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Alt 22.11.2009, 13:31
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Bardin Bardin ist offline
Geschichtenerzählerin
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Fortsetzung

Estana seufzte leise. Ihre wenigen Sachen hatte sie schon zusammengepackt, es war sowieso nicht viel. Ihre Mutter ging ihr langsam auf die Nerven – ständig kontrollierte sie, ob doch noch etwas fehlte. Aber sie wusste, dass diese es nur gut meinte.
Nachdenklich ging sie ans Fenster und blickte hinaus auf die staubige Straße.
Der Abschied fiel ihr schwer.
Am liebsten wäre sie quer durchs Haus gerannt, raus auf die Straße, die Häuser längs und durch den Wald. Sie wusste, dass sie sich eigentlich freuen sollte. Aber sie wollte nicht fort. Es gab so viel, dass sie zurücklassen würde. In der Nacht war sie lange Zeit wach gelegen, hatte an ihre Eltern gedacht, ihre Freunde, all ihre Verwandten und ihre Heimat. Angst vor dem Neuen war über sie gekommen.
Doch sie wusste, sie würde fortgehen und sich dem Neuen stellen, ihr unbekannte Leute treffen und ganz andere Möglichkeiten erproben.
Das Leben, das vor ihr stand, raubte ihr den Atem und den Schlaf.
Aber die Entscheidung war schon längst gefallen.
Müde lehnte sie ihren Kopf an die kühle Glasscheibe, schloss die Augen und versuchte, wenigstens jetzt ein bisschen Ruhe zu finden.
Es gelang ihr tatsächlich sich etwas zu entspannen. Nur entfernt hörte sie die Stimmen ihrer Familie, die leise durch die Tür drangen, und dann und wann Geräusche von draußen.
Als es klopfte zuckte Estana zusammen.
Das konnte nur einer sein…
Sie trat aus dem Zimmer und gesellte sich zu ihren Eltern und ihrem Bruder, die sich auf dem Flur zusammengedrängt hatten. Krejan warf ihr einen unsicheren Blick zu.
Ramecho hatte schon die Tür geöffnet und grüßte den Seher mit einer Verbeugung. Das weite Gewand des Magiers füllte die gesamte Breite der Türöffnung aus.
~~~
Krejan spähte über dessen Schulter und erkannte hinter ihm drei Pferde. Sie wirkten unruhig, waren aber sehr gut genährt und größer als die, die er bisher gesehen hatte.
Er schluckte. Eines dieser Pferde würde ihn durch das ganze Land hindurch bis nach Snechana tragen. Eine seltsame Vorstellung.
Er hatte gar nicht bemerkt, dass ihn der Magier durchdringend ansah.
„Du bist so weit?“
Er nickte kurz und knapp. Es war alles so unwirklich.
Er drehte seinen Kopf und sah, wie seine Schwester ihre Eltern noch einmal umarmte. Ihre Mutter drückte sie fest an sich.
Krejan hasste Umarmungen – noch mehr als Estana, aber als seine Mutter auf ihn zuging ließ er es geschehen, wenn auch nur kurz. Er wusste nur zu gut, wie schwer ihr der Abschied fiel.
~~~
S’Ochenon war taktvoll zurückgetreten und sah mit etwas Abstand zu, wie sich die Familie verabschiedete.
Etwas verlegen schweiften ihre Blicke über die anderen, bis sie sich schließlich zur Abreise zusammenrissen.
„Lebt wohl.“
„Passt auf euch auf.“
Krejans Mundwinkel zuckten müde.
„Machen wir.“
Mit einer Handbewegung forderte s’Ochenon die Zwillinge auf ihm zu folgen, und führte sie den kurzen Weg zu den Pferden.
„Welche wollt ihr? Ihr könnt es euch aussuchen.“
Die Zwillinge waren gerade dabei, jeweils ihre Tasche auf den Boden zu stellen und starrten ihn nun verdattert an.
„Ist nicht auch euer eigenes darunter?“, wagte Krejan schließlich zu fragen.
Der Magier schüttelte den Kopf.
„Ich hatte in dieser Gegend vieles zu tun und bin mit der Kutsche oder zu Fuß hierher gereist. Ich musste auch viele Städte besuchen. Aber nun ist alles erledigt und zu dritt sind wir zu Pferde sehr viel schneller. Ich konnte sie in kurzer Zeit organisieren. Also, entscheidet euch.“
„Haben die denn einen Namen?“, fragte Estana interessiert.
„Die Schwarze da – das ist Kana. Nefta ist die Schimmelstute und der braune Hengst heißt Ekjon.“
Der Seher sah sie erwartungsvoll an.
Krejan hatte einen prüfenden Blick aufgelegt und schien zu überlegen. Estana war wesentlich impulsiver.
„Ich nehme Kana“, verkündete sie. Für lange Entscheidungen in solchen Situationen hatte sie nicht viel übrig. Sie machte sich auch gleich daran, ihre Tasche auf der Stute festzuschnallen. Dann hielt sie verwundert inne und blickte auf.
„Keine Sattel?“, erkundigte sie sich mit zusammengezogenen Augenbrauen.
„Nein. Diese Rasse sollte man besser ohne Sattel reiten. Aber sie gehorchen dennoch sehr gut. Ich hoffe es macht euch nichts aus…?“
Krejan zuckte mit den Schultern
„Es geht auch ohne“, erklärte er schlicht und zog den Gurt am Fuchs fest, „Aber das Gepäck akzeptieren sie wohl?“
S’Ochenon lächelte: „Notgedrungen.“
Auch seine kleine Tasche war auf Nefta schnell verstaut und er stieg auf.
Gerade wollte er losreiten, als hinter ihm ein leiser, lockender Pfiff ertönte und prompt ein dunkles Etwas von dem Baum neben dem Haus wie eine reife Frucht herabfiel, sich dann aber mit ein paar Flügelschlägen fing und elegant auf Krejans Schulter landete.
Der begegnete dem fast schon anklagenden Blick des Magiers betont emotionslos.
„Sind Haustiere erlaubt?“
S’Ochenon konnte sich ein Schmunzeln nicht verkneifen.
„Das hängt allein von ihrem Benehmen ab. Ansonsten wird niemand was dagegen sagen können.“
„Ihr Benehmen ist ausgezeichnet“, entgegnete Krejan mit unerschütterlichem Vertrauen.
„Dann ist das kein Problem.“
Er drehte sich wieder um und stieß dem Schimmel in die Flanken.
„Kommt. Es liegt ein langer Weg vor uns.“
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Allein die Existenz von irgendetwas ist das größte Wunder; die Materie, die sich selber formt, das größte Geschenk; die Materie aber, die auf sich selbst herabblickt und denkt, das größte Paradoxon.

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