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Alt 29.01.2012, 20:03
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Telorion Telorion ist offline
Vampirjaeger
 
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Eine weitere kurze Leseprobe: Die bevorstehende Bedrohung der Schattenwelt nimmt Gestalt an.

Auszug aus Kapitel 15: Die Lichtkreatur
Jahr 1000 der Sechsten Finsternis
Reich der Untoten: Lark-Wald und Gebirge


Nervosität lag in der Luft. Das natürliche Misstrauen zwischen Untoten und Vampiren war sorgenvoller Anspannung gewichen. Jeder spürte die drückende Gefahr, die wie unsichtbarer dichter Nebel zwischen den Bäumen lastete. Die Gruppe drang weiter in den Wald ein und mehrmals ertappte sich Ylrana dabei, Lücken zwischen den Baumkronen zu suchen. Als Vampir war sie in der Lage, sich blitzschnell zu verwandeln und sich über den Wald zu erheben. Aber was würde dann mit den zurückbleibenden Untoten geschehen? Wäre Ylrana wirklich bereit, sie zu opfern? Die Fragen schossen durch ihren Kopf und sie ermahnte sich zur Ruhe.
Konzentrier dich!
Hinter ihr knackte und raschelte es beständig. Die Untoten waren wirklich einfach zu laut! Ohne Scheu fasste sie Muldor am Arm und flüsterte ihm ins Ohr: „Verzeih, aber ihr verursacht zu viel Lärm!“
Der Toten-Fürst hielt an und blickte erst sie und dann die verharrende Gruppe hinter ihm an. Dann nickte er mit ruckender Kopfbewegung.
„Geh voraus“, raunte er gurgelnd. „Wir folgen mit Abstand!“
Galrim lehnte sich mit besorgter Miene nach vorn. „Ylrana, nicht! Das ist zu gefährlich! Solange wir nicht wissen, was …“
Ylrana war verschwunden. In gut und gerne zwanzig Schritten Entfernung tauchten ihre hellen Haare wieder zwischen den Bäumen auf. Galrim fluchte leise und wurde von Muldor mit einem ausdruckslosen Blick bedacht, der ihn wohl zur Ruhe ermahnen sollte.

Ylrana war nervöser, als sie sich eingestehen wollte. Geschmeidig wie eine Katze tauchte sie unter Ästen hindurch, stets mit größter Sorgfalt bedacht, keinen Laut zu verursachen. Das flaue Gefühl in ihrem Magen wurde immer deutlicher. Ylrana hatte es schon länger gespürt, doch nun zog und zerrte es mit aller Deutlichkeit an ihren Eingeweiden. Ein helles, gelbliches Flackern zwischen den schwarzbraunen Baumstämmen vor ihr ließ sie erstarren. Sie wagte kaum zu blinzeln aus Furcht, etwas könnte ihr entgehen. Tief geduckt drehte sie sich um und bedeutete mit Nachdruck den Vampiren und Untoten stehen zu bleiben. Sie durften nicht auf sich aufmerksam machen! Vielleicht war der Überraschungsmoment ihr entscheidender, einziger Vorteil. Ylrana schlich weiter, immer den entschlossenen Blick nach vorn gerichtet. Das Licht strahlte ihr unangenehm gelblich-grell entgegen. Es war hell wie ein Dutzend Lagerfeuer zugleich. Der Lichtschein schmerzte in Ylranas Augen, dennoch blieb sie standhaft und versuchte etwas zwischen den Bäumen zu erkennen.

Da war etwas! Auf einer kleinen Lichtung des Waldes stand eine Gestalt mit dem Rücken zu ihr: mannshoch, breitschultrig und mit Stolz erfüllter aufrechter Haltung. Atemlos suchte Ylrana hinter einem dicken, schwarzrindigen Baumstamm Deckung und spähte nach vorn. Das Wesen war die Quelle des Lichts, es schien selbst nur aus Licht zu bestehen. Die Kreatur würde Ylrana als Mensch einstufen, doch strahlte sie nicht nur frevlerische Helligkeit aus, sondern zusätzlich noch etwas nicht minder Schlimmes: Macht. Goldgelber Lichtschein bildete an dem gestählten Leib eine sonderbare, solide wirkende Rüstung, die weite Teile des Körpers schützte. Schulterlanges, blondes Haar fiel auf eine glänzende Brünne herab, die den gesamten Torso umschloss. In der starken, großen Hand des Wesens erkannte Ylrana eine Waffe: Starke Finger umschlossen den Griff eines Schwertes aus gleißendem Licht. Die Klinge schien von derselben Erhabenheit erfüllt zu sein wie ihr Besitzer. Die unheimliche Kreatur verharrte völlig regungslos mit leicht gesenktem Haupt. Zwischen seinen auf Hüfthöhe erhobenen Händen schwebte eine kleine Kugel wabernden Lichts. Ylranas Blick fiel auf den Boden, auf dem das Lichtwesen stand. Das dürre Gras war … anders geworden. Es leuchtete in einem satten Grün, als hätte man von ihm einen Grauschleier entfernt. In gut zwei Schritt Radius um das Wesen hatte sich der Boden verändert. Ylranas Atem beschleunigte sich und ihre Hände wurden schweißnass. Mit vielem hatte sie gerechnet, aber damit nicht.

Mit einem Mal war das flaue Gefühl in ihrem Magen weg. Da stimmte etwas nicht! Ylranas Herz setzte einen Schlag aus, als sie sah, dass sich das Lichtwesen in gelassener Langsamkeit umdrehte. Ohne Hast, als wüsste es, was es zu sehen gab, obwohl sich Ylrana sicher war, nicht den kleinsten Laut verursacht zu haben. Die sonderbare Lichtkugel schwebte schwerelos etwa einen Schritt über dem Boden. Die langen Haare hingen der unheimlichen Gestalt ins Gesicht, nur ein markantes, bartloses Kinn war zu erkennen. Ylranas verwirrte Instinkte lähmten sie. Sie wollte fliehen und kämpfen, fliegen und laufen zugleich. Zwangsläufig verharrte sie tief abgehockt in atemloser Umklammerung des Baumes und konnte nicht glauben, dass sich das Wesen zielsicher zu ihr umgewandt hatte. Langsam hob sich der Kopf des Wesens. Wie ein goldener Vorhang glitten die langen Haare, die eher gewellten Lichtstrahlen glichen, zurück. Ylrana erblickte ein überaus männliches, kantiges Gesicht von schrecklicher Schönheit. Jedes Detail schien wie der gesamte Körper und dessen Rüstung perfekt geformt zu sein. Ein strahlender, vollkommener Krieger des Lichts.

Ohne suchenden Blick fanden die Augen des Lichtkriegers Ylrana in ihrer Deckung. Die Vampirin hätte schreien wollen vor Furcht und Wut. Wie konnte das sein?
Reiß dich zusammen! Vergiss nicht, wer du bist!
Nicht ganz so entschlossen wie beabsichtigt, erhob sich Ylrana und wagte einen halben Schritt aus ihrer Deckung heraus. Sie hielt dem gebieterischen, niederdrückenden Blick stand. Die Lichtkreatur hatte sie bemerkt, aber wusste es auch von den vielen Vampiren und Untoten gut zwanzig Schritt hinter ihr? Ein feines Lächeln stahl sich auf Ylranas Gesicht.
Du bist nur einer, wir sind viele!
Der Lichtkrieger zeigte sich keineswegs von Ylranas Auftritt beeindruckt. Mit einer geschmeidigen Bewegung hob er seine Waffe, bis die Spitze drohend auf Ylrana zeigte.

Ein eiskalter Schauer lief Ylrana nahezu zeitgleich den Rücken hinunter. Ihre Instinkte erwachten wieder und schrien „In Deckung!“. Ansatzlos, ohne emotionale Regung im Gesicht rannte die Kreatur los. Ylranas Muskeln spannten sich und ihre Augen weiteten sich. Dumpf und schwer klangen die harten Schritte auf dem weichen Waldboden, laut und metallen rasselte die eigentümliche Rüstung. Ylrana ging leicht in die Knie, bereit zum Ausweichen.
Links oder rechts?!
Das Schwert beschrieb einen gleißenden Lichtbogen kurz über den Kopf des Lichtkriegers, um dann mit Schwung und Wucht wieder herabzusausen.
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