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Alt 22.12.2009, 18:42
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Bardin Bardin ist offline
Geschichtenerzählerin
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Fortsetzung

Wieder hatten die drei ihr Nachtlager auf einer kleinen Lichtung aufgebaut. Nachdem sie gegessen hatten, lehnten sie sich noch für eine Weile an die Bäume und betrachteten die Umgebung. Die Pferde waren längst fort, doch Kjaf war geblieben. Das war ungewöhnlich.
Immer wieder blickten die Zwillinge zu ihr hin, was auch s’Ochenon nicht entging.
„Was ist denn mit ihr?“, fragte er schließlich.
„Keine Ahnung“, erklärte Krejan, „normalerweise ist sie nicht so.“
Er sah noch mal nach dem Fliesel. Bei näherer Betrachtung fiel ihm auf, dass sie leicht zitterte. Sie saß auf einem Ast und hatte sich eng an den Baum geschmiegt.
Auch Estana blickte besorgt und zog die Augenbrauen zusammen.
„Irgendetwas stimmt hier nicht“, sagte sie, während sie langsam den Kopf schüttelte.
„Ich weiß“, entgegnete s’Ochenon nachdenklich, „Fliesel erkennen Gefahr sehr gut.“
Entschlossen stand er auf.
„Ich sehe mich noch einmal um.“
Die Zwillinge sahen ihm hinterher, als er zwischen den Bäumen verschwand.
„Denkst du, hier ist tatsächlich etwas Gefährliches?“, meinte Estana.
Krejan seufzte und nickte in Kjafs Richtung.
„Wann benimmst sie sich schon so? Etwas ist hier das sie beunruhigt.“
Und darauf schwiegen sie.
Obwohl der Mond aufging, spendete er dem Wald kaum Licht. Die Lichtung war zu klein, als dass hier das Blätterdach der Bäume aufbrach. Er sorgte nur für weitere Schatten, die die Umgebung noch düsterer erscheinen ließen.
Die beiden wagten nicht sich schlafen zu legen. Besorgt harrten sie auf die Rückkehr des Sehers aus, doch dieser kam und kam nicht. Langsam bekamen sie es mit der Angst zu tun.
Dann stand Krejan auf.
„Irgendetwas ist hier. Ich weiß es.“
Vorsichtig lief er umher und blickte zwischen die Bäume. Seine Schwester sah ihm misstrauisch zu. Er ließ sich davon nicht beirren.
Es war unglaublich dunkel, er konnte kaum ein paar Meter weit blicken. Vorsichtshalber zog er seinen Dolch. Aber bis jetzt war ihm noch nichts aufgefallen.
Estana war inzwischen aufgestanden. Sie wollte bereit sein, auch sie hatte eine Ahnung von Unheil erreicht.
Krejan zuckte zusammen. Irrte er sich, oder war in seiner Nähe ein schwarzer Schatten aufgetaucht? Langsam ging er näher.
Aus dem Gebüsch blickten ihm ein paar sichelförmige Pupillen entgegen. Sie strahlten hell und silbern wie der Mond am Himmel.
Er wich zurück, als das Tier auch schon mit einem Satz auf ihn zusprang. Im letzten Moment konnte er ausweichen und sah nun, was ihn angegriffen hatte.
Die schwarze Katze ging ihm bis zur Brust. Ihr Fell war so dunkel, dass es mit dem Hintergrund der Nacht verschwamm. Einzig ihre Augen und Krallen glänzten silbern, sie hatten die Form einer Mondsichel.
Die Nachtkatze öffnete leicht das Maul und entblößte ihre ebenso gebogenen, silbernen Zähne.
Krejan wich weiter zurück.
Die Monde der Augen verschwanden für einen Moment, als die Katze blinzelte.
Dann startete sie ihren zweiten Angriff.
Ihr Opfer sprang aus dem Weg, den Dolch zum Angreifen gezückt.
Er starrte sie an, versuchte ihre Absicht zu erkennen, um reagieren zu können. Dass Weglaufen keinen Sinn hatte, war ihm klar.
Er wagte einen Versuch, zielte auf ihre Kehle. Geschmeidig wich sie aus, ging über in eine neue Attacke.
Zitternd sah Estana dem ungleichen Zweikampf zu. Instinktiv war sie in den Schutz der Bäume geflohen. Nun griff sie nach ihrem eigenen Dolch und schlich näher. Weder s’Ochenon noch ihre Pferde waren zu sehen.
Krejan überlegte wie verrückt, während er seinen Gegner im Auge behielt. Die Nachtkatze schien mit ihm zu spielen, sich an seiner Angst zu weiden.
Sie umkreisten sich gegenseitig, beobachteten sich.
Ein heller Blitz glitt plötzlich an ihm vorbei und traf die Katze an der Schulter. Diese jaulte auf, es war ein unerhörtes Geräusch, das in den Ohren schmerzte.
Dann sprang sie.
Krejan duckte sich, hielt abwehrenden den Dolch über seinen Kopf, der ihm nun lächerlich klein vorkam. Er stieß auf Widerstand. Etwas feuchtes bedeckte seine Finger.
Entsetzt wurde ihm klar, dass er es direkt ins Herz gestoßen hatte. Die Nachtkatze lag auf ihm wie ein nasser Sack, war aber nicht tot. Ihr Gewicht drückte ihn zu Boden, die Klauen neben ihm zuckten unruhig. Er wartete darauf, ihr Gebiss jeden Moment in seinem Rücken zu spüren, unfähig, sich auch nur ein bisschen zu bewegen.
Estana blickte ungläubig auf die beiden, sie wartete darauf, dass etwas geschah. War ihr Bruder tot?
Sie fürchtete sich vor der Wahrheit, trat aber näher.
Der Dolch, den sie geworfen hatte, stak in der Schulter der Katze, eine silbrige Flüssigkeit trat darunter hervor.
Sie hatte auf die Kehle gezielt.
Der Schwanz der Katze schlug umher, er traf Estana am Bein.
Mit einem Ruck zog Estana den Dolch heraus, um den letzten Stoß zu machen.
Die Nachtkatze knurrte, und Krejan erwachte aus seiner Erstarrung. Verzweifelt versuchte er sich aufzurichten. Er rüttelte an seinem Messer, um es zu befreien und grub es noch tiefer in das zähe Fleisch.
Voller Schmerzen hob die Katze den Kopf, wandte sich nun Estana zu.
Diese holte aus. Sie musste die Kehle treffen.
Dem Untier gelang es, sich etwas aufzurichten. Es fauchte. Dann zielte es auf den Arm des Mädchens, es wollte ihn mit einem Biss zerteilen.
Estana zog schnell den Arm weg, sie streifte dabei den Kopf der der Katze, und ihr Dolch zeichnete einen dünnen Kratzer quer über das Gesicht.
Die Katze lag noch immer auf Krejan, er keuchte unter ihrer Last. Es musste einen Weg geben sich zu befreien.
Wenn er den Dolch herauszog, würde die Nachtkatze das merken und wieder auf ihn losgehen. Er musste schnell genug sein.
Er holte tief Luft und schloss die Augen. Jede Sekunde zählte.
Mit einer einzigen Bewegung zog er den Dolch nach unten. Blut quoll heraus, aber er kümmerte sich nicht darum. Er machte sich so klein wie möglich und rollte zur Seite.
Es reichte nicht.
Sein Oberkörper war frei, aber die Beine lagen immer noch unter der Katze, die nun ihren Kopf zu seiner Hüfte richtete, bereit zum Biss. Er lag auf dem Bauch, unmöglich, sie abzuwehren, er konnte nur warten.
Jetzt musste Estana es schaffen. Die Katze konzentrierte sich auf Krejan, ein Stoß nur und es war vorbei.
Doch bevor sie zustechen konnte, hörte sie dumpfe Schläge auf dem Waldboden, ein heftiges Knacken von Ästen und peitschende Zweige. Sie fuhr herum, riss die Augen auf und schmiss sich zur Seite.
Hufe donnerten an ihr vorbei, ein schwarzer Körper, gefolgt von wütendem Schnauben.
Die Stute holte aus, richtete sich auf und ließ sich wieder fallen, wobei sie der Katze die Hufe entgegenschmetterte.
Krejan zuckte zusammen. Panik durchflutete seinen Körper, als ihn die Hufe nur knapp verfehlten. Entsetzt schrie er auf und wartete auf die nächste Attacke.
Doch es war vorbei. In der Stille schnaubte nur Kana.
Zitternd richtete Estana sich auf.
Krejan lag noch erschöpft auf dem Boden, der schwere Körper der Nachtkatze war von ihm hinuntergerutscht, nur noch die Pfoten ruhten auf seinen Beinen.
Die Katze selber war tot. Schlimm war sie zugerichtet, der Unterkörper nicht mehr als solcher kenntlich. Estana schauderte. Langsam breitete sich um alles eine silberne Lache aus.
Estana stand auf und ging mit zittrigen Beinen zu ihrem Bruder hin.
„Krejan?“, fragte sie leise.
Dieser stöhnte.
„Krejan, geht es dir gut? Bist du verletzt?“
„Nein nein, es geht schon.“
Langsam setzte er sich auf und wischte sich die Haare aus dem Gesicht. Seine Hand zitterte.
Estana sah ihn unsicher an und blickte dann zu Kana. Deren Hufe waren blutverschmiert. Mit dunklen Augen sah Kana die junge Frau an, für ein Pferd lag zu viel Intelligenz in diesem Blick. Estana starrte zurück. Einige Zeit lang blickten sie sich an, dann senkte die Stute den Kopf und trabte wieder davon.
Inzwischen war Krejan aufgestanden und wischte seinen Dolch am Gras ab. Seine Bewegungen dabei waren fahrig und unkontrolliert. Danach blickte er an sich herab. Seine Kleidung war voller Blut.
Müde ging er zu seiner Tasche und suchte nach sauberer Kleidung. Mit einem kurzen Blick zu Estana verschwand er im Gebüsch.
Estana sah ihm kurz hinterher. Auch sie war unruhig. Schließlich setzte sie sich zu Fuße eines Baumes, lehnte sich an den Stamm und schloss erschöpft die Augen.
Sie bemerkte gar nicht, wie der Seher zurückkehrte.
Erst, als er ganz nah an sie herantrat, öffnete sie die Augen.
„Wo ist Krejan?“, fragte s’Ochenon. In seinen Augen lag Furcht.
Sie nickte zum anderen Ende der Lichtung. „Der zieht sich gerade um.“
„Und ihr seid nicht verletzt?“
„Nein.“
Der Seher sah sie unsicher an. Dann drehte er sich um und ging zu der toten Nachtkatze.
Der Anblick war Ekel erregend. Er musste Abstand waren, um nicht in das Blut zu treten. Nur noch Kopf, Brust Beine und Schwanz waren erkennbar, der Rest bestand aus Knochensplittern und zertretenem Fleisch, darunter Fetzen von Fell. Tiefe Hufabdrücke waren darin zu erkennen.
Angewidert wandte er sich ab. Er ahnte, wessen Werk das war.
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Allein die Existenz von irgendetwas ist das größte Wunder; die Materie, die sich selber formt, das größte Geschenk; die Materie aber, die auf sich selbst herabblickt und denkt, das größte Paradoxon.

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Geändert von Bardin (03.01.2010 um 10:40 Uhr)
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