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Alt 17.11.2009, 13:26
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Bardin Bardin ist offline
Geschichtenerzählerin
Erforscher der Welten
 
Registriert seit: 11.2009
Ort: wo die Träume flügge werden
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Fortsetzung

Und jetzt…

Die heißen Strahlen der Mittagssonne brachen sich im Laub der Bäume und malten helle Flecken auf den Boden. Ein kühler Luftzug fegte durch das Gebüsch, begleitet von einem sanften Rauschen.
Krejan blickte sich nachdenklich um. Nejeno war ihm schon etwas voraus, aber ihm war nicht danach sich zu beeilen. Eigentlich hatte er es kaum erwarten können, gemeinsam mit seinem Freund in den Wald zu gehen und die Höhle zu besichtigen, die dieser angeblich gefunden hatte. Nun aber drückte eine seltsame Schwere auf ihm. Er war müde und hätte sich am liebsten irgendwo hingelegt. Aber darüber war mit Nejeno natürlich nicht zu reden.
Das Knacken von Ästen ließ ihn zusammenfahren. Erschrocken drehte er sich um, um den Verursacher ausfindig zu machen.
Aber da war nichts.
Gerade wollte er sich wieder beruhigen und sein Herz dazu überreden, langsamer zu schlagen, als wieder das Knacken ertönte.
Gleich darauf flatterte etwas Schwarzes durch die Luft direkt auf ihn zu.
Unwillkürlich trat Krejan nach hinten und erkannte endlich, was ihm gerade entgegenkam.
„Kjaf!“
Er lachte auf und legte den Kopf etwas zur Seite. Dankbar nahm das Fliesel die Einladung an, ließ sich auf seiner Schulter nieder und schüttelte den kleinen Kopf. Mit seinen zwei krallenbewehrten Füßen klammerte es sich vorsichtig fest. Es schmatzte vernehmbar.
„Wo hast du dich nur wieder rumgetrieben, Kjaf“, lächelte Krejan gutmütig, „Hast du wieder Spinnen gefressen?“
Statt eine Antwort zu geben, machte es sich Kjaf auf der Schulter gemütlich und begann sich zu putzen.
Der Junge seufzte leise und legte nun doch etwas an Tempo zu, denn Nejeno war schon hinter einer Biegung verschwunden.
Der wartete dort auf ihn und warf einen beiläufigen Blick auf das Fliesel.
„Ist sie dir also doch gefolgt.“
„Konnte ich doch nicht wissen. Wahrscheinlich ist sie uns voraus geflogen. Hatte wohl keine Lust, mit Estana zum Markt zu gehen.“
„Wahrscheinlich. Kann es jetzt weitergehen? Wir haben nicht den ganzen Tag Zeit.“
„Musst du immer so hetzen?“
Nejeno verdrehte genervt die Augen.
„Sonst bist du doch der Schnellere.“
„Schon gut.“ Krejan wollte nicht streiten.
Er streichelte kurz über das samtig schwarze, mit blauen Flecken versehene Fell seines Haustiers und folgte Nejeno.
Es ging nun querfeldein.
Krejan wurde immer nervöser. Obwohl er den Wald üblicherweise als beruhigend empfand, machte er ihm nun Angst. Immer öfter blickte er sich um. Sein Herz schlug ihm bis zum Hals, man musste es noch meterweit hören… Das Klopfen ging nun über in ein heftiges Pochen, das seinen Kopf durchdröhnte. Er fasste sich an die Schläfe und stöhnte leise auf.
„Beim Auge des Himmels, Krejan, was ist denn los mit dir?!“
„Ich weiß nicht…“
Dieses ständige Pochen – warum hörte es nicht auf? Es wurde lauter und lauter, er konnte gar nichts mehr hören, es überdeckte alles – nein, nicht alles.
Was waren das für Stimmen? Rau und heiser drangen sie in seine Ohren. Wo kamen sie her?
„Hörst du das?“
„Was?“
„Die Stimmen.“
„Welche Stimmen?“
„Du hörst sie nicht?“
„Nein.“
Krejan stöhnte nochmals und setzte sich auf einen Baumstumpf.
„Männer“, sagte er leise, „Irgendwelche Männer reden. Ich kann sie hören!“
„Was sagen sie denn?“ Nejeno klang irritiert.
„Ich…ich weiß nicht. Irgendwas.“
„Soll das jetzt ein Witz sein?“
Krejan wollte ihm am liebsten an die Kehle gefahren – warum beim Auge sollte er jetzt Witze machen?! – aber er ließ nur den Kopf in seine Hände sinken. Kjaf flatterte verstört auf und setzte sich auf einen Ast.
Er war einfach zu müde.
Der Schwall der Stimmen nahm wieder zu.
Nejeno bewegte die Lippen, wahrscheinlich sagte er gerade etwas, aber Krejan konnte ihn nicht hören.
„Wir….Geld………du? Nein….gute ……kein schlechter Fang…….Geld und Schmuck ….. zurück …..Dorf, im Wald…. gute Beute…“
Wie eine Welle rauschten sie durch seinen Kopf, mal lauter, mal leiser. Schmutziges Gelächter, unflätige Witze, Waffengeklirr – Krejan hielt sich verzweifelt die Ohren zu, aber das machte alles nur noch schlimmer. Ihm war danach zu schreien, irgendwie musste er sie übertönen, er öffnete den Mund und heraus kam nur ein hilfloses Krächzen.
Nicht einmal seine eigenen Gedanken konnte er noch hören.
Kiiiiiiiiiiiiiiiaaaaaaaack!
Kiiiiack! Kiiiiiiack!
Er zuckte zusammen. Die schrillen Schreie von Kjaf hatten fast sein Trommelfell zerrissen. Unsicher stand er da. Jeden Moment erwartete er, dass die Stimmen wieder kamen und ihn nun völlig einnehmen würden. Doch nichts dergleichen geschah.
Nejeno sah ihn fragend an.
„Geht es dir jetzt besser?“
Er nickte. Es ging ihm wirklich besser, da nun auch die Müdigkeit von ihm gewichen war. Aber die Unsicherheit war geblieben.
Irgendetwas würde geschehen, er war sich nun sicher.
„Komm.“
„Wohin?“
„Komm einfach!“
Er hechtete zu einem nahen Gebüsch. Das Fliesel folgte ihm mit schnellen Flügelschlägen – wahrscheinlich hatte es seine Gedanken gelesen. Oder zumindest die Fluchtgedanken wahrgenommen.
Sorgsam kauerte er sich hinter die dichten Blätter und suchte nach einer kleinen Lücke zum Durchsehen. Kjaf drängte sich ängstlich an seinen Kopf. Mit ihren gelben, pupillenlosen Augen starrte sie angestrengt auf den Weg. Ihre riesigen Ohren drehten sich unruhig nach allen Richtungen. Krejan spürte, dass sie leise zitterte. Er hob die Hand und kraulte ihren Kopf, wobei er einige beruhigende Laute murmelte.
„Was ist eigentlich mit dir los?“
Er blickte auf. Nejeno war ihm gefolgt und blickte wütend auf ihn hinab, die Hände in die Hüften gestemmt. Er griff nach Krejans Arm und versuchte ihn hochzuziehen. Krejan entriss sich ihm ärgerlich. Mühsam versuchte Kjaf das Gleichgewicht zu halten und schlug ihre vogelähnlichen Krallen in seine Schulter.
„Ich meine es ernst. Es ist kein Scherz“, brachte er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.
Die Stimmen erklangen wieder in weiter Ferne. Sie waren weitaus undeutlicher als zuvor, aber noch immer empfand sie Krejan als etwas Bedrohliches.
Etwas würde geschehen, und das sehr bald.
~~~
Nejeno betrachtete ihn unsicher. Krejan scheute sich niemals, irgendwelche Scherze zu machen, und das hier wirkte genauso wie die vielen zuvor.
Aber etwas beunruhigte ihn, etwas, das anders war. Er brauchte eine Weile, bis er begriff: Kjaf war dabei.
Er saß schon auf dem Boden, als er den Gedanken vollendete: und Kjaf hatte Angst. Entsetzliche Angst.
Ein Seitenblick offenbarte ihm das leichte Vibrieren ihres Körpers. Sie sah schreckensstarr geradeaus, spähte durch die Blätter und folgte dabei Krejans Blick, der nichts anderes mehr wahrzunehmen schien.
So hatte er die beiden noch nie gesehen.
Er fühlte sich in gewisser Weise ausgeschlossen, als nähmen die beiden etwas wahr, das über sein Verständnis hinausging. Aber so sehr es ihn ärgerte – es war besser, der seltsamen Wahrnehmung der beiden zu folgen.
Also wartete er. Krejan murmelte leise Worte, während er in Gedanken offensichtlich ganz woanders war. Dort, wo die Stimmen herkamen…
Nejeno ruckelte unruhig hin und her, als seine Füße einschliefen.
Das Rauschen der Blätter wurde lauter. Wie ein Vorbote strich der Wind durch die Bäume…
Und dann hörte Nejeno es auch.
Stimmen. Rau, heiser, begleitet von entschlossenen Schritten.
Kjaf flatterte mit ihren knochigen Flügeln und stieß einen furchtsamen Laut aus. Krejan fluchte leise und nahm sie von seiner Schulter. Sie zappelte, aber es gelang ihm die Arme um sie zu schlingen und sie so festzuhalten. Resigniert ergab sie sich ihrem Schicksal.
Stumm beobachtete die kleine Gruppe, wie die Räuber an ihnen vorbeizogen. Sie sahen entsetzlich aus, ungewaschen und in zerrissenen Kleidern. Einige trugen Säbel bei sich, Schwerter, Dolche, und einer sogar eine Keule.
Und sie redeten.
~~~
Krejan wurde blass, als er einige Worte heraushören konnte. Genau das hatte er gehört – mehrere Minuten früher, bevor es überhaupt geschehen war.
Er schluckte.
Andere Leute konnten das. Andere Leute weit entfernt und in einer anderen Stadt…
Sie warteten, bis die Räuberbande außer Hörweite war, und standen auf. Kjaf flog sofort los und Krejan nutzte die Gelegenheit, um sich an einen Baum zu lehnen. Erschöpft legte er die Hände auf seine zitternden Knie.
Noch niemals in seinem Leben war er so erschöpft gewesen.
Nejeno sah ihn unsicher an.
„Du hast es gehört?“
„Was?“
„Du hast es wirklich gehört? Genau das gleiche?“
Krejan nickte müde. Er wollte den Rest gar nicht hören.
„Du hast etwas gehört, das erst später überhaupt passiert ist.“
Krejan nickte abwesend, ohne seinen Freund anzusehen.
„Können wir dann los? Ich möchte gehen.“
Nejeno sah aus, als wollte er noch etwas sagen, aber ein Blick in Krejans Augen genügte um zu wissen, dass dieser für den gesamten Tag mehr als genug erlebt hatte.
Ohne ein weiteres Wort zu wechseln drehten sie sich um und liefen zurück. Ein jeder hing seinen Gedanken nach.

Sie hatten die Stadt schon fast erreicht, als Nejeno seinen Freund in die Rippen stieß.
„Schau mal!“
„Wo?“
„Da oben auf dem Berg! Siehst du das nicht?!“
Krejan wollte schon bemerken, dass Nejeno die Stimmen selber ja nicht gehört hatte, aber dann sah er es.
Auf dem Berg stand ein Mann in weiten, dunklen Kleidern. Der Anblick hatte etwas Triumphierendes und Majestätisches an sich. Das war bestimmt kein einfacher Mann, dessen Gewand ihn umwogte in einem stürmischen Wind.
Die beiden Jungen standen da und blickten nach oben, sahen, wie der Mann eine Hand hob, um seine Augen vor der Sonne zu schützen.
Er blickte in ihre Richtung.
Krejan erstarrte.
Er konnte das Lächeln des Mannes spüren.
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Allein die Existenz von irgendetwas ist das größte Wunder; die Materie, die sich selber formt, das größte Geschenk; die Materie aber, die auf sich selbst herabblickt und denkt, das größte Paradoxon.

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Geändert von Bardin (22.11.2009 um 10:20 Uhr)
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