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Alt 19.01.2011, 19:57
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Dark Umbra Dark Umbra ist offline
Drachenherz
Erforscher der Welten
 
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Alors Anspannung wuchs immer mehr, als er vorsichtig zwischen den verrußten Mauern umherschlich. Der andere Magier konnte nicht mehr weit entfernt sein. Schnell huschte Alor rauf die andere Seite der Gasse und schob sich zwischen zwei Mauern hindurch.
Ein Geräusch, das nur so eben zu ihm hinübergedrungen war, ließ ihn innehalten und er blieb im Schutz der Schatten.
Eine Stimme.
Der Magier konnte die Worte nicht verstehen, dazu waren sie zu leise, doch er war sich sicher, dass sie von dem geschwächten Feind stammen musste. Er hatte sich also nicht geirrt. Aufgeregt presste sich Alor mit gezücktem Schwert an eine der Mauern und sog noch einmal tief Luft in sich hinein. Auch wenn sein Gegner verletzt war, sollte er ihn nicht unterschätzen.
Doch was war das? Sein Gespür für Leben, das er nie ganz ausschalten konnte, sagte ihm plötzlich, dass dort noch eine zweite Person war.
Na klasse. Sein Gespür war auf Distanz nur in Bezug auf Magier zuverlässig. Seine Magiesicht hätte ihn vorgewarnt, aber er war froh, dass er sie nicht benutzt hatte. Wenn er sich erst einmal darauf fokussierte, nur die Auren von Lebewesen zu sehen, um seinen Feind genau zu orten, nahm er seine menschlichen Sinne nur noch kaum war. Es wimmelte hier nur so von Feinden, da war nur ein kurzer Moment von Unaufmerksamkeit fatal. Scheinbar war zwar niemand außer den beiden in unmittelbarer Nähe, doch Alor wollte sich um keinen Preis darauf verlassen.
Zumindest schien die andere Person ein gewöhnlicher Mensch zu sein.
Wachsam spähte Alor um die Ecke, doch was er sah, überraschte ihn: Ein braun gekleideter Mann, einige Jahre jünger als er selbst, der ihm gelbbraunen Matsch lag, und ein Mädchen neben ihm, das ihn besorgt ansah. Sie hatte anscheinend eine Wunde an dessen Schulter verbunden. Nicht gerade das, was man sich unter Nekromanten oder Schamanen vorstellte.
„Ein falscher Ort für ein romantisches Treffen, meint ihr nicht?“, fragte Alor laut und traf auf die Straße – wenn man das überhaupt ‚Straße‘ nennen konnte. Sein Schwert hatte er zurück in die Scheide gesteckt, doch er beobachtete die beiden aufmerksam und war jederzeit bereit, sich zu verteidigen. Auch mit Magie, wenn es sein musste.

„Endlich fertig?“
Die von Spott triefende Stimme erklang so unerwartet, dass beide, Remnas, aber auch Lim, vor Schreck zusammenzuckten. Der Hauptmann stand blitzschnell kerzengerade und musterte das Individuum auf der anderen Seite der Gitterstäbe, das offenbar über ihre Situation belustigt zu sein schien, mit einem argwöhnischen Blick. Wo kommt der plötzlich her?
„Wie ich sehe – oder besser gesagt: höre –, hast du dich hier schon eingelebt, mein Freund“, sagte der Mann mit einem abwertenden Tonfall, der in Lim das Verlangen aufkeimen ließ, diesen Kerl ordentlich zu verdreschen. Dieser war hoch gewachsen und schlank. Es war... Ein gewöhnlicher Mann, wie Lim feststellen musste. Nichts wies darauf hin, dass er einer dieser flatternden Blutdiebe war. Seine Haut war keineswegs blass, seine Augen auch nicht blutrot. Beim Sprechen zeigte er keine spitzen Reißer.
Aber das Alter seines Gegenübers konnte der Hauptmann nicht genau einschätzen; er schien jemand zu sein, für den Zeit keine Rolle spielte.
Doch eins konnte er mit Sicherheit sein: Dieser Mann strotzte nur vor Selbstbewusstsein. Glattrasiert, die langen, dunklen Haare zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden, die Hände locker unter dem schwarzen Umhang auf seinem Rücken verschränkt. Seine Augen sprühten geradezu vor Tatendrang.
„Tut mir wirklich leid, dass wir euch Unannehmlichkeiten bereiten mussten“, entschuldigte sich der Mann, doch Lim wusste, dass er es keinesfalls bedauerte. „Sonst gehen wir mit unseren Gästen... behutsamer um. Allein die misslichen Umstände verlangen es, dass ich euch nicht bei mir unterquartieren kann. Ihr müsst zunächst hiermit Vorlieb nehmen.“
Die Welle von Hass, die Lim bei jedem der Worte durchschwemmte, ließ er nicht nach außen dringen – das würde dem Mistkerl nur unnötige Freude bereiten. Er beschloss, nicht darauf einzugehen, und fragte sich stattdessen, welche Rolle der Mann hier spielte. Er trug eine schwarze Rüstung, doch sie sah anders aus, als die des Vampirs, mit dem die Verräter geflohen waren... Diese hier war durchaus ein Hauch eleganter, wenn man das so sagen konnte, auch schwerer. An sich keine Rüstung von einem normalen Soldaten oder sogar eines hochdekorierten Offiziers, wie Lim das sah.
Der Mann musste schon eine höhere Stelle einnehmen. Ein Grund mehr, um besorgt zu sein. Warum schickte man keinen Handlanger, um sie zu demütigen?
„Aber“, fuhr der Mann in einem Tonfall fort, der wohl beschwichtigend klingen sollte, „zumindest einen Trost habe ich im Moment für euch.“ Er nickte jemandem zu, den Lim von seiner Position aus nicht sehen konnte, doch einen erstaunlich kurzen Moment später tauchte ein Junge in Robe auf, hielt dem Mann ein Tablett entgegen – fast schon ängstlich, als würde dieser ihm jeden Moment die Arme abreißen. Mit einem freundlichen Lächeln, das den Jungen noch mehr zu verunsichern schien, nahm der Mann es ihm ab, woraufhin sich der Bursche hastig verbeugte und geradezu floh.
Lim war sich sicher, dass er den Grund dafür lieber nicht an eigenem Leib erfahren wollte. Dennoch verzog er keine Miene.
„Hier, etwas Braten, Butter und Brot“, sagte der Mann gutmütig, bückte sich und stellte das Tablett auf den Boden. Dann richtete er sich wieder auf und schob es mit einer Schuhspitze durch die Lücke am Boden des Gitters, die dafür gelassen worden war.
Ein Glück für ihn, dass er nicht näher herangekommen ist.
„Wein war leider aus, fuhr der Mann fort, doch diesmal konnte Lim nicht feststellen, ob das Bedauern gespielt war. „Aber ihr findet weiter hinten in eurem Zimmer einen kleinen Brunnen, aus dem ihr euch Wasser nehmen könnt.“
Mit einem letzten Lächeln, das mehr grausam als alles Andere war, zog er ab.
Einen kurzen Moment lang wollte Lim ihm das Essen zusammen mit Verwünschungen hinterherschleudern. Aber dann fasste er sich wieder.
Wer wusste, wann sie das nächste Mal etwas Derartiges bekamen?... Selbst in Eradir war es nicht unüblich, dass Gefangene sich von trockenen Brotkanten ernähren mussten und glücklich dran waren, wenn Ratten durch ihre Zellen huschten, die sie fangen und verspeisen konnten.
„Was meinst du, wer das war?“, fragte Lim an Remnas gewandt.
„Einst Alors Meister“, antwortete der Magier kurz angebunden.
Lim drehte sich zu ihm um, um ihn noch einmal darauf hinzuweisen, dass wenn das der besagte Kerl war, es nicht einst der Meister gewesen war, sondern es immer noch sei.
Doch als Lim bemerkte, dass Remnas noch blasser geworden war, als zuvor, schwieg er taktvoll und nahm sich etwas von dem Braten.
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