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Alt 27.08.2012, 13:59
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Nephthys Nephthys ist offline
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@Seraphina:

YOU MADE MY DAY!!!

Thx für diesen wunder-, wunderschönen Aufsatz!


So, damit mein Kommentar, um das es mir voranging ging, nicht als Spam geahndet werden kann, gebe ich meinen Senf natürlich auch mal hier zu:


Klischeés im Bereich Fantasy
(Aus der Sicht von Nephthys - und wie so oft, bewusst überspitzt und provokativ vorgetragen ...)

der „schwächliche Held“
Wir kennen ihn alle: den Helden, der zu Beginn der Geschichte als uncharismatischer, ängstlicher Schwächling daherkommt, um im Laufe des Buches über sich hinauszuwachsen und die ihm gestellte Aufgabe zu lösen.
Beispiele, die mir dazu einfallen: Bastian in der Unendlichen Geschichte (Michael Ende), Frodo aus Herr der Ringe (Tolkien), Rand al'Thor aus dem Rad der Zeit (Robert Jordan)... das ließe sich endlos lange fortführen.

Warum funktioniert das obwohl es immer wieder das gleiche Schema ist? Identifizieren wir uns mit dem schwachen Helden? Ist er uns deshalb sympathisch? „Wachsen“ wir mit ihm? Sehr wahrscheinlich ist es so. Mir persönlich würde es schwer fallen mich mit einem über die Maßen erfolgreichen, unglaublich stattlichen, reichen, hoch intelligenten Helden im hohen Alter zu identifizieren.
Wohlmöglich wäre es auch langweilig, einem überlegenen Helden über hunderte Seiten lang zuzusehen, wie er ohne Mühe sämtliche Herausforderungen zur Seite wischt?


der als Kind versteckte Held
Dieser Punkt fällt irgendwie mit in den oben genannten mit hinein. Als Kind wird der Held vor seinem übermächtigen Widersacher versteckt und wächst unerkannt zum jungen Mann heran. Manchmal darfs auch eine junge Frau sein. Just im „richtigen“ Moment fliegt dann die Tarnung auf und die Geschichte nimmt ihren Lauf. Prominentestes Beispiel dafür dürfte ja wohl Harry Potter (Joanne K. Rowling) sein. Sofern ich mich richtig erinnere (ist halt zehn Jahre her) passierte das auch mit Rand Al'Thor (Rad der Zeit, Robert Jordan).


die Reise
Ist euch eigentlich auch schon mal übel aufgestoßen, dass sich die Helden in „klassischen“ Fantasy-Geschichten ihre Hacken ablaufen? Da latscht ein kleiner Mann aus seinem geliebten, grünen, fruchtbaren, sozial ausgewogenen Auenland ins düstere, karge, ungemütliche Mordor, um einen mächtigen Gegenstand zu zerstören. (na? Wer wars?). Da verdirbt sich ein kleiner Junge die Füße auf seinem Weg von der Ostküste zur Westküste der „Region“, um einen Talisman aufzutreiben (Jack Sawyer, der Talisman, King und Straub). Ein junger, grünhäutiger Junge läuft, fliegt und schleppt sich durch ein sterbendes Phantàsien, um ein Heilmittel für seine kindliche Kaiserin zu finden (Atrèju, die Unendliche Geschichte, Michael Ende)
Jeder dieser Kilometerschrubbenden Helden hat einen guten Grund, diese Strapazen auf sich zu nehmen. Dieser Grund hat meist sogar etwas damit zu tun, seine ihm vertraute Welt vor dem ultimativen Bösen zu retten.

Aber der eigentliche Grund dürfte ja wohl klar sein: der Autor schreibt an einem Reiseführer für den Leser. Mordor hätte der Leser nie gesehen, die „Region“ hätte er nie kennen gelernt, das Südliche Orakel nie reden gehört, wenn er nicht mit dem Helden mitgereist wäre.
Michael Ende erwähnt diesen Selbstzweck und nutzt ihn sogar für sein Buch: Atrèju hatte durch Phantàsien irren müssen, weil sonst Bastian niemals in die Geschichte hätte gelangen können. Die Kindliche Kaiserin kannte ihr Heilmittel von Anfang an – war aber aus diesem Grund „gezwungen“ es vor Atrèju zu verbergen.


das Böse
Das Böse ist vor allem eines: böse. Und zwar so richtig. Fies, gemein, hinterhältig. Manchmal sogar sauenhäßlich. Extremismus in der reinsten Form – schwarz-weiß-Malerei sozusagen. Und dieses Konzept gibt’s seit einer Ewigkeit. Scheint sich einfach nicht abzunutzen. Wenn ich mir mein Bücherregal ansehe, fallen mir meine alten Märchenschinken ins Auge.
Fange ich mal mit Schneewitchen an: die Stiefmutter ist eine abgrundtief böse Frau. Sie will ihr Stiefkind vom Jäger umbringen lassen und anschließend ihre Organe verspeisen. Wie es weiter geht, kennen sicher die meisten. Und Schneewitchen? Die ist einfach nur lieb. Im Disney-Klassiker helfen ihr sogar die Waldtiere beim Hausputz – so lieblich ist sie – im Märchen wird sie zumindest nicht von den Raubtieren gerissen während sie durch den Wald irrt. Und auch wenn die Stiefmutter nicht per sé in das Bild eines hässlichen Gegenspielers passt (sonst würde die Geschichte wohl auch nicht funktionieren ^^), so verkleidet sie sich doch als häßliches altes Weib, um ihre Stieftochter am Ende zu vergiften.
Über Sauron muss ich nicht viel sagen: er ist böse. Punkt. Immerhin bedroht er ganz Mittelerde. Und so wirklich hübsch kann man ihn auch nicht nennen. Ähnliches gilt auch für die Orks und die Uruk-hai.
Das Nichts ist nicht körperlich. Aber in seiner Boshaftigkeit kaum zu überbieten, da bis auf ein Sandkorn nichts von Phantàsien übrig bleibt. (Wobei anzumerken sei, dass das Nichts keinen eigenen Willen hat – und so betrachtet nicht wirklich „böse“ sein kann. Dennoch bleibt es ein übermächtiger, schrecklicher Gegner.)


die Waffen...
(... und anderes magisches Zeug.)
Keine Fantasy ohne eine magische Waffe.
Die prominenteste unter ihnen ist und bleibt Exalibur. Es hilft bei der Wahl des rechtmäßigen Königs von England. Steckt in einem Stein fest und lässt sich nur von dem „richtigen“ raus ziehen. Gutes Konzept. Und damals, als die Sage um Artus entstand vielleicht sogar innovativ. Vielleicht.
Michael Ende greift diese Idee mit dem Schwert Sikánda wieder auf.
Tolkien verwendet sein Arsenal an magischen Gegenständen sogar inflationär:
Die Ringe der Macht (von denen gibt’s gleich zwanzig Stück!), Das Horn von Gondor, die Palantíri, Glamdring, Narsil, Stich... und das ist nur ein Bruchteil von dem, was in Mittelerde zu finden ist.

Therry Pratchett hatte es in „Wachen Wachen“ kaum treffender beschreiben können (frei zitiert – ich habe das Buch nicht mehr): „[...] dieses Schwert war besonders, weil es überhaupt keine magischen Kräfte hatte [...]“


Das war mein Wort zum Montag,

es grüßt euch
... in der Hoffnung, dass dieser Thread wieder seine verdiente Aufmerksamkeit und vor allem den Diskussionswillen der User zurück erhält ...

Nephthys



Nachtrag:

Dinge die ich mich schon immer mal gefragt habe (nicht nur auf Fantasy beschränkt):

Wieso eigentlich...

... gehen Helden nie aufs Klo? --> Verstopfung ist eine ernstzunehmende Angelegenheit. Wirklich!

... gehen Helden selten Shoppen? --> Die greifen einfach mal so in den Schrank (wenn überhaupt) und schleppen den lieben langen Tag (und das mitunter jahrelang!) das gleiche Zeuch.

... müssen Helden seltenst den Haushalt schmeißen? --> Echt ey. Wenn ich mir meine Bude so anguck: die Spinnweben kommen schneller nach als ich den Feudel schwingen kann.

... überleben die zu 90% die abstrusensten (schreibt man das so?) Gefahrensituationen? --> die wären allesamt was für die Nachrichten. Ach was! Nen Gallileo-Spezial!

... sterben Helden - sofern sie es überhaupt tun, siehe oben - nicht schon auf Seite eins?

... menstruieren die weiblichen Helden eigentlich nie? --> Wäre echt mal Zeit nen Schwangerschaftstest zu machen oder wahlweise den Endokrinologen des Vertrauens aufzusuchen.

... sind Zauberer in den meisten Fällen alt und weise? --> müssen die nix lernen? Kommen die schon fertig aus Muttis Bauch geflutscht?

... sind Zwerge klein? --> Wenn ich - so als statistisch versierter Naturwissenschaftler (zudem Evolutionsbiologe!) - mal an die Gaußsche Normalverteilung denke... das ist einfach nicht logisch!

... sind Elfen schön? --> Naja. Die meisten. Wenn ich mir so "Mr. Anderson"-Elrond (Hugo Weaving) so ansehe, dann ist er nicht wirklich "schön". Interessant trifft es eher.

... wird der Held immer im letzten Augenblick gerettet?

... wird sich nie, nie, nieeeee(!) einfach mal zusammengesetzt und das Problem ausdiskutiert? --> Ich meine, hey: nen lockerer Plasuch mit Sauron, Saruman, Gandalf und meinetwegen Frodo und die Sache wäre gegessen gewesen. Nix da durch die Pampa streifen. Nix da, sich fast den Ar*** abfrieren und von ner überdimensionierten Spinne verputzt werden.

... will der Böse eigentlich die Welt erobern? --> Was hat er davon? Ist doch echt doof. So ne ganze Welt regieren? Viel zu viel Aufwand.

... kackt der Held so gegen Ende des Buches / der Geschichte immer fast ab? --> ist echt gemein.

... nimmt eigentlich seltenst ein Nebencharakter Abstand vom Helden, nachdem der Wochenlang durch die Pampa gestreift ist? --> stinkt der nicht zum Steinerweichen?

... gibt es keine adipösen (das vornehme Wort für krankhaft fett) Helden? --> so einer kommt wenigstens ins Schwitzen.

... wird meist ein kleiner, armer Bauernjunge zum heldenhaften Recken? --> Gibts nicht genug Ritter? Ich meine hey: das ist doch deren Job, oder hab ich was verpasst?

... sind Drachen weise? --> Das sind ECHSEN! liebe Leute. ECHSEN! Habt ihr euch schon mal nen Gehirn von ner ECHSE angeguckt? Himmel! Da haben meine Meerschweinchen größere Gehirne - und die finden nicht mal den Weg aus dem Käfig raus.

... ist in High-Fantasy mindestens ein Königreich in Gefahr? --> Wieso nicht einfach mal ne kleine Bauernhütte, die abgerissen werden soll? Da denkt mal drüber nach. Was ist so interessant an einem Schloss / einer Burg? Ich finde: gleiches Recht für alle. Rettet die Hütten!

... gibt es in High-Fantasy seltenst eine Demokratie? --> Jungs, Mädels. Schließlich lebt ihr in einer. Ihr habt das Glück eurer Kreuzchen machen zu dürfen und ihr wollt etwas über Diktatoren und Monarchen lesen? Seid doch froh, dass wir die los sind!

... gibt es in High-Fantasy keine Wahlkämpfe (eng verwoben mit dem Punkt weiter oben)? --> - ohne Worte -

... muss der Held nicht mal ne Rolle Klopapier kaufen? --> Blätter sind zumindest im Winter echte Mangelware. Ehrlich... schaut mal in drei Monaten aus dem Fenster. Dann wisst ihr, was ich meine.

... sind die Könige / Königinnen solche Dummbratzen, dass sie einen dahergelaufenen Bauernlümmel brauchen, der ihr Reich rettet? --> Na, die haben ihren Job aber echt verfehlt. Gibts keine Berufsberatung?

... ist das Reich rettungswürdig? --> Wieso macht sich der Bauernlümmel auf den Weg eine - und da haben wir es wieder - monarchistische Staatsform zu retten? Wer sagt denn, dass es nicht besser werden könnte, wenn die Monarchen gestürtzt werden?

... sind die Feinde abgrundtief hässlich und echt voll gemein und fies? --> Die wahren "Monster", liebe Freundinnen und Freunde der fantastischen Unterhaltung, sind im wahren Leben meist sogar ganz besonders charismatisch. So siehts aus. Jawohl!


... so ... das wars erstmal von meiner Seite. Falls mir noch weitere tiefgründige Gedankengänge durch die Hirnwindungen schießen sollten, lasse ich es euch wissen.


Es grüßt

Nephthys
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Wieso eigentlich ... sind Drachen weise? Das sind Echsen, liebe Leute. Echsen! Habt ihr euch schon mal nen Gehirn von einer Echse angeguckt? Himmel! Da haben meine Meerschweinchen größere Gehirne - und die finden nicht mal den Weg aus ihrem Käfig raus.
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Wer sich für Fantasy, Kurzgeschichten, Betrachtungen zur Sci-Fi, darstellerisches Handwerk, Computerkunst, Rezensionen, Biologie, Histologie, Taxonomie ... interessiert, der wird hier fündig: Marinas (fantastische) Welt

Geändert von Nephthys (06.09.2012 um 00:42 Uhr)
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