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Alt 27.08.2012, 14:48
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Nephthys Nephthys ist offline
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Liebgewonnene Märchenklassiker - und wie Filmemacher sie verhunzen!

Märchen

Oder:

was Film"schaffende" mit den heiß geliebten Geschichten der Kindheit anstellen ...
Von Nephthys.



Ich nehme mal stark an, dass wir alle mit ihnen groß geworden sind.
Hänsel und Gretel, die sieben Geißlein, Aschenputtel, die kleine Meerjungfrau, Schneeweisschen und Rosenrot, Schneewittchen und die sieben Zwerge... die Aufzählung ließe sich beliebig verlängern. Ich bräuchte nur den Elan aufbringen, mich von meiner Couch zu erheben (bei meiner Motivation allerdings unvorstellbar), mich zu meinem Bücherregal schleppen und schon hätte ich locker einen Post ... ach was! einen ganzen Thread! ... voll geschrieben.
Aber das wäre ohnehin zweitrangig.

Was hat mich dazu bewogen meine Zeit zu verjuxen und euch auch noch mit in die Sache hineinzuziehen?

Was mich schon immer schrecklich genervt hat ist die Umsetzung der Märchen durch Hollywood. Und um das Übel beim Namen zu nennen: Disney.
Vor zwei Jahren habe ich mit meiner Großbase (11 Jahre) und meinem Großvetter (14 Jahre) zusammen gesessen und wir haben uns über Märchen unterhalten.
Ich war sehr überrascht davon, dass die Kurzen davon überrascht waren, dass die kleine Meerjungfrau eben nicht den lieben langen Tag mit Krebsen und Fischen singt – und schon mal gleich gar nicht am Ende den Prinzen heiratet.
Für diejenigen, die entweder nur die Verfilmungen kennen oder nur die Märchen, bin ich mal so frei und gebe zwei kleine Zusammenfassungen zum Besten:

1939: Schneewittchen und die sieben Zwerge
Die Unterschiede sind eigentlich gar nicht so groß – was vielleicht daran liegen mag, dass man so kurz nach (und kurz vor) dem Weltkrieg nicht so zimperlich war. Wer weiß?
Bleibe ich mal beim Auffälligsten:
Im Film wie im Märchen wird das niedliche, hübsche, liebreizende Schneewittchen von der Stiefmutter gehasst, weil es ihr den Rang als schönste im Land abläuft. Im Film wie im Märchen wird das Mädchen vom Jäger in den Wald geführt um getötet zu werden. In beiden Fällen bekommt der Jäger Mitleid und lässt es mit dem Versprechen ziehen, dass es sich zu Hause nicht mehr blicken lässt. Der Film verzichtet im Übrigen darauf, dass die Stiefmutter die vom Jäger als Beweis gebrachten Lunge und Niere verspeist (oh ja, liebe Freunde der FantasyForen: die Stiefmutter plant einen kanibalistischen Akt! Ist das nicht herzallerliebst?). Schneewittchen erreicht in beiden Versionen das Haus der Zwerge, nistet sich ein und die Männer freuen sich über die willkommene Haushaltshilfe. Während im Märchen die Stiefmutter gleich drei Mal einen Mordversuch startet (Korsett, vergifteter Kamm, vergifteter Apfel) ist es im Film nur das Obst, welches Schneewittchen letzten Endes das Leben kostet. Wie in jedem anständigen Märchen (und Film) kommt natürlich der Prinz.

1950 Cinderella (Aschenputtel)
Jaa, Aschenputtel. Wenn es eine Disney-Verfilmung gibt, die mir so richtig auf den Keks geht, dann diese!
(Inzwischen gibts ja zwei neue Realverfilmungen ... wenn ich denn mal Lust habe, nehme ich auch diese liebendgern auseinander - oder hat jemand von euch Interesse? ...)
Mal sehen: was haben wir sowohl im Märchen als auch im Film? Ein liebreizendes Mädchen, dessen Vater nach dem Tod der leiblichen Mutter des Mädchens eine neue Frau ins Haus holt, die dummerweise eigene Gören mit in die Ehe bringt. Die Gören sind verzogen, gemein und launisch. Aschenputtel wird als Haushaltshilfe im eigenen Anwesen missbraucht und muss sich die Schikanen der Stiefschwestern nebst Stiefmutter gefallen lassen („die guten ins Töpfen, die schlechten ins Kröpfchen“). Heute würde man sagen, sie wird gemobbt. Aber statt in Depressionen zu verfallen, fügt sie sich ihrem Schicksal und erträgt alles geduldig (woah! Was für eine dumme Nuss!). Im Märchen besucht sie das Grab ihrer Mutter, auf dem ein Bäumchen steht, welches sie anstupst. („Bäumchen rüttel dich und schüttel dich, wirf XXX über mich“). Das Bäumchen tut ihr den Gefallen und Aschenputtel kann auf einen Ball des örtlichen Herrschersohnes gehen. Wie es der Zufall so will verliert sie beim überstürzten Verlassen der Festivität ihren gläsernen Schuh (übrigens auch im Film). Ich habe mich schon immer gefragt, wie man mit so einem Pumps laufen kann – aber das tut jetzt erstmal nichts zur Sache. Der Herrschersohn findet den Pumps, von Aschenputtel ist jedoch nichts zu sehen. Also startet er eine Suche. Wem der Schuh passt... man kennt das ja.
Als die Suchmannschaft bei Aschenputtel vor der Tür steht, sieht die Stiefmutter ihre Chance gekommen, die verwöhnten Gören unter die Haube zu bringen. Sie unterschlägt Aschenputtel und nötigt die erste ihrer eigenen Töchter dazu sich ihre Zehen abzuschneiden, damit ihre Quadratlatschen in das zierliche Schühchen passen. Der Suchtrupp lässt sich zunächst täuschen, aber da kommt eine Taube geflogen und verkündet: „Ruckediruh, ruckediruh, Blut ist im Schuh.“ (olle Petze ^^) und die Sache fliegt auf. Die Mutter gibt sich jedoch nicht geschlagen. Schließlich hat sie ja noch eine zweite Tochter. Die passt natürlich ebenso wenig in den Schuh. Also muss eine Lösung her. Dieses Mal darf die Ferse dran glauben und wird abgeschnitten. Gleiches Spiel: der Suchtrupp ist zunächst zufrieden – trifft dann aber erneut auf die geschwätzige Taube.
Schließlich wird Aschenputtel im Versteck aufgestöbert und siehe da: der Schuh passt. Es wird selbstverständlich geheiratet.
Im Film wird gänzlich auf die Verstümmlung der Schwestern verzichtet. Ebenso fehlt das Grab der Mutter mitsamt des Bäumchens. Dafür gibt es drei Feen, die der armen Cinderella unter die Arme greifen. Alles mit einer zuckersüßen Glasur versehen – selbstverständlich.


Gibt es aus eurer Sicht Märchen, die von Hollywood und Co. so rrrrrrrrichtig vermurkst wurden? Weichgespült? Verniedlicht?

Oder gibt es hier in unseren Reihen auch Leuts, die die Sache ganz anders sehen als ich?

Oder - was mich am meisten freuen würde - hättet ihr eigene Beispiele, die ihr unbedingt mal ausführen wollen würdet?
(Selbstverständlich darf / sollte sich hier auch über die neuen Verfilmungen ausgetobt werden.)


Es grüßt euch eine heute extrem mitteilungsbedürftige

Nephthys
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Wieso eigentlich ... sind Drachen weise? Das sind Echsen, liebe Leute. Echsen! Habt ihr euch schon mal nen Gehirn von einer Echse angeguckt? Himmel! Da haben meine Meerschweinchen größere Gehirne - und die finden nicht mal den Weg aus ihrem Käfig raus.
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