Einzelnen Beitrag anzeigen
  #13  
Alt 05.02.2016, 16:38
Benutzerbild von Susanne Gavenis
Susanne Gavenis Susanne Gavenis ist offline
Herausforderer der Weisen
 
Registriert seit: 04.2012
Beiträge: 133
Ein interessanter und kluger Perspektivenwechsel! In der Tat habe ich bei mir selbst ebenfalls die Tendenz festgestellt, umso ungnädiger und kritischer mit den Leistungen anderer zu sein, je intensiver ich mich mit bestimmten Wissensgebieten auseinandersetze und meine diesbezüglichen Kenntnisse und Fähigkeiten erweitere. Dies ist bzw. war beim Romane-Schreiben so und ebenfalls - was für mich eine sehr bedeutsame Wahrnehmung war - bei meiner Arbeit als Lehrerin in der Schule.

In beiden Bereichen erfordert es für mich eine ständige Achtsamkeit, nicht zu viel von dem, was für mich an Wissen mittlerweile selbstverständlich geworden ist, bei meinen Schülern bzw. bei angehenden Autoren vorauszusetzen, die sich mit ihren Fähigkeiten und Kenntnissen noch in einem Lernprozess befinden, den ich in dieser Form bereits hinter mir habe. Hier hilft mir nur das kontinuierliche Bemühen um einen Perspektiven-Wechsel weg von mir selbst und hin zu dem anderen, damit ich seinen gegenwärtigen Kenntnis- und Fähigkeitsstand nicht aus dem Blick verliere und ungerecht über Dinge urteile, die mir selbst aufgrund langjähriger Übung leichtfallen, für andere hingegen noch neu und unvertraut sind. Ansonsten rutscht einem schnell ein ungeduldiger "Was ist denn daran so schwer?"-Stoßseufzer heraus (bzw. zeigt sich - auch wenn man sich sein Teil lediglich denkt - in seiner Körpersprache), der dem anderen Unrecht tut und ihn demotiviert. Die Grenze zur Überheblichkeit ist hier sicherlich relativ leicht überschritten, wenn nicht aus böser Absicht, so doch aus diesem Gefühl der eigenen Mühelosigkeit heraus, das man nicht mehr genug hinterfragt, wenn man dieselben Leistungen auch von anderen erwartet.

Das Problem bei den brutalen Ein-Sterne-Verrissen auf Amazon ist allerdings, dass die Beziehung zwischen kritisiertem Autor und ungnädigem Leser in der Regel nicht von dem konstruktiven und empathischen Wunsch getragen wird, zu helfen (auch wenn man dabei vielleicht manchmal zu hart urteilt und sich selbst zurückpfeifen muss), damit ein anderer lernt, es besser zu machen, sondern oft lediglich das Bedürfnis des Lesers ausdrückt, den Autor zu verletzen, einfach weil er die Macht dazu hat, und diesen Unterschied spürt man, denke ich, sehr deutlich.

Auch wenn das natürlich nicht die einzige Motivation für negative Rezensionen ist und ich jetzt nicht zu sehr vereinfachen möchte, sind es doch m.E. in besonderem Maße jene oft nur in zwei oder drei lapidaren Sätzen dahingeworfenen Totalvernichtungen des Werkes eines Autors, die die oben erwähnte destruktive Angst-Abwehr-Spirale auf Seiten des Autors wenn nicht ursächlich ins Leben rufen, so doch zumindest mit Energie befeuern und mit dazu führen, dass die Leser in den Augen des Autors zu Feinden werden, mit denen man nicht offen kommuniziert, sondern gegen die man sich verteidigen muss, um nicht gänzlich von ihnen zermalmt zu werden. Wenn eine solche negative Rezension bei dem Autor dann noch auf einen durch Selbstzweifel und eigene biographische Unsicherheiten ohnehin bereits fruchtbar gemachten Boden fällt, entsteht schnell ein Gefühl von Ohnmacht und Kontrollverlust, und der Autor fühlt sich mehr wie ein Mobbing-Opfer, das vor Furcht zitternd auf den nächsten feigen Angriff wartet, als wie jemand, der mit seiner eigenen Leistung das Leben anderer auf eine positive Weise zu bereichern vermag - geschweige denn das eigene.

Gerade wenn eine extrem negative Rezension nicht begründet, sondern einfach in den Raum gestellt wird, ist m.E. das Gefühl des hilflosen Ausgeliefert-Seins beim Autor besonders groß, und der Autor reagiert (um es mal angeberisch in der Sprache der Transaktions-Analyse zu sagen) mit seinem verletzten Kindheits-Ich, statt reflektiert mit seinem Erwachsenen-Ich damit umzugehen, weil das in diesem Moment für ihn oft einfach nicht erreichbar ist.

Bei allem empathischen Verständnis für die Seelennöte der armen Autoren möchte ich jetzt allerdings nicht zu einseitig sein. Manche Autoren haben ihre negativen Roman-Verrisse aufgrund ihrer eigenen Inkompetenz und ihrer gegen jede Kritik immunisierenden Hybris mehr als verdient, und wer als Autor DIESEN Anteil an seiner momentanen Erfahrung nicht sehen will und den bösen Lesern die alleinige Schuld zuweist, geht damit ebenso am Wesentlichen vorbei wie ein Autor, der sich nach jeder negativen Meinung über sein Buch innerlich wie ein zerschnittener Regenwurm krümmt und sich selbst für den letzten Abschaum auf der Welt hält.

Da ich gerade merke, dass ich anfange, mich zu wiederholen (was bei Themen, die mir am Herzen liegen, leider schnell passiert), sollte ich lieber aufhören, bevor meine Monologe noch langweilig werden (was der Sache ja wenig dienlich wäre).
Mit Zitat antworten