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Alt 22.11.2009, 13:23
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Bardin Bardin ist offline
Geschichtenerzählerin
Erforscher der Welten
 
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Ort: wo die Träume flügge werden
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Fortsetzung

Wie lange bin ich geschwommen! Aber es war doch gar zu schön. Ich habe mit den Delfinen gespielt, bis die Sonne schon hoch am Himmel stand. Weit bin ich geschwommen, flussaufwärts gegen die Strömung. Jetzt bin ich müde und kann nicht mehr.
Ich klettere ans Ufer, nehme meine normale Gestalt an und setzte mich hin. In der Sonne wärme ich langsam wieder auf.
Aufmerksam betrachte ich meine Umgebung. An dieser Stelle begrenzen hohe Felswände den Fluss an seinen Ufern. Rötlich braun ragen sie in den Himmel und lassen nur einen Streifen Sonnenlicht in das Tal eindringen. An den Rändern kann man einen Schimmer der Vegetation dort oben erahnen. Der Boden ist trocken und staubig, voller Kies der unter den Füßen knirscht, an einigen Stellen wachsen dürre Grasbüschel in der Einöde. Teilweise liegen große Felsbrocken herum, die wohl von den Klippen heruntergefallen sind. An den Felswänden selber wachsen mickrige Bäume, denen es irgendwie gelungen ist, ihre Wurzeln in Fels zu schlagen. Klein sind sie, und sie tragen kaum Laub.
Ich stehe auf und laufe vorsichtig über die spitzen Steine zur Felswand. Sie scheint recht glatt und gerade zu sein.
Ich überlege etwas und nehme schließlich die Gestalt eines Geckos an. Dann versuche ich die Wände hoch zulaufen. Und es funktioniert. Höher und höher erklimme ich den Fels.
Schließlich gelange ich auf einen Felsvorsprung vor einer großen Höhle. Um sie genauer ansehen zu können, nehme ich nochmals meine normale Gestalt an.
Eine Hand strecke ich vorsichtig in den Eingang und zucke zurück, als unsichtbare Fäden unter meiner Berührung golden aufleuchten. Sie vibrieren leise. Nun darauf vorbereitet, streiche ich leicht über die Öffnung beim Eingang. Die Fäden sind überall darüber gespannt, so dass man nicht durch sie hindurch kommen kann. Ich bin mir sicher, dass diese Fäden reine Magie sind.
Gern würde ich in die Höhle gehen, doch es scheint sehr mächtige Magie zu sein, und alte dazu. Vor langer Zeit muss sich jemand sehr große Mühe gegeben haben, den Eingang zu verschließen, und ich will die Arbeit nicht zerstören. Trotzdem zupfe ich probehalber an der Magie. Sie ist straff gespannt und zu meiner Überraschung gibt sie einen hellen, klaren Ton von sich. Ich wähle einen anderen Faden, der ebenso erklingt. Erst jetzt fällt mir auf, dass die Höhle mit der Magie bespannt ist wie ein Instrument.
Vorsichtig zupfe ich an den Saiten und erschaffe eine kleine, wunderschöne Melodie. In die tiefen Grundtöne webe ich hohe und zarte. Ich kann mich nicht halten und muss weiterspielen, immer weiter. Es scheint mir, dass die Melodie in die Höhle dringt, immer lauter wird und mächtiger, und daraus strömt wie ein gewaltiger Fluss, der alles überschwemmt. Wie ein Meer wogen die Klänge durch dass Tal, manche fallen hinein in den Fluss, der mitsingt auf seine eigene, plätschernde Weise, und werden fortgeschwemmt. Manche steigen hoch in den Himmel und gelangen in die Wolken, werden von ihnen weit fort getragen um irgendwo anders wieder zu erklingen, und manche setzen sich auf die Strahlen der Sonne, die selber andächtig zuzuhören scheint, so wie die Pflanzen und der Wind und der Stein selbst, und mit ihm die ganze Erde.
Wie verzaubert lausche auch ich der Melodie und kann es kaum glauben, dass ich es bin die spielt. Ich will gar nicht mehr aufhören.
Doch die Stunden vergehen und auch der Tag. Es wird kühl und ich werde müde. Schließlich breche ich ab, einfach so, weil ich nicht mehr kann.
Jetzt ist das Tal von einer großen Leere erfüllt. Selbst die Farben scheinen mir blasser zu sein als zuvor, und alles wirkt enttäuscht, dass die Melodie nun verklungen ist.
Aber sie ist nicht ganz verklungen. Tief in mir spielt sie noch immer, und ich hoffe, dass sie niemals aufhört.
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Allein die Existenz von irgendetwas ist das größte Wunder; die Materie, die sich selber formt, das größte Geschenk; die Materie aber, die auf sich selbst herabblickt und denkt, das größte Paradoxon.

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