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Alt 28.05.2010, 19:22
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Hobbyschreiber Hobbyschreiber ist offline
Drachentoeter
 
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Leseprobe von der Hobbyschreiberin

Hallo, wenn ich darf, dann versuche ich jetzt also auch mal wie angedroht einen Auszug aus meiner Geschichte zu bringen. Auf Eure Kommentare, Kritiken und Euer Hohnlachen (ggf.) bin ich sehr gespannt.



Meister Wilhelm hatte es sich anscheinend zur Aufgabe gemacht, die Dame zu unterhalten, und erfüllte sie gut. Mehrmals musste sie über seine Scherze herzlich lachen und begann ihrerseits, komische Begebenheiten aus dem Leben am Königshof zu erzählen. Wanja hörte schweigend zu und wetzte inzwischen sein Messer an einem Stein, bis er ein Haar damit spalten konnte. Schließlich steckte er es wieder ein und erhob sich.
“Ich sehe mich noch einmal um”, murmelte er.
Ohne eine Antwort abzuwarten, ging er davon, erst zur Straße hinunter, dann in weitem Bogen um ihr Lager herum. Er hätte nicht sagen können, was ihn so beunruhigte. Schon vorhin, als er mit der Dame gesprochen hatte, war er besorgt gewesen, ohne dass er den Grund dafür hätte nennen können. Doch hatte er gelernt, derartige Ahnungen besser ernst zu nehmen.
Wie ein Schatten glitt er durch den Wald. Er suchte den ganzen Hügel ab. Schon wollte er sich beruhigt wieder zum Lager begeben, da blieb er nochmals stehen und lauschte. Er war wieder am Fuß des Hügels in der Nähe der Straße angelangt.
Aus einer Gruppe von Haselnusssträuchern hörte er das ge-presste Atmen von Menschen, die ihre Aufregung zu unterdrücken suchen. Wo er war, ließ er sich zu Boden sinken, um zu horchen, wie viele sie waren und was sie wollten. Lange blieb es ruhig. Vielleicht waren es nur furchtsame Reisende, die hier ebenfalls übernachten wollten. Doch hätten die nicht beim Handelszug nachgefragt, ob sie unter dessen Schutz lagern durften? In Amudaria hätten sie das sicher getan. Aber hier?
“Ob sie schon schlafen?”, flüsterte eine Männerstimme leise. “Weiß nicht”, antwortete eine andere.
“Man müsste mal nachsehen! Aber es sind immerhin sieben Männer. Wenn wir zu früh anfangen, verderben wir alles.”
“Hast du die vielen prächtigen Pferde gesehen? Und all die großen Packen. Ich kann es kaum erwarten, sie aufzumachen.”
“Erstmal müssen wir sie kriegen, ihr Dummköpfe!”
Dies schien der Anführer der Gruppe zu sein. Also waren es doch Straßenräuber, ihren Worten nach zu urteilen. Behutsam lockerte Wanja Schwert und Messer in ihren Scheiden.
“Wir rücken mal etwas näher, damit wir sehen, was sie machen”, befahl der Anführer. “Aber leise, verstanden?”
Als seine Kumpane, es mochten drei oder vier sein, geantwortet hatten, kroch er voran aus dem Gesträuch hervor.

Mit einer fast anmutigen Bewegung sprang Wanja auf ihn zu, drehte dem Verblüfften den rechten Arm auf den Rücken und setzte ihm das Messer an die Kehle. Die anderen Räuber erstarrten, als sie erkannten, was geschehen war. Belustigt sah Wanja sie der Reihe nach an.
“Ihr wollt Räuber sein?”, fragte er leise lächelnd. “Ihr stellt euch eher an wie Schwachköpfe! Aber vielleicht seid ihr klug genug, eine einfache Frage richtig zu beantworten: Wollt ihr lieber leben oder sterben?”
Sie starrten ihn sprachlos an.
“Ihr wisst nicht einmal das? Schade! Ich habe in den letzten Tagen so viele Männer töten müssen, dass ich dessen ein wenig überdrüssig bin. Aber wenn es euch egal ist …”
“Nein! Bitte nicht!” Der Anführer zappelte in Wanjas Griff.
“Psst! Ich will nicht, dass du meine Reisegefährten weckst. Sie hatten einen anstrengenden Tag. Sprich leise!”
“Bitte, gnädiger Herr, tötet mich nicht! Ich habe Frau und Kinder!”, jammerte der Mann, dem er das Messer an den Hals hielt.
“Das fällt dir aber früh ein. Warum gehst du rauben und morden, wenn du zuhause eine Familie hast? Jede Nacht könnte deine letzte sein. Was wird dein Weib sagen, wenn sie dich am Galgen hängen sieht?” Wanja dachte eine Weile nach. Hatte er ihnen schon genug Angst gemacht, dass sie ihre Absichten zumindest für heute Nacht vergessen würden?
“Wenn ich euch Strolche laufen lasse, versprecht ihr mir, so lange zu rennen, bis die Sonne aufgeht? Ihr haltet nicht vorher an und seht euch auch nicht um? Denkt immer daran, dass ich noch hinter euch sein könnte. Und ich bin ein ziemlich guter Läufer.”
“Du bist gleich selber tot!”, stieß ein anderer Räuber hervor. “Was glaubst du eigentlich, wer du bist?”
Wanja grinste, obwohl sie das vermutlich nicht sehen konnten.
“Ich bin euer Tod”, sagte er mit einer Stimme, die so sanft war, dass die Männer schauderten. “Ich spiele nur noch ein wenig mit euch. Aber in wenigen Augenblicken vergießt ihr alle euer Blut hier auf den Boden.”
“Gerede!”, schimpfte der, welcher eben schon gesprochen hatte, und hob sein Schwert. “Hier, nimm das, du …”
Er sprach nie zu Ende.
Wanja ließ den Anführer der Gruppe los, ließ sein Messer fallen, zog in einer einzigen fließenden Bewegung sein Schwert, um dem Sprecher den Kopf abzuschlagen und den Anführer wieder zu ergreifen, noch ehe der sich von seiner Überraschung erholt hatte. Nun hatte der Mann das blutige Schwert an der Kehle. “Wer will der Nächste sein?” Wanjas Stimme war unverändert sanft.
Einige entsetzte Augenblicke lang ließ er die Angst der Männer noch weiter wachsen und reifen. Dann stieß er seinen Gefangenen abermals von sich und sagte ruhig nur das eine Wort: “Lauft!” Mit einem würgenden Wimmern stolperte der Anführer davon und seine Genossen folgten ihm, so schnell ihre Füße sie nur tragen konnten. Ernst sah Wanja ihnen nach. Seine Ohren verrieten ihm, dass die Männer sich sehr schnell entfernten. Nun lächelte er grimmig in der Dunkelheit und hob sein Messer wieder auf. Die Männer würden wohl wirklich erst am Morgen aufhören zu laufen.
Er zog den Leichnam des getöteten Räubers in das Haselgesträuch zurück und deckte ihn mit dem Laub des letzten Herbstes zu. Das würde ihm einige Fragen und seinen Begleitern unnötige Aufregung ersparen. Anschließend lief er zum Bach und reinigte sein Schwert und sich vom Blut des Räubers. Dann erst kehrte er gemächlich zum Lager zurück.

Vier der Knechte und die Dame schliefen bereits. Der fünfte Knecht hielt Wache und Meister Wilhelm breitete soeben seine Decke aus.
“Nun, Herr Bajarin, habt Ihr etwas Verdächtiges bemerkt?”, fragte er gutmütig.
“Ein paar Wegelagerer. Einen habe ich getötet, die anderen laufen wahrscheinlich immer noch”, antwortete Wanja gelassen. “Ich denke, jetzt kann auch ich ruhig schlafen.”
Der Kaufmann lachte. “Ihr seid ein Spaßvogel, mein Freund.”
Er drehte sich auf die Seite und schloss die Augen.
Wanja grinste. Hatte Meister Wilhelm das für einen Scherz gehalten? Er ging zum Wachposten hinüber und ermahnte ihn noch einmal, wachsam zu sein und ihn sofort zu wecken, falls ihm etwas Ungewöhnliches auffiele. Die Straßenräuber mochten nach einiger Zeit ihren Mut wiederfinden und zurückkommen. Dann legte er sich ebenfalls schlafen. Die Nacht blieb jedoch ruhig.
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