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Alt 23.06.2015, 17:35
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Susanne Gavenis Susanne Gavenis ist offline
Herausforderer der Weisen
 
Registriert seit: 04.2012
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Eine kleine Anmerkung von mir.

Für deinen Romanbeginn hast du ja ein geradezu klassisches Szenario gewählt - ein Junge (der offenbar auch der Protagonist der Geschichte ist) entdeckt ein Massaker unter den Steinböcken, die eigentlich er selbst erlegen wollte. Dieses Massaker wirft sofort Fragen an den weiteren Handlungsverlauf auf: Wer hat die armen Tierchen gemetzelt, warum hat er das getan, und warum war er dabei so grausam? Gerade die Brutalität dieses Vorgehens zeigt ja bereits, dass der Täter kein Feingeist ist und ein Leben ihm anscheinend nicht viel bedeutet.

So weit, so gut. Dennoch hat mich dein Einstieg in die Geschichte nicht wirklich gefesselt, und ich denke, dass das einerseits sowohl an der aus gefühlten 2000 Büchern und Filmen bekannten Situation lag (die - völlig unabhängig von deinem Schreibstil - im Augenblick noch nichts Überraschendes geboten hat, um den Leser zu packen. Die Entdeckung der toten Tiere war m.E. keine solche Überraschung, da es für mich die wahrscheinlichste Variante war, mit der ich relativ schnell gerechnet hatte) und andererseits - daraus folgend - , dass du mit der Beschreibung dieser altvertrauten Situation m.E. an der falschen Stelle begonnen hast. Gerade weil das Ergebnis von Elrans Jagd für viele Leser nicht wirklich unerwartet sein wird, wäre es in meinen Augen wichtig, bereits mit den ersten Sätzen deiner Geschichte die Bedrohungslage aufzuspannen, in der dein Protagonist schwebt.

Statt also zuerst relativ ausführlich zu beschreiben, wie Elran den Steinböcken hinterherhechelt und dabei über die Hintergründe dieser Aktion nachdenkt, wäre ein erster Satz nach dem Motto "Elran roch das Blut, bevor er die ausgeweideten Tiere sah" meiner Meinung nach effektiver, um den Leser - ebenso wie Elran selbst - unmittelbar in eine potenziell bedrohliche Situation hineinzuwerfen. Alle Hintergrund-Infos, die du im Moment noch diesem Augenblick der Entdeckung der toten Steinböcke voranstellst, könntest du m.E. problemlos auch dann noch bringen, wenn du Elrans Schock und seine Gefühle in angemessenem Umfang dargestellt hast.

Wüsste der Leser bereits, dass ein mordgieriges Monstrum die Berge unsicher macht, bevor er erfährt, dass Elran wegen Fleischknappheit aus seinem Heimatdorf aufgebrochen ist und schon seit Tagen hungrig und erschöpft durch das Gebirge stapft, würden diese Informationen sofort ganz anders wirken als im Moment, da sie von den Vorzeichen einer drohenden Gefahr auf eine ganz andere Weise eingerahmt werden würden. Der Fokus sollte dabei m.E. in diesem ersten Kapitel auch weniger auf diesen Hintergrund-Infos liegen (die natürlich notwendig sind, damit der Leser die Situation einigermaßen einschätzen kann), sondern auf Elrans emotionaler Reaktion auf seine schreckliche Entdeckung. Er ist allein in den Bergen, dazu noch müde von seiner dreitägigen ergebnislosen Jagd, ist vielleicht im Gebrauch seiner Waffen noch unerfahrener als ein erwachsener Jäger seines Dorfes, und plötzlich sieht er sich einer Situation gegenüber, in der er nicht sicher sein kann, ob der Unhold, der die Steinböcke abgeschlachtet hat, nicht noch in der Nähe ist und auch nach seinem Blut lechzt. Jeder Jugendliche - und vermutlich auch die meisten Erwachsenen - hätte in so einer Lage mit Sicherheit eine Heidenangst, und den Schwerpunkt deiner ersten Szene auf diese Angst zu legen (statt so wie im Moment auf Elrans Marsch durch das Gebirge), wäre in meinen Augen eine gute Möglichkeit, den Leser in die Geschichte hineinzuziehen und mit Elran mitfiebern zu lassen.

Eine von Anfang an in der Luft schwebende Bedrohung des Lebens deines Protagonisten ist m.E. besser geeignet, um Sympathie und Mitgefühl im Leser zu wecken, als seine Frustration, dass er bisher noch nichts erlegt hat, und seine zunehmende Erschöpfung (die zwar sicherlich unangenehm für ihn ist, aber trotzdem noch nichts wirklich Dramatisches, das den Leser um ihn bangen lässt). Im Augenblick liest sich dein Romananfang zwar recht flüssig, hat mich aber dennoch relativ kalt gelassen.
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