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Alt 14.08.2017, 20:52
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Cassandra Cassandra ist offline
Abyssus abyssum invocat
Ringtraeger
 
Registriert seit: 02.2012
Ort: Faerûn
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Ich hab' schon auf diesen Eintrag gewartet.

Ich bin ein großer Fan von Leuten, die zu ihrem Geschmack stehen und sich nicht eine Liste mit z. B. "intellektuell
anspruchsvollen" Büchern oder Filmen oder CDs zulegen, die sie bei Bedarf abspulen können, um die Leute zu beeindrucken.
Zwar teile ich Deine Meinung was Modern Talking angeht nicht so ganz () (gegen die Musik habe ich gar nichts,
aber die beiden Typen sind einfach zum Kotzen), aber in allem anderen stimme ich Dir zu.

Warum liest man Bücher? Um anderen zu imponieren, oder weil man etwas braucht, damit man die Welt um sich herum für
einen Moment vergessen kann? Jeder Roman, der es schafft, den Leser in eine andere Welt zu entführen, ist per se schon
einmal gut. Alles andere - die Technik, der Aufbau, Rechtschreibung, Grammatik usw. - ist sekundär.
Klingt komisch, gerade aus meinem Mund. Aber ich trenne das: Beruflich bin ich Lektor, aber privat bin ich "nur" Leser -
und letzterem sind technische Feinheiten schnurz, solange die Handlung fesselt.

Ich hatte Mitte/Ende zwanzig mal eine recht ausgiebige Hohlbein-Phase. In diese Zeit fielen Romane wie "Der Greif", "Dreizehn"
oder "Schattenland": Mir hat ganz besonders dieser eine Roman gefallen (kann mich nicht mehr an den Titel erinnern), in dem
ein Junge quasi in seine Computerspiele-Welt eindringen konnte, um von den dort lebenden Wesen zu erfahren, dass diese es
gar nicht prima finden, wenn er als Zocker ihre Welt auf den Kopf stellt und nach Belieben tötet. Ein interessanter Gedanke.
Und am Rande ein ungewöhnlicher Hohlbein-Roman als Empfehlung: "Die Flut".

Doch ein ABER muss ich hier noch hineinpacken (nein, hat nichts mit Schreibtechnik zu tun ^^): Er hat weit über hundert Romane
geschrieben und das ist eine Menge! Selbst ein leidenschaftlicher Vielschreiber, der mehr in der Welt in seinem Kopf als in der realen
lebt, schafft das nicht so ohne Weiteres.
Da stellt sich schon die durchaus berechtigte Frage, ob hier nicht Quantität zulasten von Qualität geht - und dies auch vom Autor
selbst billigend in Kauf genommen wird, denn Hohlbein muss sich seit Jahren keine beruflichen/finanziellen Sorgen mehr machen
(im Gegensatz zu so manch anderem Autor da draußen).
Auch ist es ein offenes Geheimnis, dass er Ghostwriter beschäftigt, seine Familie ebenfalls rege eingebunden wird und er des Öfteren
gerne mal eigene Texte "recycelt".

Da ich selbst schreibe, stellt sich mir natürlich die Frage nach dem Warum. Wieso macht jemand so etwas? Natürlich ist es seine
Sache, aber ich finde, dass gerade in der Fantasy - die immer ein wenig von den "ernsthaften" Lesern belächelt wird - versucht
werden sollte, ein gewisses Niveau zu erreichen, damit endlich einmal klar wird, dass auch solche Geschichten eine Bereicherung
über (den Eskapismus hinaus) sein können. Und es gibt durchaus Autoren, die das schaffen.
Und da Hohlbein nun einmal der bekannteste deutsche Fantasy-Autor ist, hat er da - meiner Meinung nach - eine gewisse Verpflichtung.
Wenn es ihm wirklich ernst ist.
Und er kann ja auch gute Bücher schreiben (siehe z. B. "Die Flut"). Was soll also dieses zwanghafte "bevor ich tot umfalle, schaffe
ich noch den 1.000sten Roman"?

So, das war's mal wieder in aller Ausführlichkeit von moi.
__________________

Im Feuer steckt der Funke des Chaos und der Zerstörung,
der Samen des Lebens


("Magic")

(Photo: Franz Herzog © 2004)

Geändert von Cassandra (14.08.2017 um 20:55 Uhr)
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