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Alt 15.05.2008, 15:04
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Tánya Tánya ist offline
Sídhe de Môrhen
Zauberlehrling
 
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Die Amon’Har

Die Ainmil’anahm hatten die Fango-Sümpfe hinter sich gelassen. Man sah das feuchte Waldgebiet nur noch als nebligen, grünlichen Fleck, weit unter ihnen. Asgarl war froh, dass ihnen wenigstens dort keine Gefahr gedroht hatte. Diese Sümpfe waren gefährlich, da hatte Lysior wirklich recht gehabt, aber sie waren schließlich nicht hindurch, sondern nur vorbeigegangen. Nun waren sie den Amon’Har nicht mehr ganz so fern, aber leider auch noch nicht nah genug, um sicher zu sein vor allen Gefahren.
Denn der Aufstieg war mehr als grausam. Das wusste Asgarl. Die meisten seines Volkes hatten ihre Tiergestalt angenommen, weil sie so definitiv besser vor der Kälte geschützt waren. Doch sie froren trotzdem, ohne Ausnahme.
Asgarl knurrte leise vor sich hin, und Lysior sah seinen Anführer ohne Regung an.
Asgarls mächtige Bärengestalt jedoch würdigte ihn für den Moment keines Blickes, er war noch immer tief in Gedanken versunken. Lysior gab es auf, etwas von seinen Absichten zu erfahren und wandte sich ab.
Nuális hatte derweil alle Hände voll zu tun. Ihr fiel unter anderem die Aufgabe zu, die Kinder vor der Kälte zu schützen. Nuális hatte die Kleinen mit ein paar anderen ihres Volkes in Stoffe gewickelt und nun drängten sie sich nah aneinander in einer Art Wagen, der von Ryan zähneknirschend gezogen wurde. Dieser hasste es, als Pferd gebraucht zu werden. Jemandem auf sich reiten lassen war eine Sache, aber einen Wagen zu ziehen? Doch er beschwerte sich nicht, denn er wusste, was auf dem Spiel stand. Sie hatten eh zu wenig Junge, als das man auch nur eines verlieren könnte.
Nuális konnte dabei natürlich nicht ihre Tiergestalt annehmen, und ihr klapperten die Zähne vor Kälte.
Lysior sah sich das eine Weile an, verwandelte sich zurück in seine Körperform und ging zielstrebig auf den Wagen zu. „Verwandle dich, sonst erfrierst du. Ich löse dich ab.“
„Aber...“
„Diskutiere nicht mit mir! Die anderen haben sich schon zweimal ablösen lassen, nur du bist stur wie eh und je.“
„Du musst sie warm halten und aufpassen, dass die Stoffe nicht feucht werden“, erklärte sie ihm, doch Lysior winkte ab.
„Verwandle dich! Ich komme schon zurecht“
Nuális funkelte ihn zornig an. Was bildete er sich ein, ihr Befehle zu erteilen? Jedoch war ihr wirklich so furchtbar kalt, dass sie nichts sagte, sondern erleichtert in die Gestalt einer Wildkatze mit dickem Fell glitt. Elegant sprang sie auf den Wagen und legte sich als Wärmepuffer zwischen die Kinder, nicht ohne Lysior noch einmal ordentlich angefaucht zu haben.
Dieser jedoch lächelte nur milde.
*
Der steile Weg schien sich endlos dahinzuziehen. Der Bergpfad war karg und nur wenig grün war hier zu sehen. Nur winterhartes Moos und vereinzelte Grasbüschel durchbrachen das Grau. Einige windumtoste Tannen, aber auch vereinzelte Sträucher trotzen zwar der Kälte, aber sonst gab es nur Felsen und Geröll. Der Pfad wand sich den Berg hinauf, und die Landschaft im Tal wurde mehr und mehr eine verwaschene bunte Fläche. Es wurde kälter und kälter und sie hatten an den Frost schon zwei Leben abgeben müssen. Einer der Älteren war einfach zusammen gebrochen und war nicht wieder aufgestanden, und eins der Jüngsten war aus seinem tiefen Schlaf nicht wieder erwacht. Noch schneite es nicht und glücklicherweise war auch noch nichts vereist, doch lange würde das wohl nicht mehr anhalten. Leises Weinen, die Laute von Tierpfoten, ab und zu ein Schnaufen, mehr hörte man von dem kleinen Volk nicht.
Dann geschah einiges so schnell und gleichzeitig, dass einige nur verwirrt dastanden.
Asgarl, Lysior, Nuális und auch ein paar andere verwandelten sich in ihre Körpergestalt, dunkle Schatten kamen von allen Seiten auf sie zu, Laute wurden zu ihnen herübergeweht und viele hatten plötzlich einen Pfeil vor der Nase.
„Nicht!“ rief Asgarl mit grollender Stimme. Er war hin und hergerissen, in welche Gestalt er schlüpfen sollte. Demzufolge war er in seiner Körpergestalt, hatte jedoch noch die vorstehende Schnauze des Bären und auch teilweise noch sein Fell. „Wir sind Flüchtlinge!“
Als Asgarl merkte, dass man ihnen nur drohte, aber wohl keinen Angriff auf sie ausüben wollte, verharrte er und glitt vollends in seine menschenähnliche Gestalt. Er wartete geduldig.
Sie waren von großen Gestalten umzingelt. Menschen, zumeist mit zotigen Bärten, hielten riesige Langbögen gespannt und starrten das Tiervolk grimmig an. Sie schienen der Kälte völlig zu widerstehen, denn auch wenn die meisten von ihnen Fellwesten und-Stiefel trugen, so hatte ihre Kleidung nicht einmal Ärmel.
Ein scharfer Ruf ertönte und die Waffen wurden gesenkt. Man ließ eine große hünenhafte Frau vorbei.
Es war unschwer zu erkennen, dass es eine Frau war, denn man konnte angesichts der engen Lederrüstung ihre Körperformen gut ausmachen, dunkles Haar wallte lang über ihre Schultern. Über ihrer Lederkleidung trug sie ein hell glänzendes Kettenhemd und auf ihrem Kopf thronte ein großer Helm, der die Form eines Wolfskopfes hatte. Sie beäugte Lysior, der sie in Wolfsgestalt anknurrte, dann nahm sie gelassen den Helm ab und begutachtete den Trupp der Flüchtlinge.
Sie war groß, fast doppelt so groß wie Nuális und ihr Gesicht, welches man nun sehen konnte war durchlaufen von einer großen Narbe, die sich quer über ihr ganzes Gesicht zog. Ihre hellen Augen, die einen seltsamen Kontrast zu ihrem dunklen Haar bildeten, glitzerten in stummer Neugierde.
Asgarl verneigte sich. „Ich bin Asgarl, Anführer meines Volkes. Ich sehe, Ihr seid eine Fürstin der Jagd.“
Sie nickte knapp. „Was ist passiert?“ fragte sie mit samtener, fast tiefer Stimme.
„Fremde Tarken dringen in unser Gebiet und metzeln alles nieder. Ich ersuche Asyl für mein Volk.“
Bei dem Wort “Tarken“ wurden ihre Augen dunkel vor Zorn, doch sie blieb völlig beherrscht, gab nicht einen Laut von sich. „Wie viele Tarken?“
„Zu viele“, antwortete Asgarl nur.
Sie schüttelte den Kopf, dann machte sie ein Zeichen, um Asgarl ebenfalls Ehrerbietung zu erweisen.
Es fällt ihr etwas spät ein, aber immerhin, dachte Asgarl seufzend.
„Ich dachte, ich hätte mich getäuscht“, fuhr sie fort, „doch ich hatte in den letzten Tagen ein paar Mal das Gefühl, ich hätte einen fremden Geruch in der Nase. Widerwärtig! Dann ist es wohl wahr, wenn es so ist, wie du sagst. Ich hatte es schon fast befürchtet.“ Sie begutachtete noch einmal den ganzen Flüchtlingstrupp. „So viele seit ihr nicht. Ihr könnt uns folgen, ich bringe auch nach Saniskan. In Anbetracht eures Zähneklapperns, wäre es noch der beste Ort für euch, weil er an der Grenze zu den eisigen Bergen ist.“
Asgarl wusste, dass dies bedeutete, dass es nicht noch kälter wurde, deshalb nickte er zustimmend. „Bin ich es wert, dass Ihr mir Euren Namen verratet?“ fragte Asgarl mit tiefer Stimme und er ärgerte sich insgeheim ein wenig über die Arroganz dieser Frau, ob nun angesehene Anführerin einer Jagdgemeinschaft oder nicht..
Sie jedoch zog eine Augenbraue hoch und begutachtete ihn ausgiebig, wie um dies abzuwägen. Dann straffte sie sich.
„Ich bin Nodis de Rhamar.“
Asgarls Augen weiteten sich. Viele von den Ainmil’anahm schauten auf.
Nodis de Rhamar war eine Heldin im Volk der Amon’Har. Die Geschichten und Legenden über sie waren selbst zu dem kleinen Volk der Tierwandler durchgedrungen.
„Es ist mir eine Ehre!“ sagte Asgarl ernst.
Nodis lächelte. „Weißt du, was der Name bedeutet?“ Ihr schien das wichtig zu sein.
Asgarl nickte. „Ja, ihr seit wahrlich die Fürstin der Jagd. Die Fürstin über die Rhamar.“
Rhamar nannte man die Riesenechsen, auf die die Amon’Har nur zu gerne Jagd machten, so gefährlich es auch sein mochte. Die Ainmil’anahm waren darüber überaus froh, denn sie selbst konnten gegen diese riesigen Tiere nicht viel ausrichten.
Nodis schien zufrieden zu sein und gab ihm einen Wink, ihr zu folgen. Plötzlich verharrte sie und sah Lysior an, der sich langsam in seine Körpergestalt verwandelte.
Sie reichte ihm ihren Wolfshelm. „Würdest du auf ihn achten?“
Lysior nickte nur und nahm den silbernen Helm an sich. Er war sich bewusst, dass ihm eine große Ehre zuteil geworden war, denn eine Jagdfürstin der Amon’Har gab ihren Helm nicht so ohne weiteres in fremde Hände.
Ihm war aber auch völlig klar, dass es wohl hauptsächlich wegen seiner Wolfsseele war.
Asgarl gab Nuális einen Wink. „Nodis de Rhamar, ich stelle dir meine Tochter Nuális vor.“
Nodis warf einen kurzen Blick auf Nuális und erfasste sofort ihr Wesen. „Sei gegrüßt, Katze der Wälder.“ Sie wandte sich an Nuális’ Vater. „Du darfst mich Nodis nennen.“
Asgarl nickte zufrieden. „Wo gehen wir hin?“
Nodis lächelte geheimnisvoll. „Habt ihr schon mal eine Rhamar aus der Nähe gesehen?“
Asgarl sah sie verdutzt an. „Ich hoffe, die Dunkelechse lebt nicht mehr?“
Nodis lachte. „Warum? Habt ihr Angst?“
„Natürlich nicht! Ich denke an die Gefahr für mein Volk!“
„Diese eine Echse ist keine Gefahr, zumindest nicht für die, die meine Freunde sind.“ Sie zwinkerte ihm belustigt zu.
Nuális wurde etwas bleicher, als ein grauenerregender Schrei durch die Berghöhen hallte.
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