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Alt 25.12.2009, 19:40
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Snowsong Snowsong ist offline
Tochter des Nordwindes
Vampirjaeger
 
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***
Der Schrei war ein Fehler gewesen.
Ein fataler Fehler.
Der kahl rasierte Mann sprang auf. Als er sie sah, stutzte er.
Nicht gut... Sheoe schaute sich hastig nach einem Fluchtweg um. Das gestaltete sich als ziemlich schwierig, da der Dämon immer noch ihren Arm festhielt.
<Tötet ihn, Erhabene>, raunte eine Stimme in ihrem Kopf.
Sheoe schaute sich verwirrt um. Wo war die Stimme hergekommen? Wieso nannte man sie Erhabene? Sie war kurz so abgelenkt, dass sie den Priester vergaß. Sie erinnerte sich erst wieder an ihn, als sie eine Tür hörte.
Der Mann schloss beide Türen ab.
Sofort breitete sich Panik in ihr aus. Wie schon zuvor bei dem Betrunkenen schrie alles in ihr: Renn!!!
Aber wohin?
„Du bist eine kleine, verirrte, weiße“, raunte der Mann, „Habe ich Recht?“ Er sah sie aus tückischen braunen Augen an.
Sheoe nickte ängstlich. Vielleicht war es besser vorerst mitzuspielen.
„Und du suchst die Gnade von Bahalme, dem Herrn der Meere.“ Das war keine Frage, sondern eine Feststellung. Bei ihrem Nicken lächelte er.
„Dann musst du ihm etwas opfern. Jeder, der Bahalme dienen möchte, muss etwas opfern.“
Er erhob sich. Der Priester war recht klein und hatte einen Bierbauch, über den sich seine hellblaue Meeres-Priesterrobe straffte. Sheoe schätze ihn auf etwa 50 Jahreszeitenzyklen.
Er kam auf sie zu und öffnete ohne Probleme die Klauenhand des Dämons. Sheoe spürte, dass der Priester stark war.
„Was muss ich opfern?“, piepste Sheoe. Die Angst ließ ihre Stimme höher klingen, schnürte ihr die Kehle zu.
„Etwas.“ Er zog sie zum hinteren Teil des Raumes.
<Traut ihm nicht, Erhabene!!!>
Wieder hallte die unbekannte Stimme in ihrem Kopf.
„Es ist mit etwas Schmerz verbunden“, erkläre er, „aber für Bahalme erträgt man das.“
Sheoe schluckte. Schmerz hörte sich sehr schlecht an.
„Doch zuerst müssen wir zu Bahalme beten. Warte, ich nehme dir die Jacke ab.“ Und eher Sheoe etwas sagen konnte, hatte der Priester ihr die dünne, langärmlige Jacke aus altem Leder abgenommen. Darunter trug sie nur das einfache Lumpenhemd.
„Sehr schön, sehr schön“, murmelte er, „Bahalme braucht Diener, die ihm mit Leib und Seele dienen. Das geht auf viele Arten.“ Er hob ein Kurzschwert hoch. „Wir opfern ihm Blut. Blut der Unwürdigen und Verstoßenen. So wie den Dämon dort.“
Sheoe warf dem Altar einen Blick zu. Kurz stellte sie sich vor, wie sie auf dem Altar lag. Blutverschmiert und nur halbwegs noch am Leben...
„Doch bevor jemand Bahalme ein Opfer darbringt, muss man ihn läutern.“ Das Kurzschwert sauste nieder. Sheoe war nicht in der Lage auszuweichen. Doch der Angriff diente nicht dazu, sie zu verletzen.
Die Waffe hatte das Lumpenhemd aufgeschnitten.
„Ich denke, wenn du dich von mir läutern lässt, werde ich dir einen schönen Platz im Tempel besorgen.“
Sheoe wich zurück.
„Fass mich nicht an!“ Doch ihre Stimme zitterte. Sie zitterte viel zu stark, als dass der Priester sich davon abschrecken ließ.
„Ich töte Sie!“ Doch jene Macht, die sie bei dem Betrunkenen gespürt hatte, stand ihr jetzt nicht bei.
Es gab nur eine Chance. Sheoe rannte los.
Der Priester rannte ihr hinterher.
In dem kleinem Opferraum war es nicht einfach, den Händen des Mannes auszuweichen, doch Sheoe gelang es, den Mann ins Schwitzen zu bringen.
„Bahalme... wird dich... strafen...“
„Dein verfluchter Gott kann mich mal!“, schrie Sheoe, „Einem Gott, der Vergewaltigungen als Läuterungen rechtfertigt, werde ich niemals dienen!“
Sie sprang über den Altar.
<Erhabene! Nutzt meine Macht!>
Sheoe erstarrte. Der Dämon?
Doch sie konnte sich nicht weiter mit dem sterbenden Dämon beschäftigen. Der Priester jagte ihr nach.
Die Hetzerei ging weiter. Zwar wurde der Priester langsamer, aber auch Sheoes Kräfte verließen sie langsam.
<Erhabene! Kommt und nehmt mein Leben!>
Die Stimme wurde immer eindringlicher.
Sheoe warf dem Dämon einen Blick zu. „Aber wie...?“, fragte sie ihn.
<Nehmt mein Leben!>
Sheoe näherte sich mit zwei geschickten Sprüngen dem Dämon.
<Wenn Ihr es nicht tut, wird er Euch früher oder später fangen.>
Versuchen kann ich es ja...
Der Dämon verzog sein Gesicht zu einer Grimasse, die wohl ein Lächeln darstellen sollte.
<Beugt Euch über mich und beißt mir in den Hals. Alles andere wird sich von selbst ergeben.>
Sheoe verzog angeekelt das Gesicht. Doch der schnaufende Priester drängte sie zur Eile.
Nachdem sie den Mann noch einmal durch den Raum gelockt hatte und dieser sich erschöpft setzte, biss Sheoe den Dämon.
Der Dämon hatte nicht gelogen. Es ergab sich von selbst.
Eine süßliche Flüssigkeit breitet sich in ihrem Mund aus und vertrieb die Erschöpfung. Es war nicht mit dem metallischen Geschmack von Blut zu vergleichen, sondern eher mit einem Fruchtsaft. Sie hörte erst auf zu trinken, als zwei große Pranken sie packten und wegzogen.
Sheoe wurde aus dem berauschenden Gefühl herausgerissen.
„Jetzt hab ich dich“, lächelte er kalt.
Doch Sheoe war ganz ruhig. Sie wusste, sie konnte den Mann töten.
Jetzt.
Sofort.
Wenn sie es wollte.
Die Erkenntnis erschreckte sie nicht. Im Gegenteil, es berauschte sie.
„Ich werde dich töten.“ Ihre Stimme war kalt und sicher.
Der Priester lachte nur noch lauter. Er nahm sie nicht ernst. Statt die Drohung ernst zu nehmen, schien er nur noch mehr angereizt zu werden. Er küsste sie brutal auf den Mund.
Sheoe biss ihn zur Antwort.
Der Mann ließ tatsächlich von ihr ab.
„Du... hast mich...“ Dann stutzte er.
Das Mädchen lächelte kalt. „Ich sagte doch: Ich werde dich töten!“
Der Priester berührte seine Unterlippe, die sich langsam verfärbte.
Von Sheoes Bisswunde aus schoben sich schwarze Fäden unter der Haut vorwärts. Der Mann schien Schmerzen zu haben. Er presste seine Hand auf den Mund.
Mittlerweile war die Muskulatur zerstört. Speichel lief ihm über das Kinn. Schwarzer Speichel.
Die Fäden hatten bald den Hals erreicht und krochen weiter in Arme und Beine.
In wenigen Augenblicken lag der Mann auf dem Boden und wand sich vor Schmerzen. Schreien konnte er nicht. Sheoe zog sich eilig wieder an. Bedauernd schaute sie auf die Überreste ihres Hemdes. Sie hatte den Lumpen nie gemocht, aber er hatte sie wenigstes etwas gewärmt. Nun hatte sie nur noch ihre Jacke.
Als sie sich umdrehte, zuckte der Mann nicht einmal mehr.
Er war tot.
Zischend stieg Rauch auf. Es roch nach verbranntem Fleisch.
Langsam kam sie näher. Am Gürtel des Toten hing ein Schlüsselbund. Ohne zu zögern nahm sie ihn an sich.
Tote brauchten für gewöhnlich ihre Sachen nicht mehr.
Dann verließ Sheoe das Glück.
Jemand pochte gegen die Tür.
Hastig wandte sie sich um, aber auch an der anderen war jemand. Das Klicken verriet ihr, dass dieser jemand einen Schlüssel hatte.
Was mache ich jetzt?
Hektisch schaute sie sich um. Dabei fiel ihr eine Falltür ins Auge. Ohne zu zögern eilte sie darauf zu. Zitternd suchte sie den passenden Schlüssel.
Zu ihrem Glück passte der erste.
Sheoe öffnete die Tür und zwängte sich durch den Spalt.
Kurz darauf empfing sie Dunkelheit und modriger Geruch.

Geändert von Snowsong (25.02.2010 um 21:37 Uhr)
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