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Alt 18.11.2009, 08:19
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Bardin Bardin ist offline
Geschichtenerzählerin
Erforscher der Welten
 
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Fortsetzung

Mit einem lauten Knallen schlug Estana die Tür hinter sich zu.
Ihr Vater, der gerade an der Töpferscheibe saß und geschickt eine schlanke Vase formte, blickte erschrocken auf. Doch seine Tochter beachtete ihn nicht, sondern stapfte schnurstracks durch den Raum und verschwand im Wohnbereich dahinter.
Mürrisch ging sie durch den kurzen Flur, öffnete die Tür am Ende und knallte auch diese heftig zu„Was ist denn los?“, rief ihr ihre Mutter hinterher, aber Estana beachtete sie schon gar nicht mehr. Resigniert ließ sie sich auf ihr Bett fallen und bemerkte erst dann ihren Bruder, der sie erstaunt ansah.
„Ist irgendwas passiert?“
„Nein, gar nichts, ich habe mich nur gerade vor der ganzen Stadt zum Affen gemacht“, entgegnete Estana bissig, „Lass mich in Ruhe.“
Krejan schwieg eine Weile.
„Kann ich dir wenigstens etwas von dem erzählen, was ich erlebt habe?“
„Wenn’s dir Spaß macht.“
Estana legte sich auf ihr Bett und drehte ihm den Rücken zu. Sie wollte allein sein – aber alles war ihr recht, dass sie nur von ihrem Auftritt ablenkte.
Ihr Zwillingsbruder stutzte. So hatte sie sich noch nie benommen.
Aber mit seiner Geschichte konnte er sich trotzdem nicht zurückhalten.
„Weißt du, ich bin ja heute mit Nejeno in den Wald gegangen“, begann er.
„Ach“, meinte Estana nur.
„Nein, Estana, du wirst nicht glauben was passiert ist! Ich wollte eigentlich die Höhle sehen, die Nejeno entdeckt hatte. Aber dann habe ich auf einmal diese Stimmen gehört.“
„Ach so, Stimmen.“
Krejan hielt sich nur mit Mühe zurück. Das Desinteresse seiner Schwester ging ihm auf die Nerven.
„Ja, Stimmen! Aber… sie waren nur in meinem Kopf. Irgendwie. Nejeno konnte sie nicht hören.“
„Wie bitte?!“
Estana fuhr auf.
„Du hast richtig gehört, er konnte sie nicht hören. Nur ich. Und ich wusste einfach, dass diese Stimmen Gefahr bedeuteten. Ich wollte, dass wir uns verstecken, aber er hat mir natürlich nicht geglaubt. Trotzdem konnte ich ihn irgendwie überreden.“
„Und… was ist dann passiert?“ Estana saß kerzengerade auf ihrem Bett, aller Ärger schien verflogen.
„Es waren seltsame Stimmen, von Männern. Sie haben irgendwas von Beute geredet, das weiß ich ganz genau. Wir haben Ewigkeiten gewartet. Und dann – dann kamen sie!“
„Wer?!“
„Räuber! Und weißt du was? Sie haben genau das gesagt was ich vorher gehört hatte!“
„Nein.“ Seine Schwester starrte ihn mit großen Augen an. „Das heißt, es ist später wirklich passiert?“
„Ja.“ Krejan maß sie mit einem prüfenden Blick. Ihm wurde klar, dass sie gar nicht so sehr an sein Erlebnis dachte.
Estana blickte ihn weiter an, dann wanderte ihr Blick nachdenklich durch das Zimmer.
„Es ist also wirklich passiert – nur später?“, vergewisserte sie sich nochmals.
„Nur später“, wiederholte Krejan, „Warum?“
„Später“, flüsterte sie. Es klang wie eine Erlösung.
Dann stand sie mit einem Ruck auf.
„Ich geh nur kurz weg!“
Beschwingt lief sie aus dem Raum, rief ihren Eltern noch ein „Macht’s gut!“ hinterher und ging hinaus.
„Warte!“
Hastig zog sich Krejan seine Schuhe an und folgte ihr.
„Was hast du denn? Wohin willst du?“
„Zum Markt“, erklärte Estana.
Ihre Augen funkelten.
„Ich muss unbedingt zum Markt!“
Auf weitere Fragen ging sie nicht ein.
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Allein die Existenz von irgendetwas ist das größte Wunder; die Materie, die sich selber formt, das größte Geschenk; die Materie aber, die auf sich selbst herabblickt und denkt, das größte Paradoxon.

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Geändert von Bardin (07.01.2010 um 16:41 Uhr)
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