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Alt 04.03.2021, 20:18
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Cassandra Cassandra ist offline
Abyssus abyssum invocat
Ringtraeger
 
Registriert seit: 02.2012
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Zitat von Oxoniumion Beitrag anzeigen
Ich hab mich niemals als eine Person gesehen, die irgendwie diskriminierend denkt oder handelt.
Das geht schneller, als die meisten von uns zugeben wollen. Man braucht bloß massiven Stress (wenn nicht gar Schlimmeres) z. B. mit dem Vertreter einer bestimmten Bevölkerungsgruppe zu haben - und schon tauchen ganz unschöne Gedanken auf.
Dann hat man im Grunde zwei Möglichkeiten: dem nachgeben oder - trotz allem - versuchen, objektiv zu bleiben. Und ich denke, jeder, der schon einmal in dieser oder einer ähnlichen Situation war, wird aus eigener Erfarhung wissen, wie schwer das ist. Jedes Mal auf's Neue.

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Zitat von Oxoniumion Beitrag anzeigen
Mir ist dabei aufgefallen, dass es unendlich viele Beispiele gibt, in denen Sexismus in unserer Gesellschaft verankert ist. Sei es Liedgut, Gender Pay Gap, oder (am schlimmsten wie ich finde) gesellschaftliche Konventionen.
Ich würde mal sagen, dass rechtliche Gleichstellung von Mann und Frau nirgendwo hundertprozentig funktioniert - und in einigen Ländern teilweise gar nicht. Aber dazu muss man gar nicht ans andere Ende der Welt reisen: In der Schweiz bswp. wurde das Frauenstimmrecht (auf eidgenösischer Ebene) erst 1971 via Volksabstimmung eingeführt. Und es hat weitere zehn Jahre gedauert, bis die Gleichstellung von Mann und Frau in Artikel 4 BV verankert wurde. Also ca. 1981 ...
In Deutschland durften sie immerhin knapp 70 Jahre vorher bereits wählen gehen - wenn auch sonst nix.

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Zitat von Oxoniumion Beitrag anzeigen
und jetzt der Bogen zur Sprache: Ich glaube, dass die Veränderung in der Wahrnehmung der Gesellschaft mit der Veränderung der Sprache einher geht, dass man es sich aber nicht so einfach machen darf und sagen, dass das eine mit dem anderen ohnehin passieren würde. Sprache ist nunmal das Werkzeug, mit dem wir Gedanken und Emotionen austauschen und an jüngere Generationen weitergeben.
Zum Beispiel finde ich die Genderdebatte wahnsinnig anstrengend und gendern gewöhnungsbedürftig. Aber: Im schriftlichen habe ich mich mittlerweile so ans Gendern gewöhnt, dass ich es unangenehm finde es bei offiziellen Mails oder Briefen zu unterlassen und indem wir über Rassismus und Gendergerechte Sprache streiten wird bewirkt, dass diese Themen im kollektiven Bewusstsein der Gesellschaft relevant werden und sich Menschen mit verschiedenen Meinungen über diese Themen in Austausch begeben. Und DAS ist es, was unsere Gesellschaft in diesen Bereichen voranbringt. Das ist keine Veränderung die in einer oder zwei Generationen vollkommen ist, aber das macht sie in meinen Augen nicht weniger wichtig.
Aber: Ich glaube nicht, dass die Veränderung unserer Sprache - so viel Einfluss Sprache auch haben mag - daran etwas ändert. Eher vermute ich, dass es so läuft wie bei "Negerkuss" und "Zigeunerschnitzel": Das Zeug heißt jetzt anders, aber Schwarze und Roma werden trotzdem in manchen Gegenden nach wie vor zusammengetreten und/oder müssen zusehen, dass sie Land gewinnen.
Und so ähnlich ist es bei Frauen. In Sachbüchern heißt es nun "die Schülerin/der Schüler soll ihre/seine eigenen Bücher mit ihrem/seinem Namen versehen und prüfen ob sie/er Beschädigungen feststellen kann. Sollte dies der Fall sein, wird die Schülerin/der Schüler gebeten, ihr/sein Buch bzw. den Schaden zu melden, damit sie/er nicht haftbar gemacht werden kann ..." Wahlweise kann man auch das allseits beliebte * nehmen.

Ich stimme Dir soweit zu, dass Sprache DURCHAUS Einfluss hat und es gar nicht schadet, wenn man erst denkt, bevor man schreibt und/oder den Mund aufmacht. Auch ist Sprache bzw. das Schreiben eine Möglichkeit, die Welt um sich herum auf andere, neue Weise wahrzunehmen, sich intensiver mit ihr, der Gesellschaft und der eigenen Stellung darin zu befassen.

Dennoch ist die Gesellschaftsstruktur, die aus Individuen mit jeweils eigenem Charakter besteht, entscheidend dafür, ob und wie Sprache funktioniert und was für Folgen daraus entstehen. Ändert sich eine Gesellschaft nicht in ihrem Wesen - und wann hat sie das jemals wirklich getan -, bleiben bestimmte Mechanismen bestehen. Davon bin ich überzeugt. Zumindest aktuell.
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Im Feuer steckt der Funke des Chaos und der Zerstörung,
der Samen des Lebens


("Magic")

(Photo: Franz Herzog © 2004)
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