Einzelnen Beitrag anzeigen
  #61  
Alt 29.04.2012, 10:25
Benutzerbild von Darnamur
Darnamur Darnamur ist offline
nicht nach 24 Uhr füttern
Drachentoeter
 
Registriert seit: 04.2011
Beiträge: 1.467
(2/3)

Der allein gelassene Graccon kauerte am Höhleneingang und spähte in die Welt hinaus. Gusgan hatte sich sehr verändert, seit sie sich das letzte Mal getroffen hatten. Diese scheusliche Verbrennung in seinem Gesicht, er hatte ihm nicht einmal erzählt wie es dazu gekommen war. Und diese Distanziertheit. Früher waren sie gute Kameraden gewesen, hatten Seite an Seite gekämpft. Jetzt haftete etwas Befremdliches an seinem Weggefährten. Er schien sich gänzlich seiner höheren Mission verschrieben zu haben...
Graccons Gedankengänge wurden unterbrochen, als er plötzlich Gestalten wahrnahm, die sich dem Höhleneingang näherten. Wo zum Teufel war sein Revolver?
"Seid gegrüßt!", erklang eine kalte Stimme, die etwas Bedrohliches ausstrahlte. Graccon hörte plötzlich einen Laut von Framire, den er bislang noch nie vernommen hatte- ein Winseln. Langsam drehte er sich zu den Neuankömmlingen um.
Sie waren zu fünft. Der Mann an der Spitze war ein junger Hauptmann. Auf seinem Waffenrock war ein grauer Turm zu erkennen. In den Händen hielt der Jüngling ein geladenes Gewehr. Der Rest trug Schwerter, Hellebarden und Schilde bei sich. Doch mehr als die Waffen der Männer irritierten Graccon ihre leeren, leblosen Augen.
Der Hauptmann richtet das Gewehr auf ihn: "Im Namen der einzigen und wahren Göttin In'Ahte'Fah, ergreift diesen Mann. Er soll am Scheiterhaufen geläutert werden..."
Graccon hatte niemals zuvor versucht, ein Tier zu rufen, doch nun hatte er scheinbar keine Wahl. Mit der von Gusgan verliehenen Macht baute er rasch ein Feld auf und öffnete einen Kanal in Framires Geist.
Ergreifen! Beute!
Ein Fehler, denn das Geschöpf drehte vor Panik völlig durch, erhob sich in die Lüfte und spie ziellos Feuerkaskaden um sich.
Graccon musste all seine Konzentration aufbringen, den Zusammenbruch des Feldes zu verhindern. Mit einer letzten Willensanstrengung lenkte er den Kanal auf die Gestalten vor sich, und der Kontakt gelang. Die jungen Männer mit den glanzlosen Augen verhielten in der Bewegung, doch dies würden sie nur solange wie er den Kanal aufrecht erhalten konnte. Sofort sandte er einen iodigoischen Impuls zu ihnen, der ihre Herzen stillstehen lassen sollte. Wirkungslos. Er fühlte nach ihrem Geist, ihrem Verstand, ihrer momentanen Emotion, und seine suchende Hand griff ins Leere.
Seine Manavorräte gingen ihm aus, das Feld begann zu flackern.
Er begriff, dass der Geist dieser Wesen leer war, sie nur den Willen eines Anderen ausführten. Was, wenn er dieses leere Gefäß füllte?
Kräftig visualisierte er Bilder des Friedens und welche Wirkung sie auf ihn hatten; ein flammender Sonnenaufgang, eine duftende Blütenwiese im Frühling, trunkener Schabernak mit engen Freunden, eine Reise mit lockendem Ziel, seine zärtlichsten Gefühle für das köstliche Wesen, das ihn zum Mann machte...
Die Jünglinge starrten weiterhin aus leeren Augen, doch nun brannten sie, unfähig erlösende Tränen zu vergießen. Es war Graccon gelungen, doch etwas in ihnen zu berühren, eine Erinnerung an einen verbliebenen Fetzen ihrer selbst, ein Echo von Geist, das diese kalten Knochen marschieren ließ. Und dieses Etwas erinnerte sich und begriff den infamen Betrug, den man an ihm begangen hatte.
Dann brach das Feld endgültig zusammen, und Graccon sank entkräftet zu Boden.
Bald darauf stürzten auch die Jünglinge um, einer nach dem anderen, um sich niemals wieder zu erheben.
Der Himmel verfinsterte sich und Regen begann auf die Erde herabzuprasseln. Der ausgelaugte Graccon legte sich schnaufend auf den Rücken. Um diesen Zauber zu wirken hatte er sich selbst Lebensenergie abzapfen müssen- die Magie hat ihn ausgezehrt.
Graccons Beine brannten höllisch, der Rücken und der Nacken waren steif, die Finger zitterten unablässig. Mit schweren, langsamen Atemstößen setzte er sich auf, was Wellen aus Schmerz über sein Rückgrat laufen ließ. Der Magier presste die Zähne aufeinander und ignorierte die Pein. Zum Aufrichten allerdings waren seine Schenkel und Füße noch zu zerschunden.
Es dauerte nicht lange bis er einschlief...
Als er wenig später wieder aufwachte hörte er Stimmen.
"...ist hier geschehen?" Feldan! Mühsam zwängte er die Augen auf und sah, wie Gusgan sich schnüffelnd über den Leichnam des Hauptmanns beugte: "In'Ahte'Fah. Die Dämonin sendet ihre toten und doch lebendigen Häscher aus!" Feldan stellte sich neben den verbrannten Magier: "Wenn du damit meinst, dass es Zombies sind, sollten wir sie schleunigst verbrennen..." Doch Gusgan schüttelte den Kopf und blickte dem Anführer der Truppe in die Augen: "Keine Untote. Bessesene!" Jetzt erst bemerkte er, dass Graccon erwacht war: "Wie hast du sie getötet?" Ja danke, mir geht es auch gut! Er versuchte aufzustehen, doch die Beine hielten sein Gewicht nicht. Entkräftet sank er zurück. Wenn er gekonnt hätte, hätte er sich selbst geheilt, doch er hatte seine gesamte Energie verbraten. Bis er sich wieder völlig regeneriert hatte, würde es dauern.
"Ich habe ihren Verstand mit meinen schönsten Erinnerungen gefüllt!", brachte Graccon hervor.
Gusgan nickte nachdenklich, dann sagte er zu Feldan: "Hast du dir mein Angebot überlegt, Seneschall?" Der blickte mürrisch drein: "Ich brauche Bedenkzeit!" Gusgan nickte: "Ich komme morgen wieder!" Dann tauchte der Magier in die astrale Ebene ein.

Cynthia ließ Arsicc eine letzte Schleife über den brennenden Palast drehen. Die roten und blauen Farbtupfer, die sie durch den dichter werdenden Rauch erkennen konnte, waren nur wenige, und die meisten von ihnen lagen sehr still. Das Schwarz-Silber der Gishka hingegen schien kein Ende nehmen zu wollen. Resigniert schüttelte sie den Kopf.
"Hier gibt es für uns nichts mehr zu tun. Herhören: wir reisen sofort nach Galloch Dyra; dort befindet sich die nächste größere Garnison, und vielleicht weiß man dort noch gar nichts von dem feigen Überfall. Und sollte es dort ebenfalls schon brennen, ist eben Gautahaven unser nächstes Ziel..."
"Vom Chaos kommt es, und in das Chaos kehrt es zurück," psalmonierte der schweigsame Mann im Burnus.
"Noch so ein Spruch, und ich werde deine Rückreise ein wenig beflügeln," raunte der muskelbepackte Hühne, gegen den selbst Carlos wie ein halbverhungertes Waisenkind aussah.
Ratte hielt nach anderen Drachen Ausschau. Wenn es wirklich ein Echsenlord war, der Graccon zur Flucht verhalf, dann war er hoffentlich noch in der Nähe. Er hatte keinerlei Skrupel, diese rote Offizierin mit der Pistole im Nacken zum Rendesvous zu zwingen.
Die weitere Reise verlief in absolutem Schweigen. Worüber hätte man auch reden sollen? Nur die von Angstträumen gepeinigte Sillisa gab hin und wieder einige abgehackte Satzbrocken von sich. Candvallon lag weit hinter ihnen, als Ratte endlich die geflügelte Shilouette am Himmel rechts neben ihnen erkannte. Sofort machte er Cynthia darauf aufmerksam. Sie fluchte sehr undamenhaft und lenkte Arsicc sofort in die entgegengesetzte Richtung.
"Was soll das?" rief Ratte aus. "Wir sollten für jeden Verbündeten, der uns begegnet, dankbar sein..."
"Sohn eines blinden Maulwurfs; das ist ein nesolatischer Manticor! Entweder er dient den Pelingorern als Aufklärer, oder Nesolata selbst hat sich entschlossen, hier mitzumischen!"
"Ja, aber...sitzen wir nicht zufällig auf einem Drachen, und ist dieser nicht wenigstens dreimal so groß wie..."
Fürst Herolmar räusperte sich vernehmlich. "Guter Freund, hat Euch noch niemand erzählt, was die Lieblingsmahlzeit eines Manticors ist?"
Nun hatte wohl auch der Reiter des geflügelten Löwen sie entdeckt, das Ungetüm drehte eine Wende und schoß schnell wie ein Pfeil auf sie zu, während Arsicc weiterhin seine liebe Mühe hatte, ihrer aller Gewicht in der Luft zu halten.
Der Mantikor holte schnell auf. Ratte bekam die Gelegenheit das Tier und den Reiter zu betrachten. Das Flugungeheuer selbst war eine mächtige Bestie. Immer noch dreimal so groß wie ein Pferd, mit scharfen Klauen, einem blutrünstigem Maul und einem schwarzen, tödlichen Skorpionstachel, der dem Steißbein entwuchs. Anders als bei einem Drachen war der Reiter eines Mantikors oft mit den Beinen angebunden, wodurch auch geschwinde Ausweichmanöver möglich wurden. Der Kerl, der diesen ritt war in eine grünlich schimmernde Rüstung gehüllt und trug einen Hörnerhelm über dem Kopf.
Der Muskelklotz hatte inzwischen sein Gewehr geladen und legte an. Doch der Arullpriester legte seine Hand auf den Lauf:"Warte! Ich habe eine bessere Idee- aber dafür brauche ich Ruhe!" Der Hüne wollte gerade zu einer scharfen Entgegnung ansetzen, doch Cynthia schritt ein: "Lass ihn, Nort! Madurul weiß, was er tut!" Nort grunzte, fügte sich aber.
Der dunkelhäutige Madurul erhob sich auf dem schwankenden Drachen."Ich werde versuchen Arulls Flamme zu beschwören", erklärte der Priester. Dann streckte er die Arme aus und richtete die Handflächen der Sonne entgegen. Zuerst tat sich nichts. Dann begann sich der Wind über den Händen zu drehen. Immer schneller umkreiste die Luft sich, bis schließlich ein Zischen ertönte und sich die Ströme zu einer kleinen orangerot glühenden Kugel zusammenzog. Diese blähte sich erst in großem Radius auf, zog sich dann wieder zusammen und begann sogleich sich in gleichmäßigem Rythmus aufzupumpen. Schwarze, dickflüssige Schlieren durchzogen den roten Feuerball. An einigen Stellen platzte die Außenkruste auf und Brandblasen schossen blubbernd heraus. Madrulus blieb die Ruhe selbst. "Töte!", flüsterte er der Kugel zu, dann sandte er den Feuerball auf den Mantikor zu.
Arulls Flamme war schnell. Wie ein feuerroter Blitz raste sie auf den Löwen zu. Es war unmöglich ihr auszuweichen- dieser Reiter jedoch tat es. Mit einer blitzschnellen Drehung gelang es dem Nesolater sein Flugtier in Seitwärtslage zu befördern. Er entging dem Feuerball hautknapp.
Nort schnaubte: "Wieso hörst du bloß immer auf diesen Spinner. Hock dich hin Priesterchen. Du versperrst mir die Sicht!"
Während sich der Arullpriester nachdenklich niederließ, starrte Kellorn immer noch fassungslos auf ihren Verfolger. "Was ist?", fragte ihn Ratte, der allmählich nervös wurde und mit seinem Revolver spielt. Kellorn blinzelte und drehte seinen Kopf zu ihm herum: "Dieser Mann ist kein Krieger. Es ist ein Schädeljäger!" Er blickte wieder zum Mantikor. Ratte schaute zu Carlos, doch der wusste genauso wenig wie er selbst und zuckte nur mit den Schultern. Doros Gesicht verfinsterte sich, ihr stummer Begleiter schien den Begriff sehr wohl zu kennen und zum ersten Mal erkannte Ratte Hass in seinen Gesichtszügen.
Nort feuerte unablässig. Seine letzten beiden Schüsse trafen, doch dem Mantikor schienen die Verletzungen wenig zu behindern. In wildem Tempo raste er auf sie zu. Carlos gesselte sich zu Nort und begann ebenfalls zu Schießen. Doch auch wenn die Kugeln ins Fleisch eindrangen, behinderte es das Monstrum wenig.
Es war noch etwa zehn Schritt entfernt und Nort packte sich einen Speer. Madrulus, Kellorn und Ratte taten es ihm gleich. Carlos behielt seine Revolver.
Als der Mantikor noch etwa fünf Schritt entfernt war, passierte es. "Nein!", schrie Ratte, doch es war zu spät. Mit hocherhobenem Spaten sprang er vom Drachen. Der festgeschnallte Mantikorreiter schrie entsetzt auf, als der ehemalige Totengräber mit voller Wucht in ihn hineinkrachte. Dann erhob sich Doro und spaltete mit einem einzigen Schlag den mächtigen Hörnerhelm. Der Schädeljäger fiel in seinem Sessel zusammen.
Sein Reittier gebärdete sich wie wild, Doro versuchte sich festzuhalten -und scheiterte. Seinen Spaten in den Händen haltend stürzte er in die Tiefe. Solange bis Arsiccs Kralle ihn ergriff. Der Mantikor verschwand mit herabhängendem Reiter in der Ferne.
Während die Hohen Lords die noch immer schlafende Königin sicherten, zogen Ratte und Carlos ihren heldenhaften Kameraden wieder zu sich herauf.
"Phragdas Gnade, was war das für ein Ding, gegen das unsere Kugeln wirkungslos waren?" fragte der hühnenhafte Nort und schüttelte sich nachträglich.
"Etwas, gegen das alle Kugeln, Pfeile, Bolzen, Steine und selbst Drachenfeuer dieser Welt machtlos sind," sagte Cynthia, während sie Arsicc wieder auf Kurs brachte. "Nur im direkten Kontakt vom Arm über Waffe ist es zu töten."
Doro hörte ihnen zu, reagierte aber nicht darauf. Nur sein glühender Blick bohrte ein Loch in den Abendhimmel.
"Ihr nanntet es einen Schädeljäger," hakte Ratte nach. "Was ist das?"
"Etwas, woran zu denken ich weder wünsche noch wage," sagte Madurul und machte schnell das Zeichen Arulls vor seiner Stirn. Ratte dachte daran, welchem Gott dieser Mann huldigte, und hielt es für besser nicht weiter zu fragen.
"Aber was macht er hier in der Luft?" meldete sich nun Kellorn an seiner Statt. "Die Schädelstätten sind doch normalerweise ihre ..."
Doro gab einen barschen, unartikulierten Laut von sich, fasste seinen Spaten am äußersten Ende und sah ihn drohend an.
Madurul flüchtete sich ins Gebet. Die Toten griffen in den Krieg ein...Er ahnte, was dies bedeuten mochte, doch warum sollte er ihre letzten Tage zu einer Zeit hoffnungsloser Verzweiflung machen?
Als sie Galloch Dyra erreichten, war die Stadt bereits ein einziges Inferno und vollständig verwüstet. Vereinzelt konnten sie die Klageschreie der Opfer hören und einige, wenige Menschen sah man durch die lichterloh brennenden Gassen wuseln. Von Gishkas, Artillerie und Greifenreitern war nichts zu sehen- sie mussten bereits weiter nach Osten vorgerückt sein. Ratte hielt die Drachenreiterin an hinabzufliegen, doch sie wollte keine Zeit verlieren, um wenigstens Gautahaven rechtzeitig zu erreichen.
Doch das Schicksal war grausam. Als sie Gautahaven erreichten, einst ein mächtiger Binnenhafen, lag die Stadt ebenfalls bereits in Trümmern. Entsetzt betrachteten sie die Bilder der Verwüstung. Auf dem Henkersplatz baumelten drei Dutzend Männer und Frauen an ihren Galgen und die Straßen waren mit blutigem Gelee überzogen. Abgehackte Körperteile und vertümmelte Leichen lagen zu gewaltigen Bergen angehäuft beieinander. Ratte war nicht der einzige, der sich beim Anblick übergab.
"Was ist der nächste Ort?", keuchte er.
"Samtith, eine Bergfestung", murmelte sie tonlos und bleich. "Aber ich schlage vor, dass wir sofort nach Vandrall fliegen, wo die erste Avalische ihren Hauptstützpunkt hat!"
"Aber Euer Drache," gab Lord Herolmar zu bedenken. "Er trägt uns bereits seit Stunden, wird er eine solche Reise noch durchstehen?"
"Er schläft bereits; ich lenke ihn durch seine Träume." Ratte beneidete das Tier. Er selbst war bereits dem Umkippen nahe, und scheinbar ging es dem Rest der Gruppe nicht anders.
Gegen Sonnenaufgang entdeckte Cynthia einen abgerissen aussehenden Füsiliertrupp des regulären avalischen Westheeres auf der Straße unter ihnen. Sie beschloss niederzugehen, um nach dem Rechten zu fragen.
"Wir kommen aus Dermath und hatten Auftrag, die Bastion in Vandrall zu verstärken," erklärte ein Sergant, der Mangels Offizieren die Führung übernommen hatte, "als wir direkt in die Speerspitze der Nesolater hineinrannten..."
"Also doch!" rief Cynthia aus. "Nesolata hat sich Pelingora angeschlossen!"
"Aye. In einem mörderischen Nachtgefecht gelang es uns, sie über den Samber zurückzudrängen, doch was ihr hier seht ist alles was von eintausendundachthundert übrig blieb. Der Feind hat Samtith überrannt, doch die Verluste unter der Bevölkerung sollen sich in Grenzen halten. Nesolata scheint die Konventionen einzuhalten und ist eher auf Eroberung denn Vernichtung aus. Die Pelingorer hingegen wüten wie die Bestien, habe ich gehört. In Gautahaven wurde jeder ermordet, der es nicht rechtzeitig schaffte zu verschwinden. Danach wurde die Frucht auf den Feldern verbrannt und das Salz der Meeressolen darüber gestreut, dass sie nun für immer verdorben sind. Der Brotkorb des Reiches ist nun ein Hungersloch."
"Dafür wird Begimeil bluten!" schwor Cynthia finster.
"Das ist noch nicht alles," sagte der Sergant stockend. "Die Dritte und Neunte pelingorische Abgesessene, die für das Blutbad in Gautahaven verantwortlich sind, haben sich kurz nach der Schlacht und all dem Wüten und Zerstören scheinbar einfach in Luft aufgelöst. Die Berichte darüber sind sehr widersprüchlich, doch am häufigsten wurde darüber berichtet, dass sich am Abend nach der Schlacht die Toten beider Armeen einfach aufrichteten und die Sieger zerfleischten!"
"Das- ist sehr beunruhigend. Wie hat Begimeil reagiert?", sagte sie stockend.
"Den Berichten zufolge hat Erkil der Rote die Stadt ein weiteres mal eingenommen, allerdings unter hohen Verlusten und hat die Gefallenen verbrannt. Ich habe dazu, aber keine gesicherten Quellen. Fest steht, dass er seine Truppen nun mit dem General der ersten Pelingorischen, Stevener von Dénhal zusammengetan hat und nun gegen Vandralls Mauern anstürmt. Wir hatten eigentlich vor, der Streitmacht in den Rücken zu fallen, doch das ist jetzt nicht mehr möglich!"
Cynthia nickte: "Macht weiter! Wir werden diese Nachrichten nach Vandrall weitergeben!"
Sie befahl Arsicc abzuheben und der Drache schwang sich nach mehreren, den Boden erschütternden Sprüngen in den Himmel auf.
Sie erblickten das pelingorische Heer gegen Mittag. Tausende von Männer in Rüstungen eilten hin und her. Gelegentlich wehte auch der schwarze Kriegsfalke der Gishkas in den zahlreichen Reihen. Vier Dutzend Greife und ein halbes Dutzend Mantikore kreisten über dem Schlachtfeld. Vandrall und damit die erste Avalische, die Reichsarmee war komplett eingezingelt. Allerdings lag die Festungsstadt, auf einem hohen Hügel, sodass die Verteidiger eine strategisch gute Position hatten. "Und wie sollen wir dort bitte durchkommen?", schnaufte Herolmar, der schon seit geraumer Zeit jähzorniger und genervter wurde.
"Es wird uns wohl keine andere Wahl bleiben, als durch dieses Getümmel hindurchzufliegen, mylord!", antwortete sie kühl und wendete Arsicc auf die Stadt zu.
"Das ist Wahnsinn," meinte Fürst Herolmar. "Der erste Manticor wird unser Tier mit seinem Gift vollpumpen. Lasst uns zuerst die Königin in Sicherheit bringen!"
Fürst Fergas lachte zuversichtlich. "Ich habe Vertrauen in unsere Echsenlady. Die beiden sind seit Jahren ein vertrautes Gespann und haben vor Fersting noch viel Unmöglicheres vollbracht."
"Und ich wette, wir schaffen es nicht mal über die Mauer," nörgelte Herolmar unüberzeugt.
"Um fünfhundert Durant?"
"Topp!" Beide klatschten ein. Ratte war sich unschlüssig, ob er nun lachen oder die beiden gleich hinunterstoßen sollte.
Cynthia ließ Arsicc hoch aufsteigen, weit außerhalb der Reichweite der Gewehre. Ratte, Carlos, Kellorn und Nort sicherten mit ihren Waffen nach allen Seiten. Madurul redete beruhigend auf die Königin ein, die just eben im Begriff war zu erwachen.
Einer der Greifenreiter wurde auf sie aufmerksam und stieß in ein langes Signalhorn. Die anderen Greifen sahen nun auch den Drachen und begannen auseinander zu kreisen. Dafür kamen zwei Manticore direkt auf sie zu.
Fluchend stieß Cynthia hinab, und promt ertönte Gewehrgeknatter unter ihnen, verebbte jedoch, als die Löwen mit den Menschengesichtern dem Drachen nahe kamen.
Die bewaffneten Freunde ballerten enthusiastisch auf sie los. Die Bestien mochten fast kugelfest sein, doch ihre Reiter waren es nicht. Der Vorderste wurde in dem Sattel, auf dem er festgeschnallt war, hin und her gerissen, den zweiten Manticor erwischte Kellorn durch einen unglaublichen Glückstreffer direkt ins rechte Auge. Mitsamt seiner schreienden Fracht trudelte er abwärts. Der erste Manticor jedoch hielt weiterhin auf sie zu, er war wohl hungrig.
"Dragii stermale IGNESFRAT bargalzt!" rief Madurul aus und biss sich auf die Finger seiner linken Hand, dass das Blut herabrann. Im nächsten Augenblick war Arsicc zur Gänze in einen lichtlosen Glanz getaucht, einem Schwarz schwärzer als dieses. Der Manticor krachte überrascht in diese Blase aus absolutem Un-Licht und brach sich mehr als nur ein paar Knochen.
"Ich danke dem großen Arull für seine Güte, den Schild der Finsternis zu schenken," sprach der Priester ergeben und entrückt.
"Und ich habe auch zu danken!" rief Cynthia aus. "Wir sind jetzt vielleicht geschützt, aber dafür fliegen wir völlig blind!"
Nort lachte gehässig. "Solcher Art sind Arulls Geschenke immer..."
"Sehr schön!", brüllte Ratte zornig. "Jetzt kann uns jeder, als wabbernden, schwarzen Fleck erkennen. Unf wie sollen wir jetzt bitte zielen?" Um sie herum ertönten plötzlich Schreie. Ratte vermeinte auch das Brüllen von Drachen zu hören: "Haben wir Unterstützung bekommen?" Cynthias Stimme ertönte: "Madurul, ich kann Arsicc so nicht steuern!" Der Arullpriester antwortete etwas, doch Ratte verstand ihn nicht, da neben ihm Bants Gewehr losging. Der Hüne feuerte blind nach hinten und tatsächlich ertönte der Schrei eines Greifen. Arsicc, dessen Sinne verrückt spielten, bäumte sich auf. Ratte wurde von Carlos Körper zerdrückt und schlitterte mit seinem Gefährten den Rücken des Drachen hinab. Verzweifelt suchten seine Hände nach einer Stelle, an der er sich festhalten konnte. Schreie! Er hörte Lord Fergas den Namen der Königin rufen. Ein Ruck durchfuhr Ratte. Er hing an Carlos Bein. Sein Freund hatte anscheinend einen Halt gefunden. Madurul intonierte einige dunkel klingende Worte. Cynthia schrie Befehle. Herolmar stieß ein hysterisches Lachen aus. Arsicc schüttelte sich. Ratte wurde nach vorne geschleudert und prallte neben der neuen Seneschallin der roten Kürassiere gegen den Drachenschädel. Jemand stieß einen Schreiaus. Dann verflüchtigte sich langsam die Dunkelheit und es wurde wieder hell. Zu seiner Erleichterung befand sich Sillisa noch bei Ihnen. "Kellorn ist hinabgestürzt!", sagte Carlos düster. Ratte sah sich um, doch der vollgepanzerte Reiseführer, der sie zuverlässig durch die Tunnel des Unterreichs geführt hatte blieb verschwunden. Verdammte Scheiße! Erst Magasai, jetzt Kellorn. Um sie herum ertönte lautes Brüllen. Ratte erkannte Drachen. Zwei blaue, eine rote und eine alte, graugeschuppte Flugechse hatten sich mit Geschützmannschaften für sie ins Gefecht gestürzt. Der rote Drache allerdings, wurde gerade von Greifenreitern gekapert. Die avalischen Soldaten wurden abgeschlachtet und ein Kettenmagier aus Pelingora unterwarf das Tier seinem Willen.
Die anderen Drachen bildeten eine Dreiecksformation, um sie zu schützen. Cynthia steuerte Arsicc, so schnell sie es vermochte auf die Mauern Vandralls zu. Einer der blauen Drachen wurde von gleich zwei Ballisten hintereinander getroffen und stürzte ab. Nur noch zwei Beschützer blieben Ihnen. Ein Dutzend Greifenreiter und ein Mantikot hefteten sich dem Trio an die Fersen, doch dann kamen sie in Reichweite der vandrallischen Schützen und drehten ab. Als Arsicc endlich landete, ließ Ratte sich schweißüberströmt zurückfallen und atmete langsam ein und aus. Währendessen eilten Soldaten der Reichsarmee herbei, um Sillisa, die Fürsten und Cynthia einen gebührenden Empfang zu bereiten.
Cynthia erkannte die Gestalt in der Messingrüstung mit dem wehenden Scharlachmantel an der Spitze der heraneilenden Gruppe, fiel auf ein Knie und senkte ehrerbietig den Kopf. "Hochlord Vestarn, ich fühle mich über die Maßen geehrt."
"Lasst das bitte, gute Lady," stieß der Reichsfeldgeneral atemlos hervor. "Hier sind wir alle einfach nur Soldaten. Geht es Ihrer Majestät gut?"
Cynthia war überrascht. "Ihr wisst...?"
"Einem einfachen Meldeflieger hätte man wohl keine solche Eskorte geschickt," sprach eine Gestalt hinter dem Overlordgeneral des avalischen Reiches. Ein einzelnes blaues Auge blitzte belustigt in einem aufs Schrecklichste entstellten Gesicht. "Gut zu sehen, dass ihr es geschafft habt, Ratte, Doro und Carlos."
"Gusgan?" fragte Carlos unsicher. "Bist das wirklich du?"
Zwei Feldscher mit einer Trage luden die kraftlos protestierende Sillisa auf das Tuch und eilten mit ihr davon. "In den vorbereiteten Raum," rief Gusgan ihnen nach. "Ich muss mich vergewissern, dass das Kind keinen Schaden davongetragen hat."
Während Cynthia Vestarn knapp Bericht erstattete, dessen Gesicht dabei immer länger wurde, trat Ratte an Gusgan heran. "Dein Gesicht...was ist geschehen?"
"Später, mein Freund, wenn wir darüber lachen können."
"Gusgan, Magasai ist in Candvallon dafür gestorben, dass wir die Königin lebend hierher bringen konnten..."
"Aye, er war ein tapferer Mann. Man wird seiner gedenken." Er wandte sich um und rief noch: "Zur achten Stunde im "Jaulenden Jeggo", seid pünktlich!", dann rannte er den Feldschern hinterher.
Mit hängenden Armen stand Ratte da und versuchte zu entscheiden, ob er sich sofort besaufen oder auf diesen Bastard losschießen sollte.
Er entschied sich für das Erste: "Ich gebe einen aus Leute, wer will mitkommen?"
Bant, Carlos und Doro schlossen sich ihm an, einzig Madurul blieb zurück. Er sagte, er wolle den hiesigen Arullsschrein aufsuchen und trennte sich auf dem Weg von Ihnen.
__________________
- Einmal Knochenmesser, immer Knochenmesser -
Mit Zitat antworten