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Alt 29.07.2016, 22:53
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Ritter der Tafelrunde
 
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Zwei Dinge machen aus meiner Sicht Fantasy-Welten reizvoll:

A) Die Fantasy-Welt ist eine kreative Neuschöpfung, in der das real existiert, was der Autor sich ausdenkt. Das fängt bei den "Natur"gesetzen (incl. Magie und Fantasiewesen) an und hört bei der idealen (bzw. schlimmstmöglichen) Gesellschaftsform noch lange nicht auf.

B) Für eine zu erzählende Geschichte kann ein Autor den perfekten Hintergrund wählen, in der die Prämissen einer Geschichte viel akzentuierter auf den Punkt gebracht werden können, als in der noch so sorgfältig recherchierten realen Umgebung. Eine Diktatur? Eine Gewaltherrschaft? Ein Überwachungsstaat? Ein perfektes Nirwana, in dem jedes Wesen nur seinem eigenen Gewissen verantwortlich ist? Die kleinen Sünden strafen die Götter sofort und härter, als es jede irdische Instanz je könnte? Alles möglich!

Im Film Casablance schuf der Regisseur einen quasi rechtsfreien Staat, in dem nur der Starke, Intelligente gewann. Eine übermächtige Bedrohung, der man sich aber mit Geschick und Verschlagenheit entziehen konnte. Und das ganze korrupte Casablanca war nur das Sprungbrett in das gelobte Land USA. So einen Staat, so eine Situation hat es in der Realität nie gegeben. Aber was für eine emotionale Geschichte, was für ein Thriller findet dort statt! Das wäre im zeitgenössichen Lissabon oder Paris niemals darstellbar gewesen, weil das "zivilisierte" Orte waren, von denen "man" wusste, wie es dort zuging. Im exotischen Casablanca, einer real existierenden, aber weitgehend unbekannten Stadt, einem "Avatar" für einen exotischen, korrupten, gesetzlosen Ort war diese Geschichte jedoch vorstellbar. DAS ist eine Fantasy-Welt, in der möglich scheint, was anderen Ortes nicht vorstellbar ist.

@Alihadzi
Mal zwei Statements berühmter Autoren als Bestätigung Deiner These:

Sir Terry Pratchett nannte mal als den eigentlichen Star von JRR Tolkiens "Herrn der Ringe" die Welt Mittelerde selber. Nicht Aragorn, Legolas und Gimli, nicht Gandalf, nicht Frodo oder Bilbo Beutlin. Eine Welt, in der der Leser sich irgendwie zuhause fühlt, sich vorstellen könnte, eine lange Reise zu all den Lieblingsorten zu unternehmen. Eine Welt, die stimmiger konstruiert wurde, als die reale Welt tatsächlich ist. Muss man mehr dazu sagen?

GRR Martin (ist die Ähnlichkeit der Initialen wirklich Zufall?) erwähnte einmal, dass er möglicherweise in seinem Epos "Das Lied von Eis und Feuer", verfilmt unter dem Titel Game of Thrones (für die Nicht-Leser und Nur-Filmegucker unter uns), tatsächlich vieles geschrieben hätte, was nicht plotrelevant sei. aber dass er einfach annehmen würde, dass viele Fantasy-Leser so wie er selber auch einfach gerne in der Fantasy-Welt umherwandern, diese Welt "erleben" wollten. Wenn er so zügig wie nur möglich "auf den Punkt kommen" wollte, hätte er einen sachlichen Bericht geschrieben. Ich meine, auch dazu muss man nicht viel sagen.

Wem es gelingt, eine Welt zu erschaffen, in der die Leser sich gerne aufhalten wollen, zumindest gedanklich, macht sich vielleicht der Beihilfe zum Eskapismus schuldig, aber glücklicherweise ist das nicht strafbar. Auf jeden Fall macht er vielen Menschen Freude. Und hat das nicht einen eigenen Wert? Obwohl heutzutage viele Literaturkritiker behaupten, der "Herr der Ringe" sei ein schlecht geschriebenes Buch (hinsichtlich Plot, Spannungsbogen etc.), haben es über zehntausend Mitglieder der Britische Literarischen Gesellschaft zum bedeutendsten englischsprachigen Werk aller Zeiten gewählt. Nachdem Literaturkritiker zuvor die Wahl zum bedeutendsten englischsprachigen Werk des 20. Jahrhunderts als fingiert und irrelevant kritisiert hatten und die Wahl ausgeweitet und wiederderholt worden war. (Nach dem Vorwort einer Biografie JRR Tolkiens). Offenbar war dessen Epos ein Buch, das man lesen WOLLTE, unabhängig von den Stellungnahmen von Verlegern und sonstigen Fachleuten.

Eine Fantasy-Welt KANN große Bedeutung haben!

Geändert von Hobbyschreiberin (29.07.2016 um 23:22 Uhr)
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