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Alt 03.05.2006, 16:08
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Fenni Fenni ist offline
Borussin
Inspirator aller Magier
 
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Sodele, für alle, die vielleicht Interesse haben (sowas soll ja mal vorkommen ) gehts jetzt weiter



Und sie stürzte sich mit voller Energie in die Schlacht. Jeden Tag saß sie bei Gerret und nachts schlief sie neben seinem Bett. Sie braute Medizin und stellte Salben her, extra nur für ihn.
Doch zuerst sah es nicht so aus, als würde Gerret wieder gesund werden. Er erwachte zwar aus seiner Ohnmacht, aber zuerst konnte er sich an nichts mehr erinnern und dann bekam er hohes Fieber und die Wunde an seinem Kopf entzündete sich und manchmal dachte Liy, dass sie es wohl doch nicht schaffen und er sterben würde.
Janosch machte weiterhin seine Runde durchs Dorf, aber jeden Abend war er bei Liy, machte ihr Mut, gab ihr Ratschläge und tröstete sie, wenn sie vor Erschöpfung oder Verzweifelung weinte.
Nicht nur, dass er Liy für das bewunderte, das sie tat, das seltsame Gefühl, das er damals empfunden hatte, kehrte immer häufiger wieder und bald blieb es ganz.
Er musste Liy nur ansehen und ein angenehmer Schauer durchlief ihn und eines Tages erwischte er sich dabei, wie er dasaß und sie einfach nur anstarrte wie sie mit hochgekrempelten Ärmeln und zurück gebundenen Haaren Gerret vorsichtig ein wenig warme Suppe einflößte.
Janosch kannte sich nicht allzu gut mit Gefühlen aus und deswegen ging er eines Abends, bevor er zu Liy ging, zu Susann, denn er war sich sicher, dass es, wenn sich jemand mit Gefühlen aus kannte, Susann war, denn schließlich würde sie bald heiraten.
Susann saß in ihrem Zimmer und nähte im flackernden Licht einer Lampe an ihrem Brautschleier. Doch für Janosch nahm sie sich Zeit, denn, wie es so häufig ist, wenn Geschwister erwachsen werden, liebte sie ihre Brüder und Schwestern nun sehr.
„Na, was möchtest du?“ erkundigte sie sich freundlich, als sie Janosch in der Tür stehen sah.
Er kam langsam näher. „Ich...ich möchte dir nur eine Frage stellen.“ Und mit einem Blick auf ihre Arbeit fügte er schnell hinzu: „Es wird auch nicht lange dauern.“
Susann legte den Schleier vorsichtig neben sich auf den Tisch und sah Janosch interessiert an. „Na, dann frage doch einfach.“
Janosch beschrieb sein Gefühl, doch er erzählte Susann nicht, dass er es empfand, wenn er Liy ansah. „Was glaubst du, was das ist?“ erkundigte er sich zum Schluß.
Susann lächelte. „Nun, es hört sich ganz so an, als hättest du dich verliebt,“ antwortete sie. „Wer ist denn das Mädchen? Kenne ich sie?“
Janosch riss die Augen auf. „Wie...wie kommst du denn darauf, dass ich es bin, um den es geht?“
Susann lehnte sich in ihrem Stuhl zurück und fing an zu lachen. Es war ein lautes Lachen und es dauerte eine Weile an. Schließlich presste sie sich die Hand auf den Mund und versuchte, das Lachen zurückzuhalten, um Janosch nicht zu verletzen. „Ent...entschuldige,“ presste sie schließlich hervor. „Aber ich glaube, ein Mensch, der nicht verliebt ist, kann dieses Gefühl bestimmt nicht so genau beschreiben, wie du es tust. Und außerdem, wenn jemand schon so eine Frage stellt, ist es eigentlich immer so, dass es dabei um ihn selbst geht. Habe ich damit deine Frage beantwortet?“ Als Janosch nickte, drängte sie: „Wer ist denn jetzt die Glückliche?“
Überrascht sah sie, wie Janosch plötzlich leichenblass wurde. Ihm war grade bewusst geworden, dass er sich in seine eigene Schwester verliebt hatte. Aber...das konnte doch nicht sein. Sie war doch seine Schwester. So etwas konnte doch einfach nicht passieren. Er schlug die Hände vor das Gesicht und lief aus Susanns Zimmer.
Er rannte den Flur entlang, die Treppe hinunter und aus dem Haus und er blieb erst stehen, als er schon eine ganzes Stück vom Haus entfernt war und dessen erleuchtete Fenster in der Luft schwebten wie Glühwürmchen. Dann warf er sich ins Gras und weinte eine ganze Zeit vor Entsetzen über sich selbst.
Als seine Tränen schließlich verebbten, drehte er sich auf den Rücken und blickte zum dunklen Himmel hinauf. Da es der erste Tag der elften Mondphase war, gab es keinen Mond, so dass Janosch die vielen Sterne leuchten sehen konnten.
Er schloss die Augen und sang innerlich das kleine Lied, das jeder sang, der zu den Geistern sprechen wollte. Als er die Strophe zuende gesungen hatte, öffnete er den Mund und flüsterte: „Oh ihr Geister, warum tut ihr mir das an? Wollt ihr mir eine Prüfung auferlegen? Aber warum? Was habe ich getan, weswegen ihr mich prüfen wollt? Zweifelt ihr an mir? Warum? Warum nur?“
Doch er erhielt keine Antwort oder ein Zeichen.
Stattdessen fingen die Tränen wieder an, ihm über die Wangen zu laufen. Er setzte sich auf und wischte sie energisch weg. Es war nun mal so, er hatte sich in seine eigene Schwester verliebt, er musste sich damit wohl abfinden. Doch ihm war klar, dass dieses Gefühl nicht normal war und er fragte sich, ob irgendetwas mit ihm nicht stimme oder die Geister ihm einen Streich spielten oder ihn wirklich prüfen wollten, wie sie es manchmal mit den Menschen taten. Er lag noch eine ganze Weile da und blickte zu den Sternen hinauf. Und schließlich stand er auf und ging langsam zum Haus zurück.
In den nächsten Tag versuchte Janosch vehement, Liy aus dem Weg zu gehen. Er saß abends nicht mehr bei ihr, ergriff nicht mehr ihre Hand oder nahm sie in den Arm und wenn sie ihn berührte, zuckte er erschrocken zusammen und entfernte sich eiligst von ihr, doch es gelang ihm nicht, ihr mit seinen Blicken auszuweichen.
Immer, wenn er sich sicher war, dass sie es nicht bemerken würde, starrte er sie unverwandt an und sein Herz klopfte heftig bei ihrem Anblick.
Er merkte nicht, wie sehr er Liy damit verletzte, er war viel zu sehr damit beschäftigt, Antworten auf seine Frage zu finden. Jeden Abend ging er nach draußen und befragte die Geister, in der Hoffnung, endlich eine Antwort zu bekommen.
Im Winter, als sie die Nacht des kalten Vollmondes feierten und bei diesem Fest den Geistern des Himmels ihre Träume erzählten und um Erfüllung baten, bat Janosch voller Verzweifelung, dass er endlich eine Antwort erhielt. Aber es sah nicht so aus, als würde sein Wunsch erhört werden.
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