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Alt 16.10.2015, 13:39
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Susanne Gavenis Susanne Gavenis ist offline
Herausforderer der Weisen
 
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So, da bin ich auch schon wieder.

Du hast ja dein erstes Kapitel wirklich sehr intensiv überarbeitet. Was mir deutlich besser gefällt als in der ersten Version ist dein Einstieg, der jetzt sofort auf die Bedrohungslage hinweist, in die Elran geraten wird. Ohne langen Vorlauf und Reflektieren über seine Aufgabe, die ihn in die Berge geführt hat, und sein Leben in seinem Dorf wirfst du Elran in die Handlung hinein. Auch dass die quasi-auktorialen Stellen ("der Junge") und die Gedanken in wörtlicher Rede nun weggefallen sind, ist in meinen Augen eine spürbare Verbesserung, die den Leser dichter an das innere Erleben deiner Figur heranbringt. Auch dein Bemühen um mehr Emotionen ist klar erkennbar.

Gerade bei diesen Emotionen stimmt allerdings m.E. an einigen Stellen die Gewichtung in deinen Beschreibungen nicht ganz, sodass du die Wirkung deines Textes hier und da selbst wieder ein wenig sabotierst. Dieses Gefühl hatte ich bereits in der zweiten Zeile, als du geschrieben hast: "Er beschleunigte seine Schritte, rannte schon fast" (das gefällt mir gut, da du auf diese Weise - durch die schnelleren Schritte - indirekt etwas über Elrans Gefühle aussagst: Er muss emotional stark bewegt sein, sonst würde er nicht fast rennen). "Seine Neugierde trieb ihn an." Dieser Satz hingegen nimmt m.E. den emotionalen Dampf, den du mit dem vorangegangenen Satz aufgebaut hast, teilweise wieder aus den Geschehnissen heraus, da mir "Neugier" als Gefühl, wenn einem unerwartet der Geruch nach Blut und rohem Fleisch in die Nase steigt, zu schwach erscheint, wenn du auf eine bedrohliche Situation für deine Figur hinarbeiten möchtest. Neugierig bin ich auf die nächste "Supernatural"-Folge im Fernsehen oder darauf, ob der Postbote heute wirklich mein Paket liefert, aber in der Situation, die du für Elran aufspannen willst, sollten seine Angst und Unsicherheit angesichts einer derartigen Wahrnehmung m.E. mehr im Vordergrund stehen, z.B. nach dem Motto: "Elran spürte, wie sein Herz plötzlich mit der doppelten Geschwindigkeit gegen seinen Brustkorb hämmerte, und trotz der Kälte brach ihm der Schweiß aus. Was hatte das zu bedeuten? Der Geruch war so intensiv, dass er unmöglich nur von einem einzigen Tier stammen konnte. Und das vergossene Blut musste frisch sein, sonst hätte er es in der eisigen Bergluft nicht so stark riechen können. Eine eisige Messerklinge schien mit einem Mal über seinen Rücken zu streichen, und seine Nackenhaare stellten sich auf. Seine Hand tastete unwillkürlich nach seinem Bogen. Erschrocken sah er, wie sehr sie zitterte. usw."

Auch Elrans Überlegung, dass wahrscheinlich ein Rudel Wölfe die Urheber des Geruchs sind, fühlt sich für mich unmittelbar nach seiner Schlachthof-Assoziation ein wenig zu rational und unemotional an, und m.E. wäre es nicht unbedingt nötig, sofort eine mögliche Deutung zu liefern - wobei ich gut finde, dass du die Sache mit den Wölfen später im Text noch einmal aufgreifst und dadurch in ihrer Wirkung intensivierst, als Elran erkennt, dass die Wölfe nicht die Jäger gewesen, sondern selbst zur Beute geworden waren. So etwas ist so gut wie immer ein probates Stilmittel, um eine zuvor aufgebaute Spannung zu verstärken.

Eine Stelle, wo dir das m.E. nicht gelingt, ist dein Sprachbild mit den eisigen Fingern, die nach Elrans Herz tasten. Auch hier hast du in meinen Augen die Wirkung dieses guten Bildes ein Stück weit sabotiert, indem die Finger für einen kurzen Moment zurückweichen, als Elran das Blut riecht, und trotz ihrer steten Bemühungen nicht weiter vorwärts kommen. Eisige Finger aber, die nach meinem Herz greifen, aber plötzlich zaudern und sich zurückziehen, gerade wenn ich eine potenziell lebensbedrohliche Wahrnehmung gemacht habe, sind als Beschreibung meiner jäh zunehmenden Angst kontraproduktiv, weil sie das Gefühl, das sich bereits aufgebaut hatte, abschwächen, statt es weiter zu verstärken. Wenn schon eine eisige Hand, dann hätte sie sich im Moment des Blutgeruchs wie Krallen in Elrans Herz bohren oder sonst irgendetwas tun müssen, das über die vorherige Beschreibung hinausgeht.

Wenn du in deinen Geschichten solche (wie gesagt guten) Stilmittel einbauen möchtest, musst du immer darauf achten, dass dadurch eine Steigerung an Spannung und Emotion innerhalb der Szene stattfindet. Ängste, Konflikte oder ein Gefühl der Bedrohung müssen am Ende der Szene stärker sein als in der Mitte und am Anfang, und wenn du an einer späteren Stelle die Intensität aus dieser Entwicklung nimmst (wie mit den Fingern), verpufft dadurch auch ein Teil der aufgebauten Spannung.

Das ist ein Problem, dass m.E. durchgängig in deinem Kapitel zu beobachten ist. Der Einstieg mit dem Blutgeruch ist unmittelbar und intensiv (was gut ist), doch dann muss Elran offenbar viele Stunden lang ereignislos vor sich hin marschieren, während die Sonne ihren Zenit überschreitet, und dann, endlich, gelangt er an den Ort, an dem das Massaker an den Wölfen stattgefunden hat. Mal abgesehen davon, dass es biologisch m.E. unmöglich ist, einen Blutgeruch DERART weit über das Land zu tragen, dass man ihn bereits riechen kann, wenn man noch viele Stunden Fußmarsch bis zu seiner Quelle zurücklegen muss, gibt es auch hier wieder das Problem des Spannungsverlusts. Der Leser erwartet durch deinen Einstieg eine unmittelbare Gefahrensituation. Diese Erwartungsspannung wird allerdings dadurch torpediert, dass Elran danach noch stundenlang durch den Wald latscht - Stunden, in denen offenbar diese im Raum stehende Gefahr überhaupt keine Rolle zu spielen scheint. Die Feder, die sich mit deinem Einstieg zu spannen begonnen hatte, schnellt durch diese ereignislosen Stunden und diesen Abstand zwischen erstmaliger Gefahrenwahrnehmung und tatsächlicher Erkenntnis der Gefahr wieder beinahe auf die Ausgangsstellung zurück, und das ist kontraproduktiv.

Wenn eine Figur direkt oder indirekt bedroht wird, muss sich der Druck auf sie innerhalb des nachfolgenden Textes kontinuierlich erhöhen und darf nicht wieder abnehmen. Das heißt, wenn Elran den Blutgeruch wahrnimmt, sollte er am besten bereits in den nächsten Sekunden oder Minuten den Ort des Gemetzels betreten und seine schaurige Beobachtung machen. Dann hättest du eine allmähliche Steigerung von einem bloßen Blutgeruch bis zu zerfetzten Wolfskörpern, und die Spannung steigt. Alles, was in einer solchen Situation Tempo aus der Szene nehmen würde, kannst du getrost streichen.

Eine solche Passage wären in meinen Augen die Sätze, als Elran das Heulen des Wolfes in der Ferne hört. Als stimmungsvolles Detail gefällt mir das gut, allerdings wird auch dieses Detail dadurch in seiner Wirkung auf den Leser gemindert, indem Elran lang und breit darüber meditiert, ob er nun tatsächlich Trauer und Melancholie aus diesem Heulen hat entnehmen können. Diese Gedanken (er meint, es herauszuhören, kann es aber nicht mit Sicherheit wissen, hat aber da so ein gewisses Gefühl, das er nicht beschreiben kann, und "weiß es einfach") sind m.E. komplett überflüssig und nehmen sowohl Tempo als auch Spannung aus diesem dramatischen Moment. Den Leser interessiert im Augenblick, was diese grässliche Beobachtung mit Elran macht, wie er darauf reagiert und ob es auch für ihn noch eine Bedrohung gibt, und nicht, ob er sich irgendwann dazu durchringen kann, Melancholie aus einem Wolfsgeheul herauszuhören oder vielleicht doch nicht. Würde Elran inmitten seiner Generäle auf dem Schlachtfeld hocken und gemeinsam mit ihnen einen Angriffsplan diskutieren, wären solche Überlegungen, Zweifel und Selbstzweifel gut und angemessen, da es hier keine unmittelbare Bedrohungslage gäbe, auf die die Figur reagieren müsste und die den Leser fesselt. In einer Szene mit einer konkreten Gefahr für den Helden jedoch wäre alles an Gedanken und sonstigen Beschreibungen, das nicht direkt dazu führt, diese Bedrohung - und damit die Spannung - zu verdichten, kontraproduktiv, und du könntest es problemlos streichen.

Eine solche kontraproduktive Stelle ist in meinen Augen auch die Passage, wo Elran seinen Bogen hebt und einen Pfeil auflegt, weil sie m.E. schlicht zu breit dargestellt ist. Auch hier - im Angesicht eines möglichen Monstrums, das jederzeit aus den Büschen hervorbrechen kann, um unseren Helden gleich den Wölfen einen Kopf kürzer zu machen - interessieren sich, denke ich, die Leser nicht für Elrans Überlegungen, dass eine angezogene Sehne ihm nur die Kraft rauben und die Sehne untauglich werden lassen würde. Die Überlegungen selbst mögen richtig und klug sein, an diese spannende Stelle aber gehören sie nicht hin.

Das gleiche Problem der verpuffenden Spannung zeigt sich - beinahe folgerichtig - dann auch am Ende deiner Szene. Elran hat das Blut gerochen, die hingeschlachteten Wölfe entdeckt, greift voller Angst nach seinem Bogen, weil er nicht sicher sein kann, dass er nicht das nächste Opfer wird, und die Szene endet nicht mit einem bedrohlichen Höhepunkt, der den Leser sofort in die nachfolgende Szene saugen würde, sondern mit einer beschaulichen Landschaftsbeschreibung ("Er befand sich auf einer kleinen Lichtung eines durchbrochenen Nadelwaldes. Er hörte nichts, außer dem munteren Plätschern des kleinen Baches und seinem eigenen Atem..."). Statt Furcht und Panik oder eines brüllenden Unholds, der sich auf den Helden stürzt, gibt es ein entspanntes Stilleben. Eine solche Beschreibung könntest du noch dort bringen, wo Elran auf die Lichtung tritt, keinesfalls aber als Höhepunkt einer spannenden Entwicklung am Ende einer dramatischen Szene.

Als Fazit kann ich sagen, dass du mit deinem ersten Kapitel auf jeden Fall auf dem richtigen Weg bist. Das, was in meinen Augen an Verbesserungsbedarf in deiner Szene besteht, ist beinahe alles sozusagen ein Folgefehler, der sich aus deiner Unsicherheit ergibt, eine straffe konflikthafte und spannende Entwicklung vom Anfang bis zum Ende deiner Szene zu beschreiben, ohne zwischendurch wieder Spannung und Tempo aus den Geschehnissen zu nehmen. Wenn du darauf noch mehr achtest, werden deine Texte enorm gewinnen.
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