Thema: Leseproben
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Alt 17.02.2013, 12:18
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Susanne Gavenis Susanne Gavenis ist offline
Herausforderer der Weisen
 
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Leseproben

Bereits vor einiger Zeit hatte ich ja meine Romane mit Klappentext hier im Forum vorgestellt. Da es sich bei den Geschichten um bereits veröffentlichte Bücher und nicht um noch veränderbare work-in-progress-Projekte gehandelt hat, war ich mir unsicher, ob ich zu diesen Klappentexten auch noch Leseproben hinzufügen sollte oder nicht.
Nun habe ich aber (auch durch die neu entbrannte "Autoren verpisst euch"- Diskussion) gemerkt, dass Textauszüge auch von veröffentlichten Büchern durchaus willkommen sind und von euch nicht generell als penetrante Eigenwerbung empfunden werden, so dass ich mich entschlossen habe, an dieser Stelle nach und nach ein paar Leseproben einzustellen.
Auch wenn ich an den Texten selbst nun nichts mehr ändern kann, bin ich trotzdem sehr neugierig auf eure Rückmeldungen und verstehe diesen thread ausdrücklich nicht nur als Werbung, sondern hauptsächlich als Einladung zum lockeren Plaudern über Geschichten und Geschichten schreiben.

Beginnen möchte ich mit einer Leseprobe aus dem ersten Band des Gambler-Zyklus, nämlich dem dritten Kapitel, in dem zum ersten Mal die Bedrohung für die Erde deutlich wird. Viel Spaß damit!

Gambler-Zyklus Band 1: Der Angriff, 3. Kapitel

Der Fahrstuhl summte leise, während er an den unzähligen Stockwerken der Erdorbitalstation vorbeizog. Auf viele Menschen wirkte das Geräusch beruhigend, so hatte es sich Captain Elaine Wilding zumindest sagen lassen. Für sie war es ein Zeichen von Zeit, Zeit, die sie ungenutzt verstreichen lassen musste.
Ungeduldig trat sie in der kleinen Kabine von einem Fuß auf den anderen und begann schließlich, nervös auf und ab zu wandern. Sie war froh, dass sie den Lift heute für sich allein hatte. Es hätte auf ihre Untergebenen vermutlich einen etwas befremdlichen Eindruck gemacht, wenn sie sie dabei hätten beobachten können, wie sie zappelig wie ein Kind, das auf die Weihnachtsbescherung wartete, im Fahrstuhl herummarschierte.
Mit gerunzelter Stirn hielt Elaine inne und warf den Wänden der Kabine einen missbilligenden Blick zu. Sie standen viel zu eng beieinander, sperrten sie auf einer winzigen Fläche ein, die keinen Raum für den Bewegungsdrang ließ, den sie stets verspürte, besonders in einer Stunde wie dieser, nach einem langen, ermüdenden Morgen, den sie ausschließlich in ihrem Büro hatte verbringen müssen, um ihren Verwaltungspflichten nachzukommen. Wie viel schöner war es doch, durch die endlosen Korridore der Station zu streifen, hier und da nach dem Rechten zu sehen, das geschäftige Treiben zu genießen und, wann immer es sich einrichten ließ, persönlich mit den Leitern der Abteilungen zu sprechen, von denen sie für gewöhnlich lediglich die Berichte zu sehen bekam, die sich auf ihrem Schreibtisch auftürmten.
Auch heute lag noch ein ansehnlicher Stapel dort, aber als sich die Anzeige des Chronometers 16.00 genähert hatte, hatte sie nichts mehr in ihrem Büro halten können. Die übrigen Berichte hatte sie ihrem Adjutanten Ian Fellmer zur Durchsicht dagelassen und sich anschließend auf den Weg gemacht. 16.00 war ihre Stunde, die, für die allein es sich lohnte, Captain der Erdorbitalstation zu sein.
Jeden Tag suchte sie zu dieser Zeit die große Funkleitzentrale der Station auf und beobachtete die Frachttransporter, die militärischen Kreuzer, die Passagierschiffe und all die anderen Raumgefährte, die an der Erdorbitalstation andockten oder, sofern ihre Größe das zuließ, in sie einflogen. 16.00 war der Beginn der nachmittäglichen Stoßzeit, und sie zog es vor, die Abwicklung der Kopplungsmanöver selbst zu überwachen. Was nicht bedeuten sollte, dass sie an ihrer Kommandocrew zweifelte. Sie verfügte über einen fähigen Stab, auf den sie sich verlassen konnte, aber welchen besseren Grund hätte es für sie geben können, ihrem Büro zu entkommen, als die Kontrolle über die Hauptverkehrszeit der Erdorbitalstation zu übernehmen?
Als der Lift langsamer wurde und das Summen abschwoll, stahl sich ein Lächeln auf ihre Lippen, und es wuchs in die Breite, als die Schotten vor ihr zurückwichen und den Blick auf die Funkleitzentrale freigaben. Gedämpftes, bläuliches Licht vermischte sich mit dem grellen Schein der Deckenleuchten im Lift und umschmeichelte sie, das unterschwellige Vibrieren aktivierter Maschinen erfüllte die Luft, und Stimmen mischten sich leise mit dem Knistern beanspruchten Materials und den verschiedenen Signaltönen, die an Bord der Erdorbitalstation üblich waren.
Elaine beeilte sich, die Kabine des Lifts zu verlassen, und als sich die Schotten hinter ihr schlossen, blieb auch das helle Licht zurück. Die Funkleitzentrale mit ihrer eigenen, verzaubert anmutenden Atmosphäre nahm sie auf. Sie war riesig, eine gewaltige Kuppel im Herzen der Station, und ihre Lage wurde ihrer Bedeutung gerecht. Ohne die Funkleitzentrale wäre die Abwicklung der mehreren tausend Kopplungsmanöver, die Tag für Tag an den Docks der Station stattfanden, nicht denkbar, ganz zu schweigen von der Koordination der Anflüge. Rings um die Funkleitzentrale saßen zweihundert Fluglotsen in ihren kleinen, gläsernen Kabinen, starrten auf ihre Holoschirme, wiesen den ankommenden Schiffen Flugrouten durch das System zu, schickten Leitstrahlen für massige Frachter aus und gaben Hilfestellung für die Andockmanöver der kleineren Schiffe.
Anders als die anderen Menschen an Bord der Station arbeiteten die Lotsen nicht in vier Schichten a sechs Stunden, sondern in acht Schichten zu je drei Stunden. Nur so konnten sie die enorme Aufmerksamkeit und Konzentration, die nötig waren, um den Verkehr rings um die Erdorbitalstation sicher zu leiten, aufrechterhalten.
Elaine ließ es sich nicht nehmen, das Rund der Funkleitzentrale einmal komplett abzuschreiten und zu jedem einzelnen der Lotsen in die Kabine zu blicken. Befriedigt stellte sie fest, wie professionell und geschickt ein jeder von ihnen seiner Arbeit nachkam. Im Grunde sollte sie ihr Geschick allerdings nicht wundern, da nur die besten Männer und Frauen die Chance erhielten, auf der Erdorbitalstation Lotse zu werden. Sie wurden auf der Erdakademie in einem speziellen Ausbildungszweig auf ihre kommende Aufgabe vorbereitet, nachdem sie harte Prüfungen, die ihre Eignung zeigen sollten, durchlaufen hatten, und auch am Ende der Schulung wurde erneut ein erheblicher Prozentsatz von ihnen ausgesiebt. Wer nicht bestand, war immer noch gut genug, um auf einem Raumschiff zu dienen, doch nur die besten von ihnen durften in der Funkleitzentrale der Erdorbitalstation ihre Arbeit verrichten.
Auch für die anderen wichtigen Posten auf der Station galten ähnlich strenge Auswahlkriterien, vor allem für die Kommandocrew. Sie wurde direkt von der Admiralität bestimmt, die wiederum dem Regierungsrat untergeordnet war. Dieser Rat bestand aus Vertretern der Erde und aller Kolonien, die dort gleichberechtigt ihre Stimmen abgeben konnten, und wurde grundsätzlich bei allen wichtigen Entscheidungen einberufen.
So gesehen war Elaine Teil einer riesigen Institution, der eine noch größere übergeordnet war, nur ein Mensch, der sich gegenüber der Gesamtheit des militärischen und politischen Apparats unbedeutend ausnahm, und doch besaß sie eine Stellung, die sie weit aus der Masse heraushob.
Bereits seit drei Jahren war sie Captain der Erdorbitalstation. Als sie den Posten übernommen hatte, war sie gerade einmal 40 Jahre alt gewesen und damit einer der jüngsten Menschen, die seit Bestehen der Station auf ihr das Kommando geführt hatten. Sie war stolz darauf, so oft sie sich in der Funkleitzentrale umsah und durch den Anblick der Lotsen daran erinnert wurde, wie hart ihr eigener Weg in diese Position gewesen war. Und noch stärker füllte pure Freude ihr Herz.
Captain dieser gewaltigen, erhabenen Station zu sein, war ihr Lebenstraum gewesen, seit sie denken konnte. Schon als kleines Mädchen hatte sie nachts mit täglich neu entflammter Spannung zur Station, die als glänzender Stern am Firmament stand, hochgeschaut und sich geschworen, eines Tages auf ihr zu leben. Allein deshalb hatte sie sich als noch junge Frau an der Erdakademie eingeschrieben, und wann immer ihr Zweifel gekommen oder ihr die Anforderungen der Ausbildung als unerfüllbar erschienen waren, hatte sie zum Himmel emporgeblickt und aus dem Anblick der Station neue Kraft geschöpft.
Und letztlich hatte sie ihr Ziel erreicht. Nachdem sie nur fünf Jahre lang verschiedene Raumschiffe geführt hatte, war sie zum Captain der Erdorbitalstation bestimmt worden. Das war mit Sicherheit der glücklichste Tag ihres Lebens gewesen. Ihr lag nichts am Dienst auf den Schiffen der Flotte, die ihr, trotz ihrer oft imposanten Ausmaße, zu klein und zu begrenzt waren. Die Station besaß ein ganz anderes Kaliber. Hier fühlte sie sich wohl wie nie, dies war ihr Terrain, und sie beherrschte es sicher.
Nachdem sie ihren Rundgang abgeschlossen hatte, betrat Elaine über mehrere Stufen das wuchtige Podest, das einen Großteil des Raums ausfüllte. Auf ihm befand sich ein weiterer Kreis blinkender und piepender Kontrollpulte, aber sie waren nicht wie die der Lotsen der Wand zugewandt, sondern wiesen zum Zentrum des Raumes hin, zum Kernstück der Funkleitzentrale, der großen, kugelförmigen Holografie. Mit ihren über zwanzig Metern Durchmesser bot sie einen ehrfurchtgebietenden Anblick, der jedem, der sie zum ersten Mal sah, einen Laut ungläubigen Staunens entlockte, und auch Elaine erlag immer wieder ihrer abstrakten Faszination.
Die Holografie stellte das Sonnensystem komplett nach. Die Planeten und ihre Bahnen fanden sich als rote Punkte und gleichfarbige Ellipsen ebenso darin wieder wie die Hauptraumschiffsrouten, die als gelbe Linien quer durch die Kugel liefen. Kleine grüne und rote Markierungen kennzeichneten die Positionen der Schiffe im System, und da diese sich ständig änderten, war die Holografie von stetigem, pulsierendem Leben erfüllt. Vor allem in den Ballungsgebieten wie der Erdorbitalstation, der Erde oder den Stationen auf den anderen Planeten des Sonnensystems herrschte immenser Betrieb. Elaine kam es so vor, als trippelten Horden von Ameisen, deren Rücken mit leuchtenden Punkten versehen worden waren, vor den Eingängen zu ihrem Bau wild durcheinander.
Für eine Weile gab sie sich der Anziehungskraft der Holografie hin, anschließend wandte sie sich ihrem Kommandosessel zu. Links und rechts davon erkannte sie im sanft schimmernden Licht der holografischen Kugel vertraute Gesichter und lächelte freundlich. Sie kannte alle höheren Offiziere der Erdorbitalstation, aber der Commander und der Lieutenant, die heute an den Pulten neben ihrem Sitz Platz genommen hatten, waren ihr die liebsten von allen.
Commander Benton Morley war in ihrem Alter und fungierte als ihr Verbindungsoffizier zu den Schiffen oder den anderen Sektionen der Station, mit denen sie Kontakt aufnehmen wollte. Lieutenant Tom Aston, der mit seinen 25 Jahren noch ziemlich jung für einen Offizier seines Ranges war, war ihr Ortungsexperte. Beide waren ausgesprochen zuverlässig, fähig und ehrgeizig, und sie galten als ein eingespieltes Team, eine Vertrautheit, die sich in vielen gemeinsamen Schichten, die sie in der Funkleitzentrale Dienst getan hatten, herausgebildet hatte. Elaine hätte sie nicht missen wollen und hoffte, dass ihr beide noch für eine Weile erhalten blieben, bevor sie befördert wurden und nach anderen Posten strebten.
Lieutenant Aston sah nur kurz zu ihr auf und konzentrierte sich sofort wieder auf seine Kontrollen, als sie zu ihnen trat, Commander Morley erhob sich, grüßte und erstattete ihr Bericht.
„Der zivile Verkehr bewegt sich in den üblichen Bahnen, Captain. Das Aufkommen entspricht dem Durchschnitt, und es gab keine besonderen Vorkommnisse. Eine Ausnahme bildet der Konvoi von Brightlight, aber die Lotsen haben auch das im Griff.“
„Wo steht der Konvoi im Augenblick?“
Commander Morley beugte sich über sein Pult, tippte einige Tasten, und mehrere Marker im Inneren der Holografie begannen heller zu leuchten und zu blinken. „Das sind die ersten zehn Schiffe des Konvois. Ihr Einsprungpunkt befindet sich auf Route 12 auf Höhe der Marsbahn. Zehn weitere Schiffe werden noch erwartet. Sie springen im Abstand von 15 Minuten in das System ein.“
Elaine nickte zufrieden. Der zeitliche Abstand war großzügig bemessen und überschritt sogar die dafür vorgesehenen Sicherheitsbestimmungen. Mit diesem Konvoi würde es sicher keine Probleme geben.
„Wie weit sind die Startvorbereitungen der Arrow-Wing?“, fragte sie weiter.
„Sie sind so gut wie abgeschlossen. Sie können den Countdown mitverfolgen, Captain.“
Elaine trat hinter Benton Morleys Sessel. Der Commander hatte sich wieder gesetzt und rief ihr auf seinem zentralen Bildschirm die Innenansicht des Hangars auf, in dem das Kampfgeschwader Arrow-Wing stationiert war. Zwischen den gewaltigen Aufbauten nahm sich das Flaggschiff Arrow wie eine kleine Fliege aus, die kopfüber an einer Wand hing.
„Verbinden Sie mich mit Captain Stockard, Commander.“
„Aye, Captain.“
Die Innenansicht des Hangars verschwand und machte dem Blick auf die Brücke der Arrow Platz. Captain Hal Stockard, ein drahtiger, erfahrener Offizier, nickte ihr grüßend zu. „Mein Flaggschiff ist zum Ausschleusen bereit, Captain Wilding. Sobald ich die Bestätigung der anderen Schiffe habe, werden wir starten.“
„Einverstanden, Captain Stockard.“
Er deutete ein Lächeln an. „Wünschen Sie uns Glück, Captain Wilding.“
Elaine lachte verhalten. „Glück? Ich glaube nicht, dass Sie das brauchen werden. Sie haben eine gute Crew und ein ebenso gutes Geschwader. Es dürfte für Sie also kein Problem sein, ein paar Felsbrocken aus dem Weg zu räumen.“
„Sie haben natürlich recht, Captain. Meine Leute freuen sich schon auf den Einsatz. Die heutige Mission ist weitaus wichtiger als die Patrouillen, die wir üblicherweise fliegen.“
Elaine nickte. Captain Stockard hatte recht. Auf der Höhe der Jupiterbahn waren vor kurzem ein paar Asteroiden gemeldet worden, die auf eine der Raumschiffsrouten zudrifteten. Wenn sie dort den Schiffen, die sich mit hoher Geschwindigkeit der Erde näherten oder auf ihre Absprungpunkte zuschossen, in den Weg gerieten, konnte das katastrophale Folgen haben.
In der Geschichte der Raumfahrt der Erde waren derartige Kollisionen mehr als einmal der Grund für hohe Verluste gewesen, und das galt es in Zukunft unbedingt zu vermeiden. Gegenüber einer Patrouille war das tatsächlich eine ernst zu nehmende Aufgabe, da auf den routinemäßigen Flügen, die die Schiffe der Erdorbitalstation täglich durch das System unternahmen, noch nie Schwierigkeiten aufgetreten waren. Es gab im näheren und auch weiteren Umkreis der Erde und ihrer Kolonien keine anderen Völker und damit auch nichts, worauf das Militär ein besonderes Auge hätte haben müssen.
Dennoch hatten die Entscheidungsträger im Regierungsrat bisher davon abgesehen, die Macht der Admiralität zu beschneiden und ihre Gelder in vermeintlich sinnvollere gesellschaftliche Bereiche zu investieren, was zwangsläufig zu einer Reduzierung der Flottenstärke und einem Abbau des militärischen Personals geführt hätte.
Elaine hoffte, dass auch in Zukunft die besonneneren Köpfe innerhalb der Politik die Oberhand behielten, denn das Weltall war tief und weitgehend unerforscht. Trotz der bereits vierhundert Jahre währenden Raumfahrt kannten die Menschen lediglich einen verschwindend kleinen Teil der Milchstraße. Longway, die jüngste und am weitesten draußen liegende Kolonie, war gerade einmal knappe 36 Lichtjahre entfernt, und der Durchmesser des Bereichs, den die Pionierschiffe der Erde erforscht hatten, konnte noch sehr bequem mit einer zweistelligen Zahl ausgedrückt werden.
Was jenseits davon lag, war vollständig unbekannt, und es war nicht auszuschließen, dass sich von dort einmal etwas der Erde und ihren Kolonien nähern konnte, was sich als Gefahr herausstellte. Auf eine solche Möglichkeit mussten sie, um der zivilen Bevölkerung willen, vorbereitet sein, und nur eine schlagkräftige Flotte konnte im Zweifelsfall ausreichend Schutz gewähren.
Der Start der Arrow-Wing lenkte Elaine von ihren düsteren Gedanken ab. Das Flaggschiff flog zuerst aus dem Hangar aus, dichtauf folgten vier weitere Kreuzer, die der Arrow bis zur kleinsten Schraube hin glichen. Dahinter schoben sich die zehn kleineren Schiffe des Geschwaders, die wegen ihrer eigenwilligen Form im Flottenjargon als Bottles bezeichnet wurden, aus der Station.
Die Bottles kamen mit 55 Meter Länge nur auf das halbe Ausmaß der Kreuzer und mit 30 Mann war ihre Besatzung nur ein Drittel so groß. Auch ihre Feuerkraft war geringer, doch dieser Nachteil wurde durch ihre größere Beweglichkeit und ihr besseres Beschleunigungsvermögen mehr als wettgemacht.
Zusammen bildeten die fünfzehn Schiffe eine schnelle, gut ausgerüstete Einheit, und Elaine hatte höchstpersönlich dafür gesorgt, dass die Mannschaften in Form waren. In regelmäßigen Abständen hielt sie Übungen für alle Sektionen der Station ab, und das schloss die Jägerpiloten und die Besatzungen der Kampfschiffe ebenso ein wie die Crew der Funkleitzentrale oder der Gefechtsstände der Erdorbitalstation.
Doch obwohl der Sinn der Manöver von allen eingesehen wurde, würde es den Männern und Frauen der Arrow-Wing sicher gut tun, einen Einsatz zu fliegen, der endlich einmal ein konkretes Ziel besaß. Die Gelegenheiten dazu waren viel zu selten.
In der Nähe der Erdorbitalstation nahm die Arrow-Wing zunächst eine einfache Formation ein. Wie Perlen auf einer Schnur reihten sich die Schiffe hintereinander auf, erst als der vorgeschriebene Sicherheitsabstand erreicht war, brachte Hal Stockard sein Geschwader in eine pfeilförmige Formation, die von seinem Flaggschiff angeführt wurde. Die Schiffe beschleunigten und rasten der Jupiterbahn entgegen.
Während Elaine ihren Kurs in der Holografie verfolgte, dankte sie im Stillen dem Erfinder der Anti-Dilatationsgeneratoren. Jedes Schiff war heutzutage mit diesen Maschinen ebenso selbstverständlich ausgestattet wie mit Andruckabsorbern und künstlicher Schwerkraft. Es hatte Zeiten gegeben, in denen das anders gewesen war, und das hatte angesichts der hohen Geschwindigkeiten, mit denen sich die Schiffe durch den Raum bewegten, zu nicht unerheblichen Problemen geführt, die sich vor allem in der Kommunikation niederschlugen. Wie könnte man auch mit einem Schiff sprechen, auf dem die Zeit langsamer verging als auf der Gegenstation, wie etwa der Erde oder der Erdorbitalstation?
Über derartige Schwierigkeiten musste man sich heute zum Glück keine Gedanken mehr machen. Die Zeitverschiebungseffekte wurden durch die Generatoren vollständig aufgehoben, und der überlichtschnelle Funk sorgte dafür, dass auch die Entfernungen zwischen Sender und Empfänger kein Hindernis für einen flüssigen Kontakt darstellten.
Während die Arrow-Wing auf das Zielgebiet zustrebte, lief Elaine vor der Holografie auf und ab. Ihren Sessel ignorierte sie wie gewöhnlich. Nach ihrem Empfinden hatte sie heute ohnehin bereits genug gesessen und genoss die Freiheit, die die riesige Funkleitzentrale ihr bot. Erst als die Schiffe den Asteroiden bereits sehr nahe gekommen waren, blieb sie erneut hinter Benton Morleys Sessel stehen.
„Schalten Sie die Holografie auf das Zielgebiet der Arrow-Wing um, Commander Morley, Durchmesser eine Astronomische Einheit um das Flaggschiff.“
„Aye, aye, Captain. Ich generiere das Bild aus den Daten der Sensorphalanx der Arrow.“
„Lieutenant Aston, Sie behalten von Ihrer Station aus das gesamte System im Auge. Informieren Sie mich, falls sich etwas Ungewöhnliches tun sollte.“
„Aye, Captain.“
Elaine trat an den Konsolen vorbei an das Geländer, das die Holografie von allen Seiten umgab, legte die Hände auf den kühlen Handlauf und beugte sich leicht vor. Die Ansicht im Inneren der Kugel hatte sich bereits geändert. Bunte Markierungen kennzeichneten die Felsbrocken, und in ihrer Nähe glommen die Lichter der Raumschiffe in kräftigen Farben vor dem schwarzen Samt des Alls. Commander Morley hatte sie gesondert hervorgehoben, damit sie sie gut erkennen konnte.
„Öffnen Sie erneut den Kanal zu Captain Stockard“, wies sie ihn an.
„Sie möchten sich offenbar kein Detail unseres Einsatzes entgehen lassen“, klang nur einen Moment später Captain Stockards Stimme durch die Funkleitzentrale.
„Sie haben es erfasst, Captain“, gab Elaine schmunzelnd zurück. „Ich hoffe, meine Neugier macht Sie nicht nervös.“
Hal Stockard lachte. „Im Gegenteil. Genießen Sie die Show.“
„Das werde ich.“
Nichts hätte sie davon abhalten können. Mit ungeteilter Aufmerksamkeit verfolgte sie die Manöver der Arrow-Wing mit. Das Flaggschiff überließ den Bottles den ersten Schuss. Sie stießen in zwei Reihen vor, zogen sich auseinander und pulverisierten mehrere kleine Felsbrocken, die den eigentlichen Asteroiden vorgelagert waren. Danach zogen sie sich zurück und machten Platz für die Kreuzer, die nacheinander die größeren Ziele angriffen. Unter den schillernden Energiebahnen zerstoben die scharfkantigen Felsen zu ungefährlichen Staubpartikeln, die sogleich in alle Richtungen des Systems davon drifteten.
Elaine war zufrieden. Die Schüsse saßen gut im Ziel, und Hal Stockard sorgte dafür, dass jede Crew einmal zum Zug kam. Der Eifer, mit dem die Soldaten zu Werke gingen, war selbst über die große Entfernung hinweg zu spüren, und es schien, als zahlten sich die regelmäßigen Manöver aus. Das Zusammenspiel der Besatzungen klappte ausgezeichnet, wie sie über den offenen Funkkanal mitverfolgen konnte.
Die kleine Asteroidenansammlung war beinahe gänzlich aufgelöst, als Lieutenant Aston nach ihr rief. „Captain, ich denke, Sie sollten sich die Daten ansehen, die gerade über Relaisstation Jupiter 45 hereingekommen sind.“
Elaine riss sich sofort von der Holografie los, eilte mit schnellen Schritten zu Tom Aston und stellte sich hinter ihn. Ihr fiel auf, dass er ungewöhnlich ernst wirkte. Meist lag ein Lächeln oder zumindest doch ein freundlicher Ausdruck auf seinem jungen Gesicht, nicht so in diesem Augenblick. Zwei tiefe, sorgenvolle Falten hatten sich in seine hohe Stirn eingegraben.
„Was haben Sie entdeckt, Lieutenant?“
Tom Aston holte ein paar Daten auf den Schirm und vergrößerte sie, so dass auch sie sie bequem ablesen konnte. „Auf der Höhe der Relaisstation ist ein Einsprung ins System erfolgt, aber es ist keines unserer Schiffe, auch kein ziviler Transporter oder irgend etwas anderes, was von der Erde stammen könnte. Vermutlich ist es nicht einmal ein Raumschiff, und wenn doch, haben wir möglicherweise ein echtes Problem. Was auch immer aus dem Hyperraum gefallen ist, besitzt einen Durchmesser von circa vier Kilometern.“
„Das ist so groß wie diese Station!“, entfuhr es Elaine verblüfft.
„Das unbekannte Objekt ist sogar noch größer, Captain. Die Erdorbitalstation ist flach, der Eindringling besitzt hingegen Kugelform.“
„Haben Sie eine Ahnung, worum es sich handeln könnte?“
„Nein, die Daten sind unvollständig, und die, die ich hereinbekommen kann, ergeben keinen Sinn. Vom Volumen her ist das Objekt um ein Vielfaches gewaltiger als die Erdorbitalstation, aber seine Masse scheint deutlich geringer zu sein. Ich kann mir keinen Reim darauf machen, und alle wichtigen Parameter, wie etwa Energieortung, Strukturerfassung oder Antriebfeldscan liefern keine klaren Daten. Die Werte sind ungenau, so als könnten die Scanner das Objekt nicht richtig erfassen. Vielleicht liegt es hinter einem Tarnschild oder einem schützenden Energiefeld.“
„Welchen Kurs hat es eingeschlagen?“
„Es fliegt Richtung Erde.“
Elaine sog scharf Luft ein. „Sind Sie sicher, Lieutenant?“
„Ja, Captain, am Ziel des Objekts besteht keinerlei Zweifel. Es bewegt sich außerhalb der Standardrouten und nähert sich direkt der Erde.“
„Kreuzt es die Anflugs- und Abflugskorridore der Planeten?“
„Ja, Route 2, 12 und 24 sind betroffen.“
„Danke, Lieutenant. Behalten Sie den Eindringling im Auge.“
„Aye, aye, Captain.“
Elaine wandte sich bereits Benton Morley zu. „Commander, teilen Sie den Lotsen, die für die entsprechenden Routen zuständig sind, mit, dass sie sie räumen sollen. Ich möchte nicht, dass irgendwelche zivilen Schiffe in die Nähe dieses Dinges kommen. Lassen Sie auch die angrenzenden Routen sperren.“
Der Commander führte ihren Befehl aus, danach sah er sie fragend an. „Glauben Sie, dass Gefahr besteht, Captain?“
„Ich bin mir nicht sicher, aber wir können es uns nicht leisten, auch nur das geringste Risiko einzugehen. Es ist wichtig, dass wir umgehend herausfinden, womit wir es zu tun haben. Lieutenant Aston, welche Schiffe stehen dem Eindringling am nächsten?“
„Die Arrow-Wing, Captain. Ihre Scanner sind leistungsfähiger als die der Relaisstation. Wenn sie noch etwas dichter an das Phänomen herangehen, können sie sicherlich eine genauere Analyse liefern.“
Elaine nickte ihm zu und nahm gleichzeitig Kontakt mit dem Flaggschiff der Arrow-Wing auf. „Captain Stockard, Ihr Einsatz wird abgebrochen. Ihr neuer Auftrag lautet, das Objekt, das auf Höhe von Relaisstation Jupiter 45 ins System gesprungen ist, zu untersuchen. Haben Sie es bereits bemerkt?“
„Ja, Captain Wilding. Wir bekommen eine klare Ortung herein. Was auch immer da draußen ist, ist verdammt groß.“
„Gehen Sie näher heran und versuchen Sie, einen Allroundscan durchzuführen. Jedes Quäntchen Information, das Sie gewinnen können, könnte sich später als nützlich herausstellen.“
„Die Arrow-Wing geht auf Abfangkurs.“
„Eins noch: Riskieren Sie nichts, Captain Stockard. Seien Sie vorsichtig und nähern Sie sich dem fremden Objekt nicht geradlinig. Falls es mit intelligentem Leben bemannt ist, könnte es eine solche Handlungsweise als feindseligen Akt betrachten.“
Hal Stockard stieß hörbar Luft aus. „Wenn das ein Raumschiff ist ...“
Er ließ den Rest offen, aber Elaine verstand ihn auch so gut genug. „Ziehen Sie diese Möglichkeit in Betracht und programmieren Sie einen entsprechenden Ausweichkurs. Seien Sie auf alles gefasst.“
Hal Stockard lachte rau. „Ich verstehe. David soll Goliath nicht unnötig reizen. Da bleibt mir nur zu hoffen, dass er nicht bereits zornig ist.“
„Es ist Ihre Aufgabe, das herauszufinden“, erwiderte Elaine.
„Ich bringe die Arrow-Wing auf einen tangentialen Annäherungskurs, Captain Wilding. Das Rendezvous wird in fünfzehn Minuten erfolgen, den hochauflösenden Scan kann meine Crew bereits in sieben Minuten durchführen.“
„Gut. Lassen Sie den Kanal ständig offen. Ich möchte mitverfolgen können, wie sich die Lage bei Ihnen entwickelt.“
„Aye, Captain.“
Elaine wandte sich an Commander Morley. „Sorgen Sie dafür, dass sich ein zweites Geschwader zum Start bereitmacht und so schnell wie möglich die Erdorbitalstation verlässt. Außerdem sollen vier Jägerstaffeln in den Einsatz gehen. Machen Sie allen Beteiligten klar, dass wir noch nicht wissen, worum es sich bei dem Eindringling handelt, und benachrichtigen Sie auch die Erde. Die Admiralität muss erfahren, was sich hier abspielt.“
Benton Morley machte sich sofort an seine Aufgabe. Elaine sah sich kurz in der Funkleitzentrale um. Einige Lotsen waren in ihren Kabinen unruhig geworden. Sie sah es an ihrer starren Körperhaltung, und manche von ihnen blickten sogar nervös zu ihr herüber. Unter anderen Umständen hätte sie sie für ein derartig grobes Nachlassen ihrer Aufmerksamkeit gerügt, doch das Eindringen des Fremden machte ihre Reaktion nur allzu verständlich.
Ihr selbst klopfte das Herz bis in den Hals, und in ihren Ohren rauschte es. Ihre Hände waren versucht, über ihre hochgesteckten, langen Haare zu streichen, so wie sie es stets tat, wenn sie nervös wurde, aber sie unterdrückte die Geste mit Gewalt. Die Lotsen und natürlich auch Commander Morley und Lieutenant Aston kannten sie gut genug, um ihre Unsicherheit aus einer derartigen Handlung ablesen zu können, und das hätte ihre eigene Sorge noch verstärkt. Das durfte sie nicht zulassen.
Entschlossen stemmte sie die Hände in die Seiten. Sie musste um jeden Preis Ruhe bewahren, auch wenn es schwer war angesichts des Ungeheuerlichen, das sich von Höhe der Jupiterbahn her der Erde näherte. Tom Aston hatte keinen Zweifel daran gelassen, dass es ins System gesprungen war, aber sie konnte sich kein Sprungschiff vorstellen, das ein Ausmaß von vier Kilometern besaß. Die Menschheit war technisch noch Lichtjahre davon entfernt, Energien zu meistern, die für einen derartigen Sprung nötig gewesen wären. Andererseits hatte der Lieutenant gemeldet, dass das Objekt kaum Masse besaß. Folglich war der Sprung vielleicht nicht so energiezehrend gewesen, wie das Volumen des Eindringlings es vermuten ließ. Doch wie man es auch drehte und wendete, bedrohlich war das fremde Objekt allemal, und sie hatte kein gutes Gefühl bei der Sache.
„Captain Stockard“, rief sie, als ihre Ungeduld und Nervosität unbezwingbar wurden. „Wie weit sind Sie mit der Analyse?“
„Der Scan ist nahezu abgeschlossen, Captain Wilding. In zwanzig Sekunden erhalten Sie das komplette Ergebnis. Ich werde es an die Station Ihres Ortungsoffiziers übertragen.“
„Tun Sie das.“
In Gedanken zählte sie mit, dann sah sie Lieutenant Aston über die Schulter. Eine geballte Datenflut raste über seine Schirme, doch er griff ein, verlangsamte, filterte und strukturierte sie, so dass sich in kürzester Zeit ein sinnvolles Gesamtbild herausformte. Elaine kannte niemanden, der so schnell dazu in der Lage war wie der junge Lieutenant.
„Es ist kein Schiff, so wie wir es kennen, Captain“, berichtete Tom Aston und schaffte es, seine Emotionen weitgehend aus seiner Stimme herauszuhalten. „Der Eindringling ist kein massiver Körper, sondern besteht aus circa zwei Millionen Einzelwesen. Sie bewegen sich im Inneren einer Kugel, die durch ein starkes Energiefeld gebildet wird. Dieses Feld hat die Sensoren der Relaisstation gestört, erst die besseren Filter der Arrow-Wing konnten es durchdringen.“
Elaine krallte die Finger um die Lehne von Lieutenant Astons Sitz. „Wie groß sind die Wesen?“
„Sie scheinen etwa faustgroß zu sein, und soweit ich das anhand der Daten beurteilen kann, besitzen sie keine feste Form, sondern sind amöboid. Aber das ist auch schon alles, was ich dazu sagen kann.“
„Wie konnten sie einen Sprung ausführen?“
„Ich weiß es nicht. Die Scans haben keinerlei Technik innerhalb des Schwarms erfasst.“
„Das kann ich bestätigen“, mischte sich Hal Stockard ein. „So etwas Seltsames habe ich mein Lebtag noch nicht gesehen!“
„Das gilt für uns alle, Captain“, gab Elaine mit fester Stimme zurück. Sie durfte nicht zulassen, dass sich ihre Offiziere zu sehr von ihrer Faszination einfangen ließen. „Der Schwarm stellt eine potentielle Bedrohung dar. Versuchen Sie, mit ihm Kontakt aufzunehmen.“
„Aber wie? Diese Wesen werden kaum einen Empfänger oder einen Sender besitzen.“
„Das ist nicht sicher“, erwiderte Elaine energisch. „Der Schwarm konnte einen Raumsprung vollführen, also muss er über Eigenschaften verfügen, die einer hochentwickelten Technologie gleichwertig sind. Seien Sie kreativ, Captain Stockard. Funken Sie auf allen Frequenzen, benutzen sie die Standardsprache, unterschiedliche Codes und von mir aus auch das Morsealphabet. Wenn das alles nichts hilft, können Sie auch Ihre Geschütze verwenden, um alphanumerische Codefolgen zu signalisieren, aber ich will eine Reaktion von dem Schwarm, und ich will sie bald!“
Ein Blick auf die Holografie, die längst wieder das gesamte Sonnensystem umfasste, genügte, um ihr die Bedrohlichkeit der Situation aufzuzeigen. Der Schwarm näherte sich unaufhaltsam der Erde.
„Ich beginne mit den Sendungen“, erklärte der Captain des Flaggschiffs gleich darauf.
Elaine hielt angespannt die Luft an.
„Bisher keine Reaktion ...“ murmelte Stockard. Es klang, als rede er mit sich selbst.
Elaine schritt zu ihrem Pult und betrachtete über einen ihrer Schirme die Lage auf der Brücke der Arrow. Ein Ruf aus dem Hintergrund ließ sie genauso wie Captain Stockard zusammenfahren.
„Der Schwarm sendet ein Signal“, meldete der Funkoffizier der Arrow.
Elaine beugte sich tiefer über den Sichtschirm. „Ist es codiert? Welchen Inhalt besitzt es?“
Captain Stockard gab ihre Fragen weiter und wiederholte die Antworten für sie. „Der Schwarm hat ohne Zweifel reagiert, aber nicht so, wie ich es gehofft habe. Das Signal war nicht an uns gerichtet, sondern besaß einen überlichtschnellen Impuls. Einen Inhalt konnte mein Funker nicht feststellen, aber er ist davon überzeugt, dass das Signal stark genug war, um über viele Lichtjahre hinweg eine genaue Ortung seines Ursprungs zuzulassen. Wer auch immer es auffängt, kann die Position des Schwarms und damit auch die des Sonnensystems erfahren.“
Elaine presste die Zähne aufeinander. „Das gefällt mir nicht.“
Hal Stockard machte ein ernstes Gesicht. „Mir auch nicht. Es scheint, als hätte der Schwarm seiner Heimatwelt die Entdeckung der Erde gemeldet und Unterstützung angefordert. Es fragt sich nur, wofür.“
„Ist er immer noch auf Kurs zur Erde?“, fragte Elaine Tom Aston.
„Ja, Captain. Wenn sich seine Geschwindigkeit nicht verändert, wird er die oberen Atmosphärenschichten in weniger als zwanzig Minuten erreichen.“
Elaine schüttelte grimmig den Kopf. Das würde sie nicht zulassen. „Captain Stockard, senden Sie ein Ultimatum an den Schwarm. Fordern Sie ihn auf, innerhalb der nächsten fünf Minuten den Kurs zu ändern oder auf Nullgeschwindigkeit zu gehen.“
„Aye, Captain. Und was soll ich tun, wenn ich erneut keine Reaktion erhalte?“
Plötzlich stand Elaine im Zentrum aller Aufmerksamkeit. Hal Stockards Augen brannten sich selbst über den Bildschirm in die ihren, und auch Benton Morley und Tom Aston musterten sie angespannt und besorgt. Elaine holte tief Luft. Ihr war die Tragweite der Entscheidung, die sie treffen musste, durchaus bewusst, doch sie zögerte keine Sekunde lang. Sie hatte sich ihren Posten ausgesucht, und sie liebte ihn auch in Momenten wie diesem.
„Wenn der Schwarm das Ultimatum ignoriert, eröffnen Sie das Feuer!“
Hal Stockard nickte leicht und warf einen kurzen Blick dorthin, wo sich auf seinen Kontrollen der Ortungsbildschirm befand. „Dafür werde ich Unterstützung benötigen.“
„Die bekommen Sie. Ein zweites Geschwader und vier Jägerstaffeln sind bereits auf dem Weg zu Ihnen. Außerdem werde ich eine Nachricht an die Erde durchgeben und die Empfehlung aussprechen, einige Staffeln der Atmosphärengleiter in Alarmbereitschaft zu versetzen.“
„Das ist eine gute Idee“ entgegnete Captain Stockard. „Ich beginne jetzt mit der Sendung.“
Elaine lauschte mit einem Ohr auf seine Stimme, mit dem anderen hörte sie Benton Morley zu, der sich bereits mit der Oberkommandantur der atmosphärengebundenen Streitkräfte in Verbindung gesetzt hatte.
„Zehn Staffeln werden in Kürze starten“, meldete er ihr unmittelbar darauf.
„Danke, Commander.“ Damit war sie eine Sorge los. Auf der Erde teilte man offenbar ihre Bedenken. Das war beruhigend. Weniger beruhigend war die Stetigkeit, mit der der Schwarm auf die Erde zuhielt.
„Ich bekomme keine Antwort“, brach Captain Stockard das Schweigen, nachdem die Zeit des Ultimatums verstrichen war.
Elaine ballte die Hände zu Fäusten. „Lassen Sie Ihre Schiffe nach eigenem Ermessen feuern!“
„Aye, aye, Captain.“
Die Arrow-Wing löste sich nur Sekunden später aus ihrer tangentialen Annäherung und ging auf einen direkten Abfangkurs. Die Arrow eilte den anderen Schiffen voraus und ließ die erste Salve auf das Schirmfeld niedergehen.
„Unsere Waffen zeigen keine Wirkung“, meldete Hal Stockard. „Das Feld schluckt die Energie der Strahlen. Aber das war nur ein Warnschuss. Im nächsten Anflug werden wir schwerere Geschütze auffahren!“
Er ließ seinen Worten Taten folgen, aber der Effekt blieb der gleiche.
Elaine hörte den Captain der Arrow leise fluchen. „Das habe ich noch nie erlebt. Der Schild schluckt selbst konzentriertes Punktfeuer, als würden wir mit Wasserpistolen schießen! Mit den Energien, die wir auf seiner Oberfläche freisetzen, könnte ich mein Schiff bis nach Longway katapultieren!“
„Versuchen Sie es weiter, Captain, und beziehen Sie auch die anderen Schiffe Ihrer Staffel mit in den Angriff ein“, wies Elaine ihn an.
Er setzte ihren Befehl sofort um. Die fünfzehn Schiffe der Arrow-Wing eröffneten gemeinsam das Feuer und zielten dabei auf so engbegrenzte Abschnitte des Schildes, dass sich die Wirkungsbereiche ihrer Waffen überschnitten und ihre Wucht sich potenzierte. Doch der Schild schwankte nicht einmal. Ein stetiges, enervierendes Schillern ging von ihm aus, das wogte und waberte wie die bunten Schlieren auf einer Seifenblase.
„Wir schaffen es nicht“, rief Captain Stockard schrill.
Elaine warf einen Blick auf die Holografie. „Das andere Geschwader und die Jägerstaffeln sind gleich bei Ihnen. Setzen Sie den Angriff gemeinsam fort.“
Nur zwei Minuten später erfolgte das Rendezvous. Der Raum um den Schwarm wurde trotz seiner Größe eng. Konzentriert starrte Elaine auf die Holografie, behielt mit einem Auge gleichzeitig den Schirm im Blick, der ihr die Brücke der Arrow zeigte, und lauschte auf die Audiokanäle, die Commander Morley zu den anderen Einheiten geöffnet hatte. Aber auch ihre vereinten Kräfte führten nicht zum Erfolg.
„Wir können den Schwarm nicht aufhalten, Captain“, rief Hal Stockard. Sein Gesicht zeigte eine Mischung aus Wut, Furcht und Hilflosigkeit.
„Sie müssen es“, gab Elaine schroff zurück. „Der Schwarm ist nur noch sechs Minuten von der Atmosphäre der Erde entfernt!“
„Das ist mir bewusst, aber ...“
Ein Schrei, der über einen der Audiokanäle hereinkam, unterbrach Hal Stockard abrupt. Elaine fuhr erschrocken zu Commander Morley herum.
„Was ist passiert?“
„Ein Jäger hat die Kontrolle verloren. Er rast direkt auf das Energiefeld des Schwarms zu!“
„Wie konnte das geschehen?“
„Ich fürchte, einer seiner Kameraden hat ihn mit einem Streifschuss erwischt.“
Elaine fluchte heftig, trat zum Geländer, legte die Hände darauf und starrte angespannt in die Holografie. „Komm schon, Junge, zieh hoch, dann schaffst du es“, flüsterte sie.
Aber der Jägerpilot schaffte es nicht. Elaine zuckte zusammen, als das kleine Raumschiff den Schirm berührte, und erwartete in der gleichen Sekunde die Verlustmeldung. Doch nichts geschah.
„Captain, der Jäger konnte den Schild durchdringen!“, rief Lieutenant Aston atemlos.
„Ich sehe es“, erwiderte sie. Das Raumschiff bewegte sich frei innerhalb des Schwarms, schoss wild um sich, und zum ersten Mal zeigten seine Strahlen Wirkung. Aber nur etwa dreißig Sekunden, nachdem der Jäger in den Schwarm eingetaucht war, stellte er plötzlich das Feuer ein.
Elaine warf Benton Morley einen fragenden Blick zu. „Der Staffelführer meldet, dass er den Kontakt zu dem Jägerpiloten verloren hat“, erklärte dieser.
Elaine unterdrückte ein zorniges Knurren, dann wandte sie sich der Sichtsprechverbindung mit der Arrow zu. „Der Jäger hat uns soeben die verwundbare Stelle der Wesen aufgezeigt, Captain Stockard. Führen Sie Ihr Schiff in den Schwarm und versuchen Sie, ihn von innen heraus zu vernichten!“
„Aye, aye Captain“, bestätigte Hal Stockard sofort, obwohl sein Gesicht um eine Nuance bleicher wurde.
„Seien Sie auf der Hut“, riet Elaine ihm. „Der Jägerpilot ist nicht mehr in der Lage, sein Schiff zu steuern oder zu schießen. Das könnte an dem Defekt liegen, den der Streifschuss verursacht hat, es wäre aber auch denkbar, dass der Schwarm dafür verantwortlich ist.“
Captain Stockard nickte nur, seine Worte galten bereits seiner Kommandocrew. Sie bereiteten den Anflug in den Schwarm vor.
Elaine biss sich auf die Unterlippe, bis sie Blut schmeckte. Die Zeit wurde allmählich knapp. „Viel Glück“, flüsterte sie kaum hörbar. Jetzt konnte er es wahrlich gebrauchen!
Die Arrow näherte sich dem Schirmfeld im spitzen Winkel. Elaine hielt den Atem an. Falls das Feld das Schiff nicht so wie den Jäger passieren ließ, würde es an ihm zerschellen, denn bei der hohen Geschwindigkeit wäre ein tödlicher Aufprall unausweichlich.
Irgendjemand schrie leise auf, als die Arrow das Energiefeld berührte. Elaine wusste nicht, wer es gewesen war, vielleicht Lieutenant Aston, aber wenn sie ehrlich war, hätte der erschrockene Laut auch ebenso gut von ihr selbst stammen können.
„Wir sind im Schwarm!“, meldete Hal Stockard, und seine Worte klangen klar und deutlich auf. Auch die Sichtverbindung war tadellos. Wie auch immer das Energiefeld beschaffen war, es störte die Kommunikation nicht im Mindesten.
Doch ein Grund zum Aufatmen war das noch lange nicht. Die Arrow schoss aus allen Rohren und riss Tausende, vielleicht sogar Zehntausende der Wesen in den Tod, aber es waren viel zu viele, als dass das eine allzu große Wirkung gezeigt hätte.
„Es sind so verdammt viele“, knurrte auch Captain Stockard. Sein Gesicht war noch immer bleich.
Plötzlich klangen Schreie im Hintergrund der Brücke der Arrow auf. Captain Stockard fuhr herum und sprach mit einem jungen Offizier, der offensichtlich kurz davor stand, die Fassung zu verlieren.
„Wie ist Ihre Lage?“, fragte Elaine, als der Captain sich ihr wieder zuwandte.
„Nicht gut. Die Wesen sind in die Arrow eingedrungen und greifen meine Crew an!“
„Wie ist das möglich?“
„Ich habe nicht die geringste Ahnung. Sie tauchen aus dem Nichts auf. So wie es scheint, können sie massives Metall ungehindert durchdringen. Entschuldigen Sie mich, Captain Wilding.“ Seine nächsten Worte richtete er an seine Mannschaft. „Achtung, Eindringlingsalarm! Jeder bleibt auf seinem Posten, aber bewaffnet euch und achtet auf die Amöboiden. Schießt sie ab, wenn sie euch zu nahe kommen!“
Plötzlich sah Elaine einen Schemen durchs Bild huschen. Er war so schnell, dass man ihn kaum erkennen konnte, aber der satte Laut, mit dem er sich auf einen Mann der Brückencrew heftete, ging ihr durch Mark und Bein. Der Mann riss entsetzt die Augen auf und sackte in die Knie. Nur eine Sekunde später fiel er lang hin und blieb regungslos liegen. Hal Stockard sprang sofort zu ihm hin, drehte ihn auf den Rücken und tastete nach seinem Puls. Auf der Stirn des Mannes klebte eine weißliche Masse, die übelkeitserregend zuckte und waberte.
Gleich darauf richtete sich Hal Stockard wieder auf, schwankte für eine Sekunde und wich hastig von dem Befallenen zurück. Mit starrem Gesicht sah er zu ihr hin. „Er ist tot, Captain Wilding. Diese elenden Biester töten meine Crew!“
Auch aus anderen Abteilungen des Schiffes wurden die ersten Toten gemeldet, gleichzeitig drangen neue Schemen in die Zentrale ein. Trotzdem fragte Captain Stockard nicht, ob er den Einsatz abbrechen sollte, und auch Elaine schwieg. Sie konnte ihm nicht den Rückzug befehlen. Sein Schiff vernichtete noch immer in jeder Sekunde Tausende der Wesen. Im Moment war es ihre einzige Chance, sie zu stoppen, und da sich die Amöboiden inzwischen als eine tödliche Bedrohung herausgestellt hatten, war es wichtiger als je zuvor, sie von der Erde fernzuhalten.
Auf der Brücke der Arrow brach das Chaos aus. Schüsse peitschten durch den Raum und verschmorten Kontrolltafeln und Schaltpulte, Menschen schrien und suchten Deckung, und zwischen ihnen huschten die weißen Schemen wie Irrwische hin und her. Keine zwei Minuten später hatten sie mehr als die Hälfte der Brückencrew getötet, und immer mehr von ihnen fielen. Die bizarren Wesen waren zu schnell, als dass die verängstigten Männer und Frauen sie mit den plumpen Strahlenwaffen hätten erwischen können. Hal Stockard stand direkt im Erfassungsbereich der Kamera, als ein Amöboid ihn traf. Er klatschte ihm wie ein nasser Lappen auf die Stirn, und im gleichen Moment weiteten sich seine Augen so sehr, als wollten sie ihm aus den Höhlen quellen. Ein erstickter Laut kam über seine Lippen, sein Blick brach, und er sackte leblos zu Boden.
Elaine eilte zu ihrem Pult, gab den Kommandocode ein, der ihr den Zugang zu allen Sensoren der Arrow ermöglichte, und rief die Daten ab. Nur eine Sekunde später wandte sie sich steif von ihrem Schirm ab.
„Sie sind alle tot“, presste sie mühsam hervor. Für einen Moment rang sie um ihre Beherrschung, dann fasste sie sich wieder. „Commander Morley, melden Sie der Erde sofort die höchste Alarmstufe. Wir werden von feindlichen Aliens angegriffen!“
„Der Schwarm hat die Atmosphäre fast erreicht“, sagte Lieutenant Aston mit dünner Stimme.
Elaine hatte es bereits selbst gesehen und wollte eben einen weiteren Befehl erteilen, als plötzlich das Schirmfeld zusammenbrach. Der Schwarm floss auseinander, verlor seine kugelförmige Gestalt und drang wie ein heftiger Regenschauer in die Atmosphäre ein.
„Die Amöboiden zerstreuen sich“, rief Tom Aston.
„Die Jäger sollen ihnen folgen und sie abschießen!“
„Die Gleiterstaffeln, die von der Erdoberfläche aus starten, sind unterwegs, um die Wesen abzufangen“, erklärte Benton Morley.
„Halten Sie mich auf dem Laufenden, Commander.“
„Aye, aye, Captain.“
Sekunden vergingen in tiefem Schweigen, dann meldete sich erneut Benton Morley zu Wort. „Die Jäger und die Gleiter verfolgen die Amöboiden, haben aber ernste Probleme. Die Wesen sind zu klein für die Zielerfassungsscanner, und ihre Struktur behindert ein sicheres Anvisieren ebenfalls.“
„Wie hoch ist die Trefferquote?“
„Kaum 25 %.“
„Das ist zu wenig. Viele der Wesen werden bis zur Erde durchkommen, und dann ...“
Sie unterbrach sich. Die erschrockenen Blicke ihrer Offiziere zeigten ihr, dass sie längst begriffen hatten, was geschehen würde.
Ihre düstere Ahnung bestätigte sich. Nur wenige Minuten später erreichten die ersten Schreckensmeldungen die Station. Amöboide waren über verschiedenen Städten der Erde aufgetaucht, und wo immer das geschah, starben gleich darauf Menschen. Erst waren es nur einzelne, gleich darauf bereits Dutzende, und nur wenig später stieg die Zahl der Opfer weit über die Hundertergrenze hinaus. Und noch immer waren große Teile des Schwarms in der Atmosphäre unterwegs.
Erschüttert ließ sich Elaine in ihren Sessel fallen. Ihre Hände umklammerten die Lehnen so fest, dass ihre Knöchel weiß hervortraten. Mit starrer Miene verfolgte sie das Gemetzel. Es war ein Albtraum, und er schien kein Ende zu nehmen.
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