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Alt 10.03.2012, 15:16
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Darnamur Darnamur ist offline
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Drachentoeter
 
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Nortia nahm noch einen Schluck, bevor sie antwortete. Immer wieder wollten alle auf dieses Tier zurückgreifen! War es denn das einzig besondere an ihr? Wäre sie etwa wertlos, wenn sie es nicht mehr hätte? Das wollte sie nicht glauben! Trotzdem.. wenn sie das Tier verlöre.. Egal!
"Meine Instinkte verstärken? Du kannst gerne diesen Trank brauen; aber bis dahin habe ich ihn wohl längst gefunden. Wie lang brauchst du dafür? Falls ich nicht erfolgreich sein sollte, werde ich hierher zurückkommen, sobald du den Trank fertig hast!"
"Du verstehst wohl nicht mein großartiges Angebot," greinte Amelthor vor sich hin. "Das Tier in dir geht zugrunde, aber mithilfe dieses Trankes kannst du es nicht nur am Leben erhalten, nein, du gewinnst auch noch die volle Kontrolle über es und kannst auf seine Fähigkeiten zurückgreifen, wann immer du es willst."
"Ich habe heute schon so einiges schlucken dürfen, wovon ich nicht weiß was es mit mir anrichtet," begehrte Nortia auf. "Und nun verlangst du von mir, dieses widerliche Zeug runterzuwürgen! Bin ich hier jedermanns Kasper? Was seid ihr bereit zu tun?"
"Tu was der weise Mann von dir wünscht," sagte Begalius-der-Mörder mit eisigem Grinsen, "wenn du für uns von Nutzen sein willst."
Mit einem selbstgefälligen Grinsen holte Amelthor aus den Tiefen seiner Jacke ein Fläschchen hervor, in dem eine undefinierbare, bräunliche Flüssigkeit schwappte. "Nur zu!", forderte er Nortia auf und stellte das Gefäß vor sich ab.
Nortia straffte sich, griff nach dem Fläschchen und schnippte den Korken fort - mit einigem Elan, denn die Flüssigkeit schwappte heraus und verteilte sich gekonnt in jedermanns Alekrug am Tisch. "Oops, wie ungeschickt von mir," lachte Nortia.
Sie war schon leicht angetrunken. Wieso so schnell? Sie hatte bisher kaum etwas getrunken. Vielleicht lag es daran, dass sie heute noch nichts gegessen hat.
Nortia schmeckte kurz am Flässchen, bevor sie es mit einem Schluck herunterwürgte. Es hat einen süssen Beigeschmack. "Und wie lange braucht es bis es seine Wirkung entfaltet hat?"
"Das werden wir bald wissen," feixte Amelthor selbstzufrieden." Es hängt von deiner Konstitution ab, und von deiner momentanen Verfassung - und von deinem eigenen inneren Widerstand, denke ich."
Valyrie besah sich die ölig braune Pfütze, die in ihrem Krug oben auf schwamm, und nahm dann einen tiefen Zug. "Tod allen Gishkahunden," sagte sie bestimmt. Feldan folgte ihrem Beispiel. "Der Thron nahm mir mein Leben. Ich hole es mir zurück!"
Esterlar betrachtete unschlüssig seinen Krug und schluckte schwer.
"Ihr könnt unbesorgt trinken, Sire", erklärte Feldan ihm da. "Bei der braunen Sauce handelt es sich nur um verdünnten Rübensirup. Der Trank für unsere Freundin befand sich in ihrem Alekrug."
"Was?"
"Was?"
Esterlar und Nortia fragten es gleichzeitig.
Feldan lächelte. "Nach deinem sichtbaren Widerwillen, den Trank der Heilerin einzunehmen, haben Amelthor und ich diesen Weg für den einfachsten gehalten. Alle Krüge auf der Theke enthalten eine gehörige Portion einer wahrnehmungsverstärkenden Droge, die die eher uncharmante Seite deiner Persönlichkeit jedoch ruhen lassen wird."
Zahllose Antworten schossen Nortia durch den Kopf, Morddrohungen, Hassworte, aber keine davon wäre dem in ihr kochenden Zorn annähernd gerecht geworden. Deshalb stellte sie nur ganz ruhig den halbleeren Krug auf den Tisch und verschränkte die Arme. "Diese Angelegenheit hätten wir also hinter uns", sagte sie. "Wie geht es weiter?" Sie würde Feldan töten. Aber noch nicht jetzt.
Amelthor drehte sich um und fischte aus seiner Jackentasche ein kleines Päckchen, das einen erbärmlichen Gestank ausströmte. Nortia rümpfte unwillkürlich die Nase. "Also, das hätte ich auch ohne diesen Trank riechen können!", erklärte sie angewidert. Die anderen am Tisch sahen sie prüfend an.
Die Jägern seufzte und riss Amelthor das Päckchen aus der Hand. "Wisst ihr wenigstens ungefähr, auf welcher Seite der Stadt er sich befindet? Oder muss ich alles alleine machen?"
"Näher als du glaubst," sprach Amelthor plötzlich überraschend ernst. "Ich spüre hier zwei Personen, die in enger Verbindung zur Anderswelt stehen, doch solange sie sich ihrer nicht bedienen kann ich sie auch nicht korrekt lokalisieren. Ich kann den Kompass also nur anticken, ablesen musst du ihn."
Ihren Widerwillen niederkämpfend, nahm Nortia den Geruch des Päckchens bewusst auf. Ihr Instinkt filterte sofort alle Komponenten aus, die auf Verschmutzung und Fäulnis beruhten, und was übrig blieb fügte sich zu einem komplexen Muster in ihrem Geist zusammen, einmalig und unwiederholbar.
"Gut, ich habe ihn," sagte sie schließlich. "Kann die verdammte Jagd losgehen?"
"Nein, das muss wohl noch warten," meldete sich da Begalius, der sich zweifelnd in der Runde umsah.
"Wieso?" fragte Esterlar ungehalten.
"Weil wir bereits gejagt werden..."
Feldans Gesicht verdunkelte sich. "Und das sagst du uns erst jetzt? Wer ist es?", brüllte er. Bagalius durchbohrte ihn mit seinen dunklen Augen, den gewissenlosen Augen eines Mörders: "Jorin hat die Gishka auf euch angesetzt. Und soll ich euch noch ein Geheimnis verraten, sie sind bereits hier..." In diesem Moment flog die Tür zum "Erhängten Pferd" auf und ein gutes Dutzend der Gishkaamazonen strömte in das Gasthaus. Bagalius erhob sich und zog sein Langschwert, dann wandte er sich Esterlar zu: "Ich sagte es euch bereits, Bagalius ist immer dem treu, der am meisten zahlt. Mädels, tötet sie!

Es gab einen dumpfen Knall, den Tisch zierte plötzlich ein zerfranstes Loch, und gleiches geschah mit Bagalius`Schädel. Das Schwert ziehend, spannte Valyrie den zweiten Hahn ihres Faustspuckers und stieß einen Raubvogelschrei aus. Auch Feldan war auf den Beinen, und sein Schuß sandte gleich zwei der Kriegerinnen hintereinander zu Boden, die sich rücksichtslos mit ihren Waffen ihren Weg zu ihnen bahnten. Esterlar warf Nortia einen in ein Tuch gewickelten langen Gegenstand zu. Sie fing ihn auf und spürte das Gewicht. "Mit Streurohr?"
"Ja, die Zwillingsversion. Lass es krachen!"
Amelthor befingerte seine Amulette und brabbelte unaufhörlich in der Astralsprache.
Nortia war ganz in ihrem Element. Endlich wurden die Probleme wieder einfach!
Amelthor lüftete seinen Mantel und holte nun mehrere Fläschchen hervor, deren Inhalt in allen Farben des Regenbogens schimmerte und vergeblich versuchte den gläsernen Gefäßen zu entweichen. Mit einem Jubelschrei schleuderte er die Erste in Richtung der herannahenden Gishkas. Eine von ihnen wehrte das Wurfgeschoss mit ihrem Rundschild ab, doch daraufhin zerplatzte es und eine Feuerexplosion ließ zwei der Kriegerinnen verglühen und steckte drei weitere in Brand. Eine dieser lebendigen Leichen torkelte auf Nortias zwergwüchsigen Lehrmeister zu. Dieser trat lachend einen Schritt zurück und die Gishka klatschte zu seinen Füßen auf den Boden. Als sich ein Armbrustbolzen in Amelthors Herz schraubte lachte er nicht mehr...
Unterdessen brach Panik unter den Gästen aus, die daraufhin zur Tür hetzten und die hereineilenden Amazonen weiterhin behinderten.
Zwei weitere Schüsse krachten. Mit einem Fluch taumelte Valyrie zurück an die Wand; ihr linker Arm samt Schulter gehörte plötzlich nicht mehr zu ihr. Eine der Amazonen brach aus dem Gewühl hervor, schrie ein einziges hasserfülltes Wort auf Pelingorisch und gab einen dritten Schuss direkt in ihr Gesicht ab. Sofort war Feldan bei ihr und setzte den Rapier mit traumwandlerischer Sicherheit direkt zwischen die Plattenränder ihres Harnisches. Hindurch und hinaus, so schnell, dass sich nicht einmal ein einzelner Blutfleck auf der Klinge fand.
"Es sind zu viele!" schrie Esterlar, sich die blutende linke Seite haltend. "Drei Mann, drei Fenster! Los!"
In diesem Moment barst das erste dieser Fenster mitsamt einem großen Teil der dazugehörigen Wand und der blaue Schädel einer Drachenechse reckte sich ins Innere der Taverne. "Hierher!", schrie Feldan und schwang sich in den Sattel des Tiers. Dann half er dem verschwitzten Esterlar hoch. Nortia sah die Läufe mehrerer auf sie gerichteter Armbrüste und Pistolen. Schnell packte sie Valyries bluttriefenden Körper und benutzte ihn als Schutzschild, während sie zu ihren Gefährten rannte.
Doch kurz bevor sie den Drachen erreichte traf sie ein Schuss in das ohnehin schon verwundete Bein. Fluchend sprang Feldan zu ihr herab, während Esterlar mit verbissenem Gesichtsausdruck auf ihre Verfolger feuerte.
Die Gishka am Eingang fegten die letzten in Panik geratenen Zecher mit ihren Waffen zur Seite und stürmten in fast perfekter Formation auf sie zu. Nortia drehte das Schwert mit dem Knauf zu ihnen und drückte einen kleinen Knopf unter der Parierstange. Sie hoffte, dass Esterlar auch ans Laden gedacht hatte.
Ein leises Ratschen des Feuersteins ertönte, ein Funke sprang in die kleine Pulverpfanne, und dann entlud sich mit ohrzerreißendem Knall eine Wolke von Metallsplittern über die Angreiferinnen. Die Vordere verteilte sich in alle vier Winde über den ganzen Schankraum, fünf weitere taumelten schreiend und aus allerlei Wunden blutend blind umher. Die Hinteren sprangen rasch in Deckung und luden hastig ihre Waffen erneut.
"Und mir sagt man Grausamkeit nach," knurrte Feldan und hievte Nortia auf die Stelle zwischen Sattel und Nacken des Tieres. "Sei froh, dass wir auf dich angewiesen sind."
"Woher kommt dieses Tier?" fragte Esterlar. "Ich sah, wie Sayiriss..."
"Ich bin Echsenlord des siebten Ranges. Ich muss keine Drachen mehr rufen, sie finden mich!" Feldan ließ den Kopf hängen und schwieg.
"Was ist los?" fragte Nortia verständnislos. "Warum heben wir nicht ab?"
Feldan schnaubte aus. "Ich muss zuvor seinen Namen herausfinden, sonst tut er gar nichts für mich. Also haltet jetzt den Mund, und passt auf diese Furien auf!"
Da zischten bereits die ersten Bolzen wieder auf sie zu.
Nortia gelang es mit Müh und Not die ersten beiden Geschosse zu parieren, das Dritte traf sie in ihre Schwerthand. Esterlar schien nun in Raserei zu geraten. Die Todesangst weckte ungeahnte Kräfte in ihm. Wild schwenkte er den Balläster umher und es gelang ihm eine der fünf verbliebenen Verfolgerinnen auszuschalten. Doch von den anderen Seiten näherten sich weitere Söldner Jorins und Gishkas. "Brauchst du noch lange?", schrie Nortia dem Seneschall zu. Dann bäumte sich der Drache auf und stieg in die Luft empor. Eine der Gishkas, deren Gesicht zur Hälfte verbrannt war stürzte jedoch vor uns sie schaffte es sich am Schwanz der Flugechse festzuhalten.
Feldan sackte zusammen. Was auch immer er hatte tun müssen, um den Namen herauszufinden; jetzt war er völlig erschöpft. Als die Echse taumelte, da das Gewicht am Schwanz sie hinunterzog und außerdem am steuern hinderte, wurde er beinahe vom Sattel geworfen. Fluchend packte Esterlar ihn am Kragen und hievte ihn wieder in eine einigermaßen stabile Position. "Werd diese Frau am Schwanz hinten los! Mach schon! Ich habe keine Ahnung, wie man dieses Vieh beruhigt, falls sie ihm irgendetwas antut. Und unser Echsenlord scheint momentan nicht in der Verfassung zu sein, uns zu helfen!"
Nortia keuchte. Ihre Verletzungen in Bein und Hand ließen sie fast das Bewusstsein verlieren. Sie kämpfte sich an Feldans Körper vorbei zum Hinterteil der Echse. Dann sah sie die Gishka. Sie hatte sich ein Messer zwischen die Zähne gepresst und hangelte sich nun am Schwanz des Drachen empor. Nortia erschauerte, als sie in die leere Augenhöhle der linken Gesichtshälfte starrte. Die Gesichtszüge der Gishka hatten sich zu einer Maska aus Schmerz und Hass verzehrt. Nortia fehlte die Kraft ihr Schwert anzuheben. Mit letzter Kraft zog sie ein glatt poliertes Haumesser, eine Waffe, die sie nur im Notfall einsetzte. Sie schlug dann zu, als derumherzuckende Schwanz sich gerade in der richtigen Position befand. Aber die Gishka wich mit einer katzenhaften Bewegung aus und so schnitt Nortia der Amazone lediglich ein Ohr ab.
"Blas die Hexe weg!" meldete sich Feldan plötzlich. Er schien immer noch benommen und alles andere als hellwach, doch seine Stimme klang fest. "Das Streurohr, der zweite Schuss! Puste sie zur Hölle!"
"Aber dann verletze ich auch den Drachen!" schrie Nortia zurück, während sie sich mit der gesunden Hand festhaltend versuchte, die Attacken der Söldnerin abzuwehren.
"Mach was ich sage! Framire ist darauf vorbereitet, sie weiß Bescheid!"
"Du weißt ja nicht, was du sagst!"
"Hör zu: du bist verletzt, Esterlar ist es auch und der Ohnmacht nahe, und ich sehe für lange Zeit nichts mehr. Die Gishka sind gegen Schmerz konditioniert, und sie fürchten den Tod in keinster Weise. Erledige die Furie, sonst macht sie uns alle!"
Nortia tat etwas, was sie seit ewigen Zeiten verlernt hatte: sie betete, während sie den zweiten Knopf drückte. Der Drache stieß einen schrillen Schrei aus, ging dann aber in einen ruhigen Gleitflug über. Nachden der Rauch sich verzogen hatte, erkannte Nortia dass die Söldnerin verschwunden war - und ein gutes Stück Drachenschwanz dazu.
"Mach dir keine Gedanken um die gute Framire," lachte Feldan. "Sie ist eine alte Eidechse; das wächst nach."
"Und was machen wir jetzt?", fragte Nortia nach einiger Zeit. "Zunächst müssen wir unsere Verwundungen notdürftig versorgen und dann so schnell wie möglich Graccon aufsuchen..."

Graccon schritt unruhig vor dem Illusionsbecken hin und her. Er wartete schon seit einer geschlagenen Stunde auf den Befehl der Königin. Gusgan und seine anderen Männer bereiteten sich in der Zwischenzeit auf den Ernstfall vor. Allmählich machte er sich wirkliche Sorgen. Bei ihrem letzten Kontakt war sie ihm schon äußerst bedrückt vorgekommen. Sie hatte versucht, es mit der gewohnten Souveränität zu überdecken, doch selbst ein Gejagter erkannte er mittlerweile Verzweiflung, wenn er ihr begegnete.
Zum wiederholten Male ertappte er sich bei dem Gedanken, selbst eine Verbindung herzustellen. Aber nein, das war absolut keine Option; auch die andere Seite verfügte über astrale Spürhunde...er würde sich seinen Feinden nicht selbst zum Geschenk machen und ihre Arbeit für sie tun.
Da endlich wellte sich das Wasser und die Oberfläche schimmerte auf. Graccon stürzte sofort zum Becken. "Königin!", stieß er erleichtert hervor, noch bevor er überhaupt etwas erkennen konnte. "Ich dachte schon.. Ach, ich weiß auch nicht! Was hat euch so lange aufgehalten? Ist irgendetwas schief gelaufen?"
Jetzt erst erschien das Abbild der Königin Sillisa von Arachien. Seit dem Tod ihres Mannes, der nun durch einen Doppelgänger ersetzt wurde, leitete sie nun die Staatsgeschäfte des Landes. Es handelte sich um eine Frau in den mittleren Jahren mit braunem, zum Zopf gebundenem Haar und strahlend grünen Augen. Sie musterte ihn mit einem Lächeln: "Werter Graccon, als Königin bin ich eben eine vielbeschäftigte Frau, warum es so lange dauerte braucht dich nicht zu interessieren!" Verwirrt musterte Graccon seine Auftraggeberin:"A-Aber Mylady, ihr wusstet doch genau, dass ich und meine Männer auf euren Befehl warten, Jorin zu töten." "Jorin töten? Aber nein. Es sieht so aus als würden unsere Streitigkeiten bald geklärt sein...", antwortete sie fröhlich. "WAS?", schnaufte Graccon. "Meine Königin, er hat die Gishka angeheuert und wenn er erst die Armee unter seine Kontrolle..." "Schluss damit!", meinte Silissa plötzlich streng. "Es hat sich einiges geändert. Halte dich in Deckung und warte auf meine Befehle. Ich habe jetzt keine Zeit mehr. Unternehmt in der Zwischenzeit nichts." Und damit verschwand sie, so schnell wie sie gekommen war.
Graccon stand wie erstarrt. So hatte die Königin ihn noch nie abgefertigt. Sie schien eine gänzlich andere Person zu sein, als die, die er kannte. Zwar bestand die Möglichkeit, dass sie ihn bisher getäuscht hatte, um einen größtmöglichen Nutzen aus seiner Mitarbeit zu ziehen. Andererseits stand sie mit Unbekannten in Kontakt, die von Menschen völlig identische Doppelgänger erzeugen konnten. Was, wenn ...
...wenn diese ihn nun auf diesem Wege erreichen konnten? Dann wussten sie auch, wo er zu finden war! Warum sollte er die Füsse stillhalten und keine Fragen stellen? Um die sitzende Ente für den Jäger zu spielen?
Plötzlich stank alles nach Verrat.
"Gusgan!" rief er. "Ruf die Männer zusammen! Wir verschwinden sofort von hier! Nein, keine Fragen jetzt. Unsere Köpfe beginnen schon wieder einmal, lockerer auf unseren Hälsen zu sitzen!"
"Meister, es gibt Probleme." Gusgan betrat den Raum. Er trug den für ihn typischen Zylinder. "Ich spüre eine magische Präsenz in unserer Nähe. Ein Drache ist im Anflug." "Der Seneschall", murmelte Graccon. Jorin scheint bereits seine Schergen nach uns auszusenden. Los, sattelt die Pferde- wir müssen hier weg!"
Gusgan betrachtete haßerfüllt seine verstümmelte Hand; etwas das er öfters tat, wenn von Feldan die Rede war. "Ich fürchte, dazu bleibt uns wenig Zeit, Mylord. Ich kann Euch auf viel schnellerem Wege von hier fortbringen..."
"Nein!" sagte Graccon bestimmt. "Keiner wird zurückgelassen, kein zweites Mal! Sie wollen mich. Sag den anderen, sie können gehen, wenn sie es wünschen. Ich bin dankbar für alles, was ihr für mich getan habt, und wünschte, ich könnte es angemessen vergelten. Doch das letzte Stück des Weges muß ich allein gehen."
"Das ist sehr edel von Euch," und sehr dumm, fügte Gusgan in Gedanken hinzu. "Doch die Männer sind auf Euch eingeschworen. Nein, sie werden Euch nicht verlassen, selbst wenn Ihr es ihnen befehlt. Ihre Ehre ließe es nicht zu."
Graccon stieß einen langen Seufzer aus. "Nun, dann lass uns gemeinsam siegen, oder bei dem Versuch untergehen..."

Nachdem sie ihre Wunden verpflegt hatten, hatte Esterlar sie zur Eile angetrieben. Nortias Beinverletzung brannte immer noch fürchterlich, aber sie konnte nun zumindest damit gehen. Mit ihrer rechten Hand sah das anders aus: Im Falle eines Kampfes sollte sie sich nicht auf sie verlassen. "Wir haben ihn fast erreicht!", bescheinigte Nortia ihren Mitstreitern. "Lande den Drachen, Feldan, der Grund unseres Treffens könnte sonst falsch verstanden werden."
"Bist du sicher?" fragte Esterlar überflüssigerweise. Nortias Blick ließ ihn auf weitere Äußerungen verzichten.
"Wenn ich einen Geruch einmal verinnerlicht habe, finde ich ihn unter Tausenden heraus. Er ist hier, und..."
"Gibt`s ein Problem?" fragte Feldan, während er Framire seine Wünsche mitteilte auf jene geheinmnisvolle Weise, welche Nicht-Echsenmeistern auf immer ein Rätsel bleiben würde.
"Der Geruch hat sich verändert. Er ist nun...ja, wie der eines Raubtieres, kurz ehe es zum Sprung auf die Beute ansetzt. Und Zorn, ja, es ist der pure Hass, den ich rieche. Er weiß, dass wir kommen!"
Esterlar überprüfte seinen Balläster auf korrekte Ladung. "Gibt sicher ein heißes Wiedersehen."
Dieser Idiot! Er wird uns noch alle ins Unglück reißen Nortia sprang von Framires Rücken, als dessen massiger Körper auf dem staubigen Untergrund auftraf. "Dort drinnen sind sie!" Sie deutete auf ein verwittertes Gemäuer, dass er den Eindruck erweckte, als wäre es schon längere Zeit unbewohnt. Esterlar wirkte tatendurstig und seit dem Kampf gegen die Gishkas völlig ausgewechselt: "Na dann? Los gehts!" Doch Nortia hielt ihn an der Schulter zurück: "Es ist besser, ich verhandle zunächst mit Graccon und hole euch dann nach. Noch ein Blutbad können wir jetzt nicht gebrauchen!" Esterlar überlegte kurz, dann nickte er: "Gute Idee. Feldan benötige ich, um mit Framire zu fliegen." Nortia unterdrückte ihr Verlangen ihm in die hässliche Visage zu schlagen. Schon klar. Ich habe Graccon gefunden und bin daher nur noch Kanonenfutter. Sie wandte sich von ihren "Kollegen ab" und schritt zur Tür des Gebäudes hinüber.
Nortia schritt aufrecht auf das Gebäude zu. Eine weiße Fahne wäre wohl hier lächerlich, dachte sie, also probierte sie es mit Reden.
"Ihr kennt mich; ich bin Nortia, die Jägerin. Doch ich bin in keinem offiziellen Auftrag hier! Wenn du mich hören kannst, Graccon: es tut mir leid, dass es bei unserer letzten Begegnung Blut gegeben hat. Wir wissen nun, dass du ohne Schuld bist. Wir sind gekommen, dir zu deinem Recht zu verhelfen!"
Hämisches Gelächter war die einzige Antwort.
Verdammt, das war ja auch einfach zu naiv! Vielleicht hätte sie ihre rethorischen Fähigkeiten besser schulen sollen, statt ihrer Kampfausbildung den Vorzug zu geben.
"Wie ihr seht, bin ich unbewaffnet. Wäret ihr an meinem Blut interessiert, würde ich nicht mehr hier stehen. Gusgan, ich weiß dass du hier bist. Wenn Graccon dir etwas bedeutet, dann..."
"Oh, wurde ich gerufen?" meckerte der Magier lachend. Im gleichen Moment schrie Feldan überrascht auf. Nortia sah ein Messer blitzen und einen roten Sprühregen dort, wo der Seneschall saß. Er presste seinen Reitmantel auf die linke Hand, und der Stoff färbte sich rasch rot.
"Das warst du mir noch schuldig, Bastard!" schrie Gusgan aus seinem Versteck heraus.
Ehe Feldan es verhindern konnte, gab Esterlar einen Blindschuss auf das Gebäude ab.
Im Versteck schrie Gusgan auf, er musste einen Treffer eingesteckt haben.
"Das reicht!! Wenn auch nur noch einer den Finger bewegt, wird um einige Löcher reicher sein." Ein zweiter Drache war gelandet, von dem Männer in königlichen Uniformen strömten und die Standard-Gewehre auf sie richteten.
"Feldan! Schön sie wiederzusehen, leider nicht so wie verhofft." Vom Senseschall war ein stöhnen zu vernehmen. "Senseschall Yodrak.."
"Danke für die Vorstellung. Ihr könnt alle von Glück reden, dass ich auf Befehl von Königin Sillisa hierher beordnet wurde."
"Nortia," sagte Esterlar. "Kannst du noch andere in dem Gebäude ausmachen? Wie viele sind es?"
"Wäre es so, würden unsere Eingeweide längst auf dem Gras liegen - dank dir!" giftete sie zurück. "Nein, er ist allein."
"Gusgan!" rief Feldan. "Du hast deinen Spaß gehabt, doch nun ist er vorbei! Wir wollen dir nichts tun, doch für meine bewaffneten Freunde hier kann ich nicht garantieren. Komm heraus, sonst machen ihre Drachen dir Feuer!"
"Feuer?" gackerte Gusgan zurück. "Danke, Bastard, du bist ein Genie!"
"Er ist wahnsinnig!" sagte Yodrak.
Gusgan erschien mit irrem Grinsen in der pfortenlosen Tür. Sein rechter Arm baumelte schlaff und kraftlos herab, der linke war nach vorn ausgestreckt und gloste in orangenem Feuer. Er brauchte nun keine Konzentration, allein sein Hass gab ihm die Kraft, mit den astralen Strömen zu jonglieren.
"Nicht schießen!" schrie Nortia. "Gusgan, bitte, lass dir helfen..."
Er richtete den Arm auf sie und legte den Kopf schief, als müsse er angestrengt überlegen, dann schwenkte er zu Feldan und schleuderte einen Strahl flüssigen Feuers auf ihn. Etwas unter dem Hemd des Seneschalls leuchtete in grellem Rot auf, und dann zischte die Glut zu Gusgan zurück und hüllte ihn vollkommen ein.
Starr vor Schrecken sahen Nortia, Esterlar und Feldan, wie ihre einzige Verbindung zu Graccon als Flammensäule vor ihnen umhertaumelte.
Gusgan stieß einen animalischen Schrei aus. Mit den Händen gelang es ihm endlich Wasser zu erzeugen und die Flammen zu löschen. Doch es war bereits zu spät, als er sich umwandte war sein Gesicht fast vollständig zerstört. Auf dem Schädel des Magiers thronte noch immer sein Zylinder. Nun, vom Feuer zerfessen bot er eine bizarre Skulptur dar. Das Gesicht war von Brandblasen überzogen und ascheschwarz. Das rechte Auge hatte sich verflüssigt und war zu einem grauweißem Einheitsbrei zerschmolzen. Sein linkes hatte mehr Glück: Es hatte seine blaue Farbe behalten, aber noch immer funkelte in ihm der Wahnsinn. Gusgans Haar war durch das Inferno zum größten Teil verbrannt, nur einige einzelne Inviduen stachen grotesk ab. Von ihnen stieg immer noch Rauch auf.
So geschockt waren alle von dem Anblick, dass keiner reagierte, als der Magier mit der gesunden Hand den silbernen Revolver zog und mit ihm zitternd auf Feldans Kopf zielte.
In diesem Augenblick trat eine Gestalt in den Torbogen des verwitterten Gemäuers: "Gusgan! Tu das nicht!" Als er die Stimme seines Meisters vernahm verschwand schlagartig der Wahnsinn aus Gusgans Antlitz. "Herr...", wisperte er und drehte verwirrt den Kopf zur Seite.
"Gusgan. Leg sofort die Waffe weg!" Der Magier gehorchte. Dann stürzte er auf die Knie und brach in Tränen aus.
"Carlos, Ratte, bringt ihn hinein und lasst ihn von Sarah behandeln. Ich werde mich jetzt mit unseren Gästen unterhalten." Seine beiden Kameraden nickten und brachten den schluchzenden Gusgan in das Haus zurück.
"Sagtest du nicht Gusgan, wäre allein?", zischte Feldan Nortia zu. "Ich nahm ihre Auren nicht wahr, sie müssen magisch getarnt worden sein!"
"Du armer alter Narr," sagte Graccon kopfschüttelnd. "Wir wollten doch zusammen bleiben. Warum konntest du nicht warten?"
"Ich wollte Euch die nötige Zeit verschaffen," brachte Gusgan unter größter Anstrengung hervor." Dann wäre ich Euch gefolgt, Ihr wisst wie..."
Graccon legte seine Hand über Gusgans zerstörtes Gesicht und flüsterte einige Worte. Sofort war er eingeschlafen.
Yodrak trat hervor. "Lord Graccon, ich habe Auftrag, Euch zur geheimen Residenz der Königin zu bringen. Der astrale Kanal ist nicht mehr sicher, und die Gishka sind hinter Euch her..."
"Die Königin?" lachte Graccon bitter. "Wer ist das nun eigentlich? Und wer ist König?"
"Es ist von größter Wichtigkeit, dass Ihr vor den Kronrat tretet," meldete sich nun Esterlar. "Durch Eure Aussage werden wir Jorins Treiben für alle ruchbar machen, und Ihr erhaltet Eure Ehre zurück."
Graccon lachte erneut. "Solch brennende Begehrlichkeit erwärmt mir wirklich das Herz. Carlos, Ratte! Richtet eure Waffen auf mich!"
Seine Gefährten taten wie ihnen befohlen.
"Lord Graccon!" rief Yodrak bestürtzt aus. "Was soll der Unsinn? Wollt Ich Euch selbst als Geisel nehmen? Wir kamen, um Euch..."
"...zu der königlichen Hexe zu schaffen, die ein Schattenkönigstum errichtete, um die Macht zu rauben, die rechtmäßig dem Nächsten in der Thronfolge zusteht, Prinz Jorin! Nach gültigem Brauch ist sein Anspruch mehr als legitim, denn er würde die Dynastie erhalten, während diese eingeheiratete Hure mit Lug und Trug regiert. Ist euch nie der Gedanke gekommen, vielleicht für die Falschen zu kämpfen? Mir schon, und wäre Jorins Tun, seinen Thron zu erobern, nicht direkt gegen mich gerichtet, ich wäre der Erste, der sich auf seine Seite stellte!"
Verdammt. Nortia machte ein geschocktes Gesicht, obwohl ein verzweifeltes wohl besser passen würde. Sie konnte nur hoffen, dass jetzt nicht rauskommen würde, dass sie das bereits wusste. Die Stille die sich über sie gesenkt hatte wurde durch Feldans Stimme durchbrochen.
''Wie meinst du das? Es ist nicht möglich, dass die Köningin regiert, dass würde Prinz Jorin niemals zulassen.''
Ein verschwörerisches Lächeln legte sich auf Graccons Lippen, als er zu Nortia blickte.
''Das kann sie dir vielleicht erklären.''
Feldans und Esterlars Blick trafen sie zugleich. Nortia erwiederte trotzig ihr Starren. "Wir haben alle unsere kleinen Geheimnisse, nicht?"
"Ja, es stimmt," sprach Yodrak schließlich in die Stille hinein. "Sillisa hält die Macht fest, um sie ihrem noch ungeborenen Kind eines Tages zu übereignen. Der Kerl auf dem Thron ist nicht mehr als eine Strohpuppe und wird von ihr gelenkt. Haben wir denn eine Wahl? Jorins Machthunger würde dieses Reich ins Elend stürzen, alle Nachbarreiche würden ihre alte Allianz gegen uns wieder aufnehmen. So bleibt uns nur zu hoffen, dass der neue König in der Zukunft mit Weitblick gesegnet sein wird.
Jorin ahnt es, und er will den Eklat, und die Gishka sollen ihm dabei helfen...es nützt alles nichts, um die Monarchie zu retten, müssen wir sie verraten."
Graccon stieß angewiedert die Luft aus, sagte jedoch nichts weiter dazu.
Feldan blickte durch die Runde. "Jorin... Silisa... keinen von ihnen ist besser als der andere. Ich werde keinen von den machthungrigen Aasgeier helfen die Herrschaft zu erhalten."
"Alles nur falsche Anschuldigungen! Silisa ist eine gerechte Königin, die allen nur das Beste will." Yodrak fixierte seinen Blick wie eine Herausforderung auf Feldan. Der erwiederte ihn.
"Wenn ich es mir nochmal so genau überlege, wäre Jorin sicher ein guter Herrscher." Nortia spürte schon fast, wie die Funken zwischen den beiden sprangen.
"Ein Herrscher, desses Herrschaft auf endlosem Blut gebaut wäre;" spie Yodrak aus.
"Stimmt," stellte Feldan, der wieder zu seiner gewohnten Grabeskälte zurückgefunden hatte, nachdrücklich fest. "Jorins Regentschaft bedeutet zweifellos Krieg. Ich bin nach wie vor Soldat, nur im Kampf kann ich glänzen." Er hob seinen gesunden Arm, und Framires Haupt kam herum und nahm ihn in ihr Maul, sanft und behutsam wie das Krokodil, das seine Jungen zwischen den Zähnen trägt. Im nächsten Moment saß er auf dem Rücken des Drachen, der sich mit raschem Flügelschlag in die Höhe schwang.
"Schießt!" rief Yodrak seinen Männern zu. "Er hat zu viel erfahren! Holt ihn herunter!" Doch die Entfernung war bereits zu groß, und die Kugeln glitten wirkungslos von Framires Schuppen ab.
Die Königin! durchschoss es Nortia. Er ist auf die Königin aus! Sie soll sein Friedensangebot an Jorin sein!
Im nächsten Moment stieg Yodrak mit knatterndem Flügelschlag auf, um seinen alten Kameraden zum Duell der Drachenlords zu stellen.
Nortia wandte sich wieder Graccon zu. Sollten doch die Drachenreiter diese Angelegenheit unter sich klären. "Graccon, du warst jahrelang ein Diener der Königin. Wieso wendest du dich jetzt von ihr ab. Gerade zu dem Zeitpunkt als Jorin seine Assasinen auf dich ansetzt? Und was sollen diese dämlichen Pistolen? Erkläre dich endlich?"
Graccon zog die Augenbrauen hoch: "Es stimmt, ja. Ich war ein treuer Diener der Königin, aber nur weil sie meinen Zielen am Meisten genutzt hat und weil die Alternative zu ihr Jorin war. Doch ich will mich weder von einem machthungrigen Tyrannen regieren lassen, noch von einer Matriarchin, die ihren eigenen Mann auf dem Gewissen hat!"
"Das ist nicht wahr!", keuchte Nortia. "Oh doch!", meinte Graccon. "König Takin fiel durch ihre Hand. Nur deshalb konnte es ihr auch gelingen, ihn unauffällig durch einen Doppelgänger ersetzen zu lassen!"
"Das ergibt keinen Sinn," beharrte Nortia. "Warum sollte sie ihren Mann beseitigen, nur um danach dessen Politik nahtlos fortzuführen und diese Scharade mit Jorin anfangen?"
"Bist du dir sicher, dass die Königin wirklich die Königin ist?" lächelte Graccon sardonisch. "Selbst hier in der Versenkung ist mir Amelthors Treiben nicht entgangen, und du weißt was eine seiner Spezialitäten war. Wem kannst du heute noch trauen, da die Leute ihre Gesichter tauschen wie jemand sonst sein Hemd."
Nortias Nasenflügel begannen zu beben. Etwas geschah, Graccons Geruch hatte sich plötzlich verändert. Er mochte sehr gut darin sein, seine wahren Gefühle in seiner Mimik, Gestik und im Tonfall zu verbergen. Doch er hatte keine Kontrolle über seine Ausdünstungen! Feiner kalter Schweiß war darin, sowie ein guter Schuss Adrenalin. Es war der süsse geheime Duft der Lüge, den sie an ihm roch...
"Ich kannte den Ersten Kämmerer des Schatzmeisters immer als loyale und gewissenhafte Person, die treu zu den Menschen stand, die sie wirklich brauchten. Seid Ihr wirklich noch Graccon?"
Nun lachte er laut auf. "Weib, du redest irre. Natürlich bin ich der selbe, nur weiser."
Der Duft der Lüge brannte in ihrer Nase.
Humpelnd trat Nortia zwei Schritte näher.
"Weißt du, wie du riechst?", fragte sie. Es reichte ihr jetzt wirklich. "Wie ein toter Mann. Oder vielmehr wie ein Mann, der gleich tot sein wird."
"Nicht doch, nicht doch!" Unerwartet schob sich Esterlar zwischen Nortia und den jetzt erschrocken riechenden Magier. "Ehe du ihn frisst, lass uns erst einmal unser Gespräch zuende führen."
"Täuschungen und Lügen und tausend Doppelgänger", zischte Nortia. "Was glaubst du, kann er uns noch nützen? Ich erledige ihn einfach und gehe dann."
"Weißt du eigentlich, ob du noch du selber bist? Oder hast du dich auch schon austauschen lassen?" Graccon grinste verächtlich. "In den letzten Stunden warst du dir auch nicht wirklich ähnlich."
"Na großartig!" Esterlar schnaubte zynisch. "Womöglich sind wir also alle Doppelgänger und nicht die, die wir zu sein vorgeben. Wollen wir nicht endlich miteinander reden wie vernünftige Menschen und die Informationen austauschen, die wir besitzen?"
"Auf seine Lügen verzichte ich," stieß Nortia mit Blick auf Graccon hervor. "Er selbst ist eine!" Ehe Esterlar oder Graccon noch etwas sagen konnten, bewegte sie sich, wie man sie für diese Situation gelehrt hatte; es war, als tanzte sie mit ihrem eigenen Schatten, und niemand der es sah wusste später zu sagen, was sie denn getan hätte, denn kein Auge war fähig, ihren Bewegungen zu folgen, doch als sie wieder zur Ruhe kam lagen Graccon und seine beiden Begleiter besinnungslos am Boden.
"Prima," bemerkte Esterlar trocken. "Nun können wir ihn einfach zusammenfalten und vor den Kronrat bringen."
"Spar dir die Mühe. Das ist einer von Jorins Männern; wisch ihm die Schminke ab, wenn du mir nicht traust..."
"Wenn das stimmt," stieß Esterlar plötzlich überrascht aus, "dann bedeutet dies..."
"Aye, sie haben Gusgan!"
Esterlar sah sie vorwurfsvoll an. "Tolle Spürhündin bist du! Hättest du das nicht früher wittern können? Jetzt haben sie Gusgan. Und wo sein Meister ist, das weiß wohl nur er! Jetzt mach dich gefälligst wenigstens nützlich und hol den Möchtegern-Magier zurück!"
Nortia hatte sich vor Wut versteift und wollte gerade zu einer bissigen - oder vielleicht sogar messerscharfen - Antwort ansetzen, als über ihnen der gequälte Schrei eines Drachen erklang. Sowohl Nortia als auch Esterlar blickten alarmiert nach oben.
Anscheinend hatte es Yodrak geschafft Feldan einzuholen. "Wir müssen Gusgan holen!", zischte Esterlar. "Er ist unsere einzige Verbindung zu Graccon"
Gleichzeitig liefen sie los. Yodraks Mannen schienen nach dem Abflug ihres Seneschalls nicht genau zu wissen, was zu tun war. So blieben sie stehen, um auf ihren Anführer zu warten, anstatt sich Nortia und Esterlar anzuschließen.
In der verwitterten Hütte war es stockfinster. Nur eine Handvoll der Fenster war noch nicht vernagelt worden. Durch diese fiel fahl das Licht herein in dem Staubpartikel tanzten. Nortia ging voran, in den Händen hielt sie ein Rapier und eine geladene Pistole. Esterlar sicherte mit seinem Balläster ihren Rücken. Schließlich erreichten sie einen Korridor, an dessen Ende eine halboffene Tür stand. Vorsichtige spähte Nortia in den Raum dahinter. Eine steinerne Treppe führte ein Dutzend Schritt in die Tiefe, dann mündete sie in einen langen Gang der nach Westen führte.
"Ein geheimer Tunnel", flüsterte Esterlar. Nortia schwieg. Sie entzündete eine Fackel. Selbst ihre scharfen Raubtieraugen vermochten kaum noch etwas zu sehen. "Sie werden Gusgan foltern und ihn dazu zwingen Graccons Aufenthaltsort preiszugeben. Er scheint ein sehr treuer Diener zu sein und wird wohl eine Zeit lang aushalten. Aber Jorins Magier hat seinen kameraden genügend Zeit verschafft. Wir müssen uns beeilen um das Schlimmste zu verhindern." Nortia reichte Esterlar die Fackel, der sie wortlos an sich nahm. "Was hast du vor?", fragte er noch als Nortia rennend aus seinem Blickfeld verschwand. Während sie den unterirdischen Gang entlang hastete, begann bereits dunkles Fell aus ihrem Körper zu sprießen und ihre Augen fingen an rot zu glühen...
Nur der vertraute Duft leitete sie, und er wurde stärker und stärker. Ihre wahren Sinne erwachten zum Leben. Irgendwann fiel sie auf die Vorderläufe und rannte so weiter.
Lauf mach Beute Gusgan Beute hole Beute zurück lauf lauf!

"Feldan!" rief Yodrak seinem Kameraden durch das Schallrohr entgegen. "Lass uns dies wie Gentlemen klären! Um der alten Zeiten willen, ich fordere dich zum Duell der Echsenlords!" Er erkannte, dass Feldan sich zu ihm umdrehte; er hielt eine Pistole in der Hand. Ein eklatanter Verstoß gegen den Codex, aber etwas anderes hatte er auch nicht erwartet. Rasch ließ er seinen Drachen einige Faßrollen drehen, um Feldan das Zielen zu erschweren. Dann peitschte der Schuss auf, und das Projektil fetzte durch die Flughaut, ohne nennenswerten Schaden anzurichten. Er wünschte, er könnte Feldan mit einem Feuerschwall herunterholen, doch dies war etwas wozu selbst der größte Meister keinen Drachen zwingen konnte.
Er begann abzuschätzen, in welcher Höhe er eine günstige Thermik erreichen konnte, welche ihn seinem Ziel näher bringen würde, als Feldan beidrehte und frontal auf ihn zuflog. Er hatte das Duell schließlich doch noch angenommen.
Dann krachten beide Drachen im vollen Flug ineinander und bekamen sich gegenseitig in den Hals zu fassen. Sowohl Yodrak als auch Feldan gingen mit ihren Gefährten in mentale Trance, und in diesem Moment wurde ihr Wille der Drachen Wille, ihr Zorn der Drachen Zorn. All ihre mentale Stärke wurde zur physischen Stärke der Drachen.
Und im nächsten Moment ertönte ein gräßliches Knacken; Yodraks Drache spreizte die zitternden Flügel starr zur Seite, dann schossen sie kraftlos nach oben. Erst kurz über dem Boden ließ Framire von ihrem Opfer ab und schwang sich wieder in die Höhe, und Feldan bemerkte entzückt, dass Yodrak unverletzt, aber in beschämender Weise in einen Misthaufen fiel.
Eine geheime Residenz der königlichen Hure, das sollte nicht schwer zu finden sein...

Gusgans Körper bäumte sich vor Schmerzen auf, als der nächste Schlag der Spinnenpeitsche einen klaffende Schlucht auf seinem entblößten Oberkörper hinterließ, nur damit sich die Wunden im nächsten Moment wieder schlossen. Die Gishka, eine blonde, junge Frau mit malachitgrünen Augen lächelte auf ihn herab: "Noch ein Schlag, Vetian!" Der dunkelhäutige, gedrungene Mann hob das Folterinstrument an, sodass Gusgan ein Blick auf die muskulösen Oberarme gewährt wurde, dann wurde er brachial ins Gesicht getroffen. Zumindest war sein noch intaktes Auge verschont worden.
Die Spinnenpeitsche selbst war ein fürchterliches Monstrum: An ihr waren zahlreiche Widerhaken befestigt, die beim Zurückziehen Fleischstücke aus dem Corpus herausrissen. Zu alledem war sie mit einer Art magischen Energie aufgeladen, die die Wirkung der Schmerzen noch verstärkte.
"Nun Gusgan?", die junge Gishka beugte sich über ihn. "Du hast jetzt genau zwei Möglichkeiten. Entweder du hilfst uns und als Gegenleistung gewähren wir dir die Freiheit, oder du verneinst und wir werden diese Tortur beliebig lange fortsetzen..."
Gusgan bemühte sich, seinen Oberkörper so gut wie möglich aufzurichten, dann spie er ihr seinen blutigen Speichel ins Gesicht.
Sie starrte ihn an:"Wie du willst!"
Nach etwa einem Dutzend Schläge verlor Gusgan das Bewusstsein. Doch dieser Fehler wurde schnell wieder korrigiert.
Ein Schrei war plötzlich zu vernehmen, der in einem kurzen Gurgeln endete. Die Gishka und ihr Folterknecht sahen sich verdutzt an. Ein weiterer Schrei klang auf, etwas näher jetzt. Gusgan kicherte geistlos vor sich hin.
Mit fließender Bewegung zog die Amazone blank, und Vetian griff sich eine Eisenstange mit weißglühender Spitze aus dem Feuerbecken. Dann zerbarst ohne Warnung die Tür zu einem Holzsplittersturm, und die pure Hölle sprang in den Raum.
Nortia war wieder im Blutrausch. Sie visierte ihr erstes Ziel an. Ducken! Die Eisenstange sauste über ihren Kopf hinweg. Dann war sie bei ihm. Riss ihn zu Boden. Sie wollte sein Blut. Es zischte. Wie konnte das sein? Dann merkte sie warum ihre Berechnungen nicht aufgingen. Die Amazone hatte ihr Schwert geworfen.Lächerlich! Das Tier wehrte die Klinge mit der Tatze ab.
Siedender Schmerz durchdrang Nortias Körper, als sie sich zusammenkrümmte und einen Schrei des Schmerzes ausstieß. Sie lag inmitten von Wolfshaaren nackt in einer Ecke des Raunes. Wie konnte das passieren?
"Silber, mein Schätzchen. Nichts ist für einen Werwolf schadender und effektiver. Es erzwingt bei bloßem Körperkontakt die Metamorphose!" Die Gishka, die sie vorher schon durch die Augen des Tiers erblickt hatte, trat an sie heran. Der Kreuzbogen in ihren Händen war auf Nortias Brust gerichtet. Die Frau lächelte: "Darf ich mich vorstellen: Ich bin Sirena vom Blutbach und ich unterstehe ihrer Hoheit, dem wahren König Jorin. Du musst wohl Nortia sein. Ich muss dich darüber informieren, dass du Verrat gegen die Krone begangen hast. Dies wird laut avalischen Gesetzes mit dem Tode bestraft."
Nortia lachte herausfordernd. "Wenn die Gishka so kämpften wie sie schwatzen, dann hätten sie längst ihr eigenes Reich." Sie konzentrierte sich voll auf die Bolzenspitze. Ullars Spiegel, dachte sie. Ja, das könnte klappen...es muss!
Wutentbrannt ließ die Amazone den Bolzen frei, und für Nortia, die sich in leichte Selbsthypnose versetzt hatte, schien er langsam wie eine Schnecke und riesig wie ein Dachbalken zu sein. Im geeignetsten aller Momente machte sie eine wedelnde Bewegung mit der linken Hand, und einen Herzschlag später ragten die Leitfedern wie ein bizarrer Schmuck aus Vetians linker Augenhöhle.
Sofort richtete sich Nortia auf und wollte sich auf die andere Frau stürzen, doch scheinbar besaßen die Gishka tatsächlich keinerlei Nerven. Reaktionsschnell stieß die Amazone mit die Armbrust gegen Nortias ungeschützten Bauch und zog gleichzeitig einen Dolch vom Gürtel. Beide rollten verbissen über den Boden.
Da begann Gusgan auf seinem Folterbrett plötzlich zu singen...
"Ein juuuunger, straaaammer Baaaaueeernsoooohn, giiiiiing alleeeeein in deeeeen fiiiiiiinsteeeeren Waaaaald. Daaaa ertöööönteee ein woooohliiigeeeer Toooooooooooooooon..."
Als ob Nortia nicht schon genug Probleme hatte! Jetzt wurde auch noch dieser schwachsinnige Magier wahnsinnig! Es gelang ihr sich von Sirena loszureißen, gleichzeitig kamen sie auf die Beine. Nortia hatte sich in der Zwischenzeit Vetians Eisenstange angeeignet. Schreiend stürmte die Gishka vor. Nortia beschrieb mit ihrer Waffe in der Luft eine Acht, um sie im finalen Teil gegen den Solarplexus der Amazone zu lenken. Doch diese glitt schlichtweg unter der Waffe vorbei. Etwas, was nie passieren durfte. Ihre Gegnerin hatte ihre Deckung einfach untergraben. Es ging so schnell, dass Nortia kaum reagieren konnte. Im nächsten Moment traf sie der Knauf des Dolches an der Stirn, was sie mit einer Platzwunde erneut zu Boden gehen ließ. Während Gusgan im Hintergrund weiterhin gröhlte, ertönte plötzlich Esterlars Stimme: "Keine Bewegung Gishka, oder du bist tot!" Sirena drehte sich um und berechnete ihre Chancen, ließ beim Anblick des Ballästers aber ihre Waffe fallen und hob die Hände als Zeichen des Ergebens.
Argwöhnisch überprüfte Nortia den Geruch Sirenas und konnte keinerlei Anzeichen von Angst entdecken. Und hatte Feldan nicht versichert, dass den Gishka die Furcht vor dem Tode abtrainiert worden war?
"Es ist eine Falle!" rief sie Esterlar zu. Der Pelingori reagierte promt und warf sich zur Seite, als aus Sirenas rechtem Zeigefinger ein Feuerstrahl schoß, gefolgt von lautem Knall. Etwas durchschlug Esterlars linke Schulter und brachte an der rückwärtigen Mauer die Ziegeln zum Aufspritzen. Sie hatte Mini-Schußaparate als Implantate in ihren Fingerspitzen! Grinsend richtete sie den linken Zeigefinger auf Nortia, und Gusgan sang: "...und komm ich wohl zurück an des trauten AIIGI UULOOOR TARSDAN und seist du noch immer mein..."
Als die fremdartigen Worte erklangen, machten Sirenas sämtliche Knochen einen Schritt nach links, und sie sank als ein harter und ein weicher Haufen zu Boden.
"Alle Feinbäcker gehören ans Kreuz genagelt," lachte Gusgan. "Wo ist meine Hirschkeule? Vergesst nicht den Nachtisch, aber mit ohne Pudding..."
Als Erstes sah Nortia nach Esterlar. Der Dauphin lag stöhnend am Boden und von seiner Schulter weg, breitete sich eine dunkle Blutlache über den Fliesenboden aus. "Ich spüre mrinen Arm nicht mehr!", keuchte Esterlar.
Nortia untersuchte die Wunde sachkundlich. "Es ist ein glatter Durchschuss," stellte sie schließlich fest. "Wie es scheint, hat das Schulterblatt etwas abbekommen. Du kannst von Glück reden, dass die Waffe so kleinkalibrig war." Aus Streifen von Sirenas Untergewandt fertigte sie einen notdürftigen Verband.
"Ich sollte mir abgewöhnen, mit so großen Mädchen zu flirten," lachte Esterlar bitter. "Das bekommt mir in letzter Zeit gar nicht gut."
"Wer wird denn weinen wenn man auseinandergeht, wenn an der nächsten Ecke schon der Jorin steht..." sang Gusgan vor sich hin.
Nortia probierte Sirenas Waffenrock und stellte fest, dass er ihr ein gutes Stück zu eng war; sie wirkte darin wie eine zu heiß gebrühte Knackwurst, aber immerhin...Dann besah sie sich Gusgan. "Ich glaube, wir haben für nichts gekämpft," stellte sie fest. "Das ist nicht länger der, den wir suchten."
"Was hast du erwartet?" meinte Esterlar. "In der letzten Stunde wurde er angeschossen, gebraten und aufs grausamste gefoltert. Manch anderer hätte längst aufgegeben, doch er weigert sich einfach diese Welt zu verlassen, weil er in seiner Verwirrung irgendwo noch weiß, dass sein Herr ihn braucht. Solche Loyalität trifft man heutzutage nicht mehr oft."
"Schön, dann schleppen wir uns eben mit einem extrem loyalen Riesengemüse ab."
"Als Zauberer weiß er immer, wo sich eine ihm vertraute Person befindet, er selbst hat es vor seiner Entführung noch einmal bestätigt, erinnerst du dich? Er ist nach wie vor unser Schlüssel zu Graccon."
"Schlüssel, Schüssel, Rüssel," gackerte Gusgan. "Führen alle Straßen nach Candwallon? Klar doch! Schwachfug!"
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- Einmal Knochenmesser, immer Knochenmesser -
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