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Alt 11.10.2010, 17:00
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Sodalith Sodalith ist offline
Inspirator aller Magier
 
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Das gericht wird Häppchenweise serviert, ansonsten wird es zu viel


Es war an Weihnachten, genau am vierundzwanzigsten Dezember und es hat geschneit und das kleine Städtchen, in dem ich lebe, sah aus, wie das Motiv einer Schneekugel. Tausende Lichterketten zogen sich von Haus zu Haus. Der schmale Bach, der sich nebenher zog, war an den Rändern schon gefroren und die Dächer waren mit Schneeflocken gezuckert.
Es waren nur noch wenige Stunden bis zur Bescherung und alle brannten schon darauf, die Geschenke aufzumachen.
Bei uns war es Brauch, dass die Kinder erst zur Bescherung ins Haus durften und sich bis dahin im Freien beschäftigen mussten.
Damals waren wir siebzehn Kinder (wie gesagt, es ist keine große Stadt), Amy Macryan, Sascha Donovan, Susi Jacobs, Danny Lewis und ich schlugen die Zeit am Kirschplatz tot, was der Rest machte, weiß ich heute nicht mehr.
Jedenfalls saßen wir gemeinsam auf den Stufen zum Kirchentor und grübelten, was wir machen konnten, als Sascha anfing Schneebälle zu werfen. Natürlich stiegen wir alle auf der Stelle darauf ein und so begann eine wilde Schneeballschlacht, die den Hund des Pfarrers aufschreckte und ins Pfarrhaus trieb.
Eine Weile war das ja auch lustig, die Schneeballschlacht, aber bald wurde uns zu kalt, weil jeder Schnee im Nacken oder nasse Füße hatte. Bibbernd setzten wir uns wieder auf die Stufen und sahen zu, wie die Eltern an uns vorbeigingen, lächelten, winkten und sich einen Spaß daraus machten, uns mit unserer Unwissenheit zu quälen (Eltern tun das wirklich gerne und sie warten mit dem Verraten der Überraschung solange, bis das zu überraschende Kind fast durchdreht). Mrs. Abercrombie, meine Nachbarin, eilte mit einem besonders großen Päckchen vorbei, das für ihre Enkelin Mary bestimmt war.
Insgeheim fragte ich mich, ob meine Eltern mir dieses Jahr wohl meinen größten Wunsch erfüllen würden. Schon seit Jahren wünschte ich mir eine Katze, aber meine Eltern hatten bisher bei dem Thema immer abgeblockt. Aber hoffen kostet ja nichts, oder?
„Zoey, ist alles okay?“ fragte Danny und zog mir meine Mütze tief ins Gesicht. Ich schlug ihm auf die Finger und schob mir den dunkelbraunen Plüsch aus der Stirn.
„Jaah!“ murrte ich, nahm eine Hand voll Schnee und rieb ihm das Gesicht damit ein. Prustend fiel er rückwärts und die Umstehenden lachten.
Sich den Schnee aus dem Gesicht wischend setzte Danny sich wieder auf, seine Wangen waren purpurrot, ebenso seine Nasenspitze.
„Das war gemein.“ beschwerte er sich, woraufhin die anderen noch mehr lachten.
Seufzend schaute ich zur Kirche auf und hoffte, dass mein Wunsch doch dieses Jahr in Erfüllung ging.
Ich war ein Einzelkind, hatte eine Hand voll Cousins und Cousinen, die alle entweder viel älter oder jünger als ich waren und keiner von ihnen teilte meine Interessen.
„Können wir uns ein wenig bewegen, ich erfriere gleich“ ,bat Amy und zog mich auf die Beine, alle anderen erhoben sich ebenfalls.
In Zeitlupe staksten wir durch den knietiefen Schnee und fielen des Öfteren auf die Nase und irgendwann hatten wir die Stadt verlassen und marschierten den Hügel westlich des Friedhofes hinauf.
Der Schneefall wurde stärker und die Sicht verschlechterte sich, sodass wir die kleine Gruppe nicht sahen, die auf uns zukam.
Es war Bobby Blacks Bande, die wir alle nicht ausstehen konnten und die alles, was sich bewegte, quälen mussten.
Erst als wir uns gegenüber standen, erkannten wir unsere „Erzfeinde“, da war ´s aber schon zu spät.
„Dass ihr euch auch mal aus der Stadt raus traut! Kennt ihr die Geschichten nicht?“ fragte Robin, Bobbys bester Freund, gehässig und der Gruppe, die nur aus Jungen bestand, fing an dumpf zu lachen.
„Wir schon, aber ihr anscheinend nicht, sonst wärt ihr Weicheier gar nicht erst aus euren Betten gekrochen“ ,fauchte Susi und ballte die Fäuste. Sie war fast ebenso groß wie Bobby und Jake, die beiden Größten aus der gegnerischen Gruppe, aber leichter und sie konnte Karate, was ihr schon häufiger genützt hatte.
„Wenn du so mutig bist, Jacobs, warum gehst du dann heute Abend nicht auf den Friedhof und tanzt mit den Toten?“, brummte Bobby, wovon seine Kumpanen begeistert waren.
Susi, die nichts auf sich sitzen ließ, wurde knallrot und funkelte Black böse an.
„Na und ob ich mich traue!“, schrie sie und knallte Bobby eine mit der flachen Hand.
Dieser taumelte zurück und hielt sich fluchend seine blutende Nase. Seine Freunde wollten schon auf uns losgehen, aber Bobby hielt sie zurück und sie rannten davon.
„Das willst du doch nicht wirklich tun?“ ,fragte Amy Susi besorgt. Es war überall bekannt, dass Amys Familie zu den Nachfahren der Hexenmörder gehörte und deshalb glaubte sie ganz besonders an diesen dämlichen Fluch.
„Wovor sollte man sich da fürchten, Amy?“ Ich zog verständnislos die Brauen hoch und legte den Kopf schief. Eine Antwort erwartend fixierte ich sie mit meinen graugrünen Augen.
Meine Freundin sah mich viel sagend an.
Ich machte einen Schritt zurück und trat in den Schnee, dass dieser nur so durch die Luft stob.
„Komm schon, Amanda Dorothee Macryan, du glaubst doch nicht wirklich an diesen Zombiequatsch?!“
Beschämt schaute Amy in den Schnee.
Sascha verschränkte die Hände hinter dem Kopf und grinste breit, wobei seine Augenbrauen so weit nach oben wanderten, dass sie vollends unter seinem flammend roten Haarschopf verschwanden.
„Unsere Amy hat eben zu viele Geistergeschichten gehört. Sie muss ja nicht mitkommen, wenn sie nicht will, oder sich nicht traut.“, neckte er und die erwatete Reaktion trat ein.
Amy, die in Sascha total verknall war, lief tomatenrot an und vergrub die Hände in ihren Manteltaschen.
„Natürlich traue ich mich! Wann geht’s los?“, fragte sie und schaute in die Runde. Wir alle grinsten sie breit an. Sie war so leicht zu überreden.
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Dort, wo die Fantasie des einen beginnt und endet, dort liegen die Grenzen der Unendlichkeit.
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