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Alt 19.11.2009, 09:14
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Bardin Bardin ist offline
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Fortsetzung

Ruhig schritt s’Ochenon durch die Straßen. Er konnte sie riechen, ein intensiver, kraftvoller Geruch, der vor Leben strotzte. Sie hatten es bestimmt schon entdeckt. So etwas konnte nicht verborgen bleiben.
Die Menschenmenge teilte sich ehrfurchtsvoll vor ihm. Niemandem entging das aufgestickte Auge auf seinen weiten Gewändern.
Er nickte ihnen freundlich zu, schwieg aber ernsthaft. Eigentlich wollte er keine Aufmerksamkeit erregen, als Mitglied der Gilde blieb ihm jedoch nichts anderes übrig.
S’Ochenon folgte dem Geruch und gelangte schließlich auf einen kleinen Platz. Hier kam er nur langsam voran – die Menschen standen mit dem Rücken zu ihm. Etwas anderes fesselte ihre Aufmerksamkeit. Er hörte laute Stimmen, die einer aufgeregten Frau und die eines Mannes, der sich offensichtlich verteidigen wollte. Als er sich vorsichtig noch näher drängte, konnte er den Wachmann sehen, der hinter dem schreienden Mann stand und ihn festhielt.
Die Frau bei dem Stand fuchtelte aufgeregt mit den Händen. Es war kaum zu verstehen was sie sagte, aber ein Blick auf ihren Stand offenbarte den möglichen Grund. Der ausgestellte Schmuck war durcheinander geworfen worden und manches auf den Boden gefallen.
Gerade erhob der Wachmann das Wort, aber s’Ochenon hörte nun schon gar nicht mehr zu.
Ein Windstoß war aufgekommen und blies ihm einen wohlbekannten Duft vor die Nase. Er sah sich aufmerksam um.
Jemand quetschte sich gerade weniger rücksichtsvoll durch die Masse, manche der umstehenden Köpfe drehten sich ärgerlich nach dem Verursacher um. Schließlich reckte sich ein schwarz belockter Schopf nach vorne.
Die Augen der jungen Frau weiteten sich, als sie den Platz überblicken konnte. In ihnen lag Erstaunen, aber auch Triumph. Bald war auf ihrem Gesicht nur noch Begeisterung zu lesen.
S’Ochenon lächelte. Er musste keine Magie anwenden um zu wissen, dass der Geruch von ihr ausging.
Eine Gestalt zog die Frau am Ärmel und sie drehte sich um. Eine Weile steckten die beiden die Köpfe zusammen als würden sie sich etwas mitteilen, dann entschwanden sie wieder seinen Blicken.
S’Ochenon sah sich nochmals kurz um und folgte ihnen dann.
Als sie den Markt verlassen hatten, konnte der Magier die beiden endlich vollständig erkennen. Die Frau hatte auffällige schwarze Locken und war eigenartigerweise in Hosen. Darüber trug sie eine lockere Bluse, die in der Taille mit einem breiten Gürtel zusammengehalten wurde. Sie redete laut und aufgeregt mit dem jungen Mann neben ihr, wobei sie mit den Händen wild gestikulierte.
Der Mann nickte nur dann und wann bestätigend. Er trug über seiner Hose ein dunkelgrünes Hemd, seine Haare waren kurz gehalten und ebenfalls schwarz. Er überragte die groß gewachsene Frau nur um wenige Zentimeter und sah ihr sogar von hinten sehr ähnlich.
Sie gingen durch kleine Gassen hindurch und gelangten schließlich zu einer Reihe einfacher Holzhäuser, deren Dächer mit Stroh bedeckt waren. Eines von diesen steuerten sie an.
Als sie an dem Baum daneben vorbeikamen, drang ein schriller Schrei aus dem Geäst und eine schwarze Gestalt schoss hervor. Heftig flatternd flog sie in einem kleinen Bogen über s’Ochenon hinweg, der sich erschrocken bückte und dabei einen kleinen Schrei ausstieß.
Die beiden drehten sich um – weniger überrascht über das Wesen als den unbekannten Mann vor ihnen.
S’Ochenon richtete sich ärgerlich auf und konnte noch beobachten, wie das Wesen die Köpfe der beiden umkreiste und schließlich auf der Schulter der Frau landete. Die gelben Augen sahen ihn erwartungsvoll an.
„Wer seid ihr?“, fragte der junge Mann forsch, verstummte aber sofort als er das aufgestickte Auge auf den dunkelblauen Kleidern erkannte.
„Entschuldigt“, schloss er, „Ich habe Euch nicht erkannt, Seher des magischen Auges.“ Dabei machte er eine schwungvolle Verbeugung.
Die Frau knickste etwas ungeschickt und das Fliesel bemühte sich um sein Gleichgewicht.
Der Magier neigte den Kopf. „Es ist mir eine Ehre euch zu treffen“, entgegnete er leise.
Die Geschwister sahen sich unsicher an.
„Was wollt Ihr?“
Er zögerte kurz.
„Ich glaube, das sollten wir lieber drinnen besprechen. Ich darf doch eintreten?“
Sie nickten.
„Unsere Eltern sind noch da“, erklärte die Frau.
„Ihr seid Geschwister?“
„Zwillinge.“
Ein Lächeln huschte über sein Gesicht: „Soso. Zwillinge. Und wie alt?“
„Siebzehn“, erklärte der junge Mann knapp und schritt zur Haustür.
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Allein die Existenz von irgendetwas ist das größte Wunder; die Materie, die sich selber formt, das größte Geschenk; die Materie aber, die auf sich selbst herabblickt und denkt, das größte Paradoxon.

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