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Alt 02.05.2013, 17:48
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Susanne Gavenis Susanne Gavenis ist offline
Herausforderer der Weisen
 
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Ich habe mal meine eigenen Geschichten durchforstet und geschaut, bei welchen ich es notwendig fand, dem eigentlichen Beginn einen Prolog voranzustellen.

Bei den meisten war es so, wie Hobbyschreiber es bereits gesagt hat. Für einige Geschichten habe ich deshalb einen Prolog geschrieben, weil mir der Einstieg in die Handlung ansonsten nicht spannend genug erschien, um den Leser sofort zu packen und auf die weiteren Geschehnisse neugierig zu machen.
Es waren Geschichten, wo die Bedrohung für die Hauptfiguren erst relativ spät im Verlauf der Handlung präsent wurde und ich die Story erst bis zu einem bestimmten Punkt entwickeln musste, um meine Helden schließlich mit dem finsteren Schurken zu konfrontieren, der ihnen schon die ganze Zeit ans Leder wollte, von dem sie aber bis dahin nichts gewusst hatten.

Ein Prolog dieser Art ist, so denke ich, von daher weniger ein Wagnis als eine sinnvolle Notwendigkeit, der die ganzen folgenden Szenen in einen Rahmen stellt, der alle Ereignisse (also auch die zunächst eher spannungsarmen, wo es noch nicht unmittelbar um Leib und Leben oder die Rettung der Welt geht) in einem anderen und unheilvolleren Licht erscheinen lässt.
Auch wenn man natürlich als Autor alle Szenen konflikthaft konzipieren und die Neugier des Lesers dadurch wach halten sollte, kann man doch mit einem Prolog darüber hinaus sozusagen noch einen virtuellen, übergeordneten Konflikt über die danach folgenden Szenen projizieren, der zwar noch nicht unmittelbar präsent ist, von dem der Leser aber trotzdem weiß, dass er irgendwann präsent werden wird.

Vor vielen Jahren habe ich z.B. mal einen Roman gelesen, in dem die Begegnung zwischen dem Bösewicht und dem Protagonisten tatsächlich erst im letzten Drittel der Geschichte stattfindet und die Handlung davor sich eigentlich mehr darum gedreht hat, ob es dem Helden gelingt, das Herz eines Mädels zu erobern. Diese ganzen Szenen, in denen es nur um die zarte Annäherung zwischen den beiden ging, haben durch den Prolog, den der Autor dem Beginn der Handlung vorangestellt hat, komplett anders gewirkt. In diesem Prolog nämlich erfährt man, wie besagter Bösewicht in einem rituellen Menschenopfer ein Kind grausam ermordet und dabei schwört, den Helden und alles, was ihm lieb und teuer ist, restlos vom Antlitz der Erde zu tilgen. Auch wenn man danach lange Zeit nichts mehr von ihm gehört hat, habe ich doch beim Lesen bereits in der ersten Szene, in der sie eingeführt wurden, um die beiden Hauptfiguren zu bangen begonnen.

Bei anderen Geschichten habe ich deshalb zu einem Prolog gegriffen, um wichtige Informationen einzuführen, die weit vor Beginn der eigentlichen Handlung lagen und die der Leser brauchte, um die folgenden Ereignisse richtig einordnen und bewerten zu können.
Bei einer Drachengeschichte beispielsweise, die ich mal geschrieben hatte, wurden in dem Prolog Ereignisse beschrieben, die hunderte von Jahren zurücklagen und die in der Gegenwart der Handlung von den Figuren nur noch bruchstückhaft und verfälscht erinnert wurden. Da sich jedoch um die Hauptfigur dieser Geschichte ein besonderes Geheimnis rankte, das im weiteren Storyverlauf aufgedeckt werden sollte, brauchte ich den Prolog, um dem Leser notwendige Hinweise auf die Natur dieses Geheimnisses zu geben und zu verhindern, dass es schließlich als deus ex maschina völlig unvermittelt in die Handlung hineinplatzt.
Hier hatte der Prolog die Funktion, wichtige Storywendungen plausibel und frühzeitig vorzubereiten und dem Leser das Gefühl zu geben, mit eigenem Nachdenken und Zusammenfügen der Informationen zu den richtigen Schlüssen zu kommen, ohne von der Handlung überrollt zu werden.

Alles in allem denke ich, dass man als Leser genau spürt, wann ein Prolog einer Geschichte lediglich als überflüssiges Anhängsel aufgepfropft wird und wann er eine sinnvolle Aufgabe übernimmt, indem er zur Intensivierung der Handlung beiträgt und die Leser stärker emotional an das Schicksal der Figuren bindet. Einen Prolog, der nicht irgendetwas mit diesem Schicksal zu tun hat, sondern nur geschwätzig beispielsweise geographische Informationen des Handlungsortes oder der (nicht für die Geschichte relevanten) Lebensweise seiner Bewohner gibt, halte ich dagegen für überflüssig oder sogar schädlich, wenn er mich als Leser bereits einschläfert, bevor die eigentliche Handlung überhaupt begonnen hat.
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