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Alt 13.08.2015, 11:22
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Susanne Gavenis Susanne Gavenis ist offline
Herausforderer der Weisen
 
Registriert seit: 04.2012
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"Konsumterror" trifft es ziemlich gut. Ich denke, ein großes Problem, mit dem viele Autoren, die ihr erstes Buch veröffentlichen, in dieser deutlichen Form nicht rechnen, ist das Gefühl, als Mensch zurückgewiesen zu werden und eine massive Kränkung zu erleben, wenn sich das eigene Buch schlecht oder gar nicht verkauft. Das muss m.E. nicht einmal unbedingt etwas mit einem von vornherein aufgeblähten Riesen-Ego zu tun haben, sondern einfach mit einem plötzlichen Gefühl des Kontrollverlusts, wenn das Werk, an dem man vielleicht jahrelang ganz allein gearbeitet hat und bei dem man letztlich der allmächtige Gott war, der die unumschränkte Gestaltungsmacht besessen hat, mit einem Mal von anderen Menschen für gut oder mangelhaft befunden werden kann. Der jähe Sturz in die Machtlosigkeit und völlige Abhängigkeit vom Urteil anderer (das sich u.a. auch in den Verkaufszahlen zeigt) kann, denke ich, bei dem einen oder anderen zu einer zeitweiligen Überreaktion bzw. Überkompensation führen. Und dann wird mit der Brechstange versucht, sich wieder ein Stück Kontrolle zurückzuholen, indem die gnadenlose Werbelawine fürs eigene Buch losgetreten wird.

Das Problem dabei ist allerdings, dass ein Verhalten, das letztlich in Angst und mangelndem Vertrauen gründet, m.E. niemals zu etwas Gutem führen kann, sondern dass das, wovor man ursprünglich Angst hatte - die Ablehnung der anderen und das Gefühl, abhängig von ihrem Richterspruch zu sein - durch ein solches überzogenes Verhalten erst recht eintritt. Und die Mitglieder in den Foren sind ja zu Recht genervt von Autoren, die ohne das geringste Feingefühl allen ihre göttergleichen Werke um die Ohren hauen und sich nicht im Mindesten um die persönlichen Grenzen anderer scheren.

Was ich allen Autoren, die in sich das Bedürfnis spüren, fünf Minuten nach der Veröffentlichung ihres Buches in 500 Foren mit Donnerhall eine identische Lobpreisung ihres Werks zu verkünden, nur raten kann, ist, stattdessen daran zu arbeiten, ihre Freude am Schreiben und ihrer Kreativität und das Gefühl von Eigenmacht wieder zu sich zurückzuholen. Mein eigenes Mantra nach meiner damaligen Veröffentlichung (und nach meinem zeitweiligen blinden Aktionismus) war: "Wenn nur ein einziger Leser mein Buch kauft und beim Lesen denselben Spaß hat wie ich, als ich es geschrieben habe, dann war es die Geschichte wert, erzählt zu werden."

Wenn man als Autor in dieser Richtung an seinen Einstellungen arbeitet, schafft man es m.E., sich Stück für Stück aus der Eigendynamik des Konsumterrors herauszuziehen. Denn du hast zweifellos recht: Sich diesem Werbezwang mit all seiner Übergriffigkeit gegenüber anderen hinzugeben, ist eine freie Entscheidung, ebenso wie es in den eigenen Händen liegt, eine andere Wahl zu treffen. Das aber würde bedeuten, daran zu arbeiten, sich vom Gefühl der Fremdbestimmung durch den Markt und die Leser so weit zu lösen, dass das eigene Werk wieder als etwas Eigenes wahrnehmbar wird, das nicht durch das Ignorieren, Loben oder Kritisieren anderer Menschen in seinem Wert erhöht oder gemindert wird. Und wenn dieses Gefühl der Abhängigkeit schwächer wird, würde damit m.E. zugleich auch die Angst vor persönlicher Kränkung und Zurückweisung geringer werden, und sowohl der Autor als auch seine anvisierten Leser in den Foren hätten wieder mehr Luft zum Atmen.

Das würde allerdings für jeden Autor eine fortdauernde Übung in Selbstgenügsamkeit und Bescheidenheit bedeuten. Was viele aufdringliche Autoren mit ihren überzogenen Werbeaktivitäten völlig vergessen, ist die schlichte psychologische Wahrheit, dass etwas, das man aus einem Gefühl der Angst tut, niemals zu einem Gefühl der Befriedigung oder Angstfreiheit führen kann, sondern letztlich diese Angst immer nur weiter nährt. Denn was ist, wenn ich mit meiner Buchwerbung alle relevanten Foren überrollt habe? Schon kommt die Angst: Reicht das schon? Sofort werden die Verkaufsränge bei Amazon kontrolliert, ob sich dort etwas tut. Oh Gott, ich werde ja trotz meiner Anstrengungen in den Foren ignoriert! Mein letzter Verkauf ist ja schon zwei Monate her! Das Herz fängt an zu klopfen, und dann schießt mir der rettende Gedanke durch den Kopf: Wenn ich mich in denselben Foren nochmal als Leser ausgebe, der zufällig über mein Buch gestolpert ist, und es als total genial hinstelle, dann wird der Erfolg ganz sicher kommen! Aber woran erkenne ich diesen Erfolg? Sind mir in meiner Angst, ignoriert und für ungenügend befunden zu werden, ein oder zwei neue Verkäufe bei Amazon schon genug? Denn wer weiß, wie es morgen oder übermorgen aussieht? Und warum sind es nur ein oder zwei Verkäufe? Warum nicht 40, 70 oder 100? Andere Autoren haben viel bessere Verkaufsränge als ich! Trotz meines kleinen Erfolges fühle ich mich schon wieder mit dem Rücken zur Wand, und nach dem Motto: Mehr des Gleichen hat noch nie geschadet!, schreibe ich mir meine Leserrezis bei Amazon und in den Foren lieber gleich selbst, damit alle Welt sieht, wie toll ich als Autor bin. USW.

Letztlich hilft aus dieser Angst-Aktivitätsspirale nur der konsequente Ausstieg durch ein radikales Umdenken (wie es in der Psychologie so schön heißt: Man muss "loslassen" - seinen Wunsch, von den Lesern geliebt zu werden, durch ihr Lob im eigenen kreativen Schaffen legitimiert zu werden, durch Fremdbestätigung den eigenen Selbstwert zu vergrößern). Und das Schönste dabei ist: Durch dieses Loslassen holt man sein eigenes Buch auf eine gute und konstruktive Weise zu sich selbst zurück. Davon profitiert nicht nur der Autor, sondern auch seine - vielen oder wenigen - Leser.
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