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Alt 13.08.2016, 15:54
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Cassandra Cassandra ist gerade online
Abyssus abyssum invocat
Ringtraeger
 
Registriert seit: 02.2012
Ort: Faerûn
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Mit Büchern halte ich es ein bisschen wie mit Menschen: Mir sind diejenigen am liebsten, die ihre "Botschaft" via Taten bzw. durch ihre Lebensweise
vermitteln und nicht über Monologe mit der Moralkeule.
Es gibt nichts, das mich mehr nervt, als Phrasen, die meistens genauso anspruchsvoll verpackt sind wie Kalenderblätter-Zitate.
Figuren, die anderen Figuren Vorträge halten von wegen, "das Schwert ist die Waffe der Schwachen" oder "lieber selbst leiden, als andere leiden lassen"
(beides echte Zitate aus Romanen), sind bei mir unten durch - und die Autoren per se gleich mit.

Das soll nicht heißen, dass ich grundsätzlich Texte ablehne, in denen ein bisschen mehr diskutiert wird, als das Problem, wie Held A an Bösewicht B vorbei-
kommt, um C retten zu können.
Ganz im Gegenteil: Wenn es Autoren schaffen, beispielsweise aktuelle Probleme in die fantastische Welt zu verlegen, ohne dabei Partei zu ergreifen, und
stattdessen den Leser sich selbst ein Urteil bilden lassen, dann ist das eine reife Leistung.

Nur, seien wir mal ehrlich: Es muss eine entsprechende Voraussetzung gegeben sein. Ein schlauer Mann hat mal gesagt, dass ein Autor immer nur das in
seine Geschichten einfließen lassen kann, das er selbst kennt, erlebt hat, fühlt, fürchtet usw.
Leider teilen sich viele Autoren in zwei Gruppen auf: Die einen meinen, ihre Idealvorstellungen einer "perfekten" Welt auf Biegen und Brechen in ihren
Romanen unterbringen zu müssen und den anderen ist schlichtweg alles schnurz, das nicht unmittelbar mit ihnen zu tun hat.

Fazit: Ich habe nichts gegen "Botschaften", aber sie dürfen nicht als solche herüberkommen. Vielmehr kann/soll der Autor, Fragen aufwerfen, die der Leser
für sich selbst beantworten muss. Er kann seine Figuren an ihren Taten zweifeln lassen, ohne dass sie dabei eine Antwort finden (wie es oft im Leben nun
einmal so ist). Kreative Köpfe, Underdogs, Menschen mit "ungewöhnlichen" Neigungen - das sind oftmals die interessantesten Autoren, weil sie den Leser
manchmal dazu bringen, Altbekanntes in einem neuen Licht zu sehen.
Den Leser zum Nachdenken zu bringen, dazu, die Handlungsweise der Figuren zu hinterfragen und - wenn es ganz prima läuft - Parallelen im eigenen Alltag
entdecken ... das sind die "Botschaften", die ich gerne lese(n würde).

Ob sich ein Autor dazu verpflichtet fühlen sollte: nein, das sollte er, meiner Meinung nach, nicht. Manchmal werden Autoren aus Krisenländern gefragt, warum
sie in ihrem neuesten Roman nicht zu den aktuellen Problemen Stellung bezogen haben usw. Wie der oben erwähnte kluge Mann bereits sagte: Man kann
nur das niederschreiben, das einen selbst bewegt - oder eben genau darüber nicht schreiben. Wenn ein Autor beispielsweise tagtäglich mit den Krisen in seiner
unmittelbaren Umgebung klar kommen muss - wer will es ihm dann verübeln, wenn er sich durch seine Romane eine Art Oase schafft?
Am aufdringlichsten sind immer die "Botschaften", die vom Autor in die Handlung geklatscht werden, weil er aus irgendeinem Grund meint, etwas Weltbe-
wegendes, Tiefschürfendes unterbringen zu müssen. Darauf kann ich persönlich nur wirklich verzichten.
__________________

Im Feuer steckt der Funke des Chaos und der Zerstörung,
der Samen des Lebens


("Magic")

(Photo: Franz Herzog © 2004)

Geändert von Cassandra (13.08.2016 um 16:19 Uhr)
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