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Alt 03.12.2011, 18:06
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Quidam Quidam ist offline
Stolzer Reiter
 
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Post Mystery-Thriller

Hallo Leute,

ich bastel gerade am Anfang meines Mystery-Thrillers und würde mich über konstruktive Kritik, Leseeindrücke und sonstige Rückmeldungen sehr freuen!

Grüße
Quiddy

***

Romananfang

Es war nach Mitternacht, als Sebastian mit dem Mofa nach Hause tuckerte. Die Kälte fühlte sich durch den Wind noch eisiger an. Das schweißnasse T-Shirt klebte an seiner Haut, der Anorak wärmte nur bedingt. Wenigstens fürchtete er sich nicht, in der Finsternis den Wald zu durchqueren, der sein Dorf von der Kleinstadt trennte. Während der Fahrt machte ihm das schlechte Gewissen zu schaffen. Hätte er seine Mutter wirklich alleine lassen dürfen? Gehört es sich überhaupt, feiern zu gehen, wenn erst vor zwei Monaten ein lieber Verwandter ums Leben gekommen war? Aber er musste raus! Raus aus der deprimierenden Stimmung, die Zuhause herrschte, raus aus dem Kaff, das aus ein paar Häusern, zwei Bauernhöfen und drei Misthaufen bestand. Einfach raus, sich mal wieder mit den Kumpels treffen, feiern, sich ablenken. Und seine Mutter hatte es auch so gewollt. Das wird dir gut tun, hatte sie gesagt. Das tat es auch, bis er wieder alleine, auf seinem Mofa und auf dem Weg nach Hause war. Er hätte sie nicht alleine lassen dürfen, das sagte ihm ein Gefühl.

Als er in die Hofeinfahrt bog, brannte kein Licht im Schlafzimmer seiner Mutter. Hoffentlich schlief sie tief und fest, dachte sich Sebastian und lenkte sein Mofa in die Garage. Nachdem er den Motor abgestellt hatte, blieb er noch ein paar Momente sitzen. Auch sein Onkel hätte gewollt, dass er sich nicht zu lange mit der Trauer aufhalten würde, das redete sich Sebastian ein und das schmälerte seine Gewissensbisse. Er stieg von seinem Mofa ab und verschloss die Garage. Auf dem Weg zum Haus kam ihm der Gedanke, dass seine Mutter ihn bewusst weg und in die Disko geschickt hatte. Er stellte sich vor, dass sie tot im Bad lag, das Wasser blutrot, die Pulsadern aufgeschnitten, weil sie Kummer und Vorwürfe dazu trieben. So ein Blödsinn, dachte er, zumal sie ihm das nicht antun könnte. Er ärgerte sich über seine blühende Phantasie und dass ihm der Gedanke den Magen verknotete.

Der Mofaschlüssel landete in der Schale auf der Kommode im Flur. Sebastian legte den Helm ab und hängte den Anorak am Haken auf. Dann horchte er nach oben. Es blieb still. Ihn wunderte es, dass sie ihn nicht kommen gehört hatte. Vor dem Tod des Onkels hatte sie einen unruhigen Schlaf, wenn Sebastian nachts mit dem Mofa unterwegs war und konnte erst tief und fest schlafen, wenn sie ihn zu Hause und in Sicherheit wusste. Hoffentlich hatte sie sich wirklich nichts angetan. Er musste rauf und nachsehen, ob sie in ihrem Zimmer schlief. Da er sie nicht ihres Schlafes berauben wollte, schlich er die Treppen hoch und drückte die Türklinke langsam herunter. Sie gab einen quietschenden Laut von sich und er hoffte, Mutter würde davon nicht erwachen. Als er die Tür einen Spalt weit offen hatte, sah er, dass sie nicht in ihrem Bett war. Er sah hinein, sie war weg. „Mama?“
Keine Antwort. Ihm schnürte es die Kehle zu und er hatte Angst, dass sich seine Vorahnung bestätigen würde. „Mama?“, rief er und lief den Gang weiter zum Bad. Er riss die Tür auf und machte sich auf einen grausigen Anblick gefasst. Doch auch hier war sie nicht. Aber das konnte ihn keinesfalls beruhigen. „Mama!“, rief er nun lauter. Er spürte den Pulsschlag auf seiner Zunge und schaute in seinem Zimmer nach. Er rief die Treppen hinunter und auch im Wohnzimmer war sie nicht zu finden. „Mama!“
„Ich bin hier“, hörte er sie aus der Küche rufen.

Er machte dort Licht. Sie saß auf der Eckbank. Auf dem Tisch beschienen zwei Kerzen herumliegende Tarot-Karten. Sie hielt ein Kissen gegen den Bauch gedrückt und starrte vor sich hin.
„Mensch Mama! Du hast mir nen totalen Schrecken eingejagt.“ Er eilte zu ihr und nahm sie in den Arm.
„Ich hab auf dich gewartet.“ Sie lächelte gequält.
„Schau mal.“ Er zeigte ihr seine zitternde Hand. „Ich dachte, du hättest dir was angetan.“
„Wie kommst du denn auf sowas?“
„Naja, wegen Georg, eurem Streit und so.“
Sie senkte den Kopf. „Damit werde ich wohl leben müssen.“
„Und was machst du hier?“, fragte Sebastian und nickte zu den Tarot-Karten auf den Tisch.
„Ach, nur ne Spielerei. Reichst du mir mal das Wasser?“
Er holte von der Küchenzeile das Glas Wasser, das dort stand und reichte es ihr.
„Wie war es denn in der Disko? Hattest deinen Spaß?“, fragte sie und nahm einen Schluck.
Er setzte sich dazu und sie unterhielten sich noch eine Weile. Dann blies die Mutter die Kerzen aus und schlug vor, sich schlafen zu legen. „Und wirf deine Klamotten in die Wäsche. Ich wasche morgen. Dein Bett ist frisch bezogen.“
„Stört es dich, wenn ich noch dusche?!“
„Nein, nein. Mach nur.“ Sie lächelte und räumte die Tarot-Karten auf.

Es war nach eins, als Sebastian frisch geduscht in sein Bett kroch. Er dachte vorm Schlafen an seinen Onkel Georg, obwohl er das vermeiden wollte, wegen der daraus resultierenden Albträume. Sebastian konnte selbst nach gut zwei Monaten noch immer den Knall der Haustür hören, die Georg hinter sich ins Schloss warf, und das Quietschen durchdrehender Reifen seines herumschlingernden Golfes auf Glatteis in der Hofeinfahrt. Sebastians Mutter hatte ihn für eine Sache beschuldigt, bei der sich im Nachhinein herausgestellt hatte, dass es ein Missverständnis war. Minuten später hing Georgs alter Golf zerdrückt am Brückenpfeiler. Blut am Beton. Er selbst lag leblos im Graben, sein Kopf zur Hälfte zertrümmert, ein abgetrennter Arm hing in der Hecke. Die Blaulichter der Polizeiautos flohen immer wieder über blutigen Matsch, die fassungslosen Gesichter der Feuerwehrmänner und die zerborstenen Fensterscheiben. Die Szenerie berieselt von Schneeflocken.
Sebastian konnte gut verstehen, dass sich seine Mutter die Schuld am Tod von Georg gab. Ohne den Streit wäre er sicher nicht nach Hause gerast, Sebastian kannte ihn als sehr besonnen. Er nahm sich vor, morgen zu googeln, wie er seiner Mutter am Besten helfen könnte, um die Schuldgefühle loszubekommen. Im Internet gab es sicherlich ein paar gute Ratschläge diesbezüglich. Mit dieser Idee schlief er ein.

Dass er darauf nicht schon eher gekommen war. Den Geist von Georg zu beschwören, das war die Lösung. Allerdings war es schwierig, eine wirklich gute Anleitung im Internet zu finden. Sobald man auf das Thema stieß, las man nur Warnungen. Auf irgendeiner Satansseite fand er eine knappe Anweisung, die ihm brauchbar schien. Er druckte sie sich mit mulmigem Gefühl aus, die zahlreichen Warnungen hatten ihn ziemlich verunsichert. Aber es fühlte sich einfach nach der besten Lösung an. So konnte seine Mutter noch einmal mit Georg in Kontakt treten, sich zumindest entschuldigen und vielleicht so zu ihrem Seelenfrieden finden.
„Sebastian! Aufstehen!“, rief die Mutter durch die Tür und klopfte an.
„Ich bin schon wach.“ Der Drucker fing zu rattern an.
„Frühstück ist fertig, kommst du bitte?“
„Ja, gleich.“ Sebastian nahm den Zettel mit der Anleitung zur Hand und ging die Utensilien durch, die er brauchte. Kerzenlichter und Kreide waren kein Problem. Das Blut würde er sich vom Metzger aus dem Nachbarsdorf besorgen, Weihrauch wäre auf die Kürze aber nur schwer zu beschaffen. Und er wollte keine Zeit vergeuden.

Nach dem Frühstück verabschiedete er sich von seiner Mutter. Er schnappte sich einen Behälter in der Garage und fuhr mit seinem Mofa zum Nachbarsdorf. Sebastian hatte Glück, der Metzger schlachtete an dem Tag ein paar Schweine, und er glaubte ihm, dass Sebastian das Blut für einen sozialkritischen Film bräuchte, den er und seine Kumpels drehen wollten.
Ursprünglich hatte Sebastian vor, auf dem Dachboden alles vorzubereiten, doch auf dem Rückweg fiel ihm die Lagerhalle auf, die am Waldrand stand und kaum genutzt wurde. Er überprüfte, ob sie abgeschlossen war und hatte Glück. Hier konnte er es in Ruhe vorbereiten und er war damit den halben Nachmittag beschäftigt.

Nachts erhellten ein paar Laternen die einzige Straße des Dorfes und die stets von dreckigen Traktorspuren gezeichnet war. In den Nachbarhäusern brannte kein Licht mehr, als er sich mit seiner Mutter auf den Weg machte.
„Weißt du, wie spät es ist?“, murmelte sie, während sie ihm folgte. Nur widerwillig hatte er sie dazu gebracht, ihm nach zu gehen. „Was willst du mir denn eigentlich zeigen?“
„Warts ab!“ Sie gingen einen Feldweg entlang, der zu der Lagerhalle führte.
„Mensch Basti, lass uns wieder umdrehen. Mir ist kalt.“
„Mama! Du hast es versprochen. Also komm. Wir sind eh gleich da.“

Ein bisserl mulmig war ihm schon. In der Dunkelheit wirkte die Lagerhalle wie ein großes, schlafendes Tier, das den Wald bewachte. Ein eisiger Wind strich vorüber und wisperte in den Wipfeln der Bäume und er redete sich ein, dass das alles ganz harmlos war. Eine gefrorene Pfütze knackte unter seinen Füßen, aus dem Dorf hörte man eine muhende Kuh, dann hatte er die Eingangstür mit den vielen Rostflecken erreicht.
„Was willst du denn hier?“
„Das siehst du gleich.“
Er drückte den Griff hinunter. Es quietschte, dann hatte er die Tür ein Stück weit aufgeschoben. Warme Luft kam ihnen entgegen.
„Da läuft ja die Heizung“, stellte seine Mutter fest, während sie den Vorraum betraten.
„Ich hab sie angestellt“, antwortete er und tastete nach dem Lichtschalter.
„Aha. Darfst du das einfach?!“
„Ach Mama. Ich dreh sie nachher wieder aus.“
Das Licht ging an und beim Anblick verstaubter, alter Büromöbel musste seine Mutter husten. Eine dreckige Tasse stand auf einem Tisch, neben zerknülltem Papier, in einer Ecke an der Decke seilte sich eine dicke Spinne von ihrem Netz ab.
„Jetzt sag endlich, was ich hier soll?!“
„Gleich, Mama. Gleich.“
Sie durchquerten den Vorraum und erreichten die Halle. Als er auch dort Licht machte, trat sie in den Raum und sah am Boden den Kreis, den er dort gezogen hatte. Außerhalb des Kreises waren sieben Pentagramme gezeichnet worden und jeweils ein Kerzenlicht platziert. Er holte ein Feuerzeug aus der Manteltasche und zündete die Kerzen an. Sie kam näher und er sah durch den Spiegel, der an der Wand lehnte, dass sie die Schale Blut in Augenschein nahm.
„Basti - was soll das hier?“
Jetzt konnte Sebastian nicht mehr ausweichen und musste sie in seinen Plan einweihen. Während er aus der Hosentasche den Zettel zog, auf dem stand, wie man Geister beschwört, erklärte er ihr, dass das eine Chance wäre, mit Georg Frieden zu schließen. Eine Träne rann an ihrer Wange hinab und sie schien hin und herzu überlegen. Er bekräftigte sein Vorhaben, in dem er ihr von den Erlebnisberichten erzählte, die zahlreich im Internet zu lesen waren und wo viele den Kontakt zu ihren Verstorbenen gesucht und gefunden hatten.
„Ist eigentlich nichts anderes als Tarot ...“
Sie schloss die Augen und nickte. Gut so, dachte er sich. Sie legten die Mäntel ab und er führte sie in den Kreis. Er bat sie, sich in den Schneidersitz zu setzen.
„Ja, aber, ist das wirklich nicht gefährlich?“
„Ja, nein, weiß nicht. Bei den Anderen, da hat das auch geklappt.“
„Hm ...“
„Sollen wir es lassen?“
Sie überlegte einen Moment, sah sich um, dann presste sie die Lippen aufeinander. „Nein, nein. Vielleicht klappt es ja.“ Sie setzte sich in den Schneidersitz. „Was muss ich tun?“
Sebastian nahm den Zettel zur Hand und las, während er sich ebenfalls in den Schneidersitz bequemte. „Wir schließen die Augen und ich versuch, Kontakt aufzunehmen“, sagte er ihr und legte den Zettel neben sich ab.
„Ok.“
Er nahm ihre Hände in seine und schloss die Augen. Einmal tief durchgeatmet, er konzentrierte sich und sagte dann: „Lieber Georg, wir rufen dich aus dem Reich der Toten. Bitte komm in unsere Mitte.“
Er wartete ein paar Momente. Seine Mutter drückte seine Hände und er erneuerte den Ruf an ihn. „Bitte ... komm in unsere Mitte.“
Er horchte um sich. Nichts. Der Ort hier fühlte sich verlassen an, nicht einmal der Wind war zu hören. Er blinzelte und sah, dass Mutter die Augen gesenkt hielt und traurig den Kopf hängen ließ. Sie ließ seine Hände los.
„Hey, Mama, was ist denn?“
„Das klappt doch eh nicht.“
„Wenn du nicht bei der Sache bist ...“
Sie sah ihn an, in ihren Augen sammelten sich Tränen. „Das bin ich, mit ganzem Herzen.“
Er wusste ja auch nicht sicher, ob es klappen würde und nahm den Zettel in die Hand. Vielleicht hatte er ja etwas falsch gemacht. Sieben Pentagramme, Kerzenlichter, eine Schale Blut. Dass es am fehlenden Weihrauch scheiterte, glaubte er nicht. Er legte den Zettel wieder ab.
„Das braucht halt seine Zeit. Der Georg war eh nie der Schnellste.“
Seine Mutter ließ die Schultern hängen. Sie sah sich im Spiegel. „Hätte ich nicht mit ihm gestritten. Ich bin Schuld ...“
„Das kannst du nicht sagen.“
„Doch. Und du weißt das.“ Sie sah ihn fest an. Er konnte ihr die Schuld nicht ausreden, das konnte wohl nur Georg.
„Komm“, sagte er deshalb. „Lass es uns noch einmal probieren, ok?! Und fest daran glauben, dann klappt es auch.“
Sie überlegte. Ein kurzer Blick zu ihrem Spiegelbild, dann nickte sie.
„Gut! Diesmal zusammen. Ich glaub, das ist besser“, schlug er vor.
„In Ordnung.“
Sie nahmen sich an den Händen und riefen nach Georg. Nachdem sie es ausgesprochen hatten, wartete er einige Momente. Als er dachte, dass es wieder nicht geklappt hatte, hörte er die Kerzenlichter flackern. Etwas eiskaltes bekribbelte seine Arme, er musste sie zurückziehen und ließ die Hände seiner Mutter los. Als er die Augen öffnete, sah er einen Schatten über die Schale Blut fliehen.
„Mama“, murmelte er. Sie hatte die Augen fest verschlossen, ein Lächeln umspielte ihre Lippen. Ihre Hände drückte sie fest gegen den Bauch. Ihr Gesicht sah unheimlich aus, durch das Flackern der Kerzenlichter.
„Mama!“ Er rüttelte an ihrem Bein, doch sie schien ihn nicht mehr wahrzunehmen. Der Wind war zu hören und ihm fiel die Gänsehaut an ihren Armen auf, obwohl der Raum gut beheizt war. Einige Kerzenlichter gingen aus, der Raum dunkelte nach. Sie hielt weiter ihre Augen verschlossen. Er beugte sich zu ihr rüber.
„Mama! Hey!“ Als er sie an den Schultern packen und sie wachrütteln wollte, schubste sie ihn weg, ohne, dass er darauf gefasst war, so dass er zur Seite stürzte. Als er auf dem Bauch zum Liegen kam und zu ihr schaute, hatte sich etwas verändert. Als wäre die Zeit für einen Moment angehalten worden. Die noch brennenden Kerzenlichter bewegten sich nicht mehr, seine Mutter schien erstarrt, kein umherhuschender Schatten. Er konnte ihr Gesicht nicht sehen, ihre Haare verdeckten es.
„Mama?“
Sie beugte ihren Oberkörper vor und zurück, als hätte sie Magenschmerzen und fing an, gequälte Laute von sich zu geben. Er hoffte immer noch, dass das nur ein Scherz war.
„Mama. Bitte! Du machst nur Spaß, oder?“ Er kämpfte sich auf und näherte sich ihr.
„Hille. Bawere. Galobas“, murmelte sie. Ihre Stimme klang gequält und alt.
Er war dabei, ihre Schulter anzufassen.
„Kolbel! Warani!“, knurrte sie. Sie zog die Schultern ein, den Kopf hielt sie nach unten, die Haare standen noch immer vor ihrem Gesicht. Sebastian nahm seinen ganzen Mut zusammen und berührte sie. Ihm fror das Blut, als sie auf und ihn ansah. Ihre Augen waren blutunterlaufen und funkelten böse. An den Wangen blätterte Haut ab. Sie knurrte ihn an und stürzte sich auf ihn, wie ein Tier auf seine Beute.

Sebastian stolperte rückwärts und krachte mit dem Rücken gegen die Wand. Der Schock rührte ihn wie Donner. Sie sprang gegen seinen Körper und packte ihn am Hals. Ein Albtraum. Sie schrie ihn an und fuhrwerkte wie von Tollwut befallen. Er fasste ihre Arme und konnte sie nur mit Mühe davon abhalten, seinen Kopf an der Wand zu zertrümmern. „Mama! Beruhig dich!“
Sie biss ihn in den Hals, ein heftiger Schmerz. Mit einem Reflex warf er sie von sich. Sie fiel auf eins der Kerzenlichter, nur noch zwei erhellten das Dunkel.
„Mama! Bitte! Bitte! Beruhig dich!“, flehte er und wollte zum Lichtschalter. Auf dem Weg dorthin hörte er sie hinter sich. Er drehte sich um, sie warf sich auf ihn. Beide stolperten über seine Beine. Er rangelte mit ihr und schaffte es, sie unter sich zu bekommen. Mit seinem Gewicht konnte er sie in Zaun halten, ihre Hände hielt er fest umklammert. Sie knurrte und fauchte und schlug ihren Kopf gegen den Boden. Blut rann ihre Schläfen hinab. Das musste ein Albtraum sein. Ein verdammter Albtraum! Sebastian kamen die Tränen, weil er das Schlimmste befürchtete. Sie verwischten ihm die Sicht. Ihm kam mehr und mehr alles so unwirklich vor. Ihr Fauchen klang seltsam fern. Dann war ihm, als würde sie sich beruhigen, ihre Aggressivität erlahmte. Er wischte sich das Nass aus den Augen und sah, dass das blutrote ihrer Augen erhellte. Alles wird gut, dachte Sebastian. „Mama! Alles wird gut.“
Sie schloss die Augen und sackte in sich zusammen.
„Mama?“ Er rüttelte sie. Sie bewegte sich nicht mehr. Er mühte sich auf die Beine und machte Licht. Sie lag da, wie ein lebloses Bündel. Er musste ihren Puls fühlen und war kaum dazu in der Lage, weil ihm sein Herz gegen die Brust hämmerte. Wie sie aussah! Die Haut an den Wangen abgeblättert, getrocknetes Blut an den Schläfen, eine tiefe Furche in der Stirn. Er musste Hilfe rufen. Die Polizei, einen Arzt. Sie riss ihre Augen auf. Blutige Tränen füllten sie. „Hilf mir“, flüsterte sie mit der ihm vertrauten Stimme.
„Was soll ich tun?“ Er kam nah an sie heran. Ein Krampf schüttelte sie.
„Bitte Gott, bitte lieber Gott. Hilf uns!“
„Hilf mir!“, flehte sie erneut.
„Lieber Gott. Bitte! Hilf uns!“
Der Schüttelanfall ließ tatsächlich nach. Er flehte weiter Gott um Hilfe, sprach das Vater unser. Dann spürte er, dass seine Mutter erschlaffte.
Er hörte sich atmen, ihm zitterten die Hände. Er rutschte von ihr herunter und beugte sich über sie, um zu hören, ob sie noch atmete. Sie schnellte in die Höhe, wie von einem Seil gezogen, und traf ihn wuchtig an der Stirn. Er schlug nach hinten. Es klirrte. Ein höllisch stechender Schmerz fuhr ihm durch den Arm. Eine Spiegelscherbe steckte tief in seiner Elle. Er legte sich auf den Rücken, einer Ohnmacht nahe. Ruhig einatmen. Ausatmen. Einatmen. Dann sah er seine Mutter an der Decke schweben. Die Arme ausgebreitet. Er musste ihr helfen, irgendwie, und raffte seinen Oberkörper hoch. Der Schmerz trieb ihm dunkle Schleier vor die Augen, aber er musste es aushalten. Dann ein lang gezogener Schrei. Seine Mutter fiel wie ein Stein auf den Beton. Er hörte Knochen knacken. Es war zu spät, das wusste er in dem Moment. Trotzdem schleppte er sich zu ihr. Seine Finger an ihrer Schlagader. Kein Puls. Ihre Hand, ganz kalt. Er sackte auf seine Knie und ließ sich auf den Rücken sinken. Alles war verschwommen, unwirklich. Ein Albtraum.
Er biss sich auf die Lippen und zog die Scherbe aus der Elle. Gott, tat das weh! Sie klirrte vor ihm auf dem Boden aus. Er sah zu seiner Mutter. Sie lag leblos da, ein Bein unnatürlich verdreht. Unter ihrem Körper sammelte sich ein See aus Blut. Ein Blick in die Spiegelscherbe vor sich und eine eigene Welt schien sich aufzutun. Aufwallender Nebel. Etwas Dunkles näherte sich. Als er Blut-Augen durch den Nebel erkennen konnte, wurde ihm schmerzlich bewusst, dass das der Dämon war, den er beschworen hatte und der eben in seine Mutter gefahren war und sie getötet hatte. Seine tränennassen Wangen, sie fühlten sich gefroren an. Er warf seinen Mantel auf die Spiegelscherbe und rollte sich weg. Er kauerte sich ganz klein in eine Ecke, mit der Hand hielt er sich die blutende Elle und er sagte sich laut, das hier sei nur ein böser Traum.
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Geändert von Quidam (11.12.2011 um 11:54 Uhr) Grund: überarbeitet ...
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