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Alt 20.11.2009, 20:42
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Bardin Bardin ist offline
Geschichtenerzählerin
Erforscher der Welten
 
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Ort: wo die Träume flügge werden
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Fortsetzung

Der Wald lichtete sich. Nun konnte man ein kleines Haus erkennen, das an einer alten Eiche lehnte. Es sah aus als würde es jeden Moment zusammenbrechen.
s’Ochenon hob seine Hand und pochte deutlich an die Tür.
Von innen waren Schritte zu hören, dann schwang die Tür scharrend auf.
Eine alte Frau stand in der Öffnung. Graue Strähnen schauten unter dem Kopftuch hervor, sie war wesentlich kleiner als der Magier.
„Du bist es“, sagte sie.
s’Ochenon trat wortlos ein. Erst als sie die Tür geschlossen hatte sah er sie an.
„Was willst du?“, fragte sie.
„Ich brauche drei Pferde – du weißt, welche ich meine.“
„Du hat sie also entdeckt?“
„Du wusstest es vorher?“
„Natürlich. An diesem Ort entgeht mir kaum etwas. Ich werde für die Pferde sorgen.“
s’Ochenon nickte zufrieden: „Ich brauche sie bis zum Sonnenaufgang.“
„Zeit genug“, meinte sie achselzuckend und ging zum Fenster.
Der Magier zögerte kurz.
„Wie geht es den Wächtern?“
„Gut. Aber sie sind unruhig. Etwas ist im Gange.“
Ihr Blick huschte hastig durch den Raum.
„Willst du es dir nicht doch noch überlegen?“
„Ich habe getan, was in meiner Macht stand.“
„Macht ist Verantwortung. Für jeden Fehler muss man büßen.“
„Warum sollte ich büßen?“, er lachte kurz auf. „Du glaubst ihnen?“
„Immer mehr. Ich denke nicht, dass wir das richtige getan haben.“
„Was immer du tun willst, jetzt ist es zu spät.“
„Ja“, sagte sie tonlos, „Zu spät.“
Sie drehte sich um. Ihr blindes, milchiges Auge war zur Seite gedreht. Mit dem anderen durchmaß sie den Magier mit einem durchdringenden, eisblauen Blick.
„Du hast getan, was du für richtig gehalten hast. Aber wir Menschen sehen bloß das Äußere. Nur die Götter sehen das Herz. Ihr Urteil fehlt niemals.“
Die Frau lächelte mit ihren restlichen drei Zähnen.
„Ich hoffe für dich, dass dein Urteil nicht gefehlt hat.“
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Allein die Existenz von irgendetwas ist das größte Wunder; die Materie, die sich selber formt, das größte Geschenk; die Materie aber, die auf sich selbst herabblickt und denkt, das größte Paradoxon.

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