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Alt 09.09.2010, 18:02
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Dark Umbra Dark Umbra ist offline
Drachenherz
Erforscher der Welten
 
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Alor nahm die Hand entgegen und kletterte aus dem Graben. Bisher hatte Lutien keine Reaktion gezeigt.
Was jetzt wohl kommt?, fragte sich Alor und hoffte inständig, dass der Heerführer ihn nicht auf der Stelle festnehmen wollte. Der Magier war sich zwar sicher, sich den Soldaten ohne große Mühe widersetzen zu können, aber er wollte niemanden verletzen – einmal abgesehen davon, dass eine Flucht oder nur der Versuch Lutien nicht von seiner Unschuld überzeugt hätte. Aber Alor hätte das in Kauf genommen, denn er wollte auf keinen Fall mehr gefangen sein – oder, was noch schlimmer gewesen wäre: Gefoltert werden. Er kannte sich zwar mit den in Dornd üblichen Methoden nicht aus, aber er traute dem ehrgeizigen Lutien alles zu.
Doch anstatt nun zu antworten, bedankte sich der Heerführer kurz, verabschiedete sich und flüsterte einem jungen Soldaten Anweisungen zu, bevor er ohne ein weiteres Wort davonrauschte.
Alor war auf Alles gefasst gewesen. Nur nicht darauf, dass sein Gegenüber ohne sichtbare Reaktion einfach verschwand. Lutien schien zwar am Anfang seines Berichtes aufmerksam gewesen zu sein, zum Ende hin aber mehr und mehr in Gedanken versunken. Und dass er einem Jungspund sofort nach Ende ihres Gespräches einen Auftrag erteilt hatte, beruhigte Alor umso weniger.

Verdammt, ich muss fort von hier!, stellte er nach kurzer Überlegung aufgeregt fest, während er sich hektisch durch die Menge gen seines Zeltes schlängelte. Ich kann nicht hier bleiben, dass Risiko ist einfach zu groß.
In der Mitte des Lagers lichtete sich der Tumult. Wahrscheinlich hatten noch nicht alle mitbekommen, dass sie für heute die Arbeit hinlegen und sich ihr Abendbrot von den Köchinnen im Westen des Heerlagers abholen konnten – sonst wäre auch hier alles überfüllt.

Zum Glück waren die Zelte seiner Truppe direkt südlich vom Exerzierplatz aufgestellt, so dauerte es nicht besonders lange, bis er an seinem Zelt ankam. Von seinen Leuten war nichts zu sehen.
Gut, sie sollten nicht unbedingt mitbekommen, dass ich mich aus dem Staub mache.
Plötzlich kam ihm in den Sinn, was die Mannschaft und die Jungmagier ohne ihn machen sollten. Ach, es wird sich schon jemand finden, der meine Position übernimmt, beruhigte er sein Gewissen, doch innerlich wusste er, dass er die entscheidende Lücke in Eradirs Armee bilden könnte: Besonders auf die Magier war das Heer angewiesen.
Genervt schob er den Gedanken beiseite. Sie waren eh zu wenige, um gegen Omega bestehen zu können. Ein Toter weniger bedeutete einen Zombie – oder in seinem Fall Lich – weniger, der in Eradir herumgeisterte und Angst und Schrecken verbreitete.
Hastig betrat er sein Zelt und zog die Truhe, die unter seinem Bett stand, hervor. Er warf die Kleidungsstücke, die ordentlich in ihr aufgestapelt waren, einfach hinter sich und tastete nach dem Mechanismus für das Geheimfach. In diesem lag alles, was ihm noch von seinem vorherigen Leben geblieben war: Ein Siegelring, der ihn als Mitglied der rèsgonischen Königsfamilie auszeichnete.
Er hatte sich vor einiger Zeit schon vorgenommen, ihn in den Tiefen der Sümpfe versinken zu lassen, war jedoch nie dazu gekommen. Den Ring bei sich oder gar am Finger zu tragen wäre hier höchstwahrscheinlich sein Todesurteil gewesen: Rèsgon war schließlich auf der Seite des Feindes. Wenn vor der Vollstreckung dann auch noch herauskommen würde, dass Alor aus Rèsgon verbannt und inzwischen dort verfolgt wurde, wäre jeder hier bereit gewesen, ihn gegen einen Waffenstillstands- oder sogar Bündnisvertrag einzutauschen, anstatt ihn auf der Stelle zu köpfen. Im Prinzip war das dann ja eh egal.
Wie ich Aro kenne, würde er alles freudig annehmen, nur, um sich persönlich an mir zu rächen, dachte Alor beflissen, als es endlich Klick machte und sich die versteckte Klappe am Truhenboden öffnete. Das Fach war leer.
Der Ring! Wo ist der Ring?!, schrie Alor innerlich, als er panisch den faltigen Stoff, mit dem das Fach ausgeschlagen war, durchwühlte.
„Sucht Ihr etwas, Majestät?“, erklang eine hämisch klingende Stimme hinter ihm.
Alor fuhr um. Tarius stand hinter ihm – mit einem selbstsicheren Grinsen in seinem Gesicht.
Er muss wohl neben dem Waffenständer beim Eingang gewartet haben, um mich zu Rede zu stellen! Ich bin an ihm vorbeigerannt, ohne ihn zu bemerken!
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