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Alt 21.03.2015, 12:08
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Susanne Gavenis Susanne Gavenis ist offline
Herausforderer der Weisen
 
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So, wie versprochen habe ich mir deinen Prolog angeschaut und mir ein paar Gedanken dazu gemacht.

Der stärkste Eindruck, den ich von deinem Text hatte, war, dass er sich für mein Empfinden VIEL zu wuchtig anfühlt und ich irgendwo in der Mitte des Prologs das Gefühl hatte, in den ganzen Informationen, die du gibst, verloren zu gehen. In meinen Augen willst du in dieser ersten Szene zu viel und preschst zu schnell voran, wodurch der Leser gedanklich und emotional abgehängt wird.

Man erfährt innerhalb weniger Abschnitte, dass Tillara aus einer fremden Welt kommt, dass sie Magierin ist, dass in der Welt, in der sie sich jetzt befindet, Magie verboten ist, dass sie diese Welt hasst, aber sich dann doch ganz gut eingelebt hat und plötzlich alle ihre Freunde von einem geheimnisvollen Portal weggesaugt worden sind, dem sie ebenfalls ihre Anwesenheit in dieser Welt verdankt, dass sie seitdem die Kneipe bewacht, man lernt die Gruppe kennen, die sie für einen Auftrag anheuert, und erfährt die Hintergrundgeschichte der Frau, deren Diener und Familie massakriert und deren Kinder angeblich von rauchartigen Wesen entführt worden sind. Und das alles wird dem Leser innerhalb einer einzigen Szene präsentiert!

Durch diesen Wust an Informationen habe ich mich als Leser wie ein Ping-Pong-Ball gefühlt, der hin und her und wieder zurück gespielt wird, ohne jedoch einem klar erkennbaren roten Faden zu folgen, der die Szene vom Anfang bis zu ihrem Ende durchzieht. Gut finde ich, dass du dich erkennbar bemühst, um die Hintergründe mit den Portalen noch ein Geheimnis zu machen, und vieles nur andeutest. Das Problem ist allerdings m.E., dass der Leser diese Andeutungen (was sind die Portale, warum gibt es sie überhaupt, was für ein Schicksal hat Tillara, etc.) nicht richtig einordnen kann, weil ihm das Wissen fehlt, welche Bedeutung diese Informationen und Aspekte im Kontext der gesamten Geschichte haben könnten. Aus diesem Grund rauschen sie mehr oder weniger an einem vorbei, aber man - d.h. in diesem Fall ich - hat nicht das Gefühl, dass sich dadurch irgendetwas an Spannung verdichtet und man neugierig auf die Beantwortung der aufgeworfenen Fragen wird.

Hierzu wäre es in meinen Augen notwendig, dass du dich in deinem Prolog auf zwei oder höchstens drei für die Story relevante Informationen und Elemente beschränkst und den Rest in den späteren Kapiteln Stück für Stück nachlieferst. Am wichtigsten wäre für mich in dem Prolog zunächst, deine Hauptfigur vorzustellen und dem Leser ihr zentrales Problem mit einer ausgewählten Emotion deiner Figur nahezubringen, die für ihr Wesen und ihre Situation wesentlich ist. Das wäre dann der rote Faden deiner Szene, um den sich der Rest der Handlung, die in dieser Szene stattfindet, konzentriert.

Zentral in meinen Augen wäre die Information, dass Tillara sich zu Beginn der Geschichte in einer fremden Welt befindet, dass sie Magierin ist und diese Welt hasst. Das wäre m.E. genug für eine Szene und den Prolog. Beispielsweise könntest du dir eine Szene überlegen (nur eine von vielen Möglichkeiten), in der Tillara aus einem Versteck heraus beobachtet, wie die Soldaten der magischen Inquisition einen Menschen aufgreifen, der verbotenerweise Magie gewirkt hat, und ihn umbringen oder fortschleppen, während sie mit ihrer ohnmächtigen Wut ringt und keine Möglichkeit findet, einzugreifen, obwohl sie die Macht dazu hätte. Oder - eine andere Variante - sie benutzt ihre Magie, um die Soldaten auszuschalten (wobei man auch hier ihre Wut, Abscheu und ihren Hass auf die Welt und das System darstellen kann), und verschwindet wieder im Wald, bevor das gerettete Opfer sie zu Gesicht bekommt).

Letztlich ist es egal, was nun in einer solchen Einführungsszene konkret passiert, wenn diese zwei oder drei relevanten Infos, für die du dich bei der Planung entschieden hast, plastisch vermittelt werden. In einem solchen Fall hätte der Leser schon einmal ein Gefühl für Tillaras Persönlichkeit und den Konflikt, in dem sie sich befindet, und auch bereits erste Details zu ihrer Situation und der Welt, in der sie sich aufhält (und zwar ausschließlich solche, die emotional für sie von Bedeutung sind. Das ist vor allem zu Beginn eines Romans wichtig, um den Leser nicht mit zu vielen im Moment noch nicht relevanten Details vom Wesentlichen - d.h. dem psychologischen Kern des Protagonisten und seinem Grundkonflikt - abzulenken.). Wenn der Leser dann durch die ersten ein oder zwei Szenen ein Gefühl für Tillaras Persönlichkeit und Grundproblem bekommen hat, ist noch allemal genug Zeit, sie in die Kneipe gehen und mit der Gruppe sprechen zu lassen.

Im Moment läuft die Erzählung der Frau, was ihre Präsenz in der Szene angeht, der Einführung Tillaras deutlich den Rang ab, und das darf gerade am Anfang eines Romans nicht sein. Problematisch finde ich zudem, dass du dich - was Tillaras Gefühle betrifft - in diesem Prolog nicht auf eine einheitliche Linie festgelegt hast. Der Leser erfährt, dass sie gegen ihren Willen in diese Welt gezogen wurde, dass sie die Welt hasst, gleichzeitig aber auch, dass sie sich eigentlich super eingelebt hatte und tolle Freunde gefunden hat. Auch wenn diese Freunde wieder weggezappt werden, schwächt eine solche Darstellung in meinen Augen das emotionale Mitfühlen mit Tillara.

Besser wäre es, bei einem einzigen Gefühlszustand zu bleiben und diesen dann konsistent im Fokus zu behalten. Da vor allem das Leid und der Schmerz der Figuren die Leser zum Mitfühlen und zur Identifikation mit ihrem Schicksal motiviert, wäre m.E. in Tillaras Fall wichtig, alle positiven Gefühle (sie hatte gerade angefangen, ihr Leben zu genießen) wegzulassen und dich ganz auf ihre Gefühle des Herausgerissen-Seins aus ihrer alten Heimat, ihren Hass auf die neue Welt und ihre Furcht, als Magierin entlarvt zu werden, zu konzentrieren.

Ein anderer Aspekt deines Prologs, den du, wie ich finde, überarbeiten solltest, wäre die Erzählung der Frau. So, wie sie im Moment geschrieben ist, ist es lediglich ein vorgetäuschter Dialog, denn ohne die Anführungszeichen am Anfang und am Ende ihres Redebeitrages würde vermutlich kein Leser auf die Idee kommen, dass es sich hier um wörtliche Rede innerhalb eines Gesprächs handelt, sondern das Ganze wirkt letztlich wie eine eingeschobene Erzählung aus der Ich-Perspektive, während vorher und hinterher aus Tillaras Perspektive erzählt wird.

Hier wäre es in meinen Augen wichtig, den Redebeitrag der Frau mit mehr wirklich dialogischen Elementen anzureichern wie z.B. immer mal wieder eingestreute emotionale und körpersprachliche Reaktionen der Frau und Tillaras, die den massiven Block ihrer Rede auflockern können. Gerade durch den momentanen monologischen Vortragsstil wirkt ihre Erzählung für mich sehr dominant und wuchtig - und das, wie gesagt, an einem Punkt der Geschichte, wo es am wichtigsten wäre, zuerst deinen Protagonisten gut einzuführen, bevor man andere Elemente der weiteren Handlung ins Spiel bringt.

Ich hoffe, meine ganzen kritischen Anmerkungen demotivieren dich jetzt nicht. Ich weiß ja selbst, wie es ist, wenn man sich lange intensiv mit einer Szene beschäftigt hat und die Probeleser dann nur am Herumnörgeln sind. Sieh es bitte einfach als Ideen, mit denen du kreativ ein bisschen herumspielen kannst, wenn du möchtest.
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