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Alt 14.12.2010, 12:58
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Beowe dragon Beowe dragon ist offline
Dragonier
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Tür 13:
Der Weihnachtsaufzug

Bald kommt die liebe Weihnachtszeit,
worauf die ganze Welt sich freut;
das Land, so weit man sehen kann,
sein Winterkleid hat angetan.
Schlaf überall; es hat die Nacht
die laute Welt zur Ruh gebracht, -
kein Sternenlicht, kein grünes Reis,
der Himmel schwarz, die Erde weiß.

Da blinkt von fern ein heller Schein. -
Was mag das für ein Schimmer sein?
Weit übers Feld zieht es daher,
als ob’s ein Kranz von Lichtern wär’,
und näher rückt es hin zur Stadt,
obgleich verschneit ist jeder Pfad.

Ei seht, ei seht! Es kommt heran!
O, schauet doch den Aufzug an!
Zu Roß ein wunderlicher Mann
mit langem Bart und spitzem Hute,
in seinen Händen Sack und Rute.
Sein Gaul hat gar ein bunt Geschirr,
von Schellen dran ein blank Gewirr;
am Kopf des Gauls, statt Federzier,
ein Tannenbaum voll Lichter hier;
der Schnee erglänzt in ihrem Schein,
als wär’s ein Meer voll Edelstein. -

Wer aber hält den Tannenzweig?
Ein Knabe, schön und wonnereich;
‘s ist nicht ein Kind von unsrer Art,
Hat Flügel an dem Rücken zart.-
Das kann fürwahr nichts anders sein,
als wie vom Himmel ein Engelein!
Nun sagt mir Kinder, was bedeut’t
ein solcher Zug in solcher Zeit? - -

Was das bedeut’t? Ei, seht doch an,
da frag ich grad’ beim Rechten an!
Ihr schelmischen Gesichterchen,
ich merk’s, ihr kennt die Lichterchen,
kennt schon den Mann mit spitzem Hute,
kennt auch den Baum, den Sack, die Rute.

Der alte bärt’ge Ruprecht hier
er pocht schon oft an eure Tür;
droht mit der Rute bösen Buben;
warf Nüss’ und Äpfel in die Stuben
für Kinder, die da gut gesinnt. - -
Doch kennt ihr auch das Himmelskind?
Oft bracht es ohne euer Wissen,
wenn ihr noch schlieft in weichen Kissen,
den Weihnachtsbaum zu euch nach Haus,
putzt wunderherrlich ihn heraus;
Geschenke hing es bunt daran
und steckt die vielen Lichter an;
flog himmelwärts und schaute wieder
von dort auf euren Jubel nieder.

O Weihnachtszeit, du schöne Zeit,
so überreich an Lust und Freud!
Hör doch der Kinder Wünsche an
und komme bald, recht bald heran,
und schick uns doch, wir bitten sehr,
mit vollem Sack den Ruprecht her.
Wir fürchten seine Rute nicht,
wir taten allzeit unsre Pflicht.
Drum schick uns auch den Engel gleich
mit seinem Baum, an Gaben reich.
O Weihnachtszeit, du schöne Zeit,
worauf die ganze Welt sich freut!

Robert Reinick 1805 - 1852



Tür 14:




Weihnachtsidylle

Aus Rauhreif ragt ein Gartenhaus,
das schaut so schmuck, so freundlich aus.

Am blanken Giebel schmiegt sich hold
der Wintersonne Abendgold.

Eiszapfen, Scheiben in rotem Glanz,
die Fenster umrahmt von Waldmooskranz.

Blattgrün, Gelbkrokus, ein rosiger Bube
lächeln aus frühlingswarmer Stube.

Kanarienvogel schmettert so hell;
Kinderlachen und Hundegebell.

Klein Hansemann und Ami spielen
Wolfsjagd, sie balgen sich auf den Dielen.

Die Mutter ging holen den Weihnachtsmann,
der klopft an die Türe brummend an.

Und sieh! Vermummt, ein bärtiger Greis.
Ein Sack voll Nüsse, ein Tannenreis.

"Seid ihr auch artig?" - Stumm nicken die Kleinen
und reichen die Patschhand; eins möchte weinen.

Da prasseln die Nüsse, das gibt ein Haschen!
Der süße Hagel füllt die Taschen - -.

Fort ist der Mann. Mit Lampenschein
tritt nun die liebe Mutter herein.

Gejubel: "Der Weihnachtsmann war da!
O, Nüsse hat er gebracht, Mama!"

Den großen Tisch umringt ein Schwatzen,
Schalenknacken, behaglich Schmatzen.

Die Mutter klatscht in die Hände und zieht
die Spieluhr auf: "Nun singt ein Lied!"

"Ihr Kinderlein kommet, o kommet doch all,
zur Krippe her kommet in Bethlehems Stall!"

Fromm tönt’s in die frostige Nacht hinaus.
Ein Stern steht selig über dem Haus. -

Bruno Wille 1860 - 1928
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