einen anderen Weg gäbe ...

Ich kann mir gut vorstellen, dass das Thema Sterbehilfe irgendwann tatsächlich aufs Tablett kommt - vordergründig, um den Menschen zu helfen. Die eigentliche Motivation, dann doch entsprechende Gesetze zu erlassen - wird sehr wahrscheinlich eine ganze andere, sehr problematische sein.
Man denke an Corona: Macron persönlich hatte damals gesagt, dass ein Arzt, wenn er sich bei der Behandlung zwischen einem jungen und einem alten Menschen entscheiden muss (weil bspw. nur noch ein Bett zur Verfügung steht), er sich für den jungen entscheiden muss, da der alte sein Leben bereits hinter sich habe.
Man sieht also, dass es sehr leicht ist, die ersten Schritte in die falsche (?) Richtung zu tun.

Fazit: Bei diesem Thema muss man auch langfristig denken, wenn man eine Entscheidung treffen möchte. Und es ist - zumindest für mich - schwer einschätzbar, wie sich die Situation z. B. hierzulande innerhalb der nächsten Jahrzehnte entwickeln wird.
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Im Feuer steckt der Funke des Chaos und der Zerstörung,
der Samen des Lebens


("Magic")

(Photo: Franz Herzog © 2004)
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