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Alt 05.09.2010, 17:21
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Dark Umbra Dark Umbra ist offline
Drachenherz
Erforscher der Welten
 
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„Ich war nicht freiwillig dort“, sagte Alor und nahm einige große Züge aus der Feldflasche.
Er dachte kurz daran, Lutien die volle Wahrheit zu sagen, aber kam zu dem Schluss, dass dies nicht besonders klug gewesen wäre: Nachher kam der eifrige Feldherr noch auf die Idee, ihn gegen Rèsgons Loyalität zu Omega einzutauschen.
„Als Rèsgon sich auf die Seite Omegas schlug, rekrutierten sie Leute, die Morghaard hier auf den Totenfeldern unterstützen sollten“, fuhr er fort. „Ich hatte Pech, da ich aufgrund meiner Abstammung zu den Wehrpflichtigen gehörte. Also sandte man mich an die Front – na gut, besser gesagt: Man prügelte mich dorthin, da ich mich so sehr sträubte. Ich hielt es für falsch, gegen Eradir zu ziehen, gegen mein Volk und dessen Nachbarn. Doch dass ich mich wehrte, machte die Sache nur noch erheiternder für die anderen Soldaten. Fast wäre ich entkommen, doch zu Fuß gegen Ritter hatte ich keine Chance. Schließlich brachte man mich gefesselt in Omegas Heerlager. Mir war klar: Erstmal dort angekommen, war eine Flucht unmöglich. War ich dort, war meine einzige Möglichkeit, meinem Schicksal zu entkommen der Tod auf dem Schlachtfeld. Kurz nach meiner Ankunft jedoch bemerkte ein Hexer namens Zadek, dass magische Fähigkeiten in mir schlummerten. Von dort an war ich kein Fußsoldat mehr, sondern Lehrling des Nekromanten. Ich sah darin die Möglichkeit: Die Hexer durften sich im Gegensatz frei im Lager bewegen, ohne gleich die wachsamen Augen und die Peitschen der Patrouillen fürchten zu müssen.“ Alor machte eine kurze Pause, um Atem zu schöpfen. „Mein Schicksal schien es doch nicht so grausam mit mir zu meinen. Aber ich hatte mich zu früh gefreut: Die Zeit unter Zadek war mehr als nur grauenvoll für mich. Zwischendurch habe ich mir sogar meinen Tod gewünscht. Zum Glück hatte ich nicht die Courage, mich umzubringen... Ich wäre wohl als Zombie geendet...“, fügte er noch leise hinzu.
Ich hoffe, dass er mir meine Geschichte glaubt. Ich weiß ja, dass sie wahr ist, doch das tut hier ja nichts zur Sache. Falls er mir nicht glaubt, wird er mich wahrscheinlich foltern wollen, um die vermeintliche Wahrheit aus mir herauszukitzeln. Dann bleibt mir wieder einmal nur die Flucht...
„Wie auch immer: Die Nekromantie ist eine der kompliziertesten Sparten der Magie überhaupt. Er lehrte mich also die Grundlagen, um erst einmal die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass ich überhaupt Nekromant werden konnte. Leider merkte Zadek aber schnell, dass mir das Leben unter Vampiren und anderen Scheusalen zuwider war – und dass ich erst recht nicht widerwärtige Rituale durchführen wollte, um Tote aufzuerwecken.“ Er zog die Stirn kraus. „Er war jedoch der Meinung, dass Schmerzen und Qualen mich wohl gefügig machen würden... Schließlich gab ich mich folgsam. Zadek nahm nun an, meinen Willen gebrochen zu haben, doch niemand, nicht einmal er, konnte mich dazu bringen, Tote zu beschwören. Bevor er das aber herausfand, musste ich geflohen sein. Es wäre mein Tod gewesen. Trotz des Leids, das mir mein Leben beschert hatte, hing ich an ihm. Ich wollte auf keinen Fall so enden. Also sorgte ich für eine Ablenkung: Ich fälschte einen Brief, der Zadek nach Titf da Vostri beorderte. Lehrlingen war es nicht erlaubt, das Lager zu verlassen, also konnte er mich auch nicht mitnehmen. Vorher hatte Zadek mich keine Sekunde aus den Augen gelassen, nun aber, da er fort war, ergab sich die Möglichkeit zum Entkommen. Ich rechnete meine Chancen nicht hoch, dass mir die Flucht gelang – schließlich war das Lager voller Nachtwandler –, doch wie durch ein Wunder blieb ich unbemerkt, als ich des Nachts ein Pferd aus dem Gatter stahl und mich zwischen den Zelten gen Süden schlich.“
Alor hoffte, dass der Verhör damit zu Ende war, und dass er sich dieser unangenehmen Situation nun durch Graben entziehen konnte, doch Lutien stellte weitere Fragen.
„Ich denke, dass du Recht hast: Alles, was wir wissen, können wir auch gegen Omega einsetzen“, antwortete Alor. „Aber du hast Tarius ja nun kennengelernt: Er lässt sich nichts sagen, hört nie zu. Dass Fandrar ihn zum Heermeister ernannt hat, ist und bleibt mir ein Rätsel. Natürlich berichte ich dir alles, was nützlich sein könnte.“
Er machte eine kurze Pause, um wieder aus dem Wasserschlauch zu trinken, und reichte diesen an Lutien zurück.
„Zu dem Zeitpunkt, an dem ich das Lager verließ, campierten rund fünfhunderttausend Soldaten dort – Vampire wie Menschen. Das Lager erstreckte sich von der westlichen Küste, entlang der Sumpfgrenze, gen Osten. Es bestand ständiger Schiffsverkehr zwischen der Hafenstadt Orth und den Anlegestellen des Lagers, um die Truppen mit Waffen, Nahrung und Verstärkung zu versorgen. Man wählte nie den Weg durch die Berge, da dieser zu hart und zeitaufwendig ist, um alles schnell und zuverlässig zu erledigen. Im Lager selbst herrscht ein strenges Regiment: Wer nicht spurt, bekommt Schläge – und wenn man dort ein Mensch ist, sollte man sich vor den Vampiren in Acht nehmen: Sie scheuen keine Strafe, wenn sie frisches Blut riechen. Die Rangfolge besteht auch drei Gruppen: Der Heermeister, die Heerführer und die Truppen.“ Alor holte tief Luft. „Die Hexer sind eine eigene, unabhängige Fraktion – sie gehören nicht zur Armee, bilden aber trotzdem ein wichtigen Bestandteil derselben. Sie werden von allen anderen gefürchtet und müssen selbst nur Omegas Befehlen und ihrem Meister gehorchen. Die Hexer selbst sind Meistermagier, die sich – wenn sich die Gelegenheit dazu ergibt –, Schüler auswählen, die sie in ihre dunklen Künste einweihen. Meist sind sie angeheuert und gehören der menschlichen Rasse an, Vampire können anscheinend nur vereinzelt etwas mit Magie anfangen. Mein damaliger Lehrmeister war das beste Beispiel für einen Nekromanten in Omegas Diensten: Grausam, gebieterisch, emotionslos, sadistisch. Ich weiß, das sollte man sich nicht wünschen, aber: Ich hoffe, er lebt nicht mehr“, fügte er leise hinzu.
„Wie gesagt: Die Nekromanten sind Meistermagier, also ernst zu nehmende Gegner. Zur Zeit meiner Flucht waren etwa zweihundert im Lager, doch mindestens fünfzig hielten sich noch in Orth auf. Ob es weitere in Morghaard gab oder gibt – das kann ich dir leider auch nicht sagen. Doch Uniformen tragen sie nicht, nein, aber wir Magier können sie aufgrund ihrer Aura leicht von Nichthexern unterscheiden. Es tut mir leid, dass ich dir nicht mehr berichten kann. Ich war ein Lehrling dort und habe mit keinem Nekromanten außer Zadek näher etwas zu tun gehabt.“
Er machte wieder eine Pause, um sich den Schweiß aus dem Gesicht zu wischen.
„Über die Nekromantie oder ihre Techniken kann ich dir nicht mehr sagen, als jeder andere Magier hier im Lager auch, ich habe sie schließlich nie erlernt – Geschweige denn sie angewendet: Die Nekromantie ist die Sparte der Magie, die sich mit der Wiedererweckung von Toten befasst. Davon ist aber nur der Körper des Verstorbenen betroffenen, das, was wir als Seele bezeichnen, und der Verstand kann nach dem Tod nicht wiederhergestellt werden. Letzteres zumindest nicht komplett. Die Ergebnisse dieser Totenbeschwörung nennen wir Zombies – oder, wenn es sich um auferweckte Magier handelt, Lichs. Die handeln dann nach dem Willen ihrer Beschwörer, sie müssen jedoch nicht die ganze Zeit über gesteuert werden, sondern erfüllen, ähnlich wie auch Golems, Aufträge und Befehle, die der Betreffende ihnen gibt“, beendete er seinen kurzen Vortrag über die Schwarze Magie und fuhr mit einem anderen Thema fort: „Die Anzahl der Untoten steigt von Schlacht zu Schlacht, da Omega die Gefallenen wiedererwecken lässt. Was die Soldaten betrifft: Das Heer wird sich in der Zwischenzeit vergrößert haben, denn Omega schickt ja hauptsächlich Zombies auf´s Schlachtfeld. Ich weiß nicht genau, wie weit sich Morghaard nach noch nach Norden ausbreitet – ich bin ja selbst nicht einmal in die Nähe des Bergrückens gekommen, der die Totenfelder von Morghaard trennt –, aber ich vermute, dass weitere Völker an Morghaard angrenzen, die sich ebenfalls auf Omegas Seite geschlagen haben könnten. Damit hätte der Feind noch mehr Schergen. Wie du schon bei der Besprechung gehört hast, wissen wir nicht genau, was Omega im Schilde führt – selbst seine Soldaten führen nur die Befehle aus, die von oben kommen. Omegas Person selbst ist schleierhaft. Worin wir uns jedoch sicher sind, ist, dass er in Titf da Vostri, der Hauptstadt Morghaards, residiert. Wer zu ihm gerufen wird und nicht zu seinen Fürsten gehört, der kann sich seines Todes so gut wie sicher sein. Von seinen eigenen Leuten wird er gleichsam vergöttert wie gefürchtet.“
Alor wartete auf Lutiens Reaktion auf das Gesagte, während er sich wieder der Schaufel widmete.
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