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Alt 09.09.2010, 07:30
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Bardin Bardin ist offline
Geschichtenerzählerin
Erforscher der Welten
 
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Ort: wo die Träume flügge werden
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Doch die drei Magier waren mit ganz anderen Dingen beschäftigt.
S’Ochenon, der Hüne und die Frau hatten sich an den Tisch gesetzt und schwiegen sich an. Misstrauen lag in der Luft, Hass und Abscheu. Unter ihrem Einfluss schien die Luft zu gefrieren.
Es war der Hüne, der als erstes sprach: „Du weißt, dass wir dir das nie verzeihen werden.“
„Ich weiß, dass ich alles richtig gemacht habe, l’Fehan“, verteidigte sich s’Ochenon. Er schaute seinem Gegenüber nicht in die Augen.
„Du hast deine Freunde verraten!“
„Verraten?! Ich habe euch nie verraten, ich habe meine Pflicht getan!“
„Diese Pflicht wirst du bitter bezahlen müssen, s’Ochenon. Ist dir überhaupt klar was du zerstört hast?“ Die Frau sprach sehr ruhig.
„Ich weiß nur, dass ich es tun musste.“
„Weißt du überhaupt was wir getan haben? Du hast doch nur seinen Lügen geglaubt!“, polterte der Hüne.
„Er hat mich nie belogen!“
„Oh doch, er hat dich belogen, und wie er dich belogen hat! Eines Tages wirst du alles erfahren, wenn dich deine Fehler einholen!“, l’Fehan lachte kurz auf, „Aber dann wird es zu spät sein für uns. Wir sterben. Verdammt, wir sterben, wegen dir!“
„Aber das Gericht-“, begann der Seher.
„Wie soll das Gericht Gerechtigkeit sprechen, wenn es von den Wächtern nicht weiß?!“
„Was…du gibst ihm noch immer die Schuld?!“
„Seine Macht nimmt stetig zu, aber du willst es nicht wahrhaben“, mischte sich die Frau ein.
„Schweig, n’Gjesas. Welche Macht zunimmt und welche nicht kannst du nicht mehr spüren!“, erklärte s’Ochenon kalt.
„Diese Macht spüre ich, sie ist nur Dunkelheit“, entgegnete n’Gjesas mit ernster Stimme.
„Dunkel wie dein Herz.“
L’Fehan packte den Seher beim Kragen.„Es gab eine Zeit, da wärst du eher gestorben, bevor du so etwas gesagt hättest!“
„Ich weiß. Aber diese Zeiten haben sich geändert. Ich habe gelernt. Gelernt, dass man niemandem vertrauen kann“, antwortete s’Ochenon.
„Einsam bist du geworden. Recht soll es mir ein! Du hast Intrigen Glauben geschenkt, anstatt auf die Stimmen deiner Freunde zu hören.“
Der Seher blickte ihn kalt an: „Auch Freunde könne lügen.“
„Wir haben dich nie belogen. Aber seine Macht wächst stetig, eines Tages wirst selbst du ihm nicht mehr standhalten können!“
„Er war immer stark. Aber er wusste, wie er seine Magie für andere einsetzen konnte. Ich habe ihn bewundert.“
„Bewundernswert ist nichts mehr an ihm. Er hat sich geändert. Mehr als alle von uns hat er sich geändert! Was denkst du, warum ist er denn kein Wächter mehr?!“ l’Fehan war aufgestanden und wanderte wutentbrannt durch den Raum.
„Ich habe seinen Rückzug sehr bedauert“, erwiderte der Seher ruhig.
„Bedauert?! Was denkst du, warum er den Wächtern den Rücken gekehrt hat?!“
„Er hat uns nicht den Rücken gekehrt!“
„Laomy kümmert ihn nicht mehr, nur die Magie die er trägt!“
„Er hätte immer sein Leben gegeben, um Laomy zu schützen, das weißt du so gut wie ich!“
„Niemals wird er ihn schützen!“, hielt l’Fehan dagegen.
n’Gjesas stand auf und ging auf den Seher zu. Ihre Stimme war kalt und berechnend: „Er, verstehst du, nur er ist Laomys größter Feind. Dein falsches Vertrauen wird uns noch alle ins Verderben stürzen!“
„Uns? Du gehörst nicht mehr zu uns! Und das Verderben habt ihr euch beide selbst zu verantworten!“ Auch s’Ochenons Stimme wurde lauter.
„Wir haben es zu verantworten?! Du meinst, wir sind selber schuld, weil wir uns ihm entgegengestellt haben?!“, rief der Hüne empört.
„Ihr habt euch ihm entgegengestellt?! Er hat euch gerade noch rechtzeitig aufgehalten! Wer weiß was geschehen wäre, hätte er nicht eingegriffen!“
„Das Schlimmste, s’Ochenon, wird noch geschehen. Verlass dich darauf! Am Ende wirst selbst du machtlos sein, und dann Gnade den Wächtern, Gnade den Magiern der Gilde!“ l’Fehan blickte den Seher schwer atmend an.
S’Ochenon sah amüsiert zurück. „Die Gilde ist mächtig. Selbst wenn es so ist wie ihr sagt, was ich nicht glaube, wird er dafür niemals mächtig genug sein.“
Die Frau ging noch weiter auf ihn zu. Jetzt konnte sie ihm genau in die Augen blicken. „Es gibt Dinge, die ihr Wächter als bloße Märchen abtut. Aber dabei vergesst ihr eines: Nur weil es Märchen sind, sind sie noch lange nicht reine Fantasie! Und das weiß er… und das wird er sich zu Nutzen machen, verlass dich darauf. Wenn ihr weiterhin so blind seid, wird ihm am Ende nur die Königin widerstehen können! Willst du es so weit kommen lassen?“
„Meinst du etwas die geheime Königin?“ s’Ochenon lachte wie über einen guten Witz und beugte sich vor: „Die geheime Königin existiert nicht!“
„Sie existiert! Und das ist unser letztes Wort.“ n’Gjesas drehte sich um und ging hinüber zu ihrem Mann, der schützend einen Arm um sie legte.
„Das Gespräch ist beendet“, erklärte dieser, „Geh jetzt, du wirst dein Zimmer finden. Und denk daran: Länger als eine Nacht können wir dich hier nicht dulden.“
„Schon diese eine Nacht ist mir zuviel.“
„Dann nimm die Zwillinge und verlasse das Haus“, erwiderte l’Fehan ruhig, „Willst du ihre Fragen riskieren?“
S’Ochenon starrte ihn lange und durchdringend an. „Nein. Sie dürfen nichts erfahren.“
„Dann geh.“
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Allein die Existenz von irgendetwas ist das größte Wunder; die Materie, die sich selber formt, das größte Geschenk; die Materie aber, die auf sich selbst herabblickt und denkt, das größte Paradoxon.

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