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Alt 29.10.2021, 20:31
Jens Jens ist offline
Kobold
 
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Tränen bei Pratchett - auch das geht

Hi Leute,

ich bin sehr angetan von Terry Pratchetts Werk. Gerade habe ich eine sehr emotionale Rezension bei Amazon geschrieben. Ich habe schon einige Rezensionen geschrieben, aber das war vermutlich meine emotionalste.

Hier mein Text. Lasst mich gerne eure Meinung wissen, was ihr bei Pratchett empfindet.

Es geht um "Ein Hut voller Sterne"

....

Ich habe bei Pratchett schon viel erlebt, wirklich viel. Am häufigsten sicherlich lachte ich. Manchmal war ich auch erfüllt mit Wut auf Figuren, insbesondere die bösen Figuren aus den kriminalistischen Romane um die Wächter. Ich denke da zum Beispiel an den Herrn Kaffeetrinken, dieses widerwärtige Subjekt.

Aber mit Tränen habe ich nicht gerechnet. Heftig. Achtung, Spoiler, ich gehe auf das Ende ein, welches so ergreifend ist:

Tiffany erkennt, das ein angeblich ganz übler unsterblicher Dämon, der schon tausende, vielleicht Millionen Tiere und Menschen getötet hat, eigentlich nur Gutes tun will. Es übernimmt Lebewesen fast vollständig und versucht dann, aus deren Wünschen eine "gute" Handlung abzuleiten: "Ich hätte so gerne mehr Geld...", also stiehlt man, obwohl man es vielleicht nicht will. "Den sollte man verprügeln", also macht man es. Der sogenannte Schwärmer schafft es, die negativen Gedanken der Menschen durch Übernahme zu potenzieren, und deren letztes bisschen "ich" schaut entsetzt zu.
Damit ist also bei Pratchett eine neue extrem negativ besetzte Figur entstanden, und es könnte in einem der Gedanke entstehen, "hoffentlich stirbst du am Ende, so übel wie du bist", siehe Herr Kaffeetrinken oder der Carcer aus dem "Die Nachtwächter". Märchen halt. Ofen auf, Hexe rein, alles supi.

Tiffany erkennt aber, dass dieses Wesen einfach nur dafür gehasst wird, dass es Menschen tun lässt, was sie sich im tiefsten Inneren wünschen - und daran sterben diese für gewöhnlich. Sie erkennt, dass das Wesen einfach überhaupt keine Ahnung hat, wer es eigentlich selbst ist, weil es ja immer und immer wieder seit dem Beginn des Lebens, vermutlich, andere übernimmt, und diese Wesen sterben alle, aber selbst stirbt der Schwärmer nicht. Auch der Hass gegen den Schwärmer stirbt nie.
Das Wesen, so erkennt Tiffany, braucht Zuneigung. Sie lässt den Schwärmer in ihre Seele - nur als Gast - und der Schwärmer ist unendlich dankbar.
In ihrer Seele kommt der Schwärmer nun zu der Erkenntnis, dass er ein "Ich" hat, eines haben muss, und alles, was ist, kann sterben und der Schwärmer möchte nichts sehnlicher als zu sterben. Er hat soviel gesucht, gesehen, gespürt, versucht und immer ging es schief.

Also kommt es jetzt zum Finale in meinem Herzen. Tiffany ist schon soweit, dass sie als "angehende Hexe" versteht, dass es andere Welten gibt und deren Türen erkennen kann. Sie möchte dem Schwärmer helfen zu sterben. So betritt sie freiwillig das Totenreich mit dem Schwärmer in ihrer Seele, und dieser verlässt sie nun und läuft los durch die schwarze tote Wüste unter einem Firmament blasser Sterne, dankbar und glücklich, zu sterben.

Ich schätze das Werk von Terry Pratchett sehr. Hier, an dieser Stelle, hat er für mich eine neue emotionale Dimension geschaffen. Ja, Terry, du hast mich zum weinen gebracht - und das ist gut so. Wenn ich einen dritten Wunsch hätte, dann wäre er: Hoffentlich hast Du im Jenseits ein paar Große als Freunde. Feiert schön und nicht zu viel Hauereien!

Geändert von Jens (29.10.2021 um 20:34 Uhr)
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