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Alt 25.10.2013, 17:24
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Susanne Gavenis Susanne Gavenis ist offline
Herausforderer der Weisen
 
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Ich denke auch, es ist die Frage, was du mit der Erschaffung deiner Welt für ein Ziel erreichen möchtest. Ist diese Erschaffung mehr oder weniger Selbstzweck für dich, bei dem du einfach kreativ sein und Spaß haben kannst, indem du dir immer weitere Details ausdenkst und den Gesellschaften und der Geographie deiner Welt hinzufügst, oder steht dabei vor allem eine bestimmte Geschichte im Vordergrund, die du in dieser Welt ansiedeln willst?

Ist ersteres der Fall, besteht natürlich die Gefahr, dass du zwar eine Million verschiedener Aspekte deiner Welt ausarbeiten kannst, aber bei der Planung für eine Geschichte plötzlich feststellst, dass du dir genau die Informationen, die du für deine Figuren und die Handlung unbedingt brauchst, noch nicht überlegt hast. Ich würde von daher bei der Planung einer Welt immer von einer ganz konkreten Geschichte ausgehen, da jede Geschichte verschiedene Anforderungen an die Welt stellt, in der sie spielen soll.

Wenn du z.B. so etwas wie Robert Jordans "Rad der Zeit" schreiben möchtest, wäre es für die Konzeption deiner Welt unmittelbar notwendig, die Art und die Gesetze der dort herrschenden Magie genau auszuarbeiten,da diese für die Figuren und den Handlungsverlauf von entscheidender Bedeutung sind. Die Gefahr, als männlicher Magier bei zu häufigem Gebrauch der Magie wahnsinnig zu werden, ist ein Detail, das für andere Geschichten völlig irrelevant, für die Hauptfigur bei Robert Jordan und die Welt, in der sie sich bewegt, dagegen zentral wäre. Von daher würde ich empfehlen, um dich bei der Planung deiner Welt nicht in unwesentlichen Einzelheiten zu verzetteln, von den zentralen Konflikten deiner Hauptfiguren auszugehen, mit denen du sie im Verlauf der Handlung konfrontieren willst. Ein Roman wie George Martins "Lied von Eis und Feuer" beispielsweise, wo einer der Schwerpunkte auf den Konflikten zwischen den verschiedenen Adelshäusern liegt bzw. die Figuren in diese Konflikte hineingeraten, erfordert zwingend, diese unterschiedlichen Häuser und Familien mit ihren wichtigsten Repräsentanten sowie die Aspekte der Historie auszuarbeiten, die für die Handlung wichtig werden (bei George Martin wäre das u.a. die Hintergrundgeschichte vom irren König und seinem Sturz, die für sehr viele Figuren und ihre Konflikte im Rahmen der Story von enormer Bedeutung ist).

Würdest du dagegen eher eine Geschichte wie Harry Potter schreiben wollen, die sehr stark auf die Zauberei und die Zauberschule fokussiert ist, wären solche Details vollkommen überflüssig. Hier wären wieder die Regeln der Magie sowie die Ordnung und Hierarchie in der Zauberschule Aspekte deiner Welt, die du ausarbeiten müsstest, bevor du mit dem Schreiben beginnen könntest.

Auch bei der Geographie deiner Welt würde ich dir empfehlen, von einer ganz konkreten Geschichte auszugehen, die du in dieser Welt ansiedeln möchtest. Wenn du die Handlungsschritte deiner Geschichte im Groben kennst bzw. die Art der Konflikte deiner Hauptfiguren, ist das schon ein guter roter Faden für die Konzeption deiner Welt. Willst du z.B. deine Hauptfigur am Anfang der Geschichte von Sklavenräubern aus ihrem Heimatdorf entführen und die nächsten zehn Jahre als Sklave schuften lassen, bevor ihr die Flucht gelingt, würden diese Erfordernisse der Story auch bereits etwas über die Geographie aussagen. Willst du deine Figur richtig leiden lassen, wäre z.B. eine Sklavenarbeit im Garten Eden für den Leser wenig interessant, würde sie dagegen in einer heißen Wüstenstadt mit fiesen Sandskorpionen u.ä. Getier stattfinden, wären die Konflikte und die Gefahr für die Figur gleich viel größer. Und natürlich würde eine Geschichte über Sklaverei auch bereits die Art der Gesellschaft festlegen, in der sich die Figur bewegt. Und wenn du dir, um noch einmal darauf zurückzukommen, "Das Lied von Eis und Feuer" genau anschaust, wirst du feststellen, dass George Martin zwar eine komplette Welt entworfen hat, die geographischen und kulturellen Details dieser Welt aber aufs Intimste mit den Erfordernissen der Geschichte und den handelnden Figuren verknüpft sind. Allein ein Detail wie die Mauer im Norden wäre vollkommen überflüssig, wenn Martin seine Hauptfiguren nicht im Verlauf der Handlung den dortigen Gefahren aussetzen und dadurch die Storyentwicklung weiter vorantreiben würde.

So, ich hoffe, ich konnte dir mit meinen Gedanken ein wenig helfen. Die Konzeption einer Welt ist m.E. eine derartige Mammutaufgabe, dass ein vorstrukturierendes Sieben dessen, was für eine Geschichte von Bedeutung und was unbedeutend ist, für einen Autor eine enorme Arbeitserleichterung ist. Ansonsten würden viele Autoren, glaube ich, bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag an dem Entwurf ihrer Welten sitzen, ohne jemals eine Zeile für ihre Geschichten zu Papier zu bringen.
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