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Alt 31.01.2019, 21:22
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Skyline Skyline ist offline
Sylphe
Einhorn
 
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Achtung langer Text! Wer nicht lesen will sei hiermit gewarnt!

Es ist jetzt schon ein paar Jahre her das sich mein Cousin entschlossen hat sein Leben selbst zu beenden.
Bei ihm wurde ein Glioblastom erkannt. Einer der bösartigsten Gehirntumore bei Erwachsenen.
Man kann ihn durch Operationen verkleinern. Aber er kommt immer wieder. Und da jede Operation am Gehirn schwerwiegende Folgen haben kann, muss man auch hier mit äußerster Vorsicht vorgehen um nicht die Zellen und Nerven zu zerstören.
Ich weiß noch wie alle in seiner engeren Familie gekämpft haben (ein Glioblastom ist nun mal einfach ein Todesurteil). Wie sein Vater nicht mehr arbeiten gegangen ist um immer bei ihm zu sein (wurde von seinem Arbeitgeber unterstützt).
So lief das ein halbes Jahr.
Es ging ihm immer mal wieder besser und dann wurde er operiert und der Tumor verkleinert.
Er kam 2 Wochen später aus dem Krankenhaus.
Bestrahlung sollte weiter gemacht werden und es sah alles sehr gut aus.

Er war immer...einer der fröhlichsten und lustigsten Menschen die ich kannte.
Der beste Kumpel von jedem in seinem Freundeskreis.
Ein sehr positiver Mensch.

Ein paar Wochen danach wurde er wieder untersucht, und wie es meistens ist...war das Glioblastom um das doppelte gewachsen, mit weiteren Metastasen.
Eine Operation war nicht mehr möglich, ohne schwerwiegende Verletzungen an seinem Gehirn zu verursachen.
Bestrahlung sollte ihn noch ein paar Monate durchbringen bis zu seinem Ende.

Die Wahl zwischen langsamen Dahinsiechen und dem Schnelleren...hat er nicht länger ertragen können.
Er hat 1 Jahr gekämpft. Er wollte nicht sabbernd im Rollstuhl oder liegend sterben. Er wollte nicht nichts mehr wahrnehmen, nicht erblinden und nicht sprechen können.
Einen Monat später ist er mitten in der Nacht von einem Krankenhaus-dach gesprungen. Und wurde am nächsten Morgen gefunden.

1 Tag vorher hat er noch so ziemlich alle Verwandten "abgeklappert".
Bei mir war er mit seinem Vater auf meiner Arbeit, haben mich besucht. Leider hatte ich keine Zeit und hab sie vertröstet. Im Nachhinein ein sehr seltsames Gefühl.

Sein Vater ist bis heute noch verzweifelt und wird selbst bis zu seinem Ende nicht loslassen können.
Für ihn der dem Sohn so viel geopfert hat, ist es immer noch nicht ganz verständlich, warum er es getan hat.
Meine Cousine, seine Schwester, die selbst in jungen Jahren an Darmkrebs erkrankt war (und ihn damals erstmal besiegen konnte) hat ihn verstanden und es ihm nie übel genommen.
Sie selbst kämpfte mittlerweile wieder mit einem neuen Krebs.
Brustkrebs. Sie blieb immer positiv, hat sich nie auch nur eine Schwäche anmerken lassen. Hat alle Operationen über sich ergehen lassen. Und ist jetzt erstmal wieder geheilt.
Und das alles zu einer Zeit, in der sie unbedingt ein Kind wollte...und das ist während Chemos nicht möglich.
Sie und ihr Freund haben es nach der Abwarte Zeit geschafft und eine kleine Tochter bekommen.
Und dann wurde bei ihm Lungenkrebs diagnostiziert. Arbeiten in einer Lackiererei. Schädliche Dämpfe.
Und da fragt man sich....Was...Schicksal...oder was ist es...

Beide sind sie wundervolle Eltern.
So unglaublich positiv. Und von ihnen hat noch keiner an Selbstmord gedacht.
Haben jetzt geheiratet. Falls irgendetwas passieren sollte, das die Kleine und der jeweilige Partner abgesicherter sind.
Die Kleine wurde schon vorsorglich untersucht, um festzustellen ob der Krebs auch bei ihr ausbrechen könnte. (bisher negativ)

Für meinen Onkel war es ab diesem Zeitpunkt nicht mehr möglich auf psychischer Ebene klar zu kommen. Er hat sich alles negative eingeredet, was den Rest der Familie (einschließlich seiner positiven Tochter) zu Verzweiflung getrieben hat.
Man hat ja Verständnis und Mitleid...aber 365 Tage im Jahr...schwierig.

Er denkt sehr oft darüber nach sich umzubringen...er redet zumindest häufig davon und bringt damit seine Mutter (meine Oma) und seine Schwester (meine Mutter), immer wieder in die Situation: Meint er es ernst, oder nervt er nur wieder damit rum.
Das geht jetzt seit mein Cousin sein Leben freiwillig beendet hat und das ist jetzt schon 7 Jahre her.

Vor Jahren schrieb ich hier schon einmal rein und bin immer noch der gleichen Meinung.
Es ist nicht falsch es ist nicht richtig.
Es ist nicht mutig es ist nicht feige.
Es ist nur traurig.
Für Alle.

Manche gehen besser mit ihren jeweiligen Lebenssituationen um als Andere.
Deshalb sollte man es nie wagen sich selbst darüber ein Urteil zu erlauben.

In meiner Jugend habe ich selbst sehr oft über "Sich das Leben nehmen" nachgedacht.
Heute schäme ich mich dafür, wenn ich an damals denke. Wie meine Gedanken waren.
Weil im Vergleich so viele Menschen wirklich leiden...und ich meine LEIDEN.
Und es keinen Ausweg gibt.
Dann gibt es Jene die für ihr Leben entscheiden Schluss zu machen und die, die weiter machen, weil es sonst für sie keinen anderen Sinn machen würde.
Und dann gibt es noch die, welche den Rest ihres Lebens damit verbringen, sich Gedanken darüber zu machen sich umzubringen.

Ich bedauere zutiefst das ich für so viele nicht Hilfreich sein kann.
Im Endeffekt geht es darum, das man einfach nur da sein soll.
Das Niemand allein sein muss.
Wir können uns nur begleiten im Leben.
Wo dieser Weg dann hin führt, ist einem selbst überlassen.
Aber füreinander da zu sein und versuchen das Lachen in die "Welt" zu bringen ist alles.
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>>"Die Träume der Menschen können manchmal den Himmel erzittern lassen, vorrausgesetzt das sie sich gegenseitig ergänzen.
Aber wenn sich die Träume gegenseitig abstoßen, entsteht in den Herzen derer, die weiter daran festhalten Angst und Hass!"<<